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OGH vom 07.11.2007, 6Ob211/07h

OGH vom 07.11.2007, 6Ob211/07h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ.-Prof. Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Herbert S 2. Marianne S*****, beide *****, beide vertreten durch Dr. Wolfgang Berger und Dr. Josef W. Aichlreiter, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die beklagten Parteien 1. Hildegund D*****, 2. Boris D*****, 3. Markus D*****, beide *****, alle vertreten durch Dr. Peter Perner Rechtsanwalts GmbH in Salzburg, wegen Wiederaufnahme des Verfahrens 6 Cg 169/04p des Landesgerichts Salzburg (Streitwert 25.000 EUR), über den Revisionsrekurs der klagenden Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Linz als Rekursgericht vom , GZ 11 R 15/07s-14, womit der als Urteil bezeichnete Beschluss des Landesgerichts Salzburg vom , GZ 6 Cg 161/06i-10, samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig aufgehoben und die Klage zurückgewiesen wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache zur Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurückverwiesen.

Text

Begründung:

Die Wiederaufnahmskläger hatten eine dem Grundstück der Wiederaufnahmsbeklagten benachbarte Liegenschaft erworben und im Jahr 2003 mit der Errichtung eines Bauwerks begonnen. Die Wiederaufnahmsbeklagten nahmen die Wiederaufnahmskläger daraufhin im Verfahren 1 Cg 106/03k des Landesgerichts Salzburg auf Unterlassung der Bauführung in Anspruch. Sie beriefen sich auf eine zugunsten ihrer Liegenschaft (und zu Lasten der Liegenschaft der Wiederaufnahmskläger) eingeräumte nichtverbücherte Dienstbarkeit des Bauverbots. Die Wiederaufnahmskläger wendeten ein, sie hätten das Bauverbot nicht gekannt und ihre Liegenschaft lastenfrei erworben. Das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht gab in Abänderung der Entscheidung des Landesgerichts Salzburg der Unterlassungsklage weitgehend statt. Es ging bei seiner Entscheidung davon aus, dass die Wiederaufnahmskläger das Bauverbot gegen sich gelten lassen müssen, weil sie nach dem festgestellten Sachverhalt bei Abschluss des Kaufvertrags Kenntnis der Dienstbarkeit ihrer Nachbarn hatten. Die außerordentliche Revision der Wiederaufnahmskläger blieb erfolglos (5 Ob 141/04b vom ).

Aufgrund dieses Unterlassungsurteils begehrten die Wiederaufnahmsbeklagten im Verfahren 6 Cg 169/04p des Landesgerichts Salzburg die Beseitigung des auf dem Grundstück der Wiederaufnahmskläger errichteten Gebäudes. Das Landesgericht Salzburg bejahte eine Bindungswirkung des Urteils im vorangegangenen Unterlassungsverfahren und verpflichtete die Wiederaufnahmskläger ohne weiteres Beweisverfahren zur Entfernung der Gebäude und zur Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, wobei es konkrete Wiederherstellungsmaßnahmen anordnete. Das Oberlandesgericht Linz bestätigte als Berufungsgericht die Entscheidung über die Beseitigungs- und Wiederherstellungsbegehren und wies lediglich das Begehren auf Vornahme konkret bezeichneter Maßnahmen ab. Die Entscheidung des Berufungsgerichts vom , 11 R 25/05h, ist in Rechtskraft erwachsen.

Mit Urteil vom , 1 Cg 257/04t-23, bewilligte das Landesgericht Salzburg den Wiederaufnahmsklägern die Wiederaufnahme des Verfahrens 1 Cg 106/03k des Landesgerichts Salzburg und änderte das Urteil im wiederaufgenommenen Verfahren teilweise ab, indem es den Wiederaufnahmsklägern gebot, einen bestimmt definierten Grundstücksstreifen nicht zu bebauen. Das Mehrbegehren wies es ab. Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung im Wiederaufnahmeverfahren, gab den Berufungen beider Streitteile im wiederaufgenommenen Verfahren jedoch Folge und trug dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung nach Durchführung des wiederaufgenommenen Verfahrens auf (OLG Linz vom , 3 R 145/06y). Die außerordentliche Revision der Wiederaufnahmsbeklagten blieb erfolglos (5 Ob 237/06y vom ). Das Landesgericht Salzburg setzte daraufhin das wiederaufgenommene Verfahren fort. Eine Entscheidung im Hauptverfahren auf Unterlassung (ein Sicherungsantrag wurde rechtskräftig abgewiesen) steht noch aus.

