OGH vom 29.08.2019, 3Ob139/19s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Priv.-Doz. Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei V*****, vertreten durch Kosesnik-Wehrle & Langer Rechtsanwälte KG in Wien, wider die beklagte Partei E***** KG, *****, vertreten durch KWR Karasek Wietrzyk Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Unterlassung sowie Urteilsveröffentlichung, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 39/19y-22, mit dem das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom , GZ 26 Cg 94/17d-11, bestätigt wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die Revision wird zurückgewiesen.
Die beklagte Partei ist schuldig, der klagenden Partei die mit 2.197,80 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin enthalten 366,30 EUR an USt) binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Begründung:
Die Beklagte ist ein Energieversorgungsunternehmen und erbringt Dienstleistungen auf dem Energiesektor in den Sparten Strom, Erdgas und Wärme in Teilen Europas und in Österreich mit Schwerpunkt auf dem Bundesland Niederösterreich, wo sie rund 2 Mio Kunden versorgt. Die Beklagte verwendet laufend im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Vertragsformblätter und/oder ihre Allgemeinen Bedingungen für die Lieferung von elektrischer Energie gültig ab und ihre Allgemeinen Bedingungen (AGB) für die Lieferung von Erdgas gültig ab , die sie von ihr geschlossenen Verträgen zugrunde legt. Die AGB wurden der Regulierungsbehörde EControlAustria (ECA) im Herbst 2014 angezeigt, die deren Verwendung nicht untersagte.
Punkt V.3. der AGB lautet:
„V. Preise, Preisänderungen, Vertragsauflösung
3. Weiters behält sich EVN Energievertrieb Preisänderungen im Wege einer Änderungskündigung vor. Die Preisänderungen werden dem Kunden durch ein individuell adressiertes Schreiben oder auf dessen Wunsch elektronisch mitgeteilt. Sofern der Kunde den Änderungen nicht innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Zugang der Preisänderungserklärung schriftlich widerspricht, werden nach Ablauf dieser Frist die Änderungen zu dem von EVN Energievertrieb mitgeteilten Zeitpunkt, der nicht vor dem Zeitpunkt der Versendung der Preisänderungserklärung liegen darf für die bestehenden Verträge wirksam. Widerspricht der Kunde den Änderungen binnen einer Frist von zwei Wochen ab Zugang der Preisänderungserklärung schriftlich, endet der Vertrag unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 3 Monaten, gerechnet ab Zugang der Preisänderungserklärung, zum Monatsletzten. Der Kunde ist auf die Bedeutung seines Verhaltens sowie die eintretenden Folgen im Rahmen der Preisänderungserklärung besonders hinzuweisen.“
Beide Vorinstanzen gaben dem Klagebegehren auf Unterlassung und Urteilsveröffentlichung wegen Intransparenz statt.
Rechtliche Beurteilung
Der Beklagten gelingt es ungeachtet ihrer weitwendigen, jedoch die tragende Begründung der Vorinstanzen negierenden Ausführungen nicht, eine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO darzustellen. Die Revision ist daher – trotz des nicht bindenden Zulässigkeitsausspruchs des Berufungsgerichts (§ 508a Abs 1 ZPO) – als nicht zulässig zurückzuweisen. Das ist wie folgt kurz zu begründen (§ 510 Abs 3 ZPO):
1. Zum Regelungsgegenstand der Klausel:
1.1. In der beanstandeten Klausel erklärt die Beklagte zunächst, sich – in keiner Weise beschränkte – Preisänderungen im Wege einer „Änderungskündigung“ . Das steht schon sprachlich der Annahme einer gleichzeitigen Erklärung einer solchen Änderungskündigung in der Klausel entgegen und ist als bloßer Hinweis zu verstehen, dass eine solche allenfalls in der Zukunft im Fall einer gewünschten Preisänderung ausgesprochen werden könnte.
