OGH vom 26.11.1985, 4Ob133/85
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Hon.Prof. Dr. Petrasch als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Prof.Dr. Friedl und Dr. Resch sowie durch die Beisitzer Dr. Stefan Seper Dr. Willibald Aistleitner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Albert A, Arbeiter, Feistritz/Drau, Duellerstraße 245, vertreten durch Dr. Peter Patterer, Rechtsanwalt in Villach, wider die beklagte Partei Hans B, Holzkaufmann in Feistritz/Drau, Fliehburgweg 184, vertreten durch Dr. Albert Ritzberger, Rechtsanwalt in Villach, wegen S 91.188,96 sA, infolge Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes Klagenfurt als Berufungsgerichtes in arbeitsgerichtlichen Rechtsstreitigkeiten vom , GZ. 3 Cg 33/84-28, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Arbeitsgerichtes Villach vom , GZ. 1 Cr 25/83-5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit S 5.443,80 bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens (darin enthalten S 385,80 USt. und S 1.200,-- Barauslagen) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger war seit im Sägewerksbetrieb des Beklagten als Arbeiter beschäftigt. Er wurde am vom Beklagten im Zusammenhang mit der Mitnahme eines Fichtenbrettes für private Zwecke entlassen.
Der Kläger begehrt vom Beklagten die Zahlung des der Höhe nach außer Streit gestellten Betrages von S 91.188,96 sA als Kündigungsentschädigung einschließlich Sonderzahlung und Abfertigung. Er brachte vor, der Beklagte habe ihn zu Unrecht entlassen. Wohl habe der Kläger im Oktober 1982 ein Fichtenbrett im Wert von S 105,-- vom Arbeitsplatz mit nach Hause genommen und für private Zwecke verwendet, doch habe der Platzmeister des Beklagten, Franz C, davon Kenntnis gehabt. Bei der Abrechnung am habe Anita B den Kläger gefragt, ob er nicht ein Brett mitgenommen und zu bezahlen habe. Der Kläger habe sich vorerst nicht daran erinnern können, in der Folge jedoch zugegeben, daß er das Brett für private Zwecke mitgenommen hatte. Darauf sei ihm der Betrag von S 105,-- vom Lohn abgezogen worden. Der Beklagte beantragte, das Klagebegehren abzuweisen, und wendete ein, der Kläger habe ohne seine Genehmigung ein Fichtenbrett vom Arbeitsplatz mitgenommen. Bei der Lohnauszahlung am habe der Kläger die Frage der Anita B, ob er nicht eine Ware, die vom Beklagten herrühre, zu bezahlen habe, ausdrücklich verneint. Wegen dieser Umstände habe der Beklagte den Kläger, der schon mehrmals wegen der Mitnahme von Brettern vom Arbeitsplatz zu privaten Zwecken ohne Zustimmung des Beklagten verwarnt worden sei, entlassen.
Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Es vertrat auf Grund der getroffenen Feststellungen die Auffassung, die Mitnahme des Brettes durch den Kläger stelle weder eine strafbare Handlung dar, noch begründe sie die Vertrauensunwürdigkeit des Klägers. Überdies sei die Entlassung verspätet erfolgt.
Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten nicht Folge, wobei es den Standpunkt vertrat, die Entlassung sei verspätet erfolgt.
Dieses Urteil wurde vom Obersten Gerichtshof mit Beschluß vom mit der Begründung aufgehoben, die Entlassung sei rechtzeitig erfolgt. Es seien daher Feststellungen über den Entlassungsgrund und die behaupteten Vorfälle in den Jahren vor der Entlassung erforderlich.
Mit der nunmehr angefochtenen Entscheidung gab das Berufungsgericht der Berufung des Beklagten abermals nicht Folge. Es verhandelte die Streitsache gemäß § 25 Abs 1 Z 3 ArbGerG von neuem und stellte folgenden wesentlichen Sachverhalt fest:
Einige Jahre vor der Entlassung des Klägers durch den Beklagten traf dieser den Kläger zufällig nach der Abendschicht, also nach 22 Uhr, in Feistritz/Drau auf der Brücke. Der Kläger hatte Bretter (Kurzware) unter dem Arm. Eine Feststellung, daß es sich bei der Ware um eine solche gehandelt hat, die der Kläger ordnungsgemäß erworben hat, kann nicht getroffen werden. Der Beklagte fragte den Kläger, was das bedeuten solle, ob es nun schon so sei, daß man einfach Bretter nach Hause tragen könne. Er fügte bei, wenn das noch einmal vorkomme, müßten "wir ein gescheites Wörtel miteinander reden", der Kläger würde wahrscheinlich entlassen werden. Der Kläger äußerte sich dazu nicht. Zwischen 1978 und 1981 fragte der Kläger den beim Beklagten beschäftigten Helmut D, ob er mit seinem Wagen Holz beziehungsweise Material aus dem Sägewerk nach Hause zum Kläger bringen könne. Dies lehnte Helmut D ab. Ob es sich dabei um "Stössel" (papierdünne Brettabschnitte, die beim Sägen von Hölzern mit Fremdkörpern abfallen und deren Wert sehr gering und für den Beklagten unbedeutend ist) oder um ein Brett gehandelt hat, kann nicht festgestellt werden. Der Kläger hat niemanden gefragt, ob er dieses Material mitnehmen dürfe. Er hatte im Betrieb des Beklagten die wichtige Stellung des "Säglers" an der Blockbandsäge inne. Es gab mit ihm außer beim oben festgestellten Vorfall nie wesentliche Schwierigkeiten.