Mit der vorliegenden, beim Landesgericht Salzburg am eingebrachten Klage begehren die Wiederaufnahmskläger die Wiederaufnahme des Beseitigungsverfahrens (6 Cg 169/04p des Landesgerichts Salzburg), die Aufhebung des mit Urteil des Berufungsgerichts vom (11 R 25/05h) erlassenen Beseitigungs- und Wiederherstellungsgebots und die Abweisung des entsprechenden Klagebegehrens. Sie machen als Wiederaufnahmsgrund § 530 Abs 1 Z 5 ZPO geltend. Mit Bewilligung der Wiederaufnahme des Verfahrens 1 Cg 106/03k des Landesgerichts Salzburg über den Unterlassungsanspruch sei die Bindungswirkung dieser Entscheidung für das im Beseitigungsverfahren erlassene Urteil weggefallen.

Die Wiederaufnahmsbeklagten bestreiten das Vorliegen eines Wiederaufnahmsgrundes. § 530 Abs 1 Z 5 ZPO könne nicht analog angewendet werden, weil noch keine neue rechtskräftige Entscheidung im wiederaufgenommenen Verfahren vorliege. Die Klage sei daher verfrüht.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung mit Urteil zur Gänze ab. Rechtskräftige präjudizielle Vorentscheidungen von Zivilgerichten könnten zwar eine Wiederaufnahme analog § 530 Abs 1 Z 5 ZPO begründen. Nach herrschender Auffassung reiche jedoch die Aufhebung eines verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses nicht für eine Wiederaufnahme aus, entscheidend sei erst die mit materieller Rechtskraftwirkung ausgestaltete Beendigung der Strafverfolgung durch Einstellung oder Freispruch. Dementsprechend müsste - als Voraussetzung einer Wiederaufnahme - auch die präjudizielle Vorentscheidung eines Zivilgerichts durch eine weitere meritorische Entscheidung weggefallen sein. Die Wiederaufnahme des Beseitigungsverfahrens setze daher die rechtskräftige Abweisung der Klage im präjudiziellen Unterlassungsverfahren voraus.

Die Wiederaufnahmskläger erhoben Berufung und beantragten die Abänderung im Sinn einer Stattgebung ihrer Wiederaufnahmsklage, in eventu die Aufhebung und Zurückverweisung an das Erstgericht. Für den Fall, dass das Erstgericht die Wiederaufnahmsklage schon im Vorprüfungsverfahren mit Beschluss hätte zurückweisen müssen, erhoben sie (in eventu) Rekurs und beantragten die Abänderung im Sinn einer Bewilligung der Wiederaufnahme des Beseitigungsverfahrens. Das Gericht zweiter Instanz beurteilte die Entscheidung des Erstgerichts als Beschluss im Vorprüfungsverfahren und die dagegen erhobene Berufung der Wiederaufnahmskläger als Rekurs. Es gab dem Rechtsmittel nicht Folge, hob das Urteil des Erstgerichts samt dem vorangegangenen Verfahren als nichtig auf und wies die Wiederaufnahmsklage zurück. Es sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil zur Frage, ob bereits die rechtskräftig bewilligte Wiederaufnahme eines Zivilverfahrens einen Wiederaufnahmsgrund iSd § 530 Abs 1 Z 5 ZPO bilde, Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs fehle.

