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OGH 17.01.2007, 7Ob152/06p

OGH 17.01.2007, 7Ob152/06p

Rechtssatz


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Normen
ABBF Art3
WAG §20 Abs5
ABGB §914 IIIh
ABGB §915
RS0121990
Die vom Wortlaut her miteinander nicht in Einklang stehenden und daher objektiv als unklar aufzufassenden Bestimmungen des Art 3 ABBF und der Klausel V77 gehen im Sinne des § 915 ABGB zu Lasten des Versicherers. Die genannten Bestimmungen sind dahin auszulegen, dass der im Art 3 ABBF vereinbarte Versicherungsschutz nicht eingeschränkt wird, sondern dass durch die Klausel V77 (wie sie ja ausdrücklich vorgibt) eine „Erweiterung des Deckungsumfanges", nämlich auf Tätigkeiten (Beratung und Vermittlung) außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches nach Art3 ABBF erfolgen soll

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Wilhelm R*****, 2. Dr. Wilfried S*****, beide vertreten durch Neumayer & Walter Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei W***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen USD 150.312,50 (EUR 125.260) sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 230/05p-24, womit infolge Berufung der klagenden Parteien das Urteil des Handelsgerichtes Wien vom , GZ 31 Cg 40/03x-17 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass das Urteil lautet:

Die beklagte Partei ist schuldig, der erstklagenden Partei USD 125.937,50 samt 10,25 % Zinsen seit und der zweitklagenden Partei USD 24.375 samt 10,25 % Zinsen seit zu bezahlen. Die beklagte Partei ist weiters schuldig, den klagenden Parteien die mit EUR 9.938,34 (darin enthalten EUR 1.259,47 USt und EUR 2.381,50 Barauslagen) bestimmten Verfahrenskosten erster Instanz, die mit EUR 6.275,36 (darin enthalten EUR 461,98 USt und EUR 3.503,50 Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit EUR 6.866,09 (darin enthalten EUR 365,73 USt und EUR 4.671,70 Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen, und zwar dem Erstkläger 84 % und dem Zweitkläger 16 % hievon.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Beklagte war Haftpflichtversicherer der Anlageberaterin (und späteren Gemeinschuldnerin) „a***** GmbH" (zuletzt: B***** GmbH), die den beiden Klägern infolge sorgfaltswidriger Anlageberatung - rechtskräftig (10 Ob 76/04f) - zum Ersatz von EUR 139.996,86 sA bzw EUR 37.158,47 sA verpflichtet ist. Dieser Schaden ist dadurch entstanden, dass die Versicherungsnehmerin der Beklagten die Kläger nicht ausreichend über die besonderen Risken des „vorbörslichen" Erwerbes (von so genannten „restricted" Aktien eines amerikanischen Unternehmens, die [noch] nicht an der Börse gehandelt wurden) aufgeklärt und keine zusätzlichen Informationen von unabhängiger Seite eingeholt hat. Eine dagegen erhobene außerordentliche Revision des (hier beklagten) Haftpflichtversicherers, der dem dortigen (nach Konkurseröffnung über das Vermögen der Anlageberaterin unterbrochenen und über Antrag der Kläger fortgesetzten) Verfahren als Nebenintervenient auf Seiten seiner Versicherungsnehmerin beitrat, blieb erfolglos.

Dem Versicherungsverhältnis zwischen der Beklagten und ihrer Versicherungsnehmerin lagen die „ABBF" der Beklagten, also deren „Allgemeine Bedingungen zur Berufshaftpflichtversicherung für Finanzdienstleister (Versicherungsmakler und Vermögensberater)" zugrunde. Nach Art 1 ABBF ist das versicherte Risiko je nach der auf der Polizze ausgewiesenen Vereinbarung „die Tätigkeit des Versicherungsnehmers als [unter anderem] Wertpapierdienstleistungsunternehmen gemäß § 19 Abs 1 Z 1 WAG". Der Versicherungsschutz umfasst insbesondere auch alle Dienstleistungen des Versicherungsnehmers im Sinne des § 19 Abs 1 Z 1 WAG und § 20 Abs 4 WAG in Verbindung mit § 1 Abs 1 Z 9 lit a und lit b BWG. Nach dem den örtlichen Geltungbereich regelnden Art 3 ABBF umfasst der Versicherungsschutz im Rahmen des versicherten Risikos solche Schadenersatzverpflichtungen, die aus „Tätigkeiten in den Mitgliedsstaaten der Europäischen Union, in der Schweiz oder in Liechtenstein resultieren, sofern ein Gerichtsstand in Österreich vereinbart ist."