Der übliche Vorgang beim Bezug von Material aus dem Betrieb des Beklagten durch dessen Dienstnehmer zu privaten Zwecken ist, daß der Dienstnehmer den beabsichtigten Bezug von Ware dem Beklagten oder in dessen Abwesenheit dem Platzmeister C zu melden hat, von diesem die Genehmigung zur Mitnahme der Ware erhält und der Beklagte oder
C von diesem Warenverkauf dem Lohnbüro zwecks Abrechnung bei der nächsten Lohnverrechnung Mitteilung macht. An sich steht es aber den Bediensteten des Beklagten frei, erst bei der Abrechnung den Bezug eines Brettes etc. bei Anita B als der Lohnbuchhalterin zu melden. In einem solchen Fall wird diese Vorgangsweise auch dann akzeptiert, wenn der Bedienstete sich nicht von vornherein die Zustimmung zum Bezug der Ware für private Zwecke eingeholt hat. Am 19. oder schnitt der Kläger während der Arbeitszeit ein Fichtenbrett von 4 bis 4,5 m Länge, 24 cm Breite und 3 cm Stärke und der Qualität 03 für private Zwecke in der Säge zu. Zu dieser Zeit war nur der Platzmeister anwesend. Der Kläger fragte
C nicht um Erlaubnis zur Mitnahme des Brettes. Er besäumte das Brett und schnitt es dann in Gegenwart des gleichfalls beim Beklagten beschäftigten Oskar E in kleinere Stücke. Franz
C und der Lehrling Heinz B jun., der Sohn des Beklagten, schauten dem Kläger bei dieser Tätigkeit durch das Fenster der Schleiferei zu, was der Kläger auch bemerkte. Der Kläger schnitt ganz ruhig am Brett weiter. Franz C schickte Heinz B jun. zum Kläger und ließ ihn fragen, wozu er das Brett benötige. Der Kläger antwortete, er brauche das Brett für ein oder zwei Gemüsekisteln für Wintergemüse für den Keller. Heinz B jun. verstand wegen des großen Arbeitslärms, das Holz sei für Sägescharten im Keller bestimmt und berichtete dies Franz C.
C war bekannt, daß ein Brett zur Abgrenzung der Sägescharten im Keller der Säge nicht benötigt wurde. Er hielt sich aber nicht für verpflichtet, den Kläger wegen der offensichtlich unzutreffenden Auskunft zur Rede zu stellen. Der Kläger legte die Brettstücke hinter der Besäummaschine zu Boden, damit sie nicht störend herumlagen. Er nahm sie in der Mittagspause desselben Tages im Auto seines Arbeitskollegen Walter F nach Hause. Der Kläger hatte weder den Beklagten noch den Platzmeister C um Erlaubnis gebeten, die Ware mitnehmen zu dürfen. Ob der Kläger im Zeitpunkt des Bearbeitens des Brettes und (oder) im Zeitpunkt des Verbringens der Brettstücke aus dem Betrieb des Beklagten die Absicht hatte, den Bezug des Brettes bei der nächsten Lohnabrechnung anzugeben oder dessen Wert zu bezahlen, oder ob er in diesem Zeitpunkt die Absicht hatte, den Bezug des Brettes zu verschweigen und sich hiedurch unrechtmäßig zu bereichern, oder ob er dies vorerst dahingestellt bleiben lassen wollte, aber die letztere Möglichkeit in Betracht zog, kann nicht festgestellt werden. Unmittelbar nachdem der Kläger das Brett bearbeitet und bei der Besäummaschine abgelegt hatte, vermaß Franz C das Brett, dessen Länge er gesehen hatte, anhand des kleinen Abschnittes, den der Kläger beim Ablängen bei der Maschine liegengelassen hatte. Am nächsten Tag teilte Franz C Anita B mit, daß der Kläger das Brett, das er ihr näher beschrieb, mitgenommen hatte. Der Kläger wußte weder, daß Franz
C den Brettrest vermessen hatte, noch, daß der Platzmeister von der Mitnahme des Brettes durch den Kläger im Büro Meldung gemacht hatte. Bei der Lohnauszahlung am 3. oder fragte Anita B den Kläger, wie jeden anderen Arbeitnehmer des Beklagten, ob allenfalls Waren zu bezahlen wären. Der Kläger verneinte dies. Anita B holte daraufhin Franz C ins Büro, der die Frage, ob der Kläger nicht ein Fichtenbrett mitgenommen habe, bejahte. Daraufhin fragte der Kläger, ob er dafür etwas zu bezahlen habe. Es kann nicht festgestellt werden, ob der Kläger die Frage Anita BS deshalb verneinte, weil er vergessen hatte, daß er am 19. oder ein Fichtenbrett mitgenommen hatte, oder deshalb, weil er den Bezug des Brettes verschweigen wollte. Am hielt der Beklagte dem Kläger vor, daß er ein Brett abgeschnitten und mitgenommen habe. Er sagte dreimal, dies sei ein Grund, den Kläger zu entlassen, und fragte ihn, ob er dazu etwas zu sagen habe. Der Kläger antwortete nicht. Daraufhin sprach der Beklagte die Entlassung des Klägers aus. Der Wert des Brettes, das der Kläger mit nach Hause genommen hatte, betrug S 105,--. Dieser Betrag wurde bei der Auszahlung des Arbeitslohnes an den Kläger am
3. oder von Anita B einbehalten.
