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OGH vom 17.11.2010, 6Ob212/10k

OGH vom 17.11.2010, 6Ob212/10k

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Hon. Prof. Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler, Univ. Prof. Dr. Kodek und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** B.V., *****, Niederlande, vertreten durch Mag. Peter Melicharek, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Mag. H***** W*****, vertreten durch DDr. Harald Schröckenfuchs, Rechtsanwalt in Wien, wegen Abberufung als Geschäftsführer, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 26/10s 53, womit das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 29 Cg 95/07a 46, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil des Erstgerichts zu lauten hat:

„Das Klagebegehren, der Beklagte werde mit Rechtskraft dieser Entscheidung als Geschäftsführer der M*****gesellschaft m.b.H. und der M*****gesellschaft m.b.H. abberufen und mit der Rechtskraft dieser Entscheidung werde ihm die Geschäftsführungs- und Vertretungsbefugnis betreffend dieser Gesellschaften entzogen, wird abgewiesen.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 14.247,34 EUR (davon 2.707,89 EUR USt) bestimmten Prozesskosten binnen 14 Tagen zu ersetzen.“

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 6.951,12 EUR (davon 788,52 EUR USt und 2.220 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Klägerin und die Ö***** L***** GmbH („ÖL“), deren geschäftsführender Alleingesellschafter der Beklagte ist, sind nach dem Firmenbuchstand zu gleichen Anteilen die beiden Gesellschafter der M*****gesellschaft m.b.H. („A.E.“) und der M*****gesellschaft m.b.H. („A.G.“). Der Beklagte ist Geschäftsführer der „A.E.“ und der „A.G.“.

Die Klägerin begehrt mit ihrer Klage die Abberufung des Beklagten als Geschäftsführer der „A.E.“ und der „A.G.“, weil ihm zahlreiche im Einzelnen ausgeführte grobe Pflichtverletzungen bei Ausübung seiner Geschäftsführertätigkeit vorzuwerfen seien, die einen weiteren Verbleib in dieser Funktion unzumutbar machten.

Der Beklagte beantragte die Abweisung des Klagebegehrens. Ein wichtiger Grund für seine Abberufung als Geschäftsführer liege nicht vor.

