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OGH vom 29.08.2018, 7Ob153/18b

OGH vom 29.08.2018, 7Ob153/18b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Hon.-Prof. Dr. Höllwerth, Dr. E. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen S***** U*****, geboren am ***** 2009, *****, Vater M***** U*****, vertreten durch Mag. Klaus Kabelka, Rechtsanwalt in Wien, Mutter S***** Y*****, Tante M***** U*****, vertreten durch Dr. Susanne Schwarzenbacher, Rechtsanwältin in Wien, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 43 R 510/17v-105, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 83 Ps 147/16m-80, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Beschluss vom regelte das Erstgericht gemäß § 107 AußStrG die Obsorgeverhältnisse vorläufig dahin, dass es dem Vater die Obsorge entzog und diese der Tante übertrug. Einem dagegen erhobenen Rekurs des Vaters gab das Rekursgericht mit Beschluss vom keine Folge. Mit Beschluss vom , 7 Ob 27/18y, hob der Oberste Gerichtshof über Revisionsrekurs des Vaters den Beschluss des Rekursgerichts auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung an dieses zurück.

Mit Beschluss vom , mit dem die Entscheidung des Erstgerichts über die vorläufige Obsorgeregelung bestätigt wurde, gab das Rekursgericht dem Rekurs des Vaters neuerlich keine Folge.

Mit Beschluss vom entzog das Erstgericht dem Vater die Obsorge für die Minderjährige endgültig zur Gänze und übertrug sie an die Tante. Es erkannte diesem Beschluss gemäß § 44 AußStrG vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zu. Am erhob der Vater dagegen Rekurs.

Gegen den Beschluss des Rekursgerichts vom , wendet sich der außerordentliche Revisionsrekurs des Vaters mit dem Antrag, den Beschluss abzuändern; hilfsweise ihn aufzuheben.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs ist unzulässig.

1. Nach ständiger Rechtsprechung setzt jedes Rechtsmittel eine Beschwer – also ein Anfechtungsinteresse – voraus, weil es nicht Sache von Rechtsmittelgerichten ist, rein theoretische Fragen zu lösen (RIS-Justiz RS0002495). Dabei unterscheidet man die formelle Beschwer, welche dann vorliegt, wenn die Entscheidung von dem ihr zugrunde liegenden Sachantrag des Rechtsmittelwerbers zu dessen Nachteil abweicht, und die materielle Beschwer, die vorliegt, wenn die (materielle oder prozessuale) Rechtsstellung des Rechtsmittelwerbers durch die Entscheidung beeinträchtigt wird (RIS-Justiz RS0041868). Kann ein Rechtsmittel seinen eigentlichen Zweck, die Rechtswirkungen der bekämpften Entscheidung durch deren Abänderung oder Aufhebung zu verhindern oder zu beseitigen, nicht mehr erreichen, dann fehlt es am notwendigen Rechtsschutzinteresse (RIS-Justiz RS0002495 [T43, T 78]). Die Beschwer muss zum Zeitpunkt der Einlegung des Rechtsmittels gegeben sein und zum Zeitpunkt der Entscheidung über das Rechtsmittel noch fortbestehen; andernfalls ist das Rechtsmittel als unzulässig zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0041770; RS0006880). Diese Grundsätze gelten auch in Außerstreitverfahren (RIS-Justiz RS0002495 [T81]; RS0006598).

2.1 Gemäß § 43 Abs 1 AußStrG tritt mit der Rechtskraft eines Beschlusses Vollstreckbarkeit, Verbindlichkeit der Feststellung oder Rechtsgestaltung ein.

