OGH vom 25.01.2021, 5Ob135/20v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** P*****, vertreten durch Mag. Josef Kunzenmann, Rechtsanwalt in Innsbruck, gegen die beklagte Partei H***** L*****, vertreten durch Mag. Egon Stöger, Rechtsanwalt in Innsbruck, wegen Unterlassung (Streitwert 7.000 EUR), über die ordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 197/19w-47, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom , GZ 3 C 881/16p-43, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die klagende Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.
Text
Begründung:
[1] Die Streitteile sind (neben anderen nicht am Verfahren beteiligten Personen) Mit- und Wohnungseigentümer einer Liegenschaft. Die Wohnungseigentumsanlage besteht aus Wohnungen, selbständigen Garagen und Allgemeinflächen. Südlich des Gebäudes befindet sich ein asphaltierter Vorplatz, der im Norden unter anderem an die im Wohnungseigentum des Klägers stehende Garage grenzt. Die Beklagte bzw ihr zuzurechnende Personen stellten und stellen auf diesem Vorplatz im Bereich unmittelbar vor der Garage des Klägers Fahrzeuge ab. Wenn dort ein Fahrzeug geparkt ist, ist es nicht möglich, von der Grundstückseinfahrt kommend vorwärts in die Garage des Klägers einzufahren. Das RückwärtsEinfahren ist in diesem Fall mit einem Mittelklasse-PKW (nur) mit einmaligem Reversieren möglich.
[2] Der Kläger begehrte, die Beklagte schuldig zu erkennen, es zu unterlassen, auf dem Vorplatz vor der Garage des Klägers (ausgenommen zum kurzen Be- und Entladen) Fahrzeuge abzustellen oder abstellen zu lassen.
[3] Die Beklagte wandte – zusammengefasst und soweit für das Revisionsverfahren von Relevanz – ein, dass dem Rechtsvorgänger der Beklagten im Rahmen einer (damals zulässigen) konkludenten Benützungsregelung das Recht eingeräumt worden sei, sein Fahrzeug am Garagenvorplatz im Bereich der Garage des Klägers abzustellen. Diese Benützungsvereinbarung sei auch nach den Bestimmungen des WEG 2002 rechtswirksam auf die neuen Miteigentümer überbunden worden. Der Garagenvorplatz sei keine notwendige Allgemeinfläche, eine Benützungsvereinbarung für diesen sei daher zulässig.
[4] Das Erstgericht gab der Klage statt.
[5] Die Beklagte könne sich auf kein ihr zustehendes (Nutzungs-)Recht an der Fläche des Vorplatzes berufen. Aus den Feststellungen sei insbesondere nicht abzuleiten, dass in der Vergangenheit eine konkludente Benützungsvereinbarung zustande gekommen sei. Dem Kläger stehe damit die Negatorienklage nach § 523 ABGB zur Abwehr eigenmächtiger Eingriffe in das gemeinsame Eigentum zu.
[6] Das Berufungsgericht gab der Berufung der Beklagten nicht Folge.
[7] Nach dem festgestellten Sachverhalt sei zwar – entgegen der Auffassung des Erstgerichts – schon vor Inkrafttreten des WEG 2002 eine konkludente Benützungsregelung in Bezug auf den Parkplatz zu Gunsten der Beklagten zustande gekommen. Dies ergebe sich schon daraus, dass die Beklagte bzw ihre Mieter dort für alle Miteigentümer erkennbar durchgehend Fahrzeuge geparkt hätten und sowohl in einem Grundsatzbeschluss der Miteigentümer aus dem Jahr 1983 als auch in einem späteren Schreiben der Hausverwaltung auf die diesbezügliche Berechtigung ausdrücklich hingewiesen worden sei. Diese Benützungsregelung sei im Hinblick auf die vom Erstgericht festgestellten Inhalte sämtlicher Kaufverträge auch den jeweiligen Rechtsnachfolgern wirksam überbunden worden.