Rechtlich vertrat das Berufungsgericht die Auffassung, dem Beklagten sei der Nachweis nicht gelungen, daß der Kläger mit Vorsatz oder auch nur mit bedingtem Vorsatz gehandelt habe. Eine strafbare Handlung des Klägers sei daher nicht erwiesen. Selbst wenn eine strafbare Handlung erwiesen wäre, komme dem Kläger der Strafaufhebungsgrund der tätigen Reue zugute.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision des Beklagten aus dem Revisionsgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung mit den Anträgen, es im Sinne einer Klagsabweisung abzuändern oder es aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Der Kläger beantragt, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist nicht berechtigt.
Gemäß § 82 lit d GewO kann ein Hilfsarbeiter (im Sinne des § 73 GewO) ohne Kündigung sofort entlassen werden, wenn er sich eines Diebstahls, einer Veruntreuung oder einer sonstigen strafbaren Handlung schuldig macht, welche ihn des Vertrauens des Gewerbeinhabers unwürdig erscheinen läßt. Für das Vorliegen des Entlassungsgrundes ist dabei der Arbeitgeber beweispflichtig. Zum Tatbestand des Diebstahls und der Veruntreuung bedarf es des Vorsatzes, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern (§§ 127, 133 StGB). Einen solchen Vorsatz hat das Berufungsgericht nicht als erwiesen angenommen. Wenn der Beklagte die Auffassung vertritt, der Kläger habe zu behaupten und zu beweisen, daß die subjektive Tatseite nicht gegeben sei, also eine Umkehr der Beweislast eintrete, kann ihm jedenfalls für den vorliegenden Fall nicht beigepflichtet werden. Es kann dahingestellt bleiben, ob es beim Vorwurf des Diebstahls oder der Veruntreuung Fälle geben kann, in denen hinsichtlich des Vorliegens der subjektiven Tatseite eine Umkehr der Beweislast stattfindet. Eine solche wurde bisher nur in Ausnahmsfällen, etwa bei der Mankohaftung unter der Voraussetzung bejaht, daß nur der Arbeitnehmer Zutritt zu der Kasse hatte (Martinek-Schwarz, Angestelltengesetz 6 189 f). Im vorliegenden Fall ist aber zu beachten, daß die Arbeitnehmer des Beklagten zwar einen Bezug von Waren grundsätzlich dem Beklagten oder Platzmeister zu melden hatten, es ihnen aber auch freistand, ihn erst bei der Abrechnung der Lohnbuchhalterin mitzuteilen. Aus der Tatsache, daß der Kläger eine Meldung an den Beklagten oder den Platzmeister unterließ, kann daher nicht bereits "prima facie" auf eine Diebstahlsabsicht des Klägers geschlossen werden. Der Kläger wußte überdies, daß er vom Platzmeister beim Herrichten des Brettes beobachtet worden war und hatte auch dem vom Platzmeister zur Aufklärung des Verwendungszweckes zum Kläger geschickten Sohn des Beklagten den Verwendungszweck für das Brett wahrheitsgemäß mitgeteilt, wenngleich dieser die Auskunft falsch verstanden hatte. Unter diesen Umständen ist eine Umkehr der Beweislast nicht zu rechtfertigen. Auch daß der Kläger die Entnahme des Brettes bei der erst 14 Tage danach erfolgten Abrechnung nicht sofort meldete, bedeutet mit Rücksicht darauf, daß er davon ausgehen konnte, C sei der Verwendungszweck für das Brett bekannt, noch nicht, daß damit so starke Verdachtsmomente für das Bestehen der Absicht, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, bestünden, daß ein prima-facie-Beweis für die Diebstahlsabsicht erbracht sei und der Kläger daher einen Irrtum seinerseits bei Beantwortung der Frage der Buchhalterin beweisen müßte. Dem Berufungsgericht ist daher beizupflichten, daß dem Beklagten der Beweis für das Vorliegen einer strafbaren Handlung des Klägers nicht gelungen ist, weshalb die Frage, ob im Fall tätiger Reue der Entlassungsgrund weiterhin besteht, nicht geprüft werden muß.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf die §§ 41 und 50 ZPO.