OGH vom 13.01.1982, 1Ob775/81
Norm
Kopf
SZ 55/1
Spruch
Im Verfahren über eine Klage der Gesellschafterminderheit gegen einen Geschäftsführer auf Leistung von Schadenersatz an die Gesellschaft (§ 48 Abs. 1 GmbHG) kann sich der Geschäftsführer nicht auf einen erst nach der Anmeldung des Anspruches (§ 38 Abs. 3 GmbHG) erfolgten Entlastungsbeschluß durch die Mehrheit berufen
(OLG Wien 2 R 43/81; HG Wien 18 Cg 1/81)
Text
Die Streitteile und Alfred S sind Gesellschafter der Anton S & Co. GesmbH. Das Stammkapital beträgt 200 000 S. Davon entfallen eine Stammeinlage von 160 000 S auf die Beklagte und Stammeinlagen von je 20 000 S auf die Klägerin und Alfred S. In der Generalversammlung der Anton S & Co. GesmbH vom stellte die Klägerin den Antrag, sie zu bevollmächtigen, namens der Gesellschaft eine Klage gegen die Beklagte und den geschäftsführenden Gesellschafter Anton S wegen ihrer zum Nachteil der Gesellschaft ausgeübten Geschäftstätigkeit durch Ankauf und Vermietung der Liegenschaft Wien 16, L-Straße 62, und Unterlassung der Saldierung der wechselseitigen Ansprüche der Anton S & Co. GesmbH und der Firma Carl Theodor G & Co. zu erheben. Dieser Antrag wurde von der Beklagten und Alfred S abgelehnt. In der außerordentlichen Generalversammlung vom stellte die Beklagte den Antrag, sie als Geschäftsführerin zu entlasten. Für diesen Antrag stimmte ungeachtet des Einwandes der Minderheitsgesellschafter, daß die Beklagte nicht stimmberechtigt sei, nur die Beklagte selbst. Sie stellte anschließend fest, daß ihr die Entlastung erteilt worden sei.
Dagegen erhob ua. die Klägerin Widerspruch. Zu 33 Cg 479/80 des Erstgerichtes brachte sie gegen die Anton S & Co. GesmbH eine auf § 41 GmbHG gestützte Nichtigkeitsklage ein, in der sie ua. das Begehren stellte, daß der in der Generalversammlung vom gefaßte Beschluß, der nunmehrigen Beklagten die Entlastung zu erteilen, nichtig sei. Dieses Verfahren ist noch nicht beendet.
Die Klägerin begehrt unter ausdrücklichem Hinweis auf die Bestimmung des § 48 GmbHG, die Beklagte schuldig zu erkennen, einen Betrag von 392 075 S samt Anhang an die Firma A S & Co. GesmbH zu bezahlen, sowie die Feststellung, daß die Beklagte der Firma A S & Co. GesmbH für alle Nachteile hafte, die sich aus der am erfolgten Vermietung der Liegenschaft Wien 16, L-Straße 62, an ihren Ehegatten ergeben werden. Die Beklagte habe als Geschäftsführerin der Firma A S & Co. GesmbH die Gesellschaft durch den Ankauf und die Vermietung der Liegenschaft Wien 16, L-Straße 62, sowie durch die Unterlassung der Saldierung von Forderungen gegen die Firma Carl Theodor G & Co. geschädigt.
Die Beklagte wendete ua. ein, daß ihr in der Generalversammlung vom die Entlastung erteilt worden sei.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Die Entlastung eines Geschäftsführers einer GesmbH habe zur Folge, daß die Gesellschaft aus den bei der Beschlußfassung bekannten Umständen einen Schadenersatzanspruch gegen den Geschäftsführer nicht mehr erheben könne. Die Klage auf Nichtigerklärung des Gesellschaftsbeschlusses nach § 41 GmbHG sei ihrem Wesen nach eine Anfechtungsklage, das ihr stattgebende Urteil ein Rechtsgestaltungsurteil. Erst dessen Rechtskraft bewirke die Unwirksamkeit des angefochtenen Beschlusses ex tunc. Da über die Nichtigkeitsklage noch nicht rechtskräftig entschieden sei, müsse von der Gültigkeit des Verzichtes ausgegangen werden.