Auch das Gericht zweiter Instanz sah den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO erst mit rechtskräftigem Abschluss des vorangehenden präjudiziellen Verfahrens über das Unterlassungsbegehren verwirklicht. Dass die rechtskräftige Bewilligung der Wiederaufnahme im präjudiziellen Verfahren die materielle Rechtskraft und damit auch die Bindungswirkung des Unterlassungsurteils beseitigt habe, sei nicht entscheidend. Es komme vielmehr - wie bei der Wiederaufnahme aufgrund eines wiederaufgenommenen strafgerichtlichen Erkenntnisses - darauf an, dass die Wiederaufnahme des präjudiziellen Verfahrens zu einer anderen Sachentscheidung geführt habe.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Wiederaufnahmskläger ist aus den vom Gericht zweiter Instanz angeführten Gründen zulässig; er ist auch berechtigt.

1. Das Gericht zweiter Instanz hat die Entscheidung des Erstgerichts als Beschluss im Vorprüfungsverfahren beurteilt und die Wiederaufnahmsklage mangels Vorhandenseins eines Wiederaufnahmsgrunds zurückgewiesen. Seine Entscheidung ist - bei Vorliegen einer Rechtsfrage iSd § 528 Abs 1 ZPO wie hier - mit Revisionsrekurs anfechtbar (§ 528 Abs 2 Z 2 ZPO). Das Rechtsmittel ist zweiseitig, die Rechtsmittelfrist beträgt vier Wochen (§ 521a Abs 1 Z 3 und Abs 2 ZPO).

2. Die Rechtsmittelwerber berufen sich auf den Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO. Danach kann ein Verfahren, das durch eine die Sache erledigende Entscheidung abgeschlossen ist, auf Antrag einer Partei wiederaufgenommen werden, wenn ein strafgerichtliches Erkenntnis, auf welches die Entscheidung gegründet ist, durch ein anderes rechtskräftig gewordenes Urteil aufgehoben wurde. In diesen Fällen ist nach herrschender Auffassung nicht die Aufhebung des verurteilenden strafgerichtlichen Erkenntnisses durch die Bewilligung der Wiederaufnahme entscheidend, sondern erst die mit materieller Rechtskraftwirkung ausgestattete Beendigung der Strafverfolgung hinsichtlich jenes Straftatbestands, der dem wiederaufzunehmenden Zivilverfahren zugrundegelegt wurde. Danach besteht die Bindung des Zivilgerichts an das Straferkenntnis so lange, als es nicht nach Wiederaufnahme des Strafverfahrens zu dessen rechtskräftiger Einstellung oder einem rechtskräftigen Freispruch gekommen ist (7 Ob 364/97y = ZVR 1998/127; 7 Ob 253/00g = JBl 2001, 467 = SZ 73/200; RIS-Justiz RS0044637, RS0040257; E. Kodek in Rechberger, ZPO³ § 530 Rz 10; Jelinek in Fasching/Konecny² IV/1 § 530 ZPO Rz 107 f). Diese Bindung des Zivilgerichts an die vorangegangene strafgerichtliche Verurteilung über die Bewilligung der Wiederaufnahme des Strafverfahrens hinaus bis zur rechtskräftigen Beendigung des Strafverfahrens ergibt sich aus § 358 StPO. Danach wird das frühere Urteil durch den Beschluss, der der Wiederaufnahme des Strafverfahrens stattgibt, nur insoweit für aufgehoben erklärt, als es die strafbare Handlung betrifft, hinsichtlich der die Wiederaufnahme bewilligt wird. Die gesetzlichen Folgen der im ersten Erkenntnis ausgesprochenen Verurteilung dauern aber einstweilen fort und sind nur dann und insoweit als aufgehoben anzusehen, als sie nicht auch durch das neue Erkenntnis einzutreten haben.

3. Auch die rückwirkende Aufhebung anderer rechtskräftiger präjudizieller Vorentscheidungen von Verwaltungsbehörden oder Zivilgerichten wird als Wiederaufnahmsgrund anerkannt (10 Ob 89/97d = EvBl 1998/14; RIS-Justiz RS0044616, RS0044621, RS0108294; E. Kodek aaO Rz 11; Jelinek aaO Rz 107 f). Die nachträgliche rechtskräftige Aufhebung einer bindenden Zivilentscheidung bildet einen Wiederaufnahmsgrund analog § 530 Abs 1 Z 5 ZPO, wenn sie zurück („ex tunc") wirkt und die Entscheidungsgrundlage des Vorprozesses erschüttert (RIS-Justiz RS0108294; Jelinek aaO Rz 107).

