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OGH vom 21.12.2017, 4Ob222/17a

OGH vom 21.12.2017, 4Ob222/17a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei WIWE-Schutzverband zur Förderung lauteren Wettbewerbs im In- und Ausland, *****, vertreten durch Dr. Bernd Roßkothen, Rechtsanwalt in Salzburg, gegen die beklagte Partei E***** J*****, vertreten durch ANWALTGMBH Rinner Teuchtmann in Linz, wegen Unterlassung und Urteilsveröffentlichung (Gesamtstreitwert 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 56/17w-10, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision wird mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.

Der Antrag der beklagten Partei, dem Gerichtshof der Europäischen Union näher detaillierte Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen, wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Vorinstanzen verboten der Beklagten das Anbieten von Dienstleistungen, die dem Gewerbe der Ernährungsberatung vorbehalten sind, beispielsweise Training, Coaching, Schulung ua zu den Themen Abnehmen, Ernährung bei Unverträglichkeiten, Kinderernährung oder Ernährung im Alter, ohne dass die Beklagte über die notwendigen Berechtigungen verfügt. Dem Unterlassungsgebot wurde der (unstrittige) Umstand zugrundegelegt, dass die Beklagte nicht über die nach § 119 Abs 1 Satz 3 GewO für das Anbieten der Beratungstätigkeit notwendige Ausbildung verfügt (vgl auch 9 Ob 64/04h; 4 Ob 61/14w).

Die Beklagte macht in ihrer außerordentlichen Revision einen Verstoß gegen Art 9 Abs 1 der Richtlinie 2006/123/EG über Dienstleistungen im Binnenmarkt (im Folgenden DL-RL) geltend. Es bestehe weder ein zwingendes öffentliches Interesse an der Reglementierung des Berufs der Ernährungsberatung noch sei die Vorschrift verhältnismäßig. Damit und auch sonst zeigt sie keine erhebliche Rechtsfrage im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO auf.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach Art 9 Abs 1 DL-RL dürfen die Aufnahme und die Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit nur unter bestimmten Voraussetzungen einer Genehmigungsregelung unterworfen werden. Von dieser Bestimmung sind aufgrund ihres klaren Wortlauts nur solche Regelungen umfasst, die die Aufnahme oder Ausübung einer Dienstleistungstätigkeit von einer behördlichen Entscheidung (Genehmigungsregelung) abhängig machen. Nicht zu den zu prüfenden Anforderungen gehören nationale Regelungen, die die Aufnahme bestimmter Tätigkeiten aus Gründen vorbehalten, die mit der beruflichen Qualifikation zusammenhängen (ErwGr 73 DL-RL e contrario). Die Voraussetzungen für die Erteilung der Genehmigung für eine neue Niederlassung dürfen dabei nämlich nicht zu einer doppelten Anwendung von gleichwertigen oder aufgrund ihrer Zielsetzung im Wesentlichen vergleichbaren Anforderungen und Kontrollen führen, denen der Dienstleistungserbringer bereits in einem anderen oder im selben Mitgliedstaat unterworfen ist (Art 9 Abs 3 DL-RL). Das korreliert mit der Bestimmung des Art 3 Abs 1 lit d DL-RL, die die Subsidiarität dieser Richtlinie zur Richtlinie 2005/36/EG (Berufsqualifikationsrichtlinie; im Folgenden BQ-RL) festlegt (vgl dazu auch Cornils in Schlachter/Ohler, Europäische Dienstleistungsrichtlinie Art 9 Rz 51; Lemor, Auswirkungen der Dienstleistungsrichtlinie auf ausgesuchte reglementierte Berufe, EuZW 2007, 136).

