OGH vom 09.11.2006, 6Ob209/06p
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Pimmer als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Schramm, Dr. Gitschthaler und Univ. Doz. Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen Bernhard M*****, geboren am , *****, über den Revisionsrekurs des Minderjährigen, vertreten durch die Bezirkshauptmannschaft Spittal an der Drau, *****, gegen den Beschluss des Landesgerichts Klagenfurt als Rekursgericht vom , GZ 3 R 139/06k-16, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Spittal an der Drau vom , GZ 2 P 2868/95i-U5, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden ersatzlos aufgehoben.
Text
Begründung:
Der mj Bernhard M***** entstammt der im Jahr 1995 geschiedenen Ehe seiner Eltern Oskar M***** und Ingeborg M*****. Er besucht die Fachschule für Computer- und Kommunikationstechnik in K***** und lebt bei seiner Mutter. Sein Vater ist geldunterhaltspflichtig und hat seit monatlich 4.500 S zu bezahlen. Dieser Unterhaltsfestsetzung, die im Einvernehmen mit dem Vater erfolgte, lag eine Unterhaltsbemessungsgrundlage in Höhe von rund 36.000 S zugrunde. Die Unterhaltsansprüche waren zuletzt mit Beschluss vom gemäß §§ 3, 4 Z 1, § 18 UVG (weiter) bevorschusst worden. Der Vater ist für ein weiteres minderjähriges Kind unterhaltspflichtig; auch dessen Unterhaltsansprüche in Höhe von 218,02 EUR werden bevorschusst (GZ 2 P 7/03v des Bezirksgerichts St. Veit an der Glan). Nunmehr beantragte der Minderjährige die Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse für die Zeit vom bis ; es sei ihm zwar Gehaltsexekution gegen den Vater bewilligt worden, dieser sei aber aus seinem Arbeitsverhältnis ausgeschieden; gegen eine Weitergewährung der Unterhaltsvorschüsse bestünden somit keine Bedenken.
Am bewilligte das Erstgericht diesen Antrag. Nachdem es allerdings seinen Beschluss dem Vater nicht zustellen hatte können und einen Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung (Stand ) eingeholt hatte, ordnete es gemäß § 16 UVG die (teilweise) Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse in dem monatlich 180 EUR übersteigenden Betrag an. Aufgrund getätigter Erhebungen bestünden Bedenken, dass die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht noch besteht.
Das Rekursgericht bestätigte die teilweise Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse und sprach aufgrund einer Zulassungsvorstellung des Minderjährigen gemäß § 63 Abs 1 AußStrG aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig ist. Es fehle „gesicherte" Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage, ob Bedenken im Sinne des § 7 Abs 1 UVG infolge Arbeitslosengeldbezugs des unterhaltspflichtigen Vaters mit dem Hinweis auf den Anspannungsgrundsatz beseitigt werden können und wie weit dem unterhaltsberechtigten Kind ein Zuwarten mit der (weiteren) Gewährung von Unterhaltsvorschüssen zugemutet werden kann. In der Sache selbst vertrat das Rekursgericht die Auffassung, es bestünden Bedenken gegen die im Exekutionstitel festgesetzte Unterhaltspflicht des Vaters. Die Unterhaltsfestsetzung sei lediglich aufgrund der Angaben des Jugendwohlfahrtsträgers und im Einvernehmen mit dem Vater erfolgt, seine Einkommensverhältnisse seien nicht konkret erhoben worden. Nunmehr stehe fest, dass der Vater seit in kurzen Abständen arbeitslos oder geringfügig beschäftigt gewesen sei oder als Arbeiter seine Arbeitsverhältnisse gewechselt habe. Es sei daher mit hoher Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die festgesetzte Unterhaltspflicht unangemessen geworden sei. Soweit der Minderjährige auf die Verpflichtung des Vaters hinweise, seine Kräfte anzuspannen, sei dies im Unterhaltsverfahren und nicht im Unterhaltsvorschussbewilligungsverfahren zu klären. Der Revisionsrekurs des Minderjährigen ist zulässig (1 Ob 78/03g = SZ 2003/118); er ist auch berechtigt.
Der Minderjährige weist darauf hin, dass zwar in einem Unterhaltsverfahren geprüft werden könnte, ob der Vater gegen die ihm nach der Anspannungstheorie obliegenden Verpflichtungen verstößt; ein solches Verfahren existiere aber nicht, sodass er „in eine dem Gesetz nicht entsprechende Lage von rechtlicher Handlungsunfähigkeit gebracht" worden sei.
