OGH vom 25.09.2019, 1Ob157/19y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.
Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Mag. Dr. T*****, vertreten durch die Aigner Rechtsanwalts-GmbH, Wien, gegen die beklagte Partei B***** SA, Niederlassung Österreich, *****, vertreten durch Dr. Helmut Hegen und andere, Rechtsanwälte in Salzburg, sowie die Nebenintervenientin auf Seite der beklagten Partei V*****bank AG, *****, vertreten durch Dr. Wolfgang Hirsch und Dr. Ursula Leissing, Rechtsanwälte in Bregenz, wegen 100.000 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Linz als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 81/19y-85, mit dem das Urteil des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 5 Cg 92/16z-81, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Der Kläger begehrt den Ersatz des Schadens, der ihm durch eine behauptete Verzögerung bei der Übertragung seiner auf einem bei der Beklagten geführten Depot befindlichen Wertpapiere auf ein Depot bei der Nebenintervenientin entstanden sei. Er habe dadurch nicht über die Wertpapiere verfügen und mit diesen handeln können, wodurch ihm zumindest ein Gewinn in Höhe des Klagebetrags entgangen sei.
2. Der entgangene (Kurs-)Gewinn aus dem Handel mit Wertpapieren ist kein positiver Schaden, weil er bei typischen Marktverhältnissen („im Verkehr“) nicht „praktisch gewiss“ erzielt worden wäre (vgl RISJustiz RS0109502; RS0111898 [T1, T 2]). Einer marktüblichen Verzinsung fest verzinslicher Wertpapiere (vgl RS0080062; RS0030447 [T2]) kann der (behauptete) entgangene Gewinn aus einem kurz- bis mittelfristigen Wertpapierhandel – also einer Spekulation auf künftige Wertpapierkurse – auch dann nicht gleichgehalten werden, wenn der Kläger – wie er behauptet – ein „ausgeklügeltes“ und bereits erfolgreich erprobtes (Veranlagungs)System verwendete.
3. Für den entgangenen Gewinn haftet die Beklagte gemäß § 1324 ABGB nur bei grobem Verschulden. Dass der Depotübertragung auch auf Seite des Klägers ein Unternehmergeschäft zugrunde gelegen sei und ihm die Beklagte daher gemäß § 349 UGB auch bei leichter Fahrlässigkeit den entgangenen Gewinn zu ersetzen habe, wurde erstmals in der Revision behauptet und verstößt daher gegen das Neuerungsverbot. Auf das in erster Instanz hilfsweise erstattete Vorbringen, wonach dem Kläger insoweit auch ein – bereits bei leichter Fahrlässigkeit zu ersetzender – positiver Schaden entstanden sei, als er bestimmte Wertpapiere aufgrund der langen Dauer der Depotübertragung erst nach deren Abschluss mit Verlust verkaufen habe können, wohingegen er diese bei einem rascheren Vorgehen der Beklagten ohne Verlust verkauft hätte, kommt der Kläger in dritter Instanz nicht mehr zurück.
4.1. Grob fahrlässig ist ein Versehen, das erheblich und ungewöhnlich über alltägliche Fahrlässigkeitshandlungen hinausgeht, wobei der Schadenseintritt als wahrscheinlich voraussehbar sein musste (
RS0030477). Es ist eine auffallende und ungewöhnliche Sorglosigkeit erforderlich (RS0030438). Der objektiv besonders schwere Sorgfaltsverstoß muss auch subjektiv schwerstens vorwerfbar sein (RS0030272). Ob grobes Verschulden vorliegt, ist stets anhand des konkreten Einzelfalls zu beurteilen (
RS0030477 [T3, T 22]). Auch die Frage, innerhalb welchen Zeitraums eine (Depot-)Bank die Depotübertragung durchführen muss, richtet sich nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls (vgl Kainz, Haftung für verzögerte Depotübertragung? ecolex 2016, 692 [694 f], der auf die Anzahl der verwahrten Wertpapiere sowie die Zahl und den Sitz der involvierten Zentralverwahrer abstellt).
4.2. Das Erstgericht stellte fest, dass die Übertragung der Wertpapiere auf das bei der Nebenintervenientin geführte (neue) Depot zunächst eine Aufstellung sämtlicher Daten der Wertpapiere (einschließlich der „Lieferwege“, der verwahrenden Bank und des „Zentralverwahrers“) erforderte. Diese Daten wurden an die Nebenintervenientin übermittelt, von dieser geprüft und um ihre „Lagerstellen und Lieferwege“ ergänzt. Erst anschließend konnte mit der Übertragung der Wertpapiere (insgesamt 196 Titel) begonnen werden. Da bei einem Teil der Wertpapiere „komplizierte Lieferwege“ (ausländische Lagerstellen) vorlagen, konnten diese nicht sofort übertragen werden, weil für die Lagerstellen besondere Instruktionen erforderlich waren. Dass die Depotübertragung im vorliegenden Fall insgesamt 41 Tage dauerte, wurde vom Erstgericht – aufgrund der großen Anzahl an Einzeltiteln sowie der unterschiedlichen Lagerstellen von teilweise im Ausland befindlichen Wertpapieren – als (noch) branchenüblich festgestellt; sämtliche Handlungen und Abläufe bei der Beklagten (insbesondere die Mitteilung der für die Berechnung der Kapitalertragsteuer durch die depotführende Bank erforderlichen steuerlichen Anschaffungswerte) entsprachen den branchenüblichen Standards und wurden von ihren Mitarbeitern mit der branchenüblichen Sorgfalt erledigt.