1.2 Unter den für den Anwendungsbereich der BQ-RL zentralen Begriff des „reglementierten Berufes“ fallen alle beruflichen Tätigkeiten, bei denen die Aufnahme oder Ausübung oder eine der Arten der Ausübung direkt oder indirekt durch Rechts- und Verwaltungsvorschriften an den Besitz bestimmter Berufsqualifikationen gebunden ist (Art 3 Abs 1 lit a BQ-RL); dazu gehören sowohl Ausbildungsnachweise für Abschlüsse, die von einer Behörde ausgestellt werden, als auch Befähigungsnachweise im Sinne von anderweitigen Prüfungszeugnissen oder Berufserfahrungen (VwGH 2010/04/0087). Aufgrund des klaren Regelungswerks, das der BQ-RL die abschließende Regelung des Zugangs zu solchen Berufen unter der Erforderlichkeit von Ausbildungsnachweisen vorbehält (vgl auch Art 2 Abs 1 BQ-RL), kommt in diesem Zusammenhang ein Verstoß gegen die DL-RL von vornherein nicht in Betracht. Diese betrifft – wie ausgeführt – jene nationalen Regelungen, die die Aufnahme bestimmter Tätigkeiten wegen mit der beruflichen Qualifikation zusammenhängenden Gründen vorbehalten.

1.3 Damit geht die Bezugnahme der Beklagten auf die DL-RL ins Leere. Eine erhebliche Rechtsfrage liegt gerade nicht vor, wenn das Gesetz eine klare, eindeutige Regelung trifft (RISJustiz RS0042656; RS0107348) bzw wenn sich für die vom Rechtsmittelwerber vertretene Rechtsansicht keine Anhaltspunkte aus den von ihm herangezogenen Normen ergeben (RISJustiz RS0042656 [T20]; 4 Ob 207/15t, Rettungsdienst Tirol).

1.4 Im Hinblick auf die eindeutige Fassung der zuvor erwähnten Bestimmungen der DL-RL bedurfte es auch keiner Befassung des EuGH im Sinn des von der Beklagten beantragten Vorabentscheidungsersuchens (eine Antragslegitimation besteht in diesem Zusammenhang nicht, RISJustiz RS0058452).

2. Auch die Ausführungen der Revision, die Beklagte hätte vertretbar von der Unionsrechtswidrigkeit der übertretenen Norm ausgehen können, wurden vom Senat in vergleichbaren Konstellationen wiederholt verworfen (4 Ob 95/17z mwN). Auch darauf kann die Zulässigkeit des Rechtsmittels nicht gestützt werden.

3. Der Umstand, dass das Berufungsgericht auch einen Verstoß der Beklagten gegen das MTD-G bejaht hat, begründet ebenfalls keine erhebliche Rechtsfrage. Der auf Rechtsbruch gestützte Unterlassungsanspruch setzt auf der Sachverhaltsebene zwar den Verstoß gegen eine (bestimmte) generelle abstrakte Norm voraus, auf die sich das Sachvorbringen der klagenden Partei bezieht (RISJustiz RS0129497). Die Vorinstanzen haben das Unterlassungsgebot aber in erster Linie auf den in der Klage geltend gemachten Verstoß gegen § 119 GewO gestützt, sodass es unerheblich ist, ob die Beklagte darüber hinaus auch noch gegen weitere Normen verstoßen hat.

4. Schließlich führen auch die Ausführungen zum Verbraucherleitbild bzw zur Erheblichkeitsschwelle nicht zur Zulässigkeit des Rechtsmittels.

4.1 Die Frage nach der Maßfigur des durchschnittlich informierten und verständigen Marktbürgers ist hier nicht präjudiziell, weil die verletzte Norm nicht den Zweck hat, eine informierte Entscheidung des Verbrauchers zu ermöglichen (vgl RISJustiz RS0123658).

4.2 Nach der gesicherten Rechtsprechung hängt die Eignung eines Rechtsbruchs zur spürbaren Beeinflussung des Wettbewerbs von den Umständen des Einzelfalls ab, wobei sich die Eignung ausgehend vom Regelungszweck der verletzten Norm und von den typischen Auswirkungen des Rechtsbruchs schon aus dem Normverstoß als solchem ergeben kann (RISJustiz RS0123243). Eine unvertretbare Fehlbeurteilung der Vorinstanzen wird im Rechtsmittel dazu nicht aufgezeigt.

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00222.17A.1221.000

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