Zwischen der Beklagten und ihrer Versicherungsnehmerin wurde in der Klausel V77 (unter dem Titel: „Aktien - Erweiterung auf Börsen außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches") Folgendes vereinbart:

„In Erweiterung von Art 3 der Allgemeinen Bedingungen zur Berufshaftpflichtversicherung für Finanzdienstleister (ABBF) gilt die Beratung und Vermittlung von Aktien, die an den in der Polizze genannten Börsen außerhalb des örtlichen Geltungsbereichs gemäß Art 3 ABBF gehandelt werden, als mitversichert."

In der Polizze ist keine dieser Börsen genannt; im Versicherungsantrag sind jedoch unter dem Titel „Deckungserweiterungen: Aktien, Erweiterungen auf Börsen außerhalb der Europäischen Union, welche?" die NYSE und die NASDAQ handschriftlich eingetragen.

Eine Haftpflichtversicherung ist für die Erlangung einer Konzession für Finanzdienstleister zwingend erforderlich. Die Beklagte hat gegenüber der Finanzmarktaufsicht die aufrechte Deckung für den Umfang des § 20 Abs 5 WAG bestätigt. In dieser Bestimmung, die den Versicherungsinhalt determiniert, ist unter anderem festgelegt, dass „die Versicherung das aus der Geschäftstätigkeit resultierende Risiko abdecken muss, die Summe des Versicherungsvertrages mindestens EUR 365.000 [unter weiteren Voraussetzungen EUR 730.000] pro einjähriger Versicherungsperiode zu betragen hat, wobei die Jahreshöchstentschädigungsleistung wenigstens das dreifache der Versicherungssumme betragen muss", dass im Versicherungsvertrag vorzusehen ist, dass „österreichisches Recht auf den Vertrag anzuwenden ist, dem Kunden ein von der Innehabung des Versicherungsscheines unabhängiger unmittelbarer Anspruch gegen den Versicherer zusteht, § 158c Abs 1 und 2 VersVG sinngemäß anzuwenden ist und eine dreijährige Nachhaftung der Versicherung gilt". Mit der vorliegenden Direktklage gemäß § 20 Abs 5 WAG begehren die Kläger von der Beklagten USD 125.937,50 sA (Erstkläger) und USD

24.375 sA (Zweitkläger) an Schadenersatz. Die Haftung für Beratungsfehler im Zusammenhang mit der Vermittlung von amerikanischen Aktien sei vom Versicherungsschutz jedenfalls umfasst, weil eine Pflichtversicherung vorliege.