[8] Eine Benützungsregelung könne aber aus wichtigen Gründen wegen einer Sachverhaltsänderung nach Abschluss der ursprünglichen Vereinbarung gekündigt werden. Der Kläger habe im Jahr 2013 in einem an die Beklagte gerichteten Schreiben die mit dem Grundsatzbeschluss der Miteigentümer aus dem Jahr 1983 allenfalls getroffene Benützungsvereinbarung widerrufen und dies mit den geänderten Verhältnissen am Vorplatz begründet. In der dort genannten Sachverhaltsänderung sei ein wichtiger Grund für die Aufkündigung der Benützungsregelung gelegen. Im Jahr 1986 sei die öffentliche Straße verbreitert und zu diesem Zweck Grundstücksanteile an das öffentliche Gut abgetreten worden. Dadurch sei der Vorplatz vor den Garagen um 1,4 Meter schmäler geworden. Erst dadurch sei bei einem Parken von Fahrzeugen im strittigen Bereich die Zufahrt des Klägers behindert. Einer Benützungsregelung könnten außerdem nur jene allgemeinen Teile der Liegenschaft unterzogen werden, die nicht zwingend allgemeine Teile zu bleiben hätten. Diese „rechtliche Verfügbarkeit“ der hier strittigen Parkfläche sei nun aber nicht (mehr) gegeben. Dieser Bereich des Vorplatzes sei durch dessen Verschmälerung ein „notwendiger allgemeiner Teil“ geworden, auch wenn diese Notwendigkeit nur für die freie Benutzbarkeit des Wohnungseigentumsobjekts des Klägers bestehe. Die Benützungsregelung habe daher seit dem Jahr 1986 rechtlich nicht mehr bestehen können. Bei anderer rechtlicher Beurteilung sei die Benützungsregelung spätestens im Jahr 2013 aus wichtigem Grund aufgekündigt worden. Die Beklagte sei demnach jedenfalls nicht mehr berechtigt, Fahrzeuge im strittigen Bereich abzustellen oder abstellen zu lassen.
[9] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu. Zu den Fragen, ob die Benützungsregelung auch noch längere Zeit nach Eintritt eines wichtigen Grundes aufgekündigt werden kann, sowie ob die rechtliche Verfügbarkeit für eine Benützungsregelung bereits dann nicht gegeben ist, wenn dadurch die freie Benützbarkeit nur eines Wohnungseigentumsobjekts beeinträchtigt wird, gebe es keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs.
[10] Gegen diese Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die ordentliche Revision der Beklagten wegen Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtiger rechtlicher Beurteilung. Sie beantragt, die Urteile der Vorinstanzen als nichtig aufzuheben und die Klage zurückzuweisen, in eventu als Antrag zu deuten und in das Außerstreitverfahren zu verweisen, in eventu die angefochtene Entscheidung abzuändern und das Klagebegehren abzuweisen, in eventu die Urteile der Vorinstanzen aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an das Erstgericht in eventu an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.
[11] Der Kläger beantragt in seiner Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben. Hilfsweise stellt auch er einen Aufhebungs- und Zurückverweisungsantrag.
Rechtliche Beurteilung
[12] Die Revision ist entgegen dem – den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 508a Abs 1 ZPO) – Ausspruch des Berufungsgerichts nicht zulässig. Die Revision zeigt keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO auf.
[13] Die Zurückweisung eines ordentlichen Rechtsmittels wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage kann sich auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken (§ 510 Abs 3 Satz 4 ZPO):
[14] 1.1. Der Revisionsgrund der Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens liegt nicht vor.
[15] 1.2. Die Beklagte rügt als Mangelhaftigkeit (oder Nichtigkeit) des Berufungsverfahrens, dass die Rechtssache dem an sich zuständigen Außerstreitgericht entzogen worden sei. Diesen Überlegungen zur Unzulässigkeit des streitigen Rechtswegs steht schon der Umstand entgegen, dass über die Zulässigkeit des streitigen Rechtswegs bereits bindend abgesprochen wurde (§ 42 Abs 3 JN). Das Erstgericht hat die von der Beklagten erhobene Einrede der Unzulässigkeit des Rechtswegs mit gesondertem Beschluss verworfen, das Berufungsgericht als Rekursgericht billigte diese Ansicht. Diese Frage unterliegt daher keiner weiteren Überprüfung (RS0035572 [T33]).
[16] 1.3. Die angeblichen Verfahrensmängel erster Instanz, deren Vorliegen vom Berufungsgericht bereits verneint wurden, können nach ständiger Rechtsprechung vor dem Obersten Gerichtshof in der Revision nicht mehr geltend gemacht werden (RS0042963; RS0106371).
2.1. Jede Benützungsvereinbarung kann als Dauerrechtsverhältnis aus wichtigen Gründen aufgelöst werden (RS0013628; RS0018305 [T21]). Allerdings sieht § 17 Abs 2 WEG 2002 für die Abänderung einer bestehenden Benützungsregelung aus wichtigem Grund die gerichtliche Kompetenz vor. Auch die Aufhebung einer Benützungsregelung ist als Änderung im Sinn dieser Bestimmung zu verstehen und daher im besonderen wohnrechtlichen Außerstreitverfahren nach § 52 Abs 1 Z 3 WEG abzuhandeln. Die Bindung an eine vertragliche Benützungsregelung erlischt erst mit Rechtskraft der gerichtlichen Entscheidung über deren Aufhebung aus wichtigem Grund (5 Ob 95/20m).