Das Erstgericht gab der Klage statt. Dem von ihm festgestellten Sachverhalt beurteilte es rechtlich dahin, dass die beharrliche Weigerung des Beklagten, der Klägerin umfassende Bucheinsicht zu gewähren, und die fehlende objektive Vertretung der Gesellschaften in zwei Prozessen (Klagen der „ÖL“ auf Nichtigerklärung von Gesellschafterbeschlüssen der „A.E.“ und der „A.G.“ vom , unter anderem auf Abberufung des Beklagten als Geschäftsführer, die mit Anerkenntnisurteil endeten) trotz vorhandener Interessenkollission wichtige Abberufungsgründe iSd § 16 Abs 2 GmbHG seien.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Bei der Abberufung eines Gesellschafter Geschäftsführers aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung seien die §§ 117 und 127 UGB sinngemäß anzuwenden. Nach der Rechtsprechung zu §§ 117, 127 UGB müssten am Gestaltungsprozess alle übrigen Gesellschafter beteiligt sein. Jene, die nicht als Mitkläger auftreten wollten, aus der Gesellschaft aber auch nicht ausgeschlossen werden sollen, seien als Mitbeklagte in das Prozessrechtsverhältnis einzubeziehen und auf Duldung der geltend gemachten Rechtsgestaltung in Anspruch zu nehmen. Sie bildeten mit dem Entziehungs- bzw Ausschließungsbeklagten, vor dem Hintergrund eines einheitlichen Streitgegenstands, eine notwendige Streitgenossenschaft. Sei einer der Gesellschafter einer Kommanditgesellschaft am Rechtsgestaltungsprozess weder als Kläger noch als Beklagter beteiligt, mangle es dem Kläger an der Aktivlegitimation. Obwohl der Beklagte formal nicht Gesellschafter der „A.E.“ und der „A.G.“, sondern nur Alleingesellschafter deren Gesellschafterin „ÖL“ sei, habe die gerichtliche Abberufung im Weg einer Klage nach § 16 Abs 2 Satz 2 GmbHG zu erfolgen. Sei nämlich ein Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH beherrschender Gesellschafter jener Gesellschaft mbH, die ihrerseits Gesellschafterin der erstgenannten Gesellschaft mbH sei, müsse er, auch wegen des weitgehend personalistischen Konzepts der Gesellschaft mbH, nach der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs als Gesellschafter Geschäftsführer angesehen werden. Richtiger Beklagter der Abberufungsklage sei ein Gesellschafter Geschäftsführer, der mittels Einsatzes seiner Stimmmacht einen Abberufungsbeschluss verhindern könne. Da der Beklagte über die von ihm allein beherrschte „ÖL“ über die Hälfte der Stimmanteile bei der „A.E.“ und der „A.G.“ verfüge, könne er einen Beschluss auf seine Abberufung als Geschäftsführer dieser Gesellschaften verhindern. Dies bedeute aber, dass der Beklagte im Anlassfall nicht nur als Geschäftsführer, sondern auch als Gesellschafter zu behandeln sei, zumal er überhaupt nur als solcher der Abberufungsklage nach § 16 Abs 2 Satz 2 GmbHG ausgesetzt sein könne. Die gerichtliche Abberufung eines Fremdgeschäftsführers wäre nämlich nur im Weg der Zustimmungsklage nach § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG möglich. Der Beklagte repräsentiere also im vorliegenden Verfahren auch die von ihm allein beherrschte Gesellschafterin „ÖL“. Im Anlassfall seien somit alle Gesellschafter der „A.E.“ und der „A.G.“ auf Aktiv oder Passivseite in das Prozessrechtsverhältnis eingebunden. Das Berufungsgericht bejahte im Übrigen mit ausführlicher Begründung, dass dem Beklagten grobe Pflichtwidrigkeiten in seiner Geschäftsführung vorzuwerfen seien, die seine Abberufung rechtfertigten. Es sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteige und dass die ordentliche Revision zulässig sei. Es fehle Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zu der Frage, ob im Fall einer gegen den Geschäftsführer, der formal nicht Gesellschafter der Gesellschaft mbH, sondern nur Alleingesellschafter einer Gesellschafterin ist, gerichteten Klage nach § 16 Abs 2 Satz 2 GmbHG diese Gesellschafterin zusätzlich in das Prozessrechtsverhältnis einbezogen sein müsse oder ob sie insoweit von dem sie allein beherrschenden Beklagten (Gesellschafter )Geschäftsführer repräsentiert werde.

Die vom Beklagten gegen diese Entscheidung erhobene Revision, mit der die Abweisung des Klagebegehrens angestrebt wird, ist zulässig und auch berechtigt.

Der Revisionswerber macht nicht nur geltend, dass die Gesellschafterin „ÖL“ im Sinn der Entscheidung des verstärkten Senats 1 Ob 40/01s (SZ 74/81) am Verfahren zu beteiligen gewesen wäre, sondern auch, dass sie nach dem „Zustimmungsmodell“ als richtige Beklagte auf Zustimmung zur Abberufung (§ 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG) hätte in Anspruch genommen werden müssen.

Rechtliche Beurteilung

Hierzu wurde erwogen:

Die Bestellung zum Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH kann durch Beschluss der Gesellschafter (grundsätzlich) jederzeit widerrufen werden (§ 16 Abs 1 GmbHG). Die Generalversammlung beschließt in dieser Frage mit einfacher Mehrheit der abgegebenen Stimmen (§ 39 Abs 1 GmbHG), sofern der Gesellschaftsvertrag keine größere Mehrheit festlegt (5 Ob 611/78; Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer, Österreichisches Gesellschaftsrecht Rz 4/159 mwN).