Demgemäß folgt im weiteren Text auch gar keine (ausdrückliche) Erklärung einer Kündigung oder Auflösung des Vertrags oder eines Rücktritts davon (welche angeblich unter einer auflösenden oder aufschiebenden Bedingung stünde). Vielmehr werden die Folgen eines Schweigens des Kunden innerhalb einer zweiwöchigen Frist im Sinn einer Fiktion der Zustimmung zur vorbehaltenen (bezogen auf den Zugang der Erklärung unter Umständen sogar rückwirkend wirksamen) Preisänderung festgelegt und anschließend festgehalten, dass der Vertrag bei rechtzeitigem Widerspruch des Kunden zu einem näher bestimmten Zeitpunkt ende. Die Klausel verknüpft eine Vertragsauflösung somit ausschließlich mit dem Widerspruch des Kunden und räumt diesem das Gestaltungsrecht der Vertragskündigung zur Vermeidung einer Preisänderung ein. Macht er davon – aus welchen Gründen immer – nicht Gebrauch, kommt es im Wege einer Zustimmungsfiktion zur Vereinbarung einer Vertragsänderung; bei kundenfeindlichster Auslegung (RISJustiz RS0016590) kann es daher auf diesem Weg zu einer zugunsten des AGBVerwenders gänzlich unbeschränkten Preiserhöhung kommen.
1.2. Damit liegt eine Klausel vor, die zwar den Begriff „Änderungskündigung“ ins Spiel bringt (ohne eine solche auszusprechen), ihrem konkreten Inhalt nach aber durch Zustimmungsfiktion eine nach dem Grund, den Voraussetzungen und dem Ausmaß völlig unbeschränkte Änderungen des Entgelts (und damit des Vertrags) zulässt, wenn der Kunde von seinem Kündigungsrecht nicht rechtzeitig Gebrauch macht. Im Kern der Klausel kann somit der Kunde eine von der Beklagten gewünschte Preiserhöhung nur durch eine fristgerechte Kündigung des Vertrags ändern.
2. Zum Transparenzgebot:
2.1. § 80 Abs 2 ElWOG 2010 bzw § 125 Abs 2 GWG 2011 halten übereinstimmend fest, dass Änderungen der (Allgemeinen) Geschäftsbedingungen und der vertraglich vereinbarten Entgelte nur nach Maßgabe des ABGB und des KSchG zulässig sind. Dass ein von den genannten Bestimmungen losgelöstes, von der Beklagten mehrfach behauptetes „Sonderprivatrecht im Energieversorgungssektor“, die Prüfung einer AGB-Klausel nach § 879 Abs 3 ABGB und/oder § 6 Abs 3 KSchG ausschließe, trifft daher nicht zu. Die beiden eingangszitierten Bestimmungen lassen in ihrem letzten Satz zwar erkennen, dass eine Regelung, nach der ein Widerspruch des Kunden zur Vertragsbeendigung führt, zulässig ist; über die Zulässigkeit einer Vertragsänderung im Wege einer Zustimmungsfiktion und deren Voraussetzungen sagen sie aber nichts aus, sodass dafür die ausdrücklich erwähnten Gesetze (ABGB und KSchG) relevant sind.
2.2. Es entspricht der ständigen Judikatur des Obersten Gerichtshofs, dass eine Klausel, die Änderungen des Vertrags über eine Zustimmungsfiktion nach Inhalt und Ausmaß unbeschränkt zulässt, insbesondere eine Änderung wesentlicher Pflichten der Parteien (Leistung und Gegenleistung) zugunsten des Verwenders der AGB, gegen das Transparenzgebot verstößt, selbst wenn die Klausel den formalen Voraussetzungen des § 6 Abs 1 Z 2 KSchG entsprechen sollte (RS0128865). Da die hier inkriminierte Klausel – wie bereits dargelegt – eine Änderung des Entgelts (und damit des Vertrags) über eine Zustimmungsfiktion ohne jede (sei es inhaltliche, zeitliche oder sonstige) Beschränkung zulässt, verstößt sie gegen das Transparenzgebot des § 6 Abs 3 KSchG.
2.3. Zur Judikatur des EuGH:
2.3.1. Die soeben referierte Rechtsprechung steht im Einklang mit der Judikatur des EuGH zum Erdgasbinnenmarkt (Entscheidung des , RWE Vertrieb AG/Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen e.V.). Dieser Entscheidung lag die Vorgänger-RL 2003/55/EG zur heute geltenden RL 2009/73/EG (Erdgasbinnenmarkt) zugrunde, die in den einschlägigen Bestimmungen im Wesentlichen gleich lautet (jeweils Art 3 Abs 3 und Anhang A/I Punkt 1. lit b.), wobei ihr auch die weitere relevante RL 2009/72/EG (Elektrizitätsbinnenmarkt) im einschlägigen Bereich (vgl Art 3 Abs 7 und Anhang I Punkt 1. lit b.) entspricht. Der derartige Anlassfall hatte eine Regelung zum Gegenstand, die es dem Lieferanten erlaubte, die Gaspreise einseitig zu ändern, ohne den Anlass, die Voraussetzungen oder den Umfang einer solchen Änderung anzugeben, stellte jedoch sicher, dass die Kunden von der Änderung benachrichtigt wurden und den Vertrag gegebenenfalls kündigen konnten.