[18] 2.2. Dass die nach Auffassung des Berufungsgerichts bestehende Benützungsregelung zugunsten der Beklagten durch eine rechtskräftige Entscheidung des Außerstreitgerichts aufgehoben oder abgeändert worden wäre, behauptet der Kläger nicht. Damit würde eine solche vertragliche Benützungsregelung die Miteigentümer der Liegenschaft nach wie vor binden (5 Ob 95/20m). Die (bloß) außergerichtliche Aufkündigung einer allfälligen Benützungsregelung beseitigt den von der Beklagten behaupteten Rechtsgrund zur Nutzung des strittigen Bereichs daher nicht.
2.3. Diese Frage hat das Berufungsgericht zwar unrichtig gelöst. Zur Begründung der Zulässigkeit des Rechtsmittels nach § 502 Abs 1 ZPO bedarf es allerdings der (weiteren) Voraussetzung, dass die Entscheidung auch von der Lösung dieser Rechtsfrage abhängt (RS0088931). Den Fragen im Zusammenhang mit der Auflösung einer Benützungsvereinbarung aus wichtigem Grund mangelt es an dieser Präjudizialität. Die Bindung an eine allfällige Benützungsvereinbarung wurde nämlich – wie im Folgenden zu zeigen ist – aus einem anderen Grund zu Recht verneint.
[20] 3.1. Eine vertragliche Benützungsregelung kann gemäß § 17 Abs 1 WEG 2002 nur „verfügbare“ allgemeine Teile erfassen und scheidet daher dann aus, wenn die allgemeinen Teile notwendig der allgemeinen Benützung dienen (RS0117862 [T1]; RS0105691 [T4]; vgl RS0013206).
3.2. „Notwendig“ allgemeine Teile der Liegenschaft sind solche, denen kraft ihrer Beschaffenheit die Eignung fehlt, selbständig und ausschließlich benützt zu werden. Allgemeine Teile müssen dabei nicht von sämtlichen Miteigentümern benützt werden können; es genügt wenn auch nur ein Teil der Miteigentümer auf die Benützung angewiesen ist, um ihre individuellen oder gemeinschaftlichen Nutzungsrechte ausüben zu können (RS0097520 [T3, T 8]; RS0117164). Zu den notwendig allgemeinen Teile der Liegenschaft zählen daher insbesondere ausschließliche Zugänge oder Durchgänge zu allgemeinen Teilen der Liegenschaften (RS0117164 [T2]; RS0105691 [T5]; RS0125757 [T4]; RS0097520 [T19]) oder zu einem bestimmten Wohnungseigentumsobjekt (RS0097520 [T21]; vgl RS0013189). Solchen Verkehrsflächen fehlt die rechtliche Verfügbarkeit für eine Benützungsregelung, an diesen können Benützungsregelungen nicht begründet werden (RS0117862 [T2]; RS0105691 [T5]).
3.3. Das Berufungsgericht qualifizierte die hier strittige Vorplatzfläche als einen für die Zufahrt des Klägers zu seinem Wohnungseigentumsobjekt notwendigen allgemeinen Teil. Diese Beurteilung des vorliegenden Einzelfalls hält sich im Rahmen der dargelegten Rechtsprechung. Nach den Feststellungen ist das – für die gewöhnliche Nutzung einer Garage zu fordernde – Vorwärts-Einfahren in die Garage des Klägers nicht möglich, wenn auf der strittigen Fläche ein Fahrzeug abgestellt ist. Die dafür erforderliche Zufahrts- und Rangierfläche ist damit kein verfügbarer allgemeiner Teil (vgl 5 Ob 221/19i). Die Möglichkeit des Rückwärts-Einfahrens (nur) mit einem einmaligen Reversieren ist keine Zugangsalternative, die das „Angewiesensein“ auf die Nutzung dieser Flächen beseitigen könnte (vgl 5 Ob 151/20x [Mühsames Durchschlängeln durch geparkte Fahrzeuge]).
[23] 3.4. Aus einer nach diesen Kriterien unzulässigen Benützungsvereinbarung kann die Beklagte (als Einzelrechtsnachfolgerin im Mit- und Wohnungseigentum) kein wirksames Benützungsrecht ableiten (5 Ob 151/20x). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass die rechtliche Unzulässigkeit der Benützungsvereinbarung Konsequenz einer allenfalls erst nach deren Zustandekommen erfolgten Änderung der Sachlage ist. Auch die nachträgliche Unerlaubtheit führt zur Aufhebung der Verbindlichkeit der Benützungsvereinbarung (§§ 880, 1447 ABGB;Riedler in Schwimann/Kodek, ABGB Praxiskommentar4§ 880 ABGB Rz 1).
[24] 4.1. Die Revision ist somit mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO unzulässig und deshalb zurückzuweisen.
[25] 4.2. Die Kostenentscheidung gründet auf § 41, 50 ZPO. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit des Rechtsmittels nicht hingewiesen. Er hat daher die Kosten für seine – in diesem Sinn nicht der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung dienende – Revisionsbeantwortung selbst zu tragen (vgl RS0112296; RS0035962; RS0035979).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2021:0050OB00135.20V.0125.000 |
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