4.3. Der Revisionswerber behauptet nun bloß ganz allgemein, dass die Beklagte nicht – wie dies nach dem anzuwendenden WAG 2007 und dem dort normierten strengen (in der Revision jedoch nicht näher konkretisierten) Sorgfaltsmaßstab ihre Pflicht gewesen wäre – im besten (der Beklagten bekannten) Interesse des Klägers an einer möglichst raschen Übertragung seiner Wertpapiere gehandelt habe, dass es keine sachliche Rechtfertigung für die ihrer Ansicht nach erfolgten Verzögerungen (insbesondere zwischen Erteilung des Auftrags zum Depotübertrag und Beginn der Ausführung dieses Auftrags sowie zwischen Übertragung der ersten Wertpapiere und Übermittlung der steuerlichen Anschaffungswerte an die Nebenintervenientin) gegeben habe und dass die festgestellte „Branchenüblichkeit“ eine Sorgfaltswidrigkeit nicht ausschließe. Mit den konkreten Feststellungen, aufgrund der das Berufungsgericht zur Ansicht gelangte, dass der Beklagten keine grobe Sorgfaltswidrigkeit bei der Übertragung der Wertpapiere vorzuwerfen sei, setzt sich die Revision hingegen nicht näher auseinander bzw negiert sie diese teilweise (etwa wenn ausgeführt wird, dass einer rascheren Umsetzung keine besonderen Hindernisse entgegengestanden wären). Damit zeigt das Rechtsmittel – im Hinblick auf den erforderlichen Maßstab des groben Verschuldens – aber keine korrekturbedürftige Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts und somit keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf. Dass die Beklagte vorsätzlich gegen die Interessen des Klägers verstoßen habe, findet im Sachverhalt keine Deckung.
5. Der Kläger stützte seinen Ersatzanspruch in erster Instanz im Übrigen auch (nur) darauf, dass er während des Übertragungsvorgangs keinen Zugriff auf seine Wertpapiere gehabt und mit diesen nicht handeln (sie insbesondere nicht verkaufen; mangels verfügbaren Kapitals aus solchen Verkäufen aber auch keine neuen Wertpapiere kaufen) habe können. Es steht jedoch fest, dass ein Verkauf von Wertpapieren nicht nur bis zum Beginn ihrer jeweiligen Übertragung auf das bei der Nebenintervenientin geführte Depot, sondern auch danach – dann über die Nebenintervenientin – möglich war und der Kläger während des Übertragungszeitraums auch „ein“ Wertpapier (wohl gemeint: eine Wertpapierposition) verkauft hat.
Dass er darüber hinaus keine weiteren Verkäufe tätigte, hatte seine Ursache festgestelltermaßen allein darin, dass er sein eigenes Vermögensverwaltungsprogramm, in das Daten aus dem Wertpapierdepot „eingespielt“ wurden, bereits vor Übertragung der Wertpapiere derart „umprogrammiert“ gehabt hatte, dass es mit dem bei der Beklagten geführten Depot nicht mehr kompatibel war. Der behauptete Schaden, dessen Ersatz der Kläger begehrt, ist also nicht – wie in erster Instanz vorgebracht – auf einen fehlenden Zugriff auf die Wertpapiere zurückzuführen, sondern darauf, dass der Kläger sein Vermögensverwaltungsprogramm – aus ihm zuzurechnenden Gründen („Umprogrammierung“) – während der Dauer der Depotübertragung nicht nutzen konnte. Auf eine Haftung der Beklagten für daraus resultierende Schäden hat sich der Kläger in erster Instanz aber nicht berufen.
6. Dem Vorwurf, die Beklagte habe den Kläger vor Beginn der Depotübertragung nicht über den dafür (voraussichtlich) erforderlichen Zeitraum aufgeklärt, hielt das Berufungsgericht das Neuerungsverbot entgegen. Weshalb diese Beurteilung unrichtig sein soll, führt die Revision, die insoweit auch keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 501 Abs 2 ZPO aufzeigt, nicht aus. Im Übrigen informierte die Beklagte den Kläger ohnehin am (also zu einem Zeitpunkt, zu dem mit der Übertragung der Wertpapiere noch nicht begonnen worden war) darüber, dass die Übertragung „Wochen“ dauern könne. Dies veranlasste den Kläger jedoch nicht, vom beabsichtigten Depotübertrag abzusehen oder seine (voreilige) „Umprogrammierung“ rückgängig zu machen.
7. Soweit der Revisionswerber auch darin eine „Informationspflichtverletzung“ erblickt, dass die Beklagte der Nebenintervenientin die steuerlichen Ankaufswerte verspätet mitgeteilt habe (wobei es sich dabei um einen Teil des Übertragungsvorgangs handelt), wurde bereits darauf hingewiesen, dass die unterlassene (verspätete) – aber bei einer Verkaufsabsicht kurzfristig nachholbare – Mitteilung dieser Werte nach den erstinstanzlichen Feststellungen den Zugriff auf die Wertpapiere nicht hinderte, woraus der Kläger aber seinen Ersatzanspruch ableitet.
8. Einer
weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 510 Abs 3 ZPO).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00157.19Y.0925.000 |
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