Die Beklagte beantragt Klageabweisung. Auch ein Direktanspruch des Geschädigten könne nur im Rahmen des nach den ABBF definierten Deckungsumfanges bestehen. Die darin enthaltenen Risikobeschränkungen und Ausschlüsse vom Versicherungsschutz seien daher [auch hier] in Geltung. Der Deckungsanspruch umfasse aber weder Ansprüche auf Erfüllung von Verträgen oder die an die Stelle der Erfüllung tretende Ersatzleistung, noch Ansprüche, soweit sie aufgrund eines Vertrages oder einer besonderen Zusage über den Umfang der gesetzlichen Schadenersatzpflicht hinausgingen. In Art 3 ABBF werde der örtliche Geltungsbereich des Versicherungsschutzes auf Schadenersatzverpflichtungen beschränkt, die aus Tätigkeiten in den Mitgliedsstaaten der europäischen Union, in der Schweiz oder Liechtenstein resultierten. Nach der zwischen der Versicherungsnehmerin und der Beklagten geltenden Besonderen Bedingung V77 werde der örtliche Geltungsbereich auf Aktien ausgedehnt, die an einer in der Polizze angegebenen Börse gehandelt werde. Da es sich hier um einen „außerbörslichen" Erwerb handle, sei der Schaden nicht vom Versicherungsschutz umfasst. Letzterer beziehe sich außerdem nicht auf Haftpflichtansprüche aus Garantie- und Erfolgszusagen und auf Haftpflichtansprüche im Zusammenhang mit rechtlichen und steuerlichen Auskünften oder auf Ansprüche, die daraus entstünden, dass in Aussicht gestellte Renditenentwicklungen und Verzinsungen nicht eingetroffen seien.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Aus der Formulierung des § 20 Abs 5 WAG sei ersichtlich, dass das Gesetz eine möglichst strenge inhaltliche „Befundenheit" des Versicherungsverhältnisses wünsche und der dispositiven Gestaltungsfreiheit der Versicherungsvertragspartner weitestgehend entziehe. Der Versicherungsschutz beziehe sich - dem Wortlaut der §§ 914 ff ABGB bei der Auslegung folgend - auf Schadenersatzverpflichtungen aus Tätigkeiten in den genannten Staaten. Zu prüfen sei, ob in diesem Fall Beratungstätigkeiten gegenüber Anlegern in den genannten Staaten ohne eine Aussage über die Herkunft der Finanzinstrumente versichert sein sollten oder ob die Handelsplätze der Finanzinstrumente auf die genannten Staaten einzuschränken seien. In Verbindung mit der Klausel V77 (die die Beratung und Vermittlung von Aktien, die an den in der Polizze genannten Börsen außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches gehandelt werden, nenne) sei Art 3 ABBF nur so zu verstehen, dass sich die räumliche „Haftung des Versicherungsvertrages" für in Österreich erbrachte Beratungstätigkeiten, die innerhalb der europäischen Union, der Schweiz und Liechtenstein gehandelte Finanzinstrumente betreffen, gelte. Erweitert werde der Umfang durch die Klausel V77, die [zusätzlich] Beratungs- und Vermittlungstätigkeiten in Bezug auf Aktien, die an der NASDAQ und der NYSE gehandelt werden, erfasse. Der gegenständliche „vor- bzw außerbörsliche" Erwerb sei daher nicht erfasst.

Diese Risikobeschränkung sei auch gegenüber den Klägern als geschädigte Dritte wirksam. Gemäß § 158c Abs 1 VersVG bleibe der Versicherungsanspruch des Dritten (zwar) auch dann bestehen, wenn der Versicherer von der Leistungspflicht gegenüber dem Versicherungsnehmer frei geworden sei. Es werde aber auch bei obligatorischen Haftpflichtversicherungsverhältnissen gegenüber dem geschädigten Dritten bloß jener Risikoumfang abgedeckt, der vertraglich - auch durch Risikoausschlüsse - vereinbart sei (SZ 51/105). Die Kläger könnten sich daher nicht auf § 158c VersVG berufen. Der Gesetzgeber ordne für den Versicherungsvertrag nach § 20 Abs 5 WAG einen Mindestinhalt an. Hier stünden einander die Interessen des Anlegerschutzes und jene eines Versicherers nach Kalkulierbarkeit des Risikos und Vermeidung übermäßigen Risikos gegenüber. Von der Lehre werde in diesen Fällen vorgeschlagen, dass der Versicherungsumfang zumindest das im Geschäftsverkehr übliche und angemessene Risiko versichern sollte (Fenyves, VR 2005, 70). Die Kläger hätten sich durch den Geschäftsabschluss einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Ein Haftungsausschluss für derartige Gefahren widerspreche nicht den guten Sitten und bleibe daher auch gegenüber den Klägern wirksam.

