OGH vom 11.06.2012, 1Präs.2690-2113/12i
Kopf
Über den im Verfahren AZ 34 Bl 17/12w des Landesgerichts Krems an der Donau gestellten Antrag des C***** R***** vom auf Ablehnung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien Mag. Dr. A***** S***** wegen Ausschließung von der Entscheidung über die Ausschließung des Präsidenten des Landesgerichts Krems an der Donau über die Ausschließung von Richtern des Landesgerichts Krems an der Donau von der Entscheidung über den Antrag des C***** R***** auf Fortsetzung des zum AZ 62 BAZ 23/12i der Staatsanwaltschaft Krems an der Donau geführten Ermittlungsverfahrens ergeht der
Beschluss :
Spruch
Der Präsident des Oberlandesgerichts Wien Mag. Dr. A***** S***** ist nicht ausgeschlossen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
Der Antrag auf Ablehnung eines Richters wegen Ausschließung steht nach § 44 Abs 3 erster Satz StPO nur „Beteiligten des Verfahrens“ zu. Für die Beteiligtenstellung des Antragstellers ist von folgenden Überlegungen auszugehen:
Wer eine Strafanzeige erstattet, wird dadurch nicht zum Beteiligten eines Ermittlungsverfahrens: Nicht nur, dass nach § 78 Abs 5 und 6 GOG „im Wesentlichen aus Beschimpfungen“ bestehende „Anzeigen“ (lege non distinguente nicht nur von Organen der Justizverwaltung) „nach überblicksartiger Durchsicht und unter Verzicht auf ins einzelne gehende Befassung und Bewertung zu den Akten“ genommen werden können, „ohne sie weiter zu behandeln“ und § 58 Abs 2 vierter Satz Geo in die gleiche Richtung zielt (vgl 1 Präs. 2690-6020/11x, EvBl-LS 2012/39, 238, sowie den Erlass des BMJ vom , BMJ-S405.002/0001 IV 3/2012), beginnt nach § 1 Abs 2 erster Satz StPO das Strafverfahren erst, „ sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung des Verdachts einer Straftat gegen eine bekannte oder unbekannte Person ermitteln oder Zwang gegen eine verdächtige Person ausüben.“
Ermitteln ist demnach etwas anderes als bloßes „Zur-Kenntnis-Nehmen“ . Das geht unmissverständlich auch aus § 2 Abs 1 StPO hervor. Diese Vorschrift verpflichtet Kriminalpolizei und Staatsanwaltschaft im Rahmen ihrer Aufgaben, „jeden ihnen zur Kenntnis gelangten Verdacht“ einer Straftat (die nicht bloß auf Verlangen einer hiezu berechtigten Person zu verfolgen ist) „in einem Ermittlungsverfahren“ aufzuklären. Zur-Kenntnis-Gelangen des Verdachts einer Straftat durch eine Anzeige (§§ 78 Abs 1, 80 Abs 1 StPO) wird auch hier vom Ermitteln unterschieden: Ersteres verpflichtet zu Letzterem. Ermitteln bedeutet also: Tätigwerden aufgrund eines zur Kenntnis gelangten Sachverhalts.
Die Kriminalpolizei hinwieder „ermittelt von Amts wegen oder aufgrund einer Anzeige“ (§ 99 Abs 1 erster Teilsatz StPO). Die Anzeige ist auch hier Anlass für, nicht Gegenstand von Ermittlungen . Ein seitens Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Kenntnis genommener Tatverdacht ist also nur Ausgangspunkt für die durch das Ermittlungsverfahren vorzunehmende Klärung nach § 91 Abs 1 StPO, eine von § 91 Abs 2 erster Satz StPO angesprochene „Gewinnung“ oder „Auswertung“ einer Information hat als Bezugspunkt den zB in einer Anzeige zum Ausdruck kommenden „Verdacht einer Straftat“, dessen Kenntnisnahme gerade nicht Informationsgewinnung oder auswertung iSd § 91 Abs 2 erster Satz StPO ist. Das macht auch § 91 Abs 2 zweiter Satz StPO deutlich, der (ua) für Gewinnung und Auswertung von Information die Einhaltung der Formen von Erkundigungen oder Beweisaufnahmen verlangt.