Der Berufung der Klägerin gab das Berufungsgericht nicht Folge. Es billigte die (schon zuvor von ihm selbst in seinem Beschluß über die Ablehnung einer Verfahrensunterbrechung zum Ausdruck gebrachte) Rechtsansicht des Erstgerichtes.
Über Revision der Klägerin hob der Oberste Gerichtshof die Urteile der Vorinstanzen auf und verwies die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Rechtliche Beurteilung
Aus der Begründung:
§ 48 GmbHG ermöglicht Gesellschaftern, deren Stammeinlagen den zehnten Teil des Stammkapitals erreichen, formell im eigenen Namen, materiell aber auf Rechnung der Gesellschaft, auf Grund des § 25 GmbHG der Gesellschaft zustehende Ersatzansprüche gegen die Geschäftsführer gerichtlich geltend zu machen (SZ 50/51; SZ 5/71; Gellis, GmbHG 161). Die Aufnahme dieser Bestimmung in das GmbHG, RGBl. 58/1906, wurde erst vom Herrenhaus vorgeschlagen (272 der Beilagen des Herrenhauses, XVII. Session). Nach Ansicht des Herrenhauses dürften die Gesellschafter, die bei der Gesellschaft mit beschränkter Haftung infolge der eigenartigen Natur dieser Haftung in ihrer ganzen Persönlichkeit beinahe wie offene Gesellschafter erfaßt werden, nicht dazu verurteilt sein, ohnmächtig und wehrlos zuzusehen, wenn das Gesellschaftsvermögen durch Mißbräuche gefährdet werde, zu denen die unbeschränkte und unbeschränkbare Vollmacht, die den Machthabern an der Spitze gesetzlich zustehe, nur zu leicht zu verleiten vermag. Der Gesetzgeber müsse daher die Bahn freimachen für die Initiative auch einer bloßen Minderheit der Gesellschafter, der gewisse, sozusagen konstitutionelle Rechte eingeräumt werden müßten, Rechte, vermöge deren sie in gewissen Fällen als außerordentliches Organ im Interesse der Gesellschaft einzutreten die Macht hätten, wenn die ordentlichen Organe versagten. Die Einführung des Minderheitsrechtes nach § 48 GmbHG hielt das Herrenhaus deshalb für geboten, weil die Mehrheit nicht recht behalten dürfe, wenn sie sich über die berechtigte Reklamation der Minderheit einfach hinweggesetzt habe, umso weniger als in der Generalversammlung der Vorstand nur zu oft eine gefügige Mehrheit beherrsche, welche Verletzungen des Gesetzes und des Gesellschaftsvertrages zu decken geneigt sei. Die Minderheit müsse daher in die Lage gesetzt werden, als außerordentliches Organ anstelle der Generalversammlung und gegen den Willen derselben das gute Recht der Gesellschaft zur Geltung zu bringen.