Das Berufungsgericht gab der dagegen von den Klägern erhobenen Berufung nicht Folge und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Es erachtete den Einwand, der Deckungsumfang sei unrichtig ausgelegt worden, als nicht stichhaltig, schloss sich insoweit der Beurteilung des Erstgerichtes an und verwies auf dessen Rechtsausführungen.

Zur Rechtsrüge der Beklagten führte es aus, der Versicherungsschutz sei zunächst in Art 3 der ABBF umschrieben. Demnach umfasse er im Rahmen des versicherten Risikos solche Schadenersatzverpflichtungen, die aus Tätigkeiten in den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, in der Schweiz oder in Liechtenstein resultierten, sofern ein Gerichtsstand Österreich vereinbart sei. Zwischen der Beklagten und ihrer Versicherungsnehmerin sei eine Erweiterung auf Börsen außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches vereinbart worden. Auch die Kläger seien davon ausgegangen, dass Versicherungsbedingungen wie Verträge auszulegen seien. Richtigerweise habe sich das Erstgericht dabei am durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmer orientiert. Demgemäß könne der Deckungsumfang schon nach dem erkennbaren Sinn des Art 3 der ABBF, insbesondere aber aus der Zusammenschau dieser Bestimmung mit der Klausel V77 nur dahin verstanden werden, dass die Haftung innerhalb der EU, der Schweiz und Liechtenstein gehandelte Finanzinstrumente betreffe, sowie - aufgrund der Klausel V77 - auch Aktien, die an Börsen außerhalb dieses Geltungsbereichs gehandelt würden.

Die Klausel V77 spreche allerdings ausdrücklich von Aktien, die an „Börsen gehandelt werden", was hier nicht der Fall sei. Es sei naheliegend und zulässig, dass Versicherungsunternehmen das von ihnen übernommene Risiko auf an Börsen gehandelte und damit gewissen garantierten Kontrollmechanismen unterliegenden Finanzinstrumente beschränkten. Daran könne auch der Hinweis der Kläger auf § 20 Abs 5 WAG nichts ändern. Diese Bestimmung befasse sich lediglich mit den Voraussetzungen zur Konzessionserteilung für das Wertpapierdienstleistungsunternehmen und sehe in diesem Zusammenhang eine Berufshaftpflichtversicherung vor, die das aus der Geschäftstätigkeit resultierende Risiko abdecke. Für eine Vertragsauslegung, wonach es - unabhängig davon, um welche Aktien es gehe - [nur] darum gehe, an welchem Ort der Versicherungsnehmer seine Tätigkeit entfaltet habe, bleibe danach kein Raum. Ausgehend von dieser Auffassung hätte es der Vereinbarung der Klausel V77 nämlich gar nicht bedurft. Gegen die auf die Entscheidung 7 Ob 15/78 (SZ 51/015) gestützte Rechtsauffassung des Erstgerichts, dass die Haftpflichtversicherung gegenüber dem geschädigten Dritten bloß den vertraglich vereinbarten Risikoumfang abdecke, weshalb sich die Kläger nicht auf § 158c Abs 1 VersVG berufen könnten, dass ein Haftungsausschluss für ein erhöhtes Geschäftsrisiko also möglich sei, werde nichts Konkretes vorgebracht. Auch diesbezüglich sei auf die zutreffenden Ausführungen des Erstgerichts zu verweisen.