Auch § 100 Abs 2 Z 1 StPO, wonach Kenntniserlangung von bestimmten Straftaten die Kriminalpolizei zu einem Anfallsbericht verpflichtet, macht solche Kenntniserlangung nicht zu einer Ermittlung. Zwar verlangt § 100 Abs 3 Z 1 StPO für den Anfallsbericht die Angabe der Namen der Beschuldigten - und Beschuldigter ist nach § 48 Abs 1 Z 1 StPO nur diejenige Person, „die aufgrund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig ist, eine strafbare Handlung begangen zu haben, sobald gegen sie wegen dieses Verdachts ermittelt oder Zwang ausgeübt wird“. Selbst wenn man daraus jedoch - entgegen § 91 Abs 2 zweiter Satz StPO - den Schluss ziehen wollte, dass ein Anfallsbericht bereits für sich allein ein Ermittlungsverfahren beginnen lässt, ist die Kenntnisnahme vom Tatverdacht vom Anfallsbericht zu unterscheiden. Auch eine solche Kenntnisnahme lässt also das Ermittlungsverfahren nicht beginnen. Dazu kommt § 101 Abs 1 zweiter Satz StPO, wonach gegen den erklärten Willen der Staatsanwaltschaft „ein Ermittlungsverfahren“ nicht „eingeleitet“ werden darf, sodass sich zeigt, dass der Begriff des Beschuldigten iSd § 100 Abs 3 Z 1 StPO nicht notwendig eine Person bezeichnet, gegen die bereits iSd § 48 Abs 1 Z 1 StPO wegen einer Straftat ermittelt wird. § 34c Abs 1 StAG, der die Anlegung eines Ermittlungsakts vorschreibt, „sobald in einem Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft gemäß § 100 StPO berichtet wurde“, setzt ein Ermittlungsverfahren nach § 1 Abs 2 StPO logisch voraus und spricht schon deshalb nicht gegen das gefundene Ergebnis. § 197 Abs 2a StPO, wonach das „Verfahren gegen eine Person, gegen die nach einer gesetzlichen Vorschrift die Verfolgung nicht eingeleitet“ werden kann, „abzubrechen und nach Wegfall des Hinderungsgrundes fortzusetzen“ ist, betrifft - wie zur Klarstellung ebenfalls angemerkt sei - nicht die vorstehend erwogene Sachlage.
Während § 190 StPO jeweils von „weiterer“ Verfolgung spricht und daher von vornherein keine Schwierigkeiten bereitet, verzichtet § 191 StPO auf diesen Zusatz. Indem aber selbst § 191 StPO die Einstellung auf „das Ermittlungsverfahren“ bezieht, setzt auch Einstellung wegen Geringfügigkeit Ermittlungen iSd § 1 Abs 2 erster Satz StPO voraus. Gleiches gilt für Einstellung bei mehreren Straftaten nach § 192 StPO („Ermittlungen“ und „Beweisaufnahmen“ nach §§ 193 Abs 1 zweiter Satz, 196 Abs 1 dritter Satz StPO gehören nicht zum Ermittlungsverfahren, sondern zum - auf einer anderen Sprachebene gelegenen - Verfahren zur Entscheidung über die Fortführung des Ermittlungsverfahrens).
Wenn die Staatsanwaltschaft einen zur Kenntnis genommenen Sachverhalt ohne Ermittlungen zum Anlass für eine - sozusagen vom Blatt weg getroffene - Entscheidung nach §§ 191 f StPO macht, begründet sie dadurch noch kein Ermittlungsverfahren. Da einer solchen Entscheidung jedoch bejahte Strafbarkeit der angezeigten Tat zugrunde liegt, erscheint die Wertung angebracht, in Betreff solcher Entscheidungen Fortführungsanträge auch zuzulassen, wenn (zu Recht) aus Gründen der Prozessökonomie von überflüssigen Ermittlungen Abstand genommen wurde. So kann die Zurücklegung einer Anzeige auf der Grundlage rechtlicher Bewertung des angezeigten Sachverhalts als (§ 191 StPO oder § 192 StPO zu subsumierende) Straftat der Einstellung eines zur Aufklärung dieser Straftaten begonnenen Ermittlungsverfahrens unter dem Aspekt von Fortführung rechtlich gleichgehalten werden.
Dagegen begründet die hier erfolgte, in Information (§ 70 StPO) und Verständigung (§ 194 StPO) zum Ausdruck gekommene rechtliche Beurteilung des Anzeigers als Opfer (§ 65 Z 1 StPO) weder ein Ermittlungsverfahren noch eine der (staatsanwaltlichen) Bewertung des angezeigten Sachverhalts als Straftat vergleichbare prozessuale Lage, die als Bezugspunkt eines Fortführungsantrags in Frage kommt.