Gewiß trifft es grundsätzlich zu, daß für den Bereich des Rechtes der GesmbH im Entlastungsbeschluß der Gesellschaft ein Verzicht auf aus den vorgelegten Unterlagen erkennbare Ersatzansprüche der Gesellschaft gegen den Geschäftsführer oder ein Anerkenntnis des Nichtbestehens solcher Ersatzansprüche zu erblicken ist (SZ 32/2; Kostner, Die GesmbH[3] 56; Gellis, GmbHG 119; Frotz, Die Entlastung des Vorstandes bei Genossenschaften, NZ 1969, 161 ff., insbesondere 164; Kastner, Grundriß des österreichischen Gesellschaftsrechts[3] 267; Karsten - Schmidt in Scholz[6] § 46 dGmbHG R 74 bis 76; Schilling in Hachenburg[7] § 46 dGmbHG R 22 bis 24; Baumbach - Hueck, GmbHG[13] 228 f.). Der Ansicht von Gellis aaO 161, daß dem nach § 48 GmbHG in Anspruch genommenen Geschäftsführer gegen die klagende Minderheit alle Einwendungen zustehen, die er auch hätte, würde die Gesellschaft selbst klagen, so daß er sich auch auf einen Verzicht der Gesellschaft auf allfällige Ersatzansprüche ihm gegenüber berufen könne, kann jedoch zumindest für den Fall, daß die Entlastung nach Anmeldung von Ansprüchen durch Gesellschafter iS der §§ 38 Abs. 3, 48 Abs. 1 GmbHG erfolgte, nicht zugestimmt werden. Mit Recht wird vielmehr der Standpunkt vertreten, daß die gesetzlichen Vorschriften zum Schutz der Minderheit so auszulegen sind, daß sie entsprechend den Absichten des Gesetzgebers ihre Funktion auch tatsächlich erfüllen können und ein Abwürgen der ohnehin auf schwachen Füßen stehenden Minderheitsrechte auf kaltem Wege verhindert wird (Staufer, Fragen aus der Praxis des GmbHG, NZ 1950, 188; vgl. auch Schönherr, JBl. 1960, 3: "fraus omnia corrumpit"). Aus der Intention des Gesetzgebers, die Minderheit auch in die Lage zu setzen, gegen den Willen der Mehrheit das gute Recht der Gesellschaft gegen schadenersatzpflichtige Geschäftsführer zur Geltung zu bringen, muß daher der Schluß gezogen werden, daß ein nach Antragstellung der Minderheit nach § 48 Abs. 1 GmbHG erfolgter Mehrheitsbeschluß auf Entlastung des Geschäftsführers (§ 35 Abs. 1 Z 1 GmbHG) vom Geschäftsführer der sodann klagenden Minderheit nicht eingewendet werden kann (vgl. zum Aktiengesetz SZ 48/79; Schiemer, AktG 375). Dies muß umso mehr gelten, wenn der Mehrheitsgesellschafter gleichzeitig Geschäftsführer ist und entgegen der ausdrücklichen Bestimmung des § 39 Abs. 4 GmbHG sich selbst die Entlastung erteilte. Die Minderheit kann in einem solchen Fall nicht zunächst allein auf eine Nichtigkeitsklage nach § 41 GmbHG verwiesen werden, die von den Vorinstanzen zutreffend als Rechtsgestaltungsklage angesehen wurde (GesRZ 1981, 184; GesRZ 1980, 92; RZ 1976/39; HS 2205; Kastner aaO 276; Hämmerle - Wünsch, Handelsrecht[3] II 439; Gellis aaO 148). § 48 Abs. 2 GmbHG ordnet ausdrücklich an, daß die Klage nach § 48 Abs. 1 GmbHG binnen drei Monaten von dem Tage der erfolgten oder vereitelten Beschlußfassung erhoben werden muß. Das Gesetz geht dabei offensichtlich davon aus, daß der Minderheitsanspruch ab diesem Tage klagbar ist. Dieses Minderheitsrecht wäre sinnlos, wenn der geklagte Geschäftsführer dann das Recht hätte, sich auf eine (noch) nicht nichtig erklärte Entlastung durch eben die Mehrheit zu berufen, deren Beschlußfassung bekämpft wird. Die Klage wäre aber verfristet, wenn sie erst nach rechtskräftiger Nichtigerklärung des Entlastungsbeschlusses erhoben werden könnte. Es kann dem Gesetz nicht die Absicht unterstellt werden, eine befristete Klageführung der Minderheit zuzulassen, aber der Mehrheit zugleich die Möglichkeit zu geben, ihr die Erfolgschancen allein durch eine - wenn auch dann in einem langwierigen Prozeß nichtig zu erklärende - Entlastung des Geschäftsführers wieder zu nehmen.
Kann aber der nach der Antragstellung der Minderheit iS des § 48 Abs. 1 GmbHG erfolgte Entlastungsbeschluß der Gesellschaft vom geklagten Geschäftsführer der klagenden Minderheit gegenüber nicht eingewendet werden, ist die sachliche Berechtigung der geltend gemachten Ansprüche zu prüfen.