2.2 Nach § 44 Abs 1 AußStrG kann, sofern es sich nicht um eine Personenstandssache handelt, das Gericht einem Beschluss vorläufig Verbindlichkeit oder Vollstreckbarkeit zuerkennen, soweit es dies zur Vermeidung erheblicher Nachteile für eine Partei oder die Allgemeinheit für notwendig erachtet. Die vorläufigen Beschlusswirkungen treten ein, sobald der Beschluss über ihre Zuerkennung zugestellt wurde, und wirken bis zum Eintritt der Rechtskraft der Entscheidung über die Sache, auch wenn der Beschluss inzwischen aufgehoben oder durch einen anderen Beschluss ersetzt wurde. Die Entscheidung über die Zuerkennung kann geändert werden, insbesondere wenn einem Rekurswerber erhebliche Nachteile drohen, die bei einem Erfolg seines Rekurses nicht beseitigt werden könnten. Für solche Entscheidungen ist nach der Vorlage des Rechtsmittels das Rechtsmittelgericht zuständig. Nach Abs 2 leg cit ist ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen über die vorläufige Verbindlichkeit oder Vollstreckbarkeit nicht zulässig.

2.3 Obwohl sich § 44 Abs 1 Satz 1 AußStrG nur auf die Feststellungs- und Vollstreckungswirkung bezieht, findet die vorläufige Wirksamkeit auch auf Rechtsgestaltungsbeschlüsse Anwendung (Deixler-Hübner in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 44 Rz 9; Rechberger in Rechberger AußStrG § 44 Rz 1; Fucik/Kloiber§ 44 AußStrG [2005] Rz 6; Feil AußStrG3 [2016] § 44 Rz 1).

3.1 § 107 Abs 2 AußStrG erlaubt eine vorläufige Obsorgeentscheidung nach Maßgabe des Kindeswohls unter anderem zur Schaffung von Rechtsklarheit. Ihre Wirksamkeit endet mit der Rechtskraft der endgültigen Obsorgeregelung.

3.2 Sobald eine Entscheidung über die endgültige Obsorgeregelung rechtskräftig ist und daher rechtsgestaltend wirkt, fällt die Beschwer durch die vorläufige Obsorgeregelung weg (6 Ob 169/10m).

3.3 Im vorliegenden Fall ist die Entscheidung über die endgültige Obsorgeregelung zwar noch nicht in Rechtskraft erwachsen, ihr wurde aber gemäß § 44 AußStrG die vorläufige Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zuerkannt. Durch die abschließende Obsorgeregelung, der die vorläufigen Beschlusswirkungen zuerkannt wurden, tritt ein der Rechtskraft vergleichbarer Fall insofern ein, als ihre Wirksamkeit vorgezogen wird und damit für eine vorläufige Regelung kein Bedarf mehr besteht. Die endgültige Obsorgeregelung tritt – mit sofortiger Wirkung – an Stelle der vorangegangenen vorläufigen Regelung.

Die vorläufige rechtsgestaltende Beschlusswirkung der endgültigen Übertragung der Obsorge an die Tante trat daher mit der Zustellung des Beschlusses ein und wirkt bis zur Rechtskraft der Entscheidung über die Sache, selbst wenn der Beschluss aufgehoben oder durch einen anderen Beschluss ersetzt werden sollte. Damit mangelt es dem Vater an der Beschwer durch die vorläufige Obsorgeregelung. Diese entfaltet keine Wirkungen mehr und selbst durch ihren Wegfall könnte der angestrebte Zweck nicht mehr erreicht und die Rechtsposition des Vaters nicht mehr geändert werden.

3.4 Auch die theoretische Möglichkeit einer allfälligen Abänderung der Zuerkennung der vorläufigen Beschlusswirkungen begründet keine Beschwer. Sollte diese eintreten, läge eine nachträgliche Sachverhaltsänderung vor (vgl RISJustiz RS0007140; RS0007201), sodass einer neuerlichen Antragstellung und Entscheidung über eine vorläufige Obsorgeregelung auch kein Hindernis entgegenstünde.

6. Der außerordentliche Revisionsrekurs war daher zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2018:0070OB00153.18B.0829.000

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