§ 16 Abs 2 GmbHG regelt die gerichtliche Abberufung eines Geschäftsführers. Ein Geschäftsführer kann aus einem wichtigen Grund durch gerichtliche Entscheidung abberufen werden (Satz 1). Ist er zugleich Gesellschafter, so sind die §§ 117 und 127 UGB sinngemäß anzuwenden (Satz 2). Sonst können jene Gesellschafter, die nicht für die Abberufung des Geschäftsführers gestimmt haben, auf die Zustimmung geklagt werden (Satz 3). Dem Geschäftsführer ist gerichtlich der Streit zu verkünden (Satz 4).

Die Klage auf Abberufung eines Gesellschafter Geschäftsführers ist gegen den abzuberufenden Gesellschafter Geschäftsführer zu erheben, wobei es nach der Rechtsprechung (6 Ob 695/87 SZ 60/285; RIS Justiz RS0059607) nicht darauf ankommt, ob der Geschäftsführer schon allein durch Ausübung seines Stimmrechts seine Abberufung durch die anderen Gesellschafter verhindern kann (aA Koppensteiner/Rüffler , GmbHG 3 § 16 Rz 23 mwN; Straube/Ratka in Straube , WK zum GmbHG § 16 Rz 46). Im Anlassfall ist diese Streitfrage aber nicht entscheidungswesentlich.

Ein Geschäftsführer, der nicht Gesellschafter ist (Fremdgeschäftsführer) und für dessen Abberufung sich keine Gesellschaftermehrheit findet, kann aus wichtigem Grund gemäß § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG durch eine Klage gegen den oder die Gesellschafter, die nicht für die Abberufung gestimmt haben, auf Zustimmung zur Abberufung abberufen werden. Beklagter dieser Zustimmungsklage ist jeder Gesellschafter, der gegen den Antrag auf Abberufung gestimmt hat ( Koppensteiner/Rüffler aaO § 16 Rz 30c; Straube/Ratka aaO § 16 Rz 57). Der Fremdgeschäftsführer selbst ist nicht Beklagter; ihm ist lediglich vom Gericht der Streit zu verkünden (§ 16 Abs 2 Satz 4 GmbHG), sodass er vom Verfahren erfährt, dem er als (streitgenössischer) Nebenintervenient beitreten kann ( Koppensteiner/Rüffler aaO § 16 Rz 30e; Straube/Ratka aaO § 16 Rz 59 mwN). Auf die im Schrifttum ( Umfahrer, GmbH 6 Rz 209; Koppensteiner/Rüffler aaO § 16 Rz 30c) vertretene Auffassung, es müssten nicht alle Gesellschafter, die gegen die Abberufung gestimmt haben, in Anspruch genommen werden, sondern nur jene, deren Stimmen für die Abberufung wesentlich sind, muss nicht eingegangen werden, weil die Frage nicht entscheidungswesentlich ist.

Die Abberufung von Fremdgeschäftsführern, die von der Gesellschaftermehrheit gestützt werden und ansonsten nicht abberufen werden könnten, aus wichtigem Grund durch gerichtliche Entscheidung wurde erst durch das IRÄG 1997 im Gesetz geregelt. Zuvor bestimmte § 16 Abs 2 idF der GmbHG Novelle 1980: „Ein Geschäftsführer, der Gesellschafter ist, kann aus einem wichtigen Grund durch gerichtliche Entscheidung abberufen werden. Dabei sind die §§ 117, 127 HGB sinngemäß anzuwenden“ (zur Rechtslage vor dem IRÄG 1997 s Eckert , Abberufung des GmbH Geschäftsführers 59 ff mwN).