Einstellung nach § 190 StPO ist stets bloß in Betreff eines einmal in Gang gekommenen Ermittlungsverfahrens möglich (vgl „weitere“ [mithin bereits von Seiten der Kriminalpolizei oder der Staatsanwaltschaft durch Ermittlungen oder Zwangsmaßnahmen begonnene] Verfolgung in Z 1 und 2). Bloß zurückgelegte Anzeigen oder sonst nicht zum Anlass für Ermittlungen genommene Sachverhalte sind kein Fall des § 190 StPO, lösen keine Informations- und Verständigungspflichten aus und sind kein Gegenstand der Fortführung. Bloß zurückgelegte Anzeigen machen den Anzeiger mithin in Betreff eines darauf bezogenen Antrags auf Fortführung des - solcherart niemals geführten - Ermittlungsverfahrens nicht zum Beteiligten und berechtigen auch nicht zu einem Antrag auf Ablehnung eines Richters.
Vorliegend jedoch hatte der Antragsteller angezeigt (§ 80 Abs 1 StPO), ein in der Justizanstalt Stein tätiger Zivildiener habe eine Übersendungsnote, mit welcher für ihn bestimmte Schreiben an seine nunmehrige Vollzugsadresse nachgesandt worden waren, mit „Der Anstaltsleiter: i.V. S*****, ZD“ gefertigt und diesen Sachverhalt rechtlich als Begehung der Vergehen der Amtsanmaßung nach § 314 StGB und der Erschleichung eines Amtes nach § 315 StGB bewertet, also als Hoheitsakt [vgl Bertel in WK 2 § 314 Rz 1 und 3] beurteilt und in ihm, dem Strafgefangenen, „eine zur Übertragung eines öffentlichen Amtes berufene Stelle“ gesehen.
Die Staatsanwaltschaft, deren besondere rechtsstaatliche Pflicht es ist, einen zur Kenntnis genommenen Sachverhalt zuerst rechtlich dahin zu beurteilen, ob er in Richtung eines Geschehens deutet, das - als erwiesen angenommen - (zumindest) einem Tatbestand des materiellen Strafrechts subsumierbar, mithin als Verdacht einer Straftat zu bewerten ist (um Menschen davor zu schützen, ohne Anlass zum Objekt eines Strafverfahrens zu werden, vgl EBRV 25 BlgNR 22. GP 26), hatte daraufhin die Leitung der Justizanstalt Stein um „Übermittlung einer Stellungnahme“ ersucht. Durch diese Erkundigung (§ 151 Z 1 StPO) aber wurde ein Ermittlungsverfahren als Gegenstand von Einstellung nach § 190 StPO und Fortführung nach §§ 195 f StPO begonnen (§ 1 Abs 2 StPO).
Wer in Betreff eines (auch wirklich) nach § 190 StPO eingestellten (demnach zuvor existierenden, weil begonnenen) Ermittlungsverfahrens (wenngleich durch verfehlte Information und Verständigung animiert, mithin substratlos auch bloß) behauptet, Opfer zu sein, ist schon deshalb und ungeachtet der erst bei der Entscheidung über seinen Fortführungsantrag anzustellenden Beurteilung seiner Opferstellung zu einem Antrag auf Ablehnung von Richtern berechtigt, welchen die Entscheidung über diesen Antrag auf Fortführung zukommt , sodass darüber in der Sache zu entscheiden ist (§ 45 Abs 2 erster und zweiter Satz StPO). Ein gleiches Recht wurde bislang auch gegenüber Richtern angenommen, die auf das Ausgangsverfahren bezogene Entscheidungen nach § 45 StPO zu treffen haben.
Vorliegend hat C***** R***** seinen Antrag auf Ablehnung des Präsidenten des Oberlandesgerichts Wien (dem die Entscheidung über die Ausgeschlossenheit des Präsidenten des Landesgerichts Krems zur Entscheidung über die Ausgeschlossenheit der nach der Geschäftsverteilung zur Entscheidung über den Fortführungsantrag zuständigen Richter zukommt) bloß substratlos damit begründet, es werde sonst “keine faire Entscheidung ergehen“ und damit keinen der rechtlichen Beurteilung iSd § 43 StPO zugänglichen Sachverhalt mitgeteilt, sodass der Antrag unbegründet ist.