Rechtliche Beurteilung
1. § 16 Abs 2 UVG ordnet die Innehaltung mit der Auszahlung von bewilligten Unterhaltsvorschüssen für den Fall an, dass das Gericht die vorgetragenen Einwendungen für beachtlich hält. Schon diese Formulierung hebt sich deutlich von jener des § 7 Abs 1 Z 1 UVG ab, wonach die Vorschüsse ganz oder teilweise zu versagen sind, wenn begründete Bedenken gegen den unveränderten Weiterbestand der Unterhaltspflicht bestehen. Die Anordnung der sinngemäßen Anwendung der Bestimmungen über die Innehaltung auf die Änderung der Vorschüsse gemäß § 19 UVG wäre schlechterdings unverständlich, wollte man in beiden Fällen die Entscheidung völlig undifferenziert nach einem bloß kursorischen Verfahren treffen. Die sinngemäße Anwendung des § 16 UVG auch in den Fällen des § 19 UVG kann vielmehr nur bedeuten, dass die Innehaltung nur dann anzuordnen ist, wenn beachtliche Gründe dafür sprechen, dass nach den noch durchzuführenden Erhebungen begründete Bedenken gegen die Weitergeltung oder die Angemessenheit des Titels bestehen (1 Ob 78/03g).
Dabei ist die Mitteilung allein, der Unterhaltspflichtige beziehe
nunmehr Arbeitslosengeld, nicht geeignet, begründete Bedenken im Sinn
des § 7 Abs 1 Z 1 UVG zu erwecken (1 Ob 78/03g; ebenso 7 Ob 48/98d =
EFSlg 87.712, 87.715; 7 Ob 16/00d = EFSlg 94.110 uva; vgl auch 8 Ob
31/98m = EFSlg 87.722 mwN [für den Fall des Sozialhilfebezugs];
anders jedoch 3 Ob 257/05y = EFSlg 111.561 [für den Fall eines
längerfristigen Krankengeldbezugs]). Jedoch stellt diese Mitteilung zumindest einen beachtlichen Grund dafür dar, dass einerseits entsprechende Erhebungen angestellt und andererseits eine mit einiger Wahrscheinlichkeit mögliche Überzahlung vermieden wird. Eine angeordnete Innehaltung ist daher im Fall der Arbeitslosigkeit des Unterhaltspflichtigen grundsätzlich nicht zu beanstanden (1 Ob 78/03g).
2. Das Erstgericht hat seinen Innehaltungsbeschluss am gefasst, das Rekursgericht hat am entschieden. Zu beiden Zeitpunkten war der Vater jedoch als Arbeiter (bei demselben Arbeitgeber) sozialversicherungsrechtlich gemeldet (AS 53). Von einem Arbeitslosengeldbezug des Vaters kann somit nicht ausgegangen werden.
3. Der Minderjährige hat infolge einer weiteren Sorgepflicht des Vaters Anspruch auf 20 % von dessen Unterhaltsbemessungsgrundlage. Der derzeitige Unterhaltstitel lautet auf 4.500 S bzw 327 EUR und setzt damit eine Unterhaltsbemessungsgrundlage von rund 22.500 S bzw
1.600 EUR voraus. Diese läge aber unter dem aktuellen Medianeinkommen von männlichen Arbeitern in Österreich (für 2004 1.772 EUR [siehehttp://statistik.arbeiterkammer.at/seite_201.htm]). Das Medianeinkommen kann als Richtwert im Bereich des Unterhaltsvorschussrechts herangezogen werden (vgl 1 Ob 191/01x = SZ 74/138). Da im Übrigen dem derzeitigen Unterhaltstitel (im Jahr 1997!) bereits ein Einkommen des Vaters in Höhe von rund 36.000 S zugrunde gelegt worden war, sprechen entgegen der Auffassung der Vorinstanzen keine beachtlichen Gründe dafür, dass tatsächlich nach den noch durchzuführenden Erhebungen begründete Bedenken gegen die Weitergeltung oder die Angemessenheit des Titels bestehen. Die Beschlüsse der Vorinstanzen auf (teilweise) Innehaltung der Unterhaltsvorschüsse waren daher ersatzlos zu beheben.