Der Wiederaufnahmsgrund des § 530 Abs 1 Z 5 ZPO setzt somit voraus, dass die rechtskräftige präjudizielle Vorentscheidung (auf die sich die angefochtene Entscheidung im wiederaufzunehmenden Verfahren stützt) durch eine andere rechtskräftige Entscheidung aufgehoben wurde (10 Ob 89/97d = EvBl 1998/14; RIS-Justiz RS0108294).

4. Im vorliegenden Fall sind die Auswirkungen der rechtskräftigen Bewilligung der Wiederaufnahme und der Aufhebung der Entscheidung im präjudiziellen Unterlassungsverfahren auf die Entscheidung im Beseitigungsprozess zu prüfen.

§ 541 ZPO gliedert das Verfahren über die Wiederaufnahmsklage in zwei Abschnitte, nämlich das Aufhebungsverfahren (iudicium rescindens) und das Erneuerungsverfahren (iudicium rescissorium). Gegenstand des Aufhebungsverfahrens ist die Prüfung und Entscheidung, ob der behauptete Wiederaufnahmsgrund besteht und ob und inwieweit aufgrund dessen die vorangegangene Entscheidung bzw das vorangegangene Verfahren aufzuheben sind. Schon das Aufhebungsbegehren ist auf rechtsgestaltende, ex tunc wirkende Aufhebung der Vorentscheidung gerichtet (Jelinek aaO § 536 Rz 12 mwN). Das Erneuerungsverfahren dient - nach rechtskräftiger Bewilligung der Wiederaufnahme und Aufhebung der vorangegangenen Entscheidung - der Entscheidung des Verfahrens in der Hauptsache des Vorprozesses.

Im vorliegenden Fall wurde das Verfahren über die Unterlassungsklage rechtskräftig wiederaufgenommen und die Entscheidung im Vorprozess beseitigt; das Wiederaufnahmeverfahren befindet sich im Stadium des Erneuerungsverfahrens. Mit rechtskräftiger Bewilligung der Wiederaufnahme und Aufhebung des Urteils im Unterlassungsprozess wurde somit jene Entscheidung (ex tunc) beseitigt, an die das Gericht im Beseitigungsverfahren gebunden war. Damit entfällt auch seine Präjudizwirkung für den Beseitigungsprozess.

Eine § 358 zweiter Satz StPO vergleichbare Anordnung enthält die Zivilprozessordnung nicht. Die Einschränkung des § 358 StPO, wonach erst die endgültige Entscheidung zum Entfall der mit der Verurteilung verbundenen Folgen führen soll, ist wohl darin begründet, dass nicht schon die Bewilligung der Wiederaufnahme zum Entfall aller mit der vorangehenden Verurteilung verbundenen gesetzlichen Folgen führen sollte, etwa der Verurteilte nicht schon aufgrund der Bewilligung der Wiederaufnahme zu enthaften wäre. Derartige Beweggründe sind auf das schon vom System her zweistufig (und damit getrennt anfechtbar) gestaltete zivilgerichtliche Wiederaufnahmeverfahren nicht übertragbar.

Zusammenfassend ist daher davon auszugehen, dass die rechtskräftige Beseitigung der für das vorliegende Verfahren präjudiziellen Entscheidung im Unterlassungsprozess einen Wiederaufnahmsgrund analog § 530 Abs 1 ZPO verwirklicht.

Das Erstgericht wird daher im fortzusetzenden Verfahren die Wiederaufnahme zu bewilligen und das Urteil im Beseitigungsprozess aufzuheben haben. Es wird zu prüfen sein, ob angesichts des bereits anhängigen Erneuerungsverfahrens im Unterlassungsprozess eine Unterbrechung angezeigt wäre.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen waren daher aufzuheben und dem Erstgericht die neuerliche Entscheidung aufzutragen.