Nach herrschender Ansicht war diese Bestimmung (wie auch jetzt § 16 Abs 2 Satz 2 GmbHG) auf Fremdgeschäftsführer nicht, auch nicht analog anwendbar (3 Ob 549/86 SZ 61/99; Koppensteiner/Rüffler aaO § 16 Rz 23; Straube/Ratka aaO § 16 Rz 48 je mwN). Eine Ausnahme machte die Rechtsprechung in dem Fall, dass ein Geschäftsführer zwar mangels Beteiligung an der Gesellschaft „formell“ Fremdgeschäftsführer ist, wegen der „tatsächlichen wirtschaftlichen Identität“ mit einem Gesellschafter der Gesellschaft mbH aber denselben beherrschenden Einfluss wie der Gesellschafter selbst ausüben kann. Als Gesellschafter Geschäftsführer sieht diese Rechtsprechung daher auch einen Geschäftsführer einer Gesellschaft mbH an, der beherrschender Gesellschafter jener Gesellschaft mbH ist, die ihrerseits Gesellschafterin der erstgenannten Gesellschaft mbH ist, aber auch denjenigen an, der die Geschäftsführerfunktion nur als Strohmann eines beherrschenden Gesellschafters ausübt (3 Ob 549/86, SZ 61/99; vgl 8 Ob 515/86 SZ 59/43; 6 Ob 549/92; abl schon Koppensteiner , GmbHG 1 § 16 Rz 12; Koppensteiner/Rüffler , GmbHG 3 § 16 Rz 23).

Koppensteiner/Rüffler , GmbHG 3 § 16 Rz 23, führen gegen die zuletzt referierte Rechtsprechung ins Treffen, den von ihr gemachten Ausnahmen sei nicht zu folgen, liege doch keine Gesetzeslücke vor, weil Fremdgeschäftsführer stets auf dem von § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG vorgezeichneten Weg abberufen werden könnten.

Diesem Argument vermag sich der erkennende Senat nicht zu verschließen. Die referierte Rechtsprechung ist zur Rechtslage vor dem IRÄG 1997 ergangen und vor dem Hintergrund zu sehen, dass diese Rechtsprechung eine Abberufung eines Fremdgeschäftsführers gegen den Willen der Gesellschaftermehrheit durch das Gericht für nicht möglich ansah. Da nach der jetzigen Rechtslage Fremdgeschäftsführer aus wichtigen Gründen durch gerichtliche Entscheidung nach § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG abberufen werden können, gibt es unter Rechtschutzaspekten keinen Grund diese Rechtsprechung aufrecht zu erhalten. Die Wirkung des der Klage nach § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG stattgebenden und rechtskräftigen Urteils besteht darin, dass die Stimmen des beklagten Gesellschafters im Sinn der Abberufung als abgegeben gelten (§ 367 EO; Koppensteiner/Rüffler aaO § 16 Rz 30 f; Straube/Ratka aaO § 16 Rz 60 mwN). Das Urteil greift in den Kompetenzbereich der Generalversammlung ein. Folgerichtig können sachlegitimiert nur Gesellschafter sein, denn diese sind an der Willensbildung der Generalversammlung kraft eigenen Rechts beteiligt (vgl Eckert , Die Abberufung des GmbHG Geschäftsführers 61). Hinzu kommt, dass es im Einzelfall schwierig sein kann festzustellen, ob ein Geschäftsführer, der Nichtgesellschafter ist, „lediglich Strohmann“ eines beherrschenden Gesellschafters ist oder ob zwischen ihn und einem Gesellschafter der GmbH „wirtschaftliche Identität“ besteht.

Da der Beklagte nicht Gesellschafter jener Gesellschaften mbH, als deren Geschäftsführer er abberufen werden soll, und somit Fremdgeschäftsführer ist, hätte die Klage gegen die Gesellschafterin „ÖL“ erhoben werden müssen, auch wenn der Beklagte deren Alleingesellschafter ist. Das Klagebegehren war daher in Abänderung der Entscheidungen der Vorinstanzen abzuweisen.

Von der Lösung der vom Berufungsgericht für die Zulässigkeit der Revision bezeichneten Rechtsfrage hängt die Entscheidung der Sache ebensowenig ab wie von jener der Frage, ob bei der Klage auf Abberufung eines Fremdgeschäftsführers nach § 16 Abs 2 Satz 3 GmbHG eine Beteiligung aller Gesellschafter notwendig ist (s Eckert , Die Abberufung des GmbHG Geschäftsführers 134 ff; Ch. Nowotny in Kalss/Nowotny/Schauer , Österreichisches Gesellschaftsrecht Rz 4/166 mwN).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 41, 50 Abs 1 ZPO.