2.3.2. Der EuGH erkannte zu Recht, dass die Art 3 und 5 der Richtlinie 93/13/EWG über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen iVm Art 3 Abs 3 der Richtlinie 2003/55/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom über gemeinsame Vorschriften für den Erdgasbinnenmarkt und zur Aufhebung der Richtlinie 98/30/EG dahin auszulegen sind, dass es für die Beurteilung, ob eine Standardvertragsklausel, mit der sich ein Versorgungsunternehmen das Recht vorbehält, die Entgelte für die Lieferung von Gas zu ändern, den in diesen Bestimmungen aufgestellten Anforderungen an Treu und Glauben, Ausgewogenheit und Transparenz genügt, insbesondere auf folgende Umstände ankommt:
ob der Anlass und der Modus der Änderung dieser Entgelte in dem Vertrag so transparent dargestellt werden, dass der Verbraucher die etwaigen Änderungen der Entgelte anhand klarer und verständlicher Kriterien absehen kann, wobei das Ausbleiben der betreffenden Information vor Vertragsabschluss grundsätzlich nicht allein dadurch ausgeglichen werden kann, dass der Verbraucher während der Durchführung des Vertrags mit angemessener Frist im Voraus über die Änderung der Entgelte und über sein Recht, den Vertrag zu kündigen, wenn er diese Änderung nicht hinnehmen will, unterrichtet wird, und
ob von der dem Verbraucher eingeräumten Kündigungsmöglichkeit unter den gegebenen Bedingungen tatsächlich Gebrauch gemacht werden kann (, RWE/VE Nordrhein-Westfalen e.V.).
2.3.3. Der EuGH fordert somit für die Zulässigkeit eines einseitigen Entgeltsänderungsrechts – über die eingeräumte Kündigungsmöglichkeit für den Kunden hinaus –, dass schon in den AGB der Anlass für die Erhöhung des Entgelts und die Kriterien dafür klar und verständlich dargestellt sein müssen. Nichts anderes kann gelten, wenn es – wie hier – immer dann zur Entgeltsänderung im Wege einer Zustimmungsfiktion kommt, falls der Kunde nicht rechtzeitig kündigt; auch diese vertragliche Zustimmungsfiktion läuft nämlich in der Praxis trotz des formalen Widerspruchsrechts weitgehend auf eine – unzulässige – einseitige Änderungsbefugnis des Unternehmers hinaus (vgl RS0128865 [T5]). Das entspricht auch der Judikatur des Obersten Gerichtshofs.
2.4. Die von der Beklagten zur Beurteilung der Klausel auf die Einhaltung des Transparenzgebots gerügten sekundären Feststellungsmängel liegen nicht vor: Dass ein „für die Energiebranche typischer Durchschnittsverbraucher“ über die Preisgestaltung durch die Beklagte und die dafür relevanten Umstände informiert sei, also über die in der Klausel vermissten Informationen verfügen würde (was ohnehin offenkundig auszuschließen ist), behauptete sie nämlich gar nicht.
Im Übrigen erschöpfen sich die von der Beklagten begehrten Feststellungen zum einen in der Darstellung der Rechtslage (nach § 80 Abs 4 ElWOG 2010, § 125 Abs 4 GWG 2011 und § 22 Z 6 EControlG) und zum anderen in Behauptungen zur Handhabung der Klausel in der Praxis, denen im Verbandsprozess keine Bedeutung zukommt (RS0121943).
2.5. Der gerügte Begründungsmangel des Berufungsurteils wurde geprüft, liegt aber nicht vor.
3. Ob die Klausel zugleich gröblich benachteiligend iSd § 879 Abs 3 ABGB ist, kann somit dahingestellt bleiben.
4. Mit Rücksicht auf die bereits vorliegende Judikatur des EuGH (s Punkt 2.3.) erübrigt sich das von der Beklagten angeregte Vorabentscheidungsersuchen.
5. Der Kläger hat auf die Unzulässigkeit der Revision hingewiesen, weshalb ihm die Beklagte die Kosten seiner Revisionsbeantwortung zu ersetzen hat (§§ 41, 50 ZPO).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0030OB00139.19S.0829.000 |
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