§ 158c VersVG setzte den Bestand eines Versicherungsvertrags voraus, worin die verwirklichte Gefahr grundsätzlich versichert sein müsse. Der Versicherer hafte nur im Rahmen der von ihm übernommenen Gefahr. Sei eine solche nicht Gegenstand des Versicherungsschutzes, könne sich der Geschädigte nicht auf § 158c VersVG berufen. § 158c VersVG erfasse keine Ausschlüsse, die von vornherein festlegten, dass ein derartiger Schadensfall nicht unter den durch den Versicherungsvertrag gewährten Schutz falle. Von vornherein vom Versicherungsschutz ausgeschlossene Schäden übernehme der Versicherer auch nicht über § 158c VersVG (Honsell, Berliner Kommentar zum VVG § 158c Rz 8, 11, 34). Letztlich habe das Erstgericht zutreffend ausgesprochen, dass das im redlichen Geschäftsverkehr Übliche auch den Maßstab bilde, wenn es darum gehe, den Deckungsumfang einer ausreichenden, entsprechenden oder angemessenen Haftpflichtversicherung durch Interpretation zu ermitteln (Fenyves in VR 2005, 70).

Weiterer Feststellungen bedürfe es nicht und auch Rechtsfragen von über den Einzelfall hinausgehender Bedeutung lägen nicht vor. Gegen die Berufungsentscheidung richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, die angefochtene Entscheidung im klagestattgebenden Sinne abzuändern; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt. Die Beklagte hat nach Freistellung eine Revisionsbeantwortung erstattet und beantragt, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage als unzulässig zurückzuweisen, in eventu ihr nicht Folge zu geben.

Die Revision ist entgegen dem Ausspruch des Berufungsgerichtes zulässig und auch berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Revisionswerber kommen auch im Revisionsverfahren nicht (mehr) auf ihre Replik nach § 158c VersVG zurück; sie machen zur Zulässigkeit ihres Rechtsmittels im Wesentlichen geltend, „die Auslegung" [der Versicherungsbedingungen] zur Frage des örtlichen Geltungsbereiches (nämlich dazu, ob eine beantragte Deckungserweiterung zu einer einschränkenden Interpretation des Deckungsumfanges führen könne, obwohl unklare Formulierungen im Versicherungsvertrag gemäß § 915 ABGB zu Lasten des Versicherers gingen) betreffe „alle Haftungen" von Wertpapierdienstleistern nach § 20 Abs 5 WAG.

Die Revisionsbeantwortung verneint hingegen schon das Vorliegen einer über den Einzelfall hinaus bedeutsamen Rechtsfrage. Bei den ABBF handle es sich nicht um Bedingungen, die im Versicherungsverband kreiert worden seien, sondern um hauseigene Klauseln der Beklagten, wobei die Klausel V77 mit maximal zwei der insgesamt 67 [bei der Beklagten versicherten] Vermögensberater vereinbart worden sei. Per November 2003 gebe es keinen Vertrag mehr, der eine solche Klausel enthalte. Seit habe die Beklagte keine Vermögensschaden-Haftpflichtversicherungen mehr im Portefeuille. Da die Versicherungsbedingungen aber - auch wenn dies zutreffen sollte - jedenfalls einen größeren Personenkreis betreffen (nämlich die von der Beklagten [seinerzeit] versicherten Vermögensberater, Anlagevermittler und deren Kunden), ist ihre Auslegung, sofern dazu - wie hier - nicht bereits oberstgerichtliche Judikatur existiert, revisibel; es sei denn, die betreffende Bestimmung wäre so eindeutig formuliert, dass nur eine Möglichkeit der Auslegung in Betracht zu ziehen ist (7 Ob 59/06m). Letzteres trifft nicht zu, weil Zweifel über das Ausmaß des Deckungsumfanges aus folgenden Gründen nicht von der Hand zu weisen sind:

Einerseits umfasst der Versicherungsschutz nämlich - in Art 3 ABBF (ganz allgemein) - die Haftung für „Tätigkeiten" (= Beratung und Vermittlung [Art 1 Punkt 1.3. ABBF]) innerhalb des genannten örtlichen Geltungsbereiches, während diese Tätigkeiten andererseits - in der Klausel V77 (unter dem Titel „Aktien - Erweiterung auf Börsen außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches") - ausdrücklich auch in Bezug auf Aktien erfasst sind, „die an Börsen außerhalb dieses Geltungsbereiches gehandelt werden".

Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes liegt es daher nicht völlig auf der Hand, dass vom Versicherungsschutz [jedenfalls] nur Aktien erfasst wären, die an Börsen innerhalb des örtlichen Geltungsbereiches „gehandelt werden" (was hier nicht der Fall ist). Es hat vielmehr die vom Rechtsmittelwerber angestrebte Auslegung, wonach es gar nicht darauf ankomme, um welche Aktien es gehe, weil entscheidend sei, an welchem Ort der Versicherungsnehmer seine Tätigkeit (Beratung und Vermittlung) entfaltet habe, den Wortlaut der ABBF eindeutig für sich. Den ABBF ist nämlich nicht zu entnehmen, dass der Versicherungsschutz für im „örtlichen Geltungsbereich" durchgeführte Beratungs- oder Vermittlungstätigkeit auf bestimmte Aktien (nämlich auf solche, die an Börsen im örtlichen Geltungsbereich gehandelt werden) beschränkt wäre.

Eine Beschränkung des Versicherungsschutzes könnte sich daher lediglich aus der so genannten „Deckungserweiterung" in der Klausel V77 und im Versicherungsantrag betreffend Aktien, die an Börsen „außerhalb" des Geltungsbereiches (bzw der Europäischen Union), nämlich der NYSE und NASDAQ, gehandelt werden, ergeben. Dass damit tatsächlich eine Einschränkung des Deckungsumfanges vereinbart werden sollte, ist allerdings schon aufgrund der gegenteiligen Bezeichnung der Klausel V77 (arg „Deckungserweiterung") zu bezweifeln. Nach ständiger Rechtsprechung sind die einzelnen Klauseln der Versicherungsbedingungen, wenn sie - wovon hier mangels diesbezüglicher Feststellungen auszugehen ist - nicht auch Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf ihren Wortlaut auszulegen (RIS-Justiz RS0008901). Maßgebend ist dabei die Ansicht eines durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers (RIS-Justiz RS0008901 und RS0050063). In allen Fällen ist der einem objektiven Beobachter erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Versicherungsbedingungen zu berücksichtigen (7 Ob 173/04y mwN).

Richtig ist auch, dass nach objektiven Gesichtspunkten als unklar aufzufassende Klauseln so ausgelegt werden müssen, wie sie ein durchschnittlich verständiger Versicherungsnehmer verstehen musste, wobei Unklarheiten im Sinne des § 915 ABGB zu Lasten des Verwenders der AGB, also des Versicherers gehen (Rummel in Rummel³ § 864a ABGB Rz 13 mwN); dabei muss der objektiv erkennbare Zweck einer Bestimmung der Allgemeinen Geschäftsbedingungen - wie bereits ausgeführt - stets beachtet werden (7 Ob 316/04b mwN; jüngst: 7 Ob 106/05x). Ausgehend von diesen Grundsätzen ist es - entgegen der Auffassung der Vorinstanzen - jedenfalls unzulässig, aus Anlass einer Klausel, die ausdrücklich eine „Erweiterung" des Versicherungsschutzes bewirken soll, eine den örtlichen Geltungsbereich regelnde Generalklausel (Art 3 ABBF) in einem risikoeinschränkenden Sinn zu interpretieren; dabei darf nämlich auch nicht vergessen werden, dass es um eine Pflichthaftpflichtversicherung geht:

In diesem Zusammenhang hat bereits Fenyves (Versicherungsvertragsrechtliche Grundfragen der Pflichthaftpflichtversicherung, VR 2005, 70 [74]) darlegt, dass derartige Versicherungen dort eingeführt wurden, wo der geschädigte Dritte nach Ansicht des Gesetzgebers besonders schutzwürdig ist, was hier schon dadurch zum Ausdruck kommt, dass der Gesetzgeber dem Kunden des versicherten Wertpapierdienstleistungsunternehmens (durch § 20 Abs 5 Z 2 WAG) sogar ein Direktklagerecht gegen den Versicherer eingeräumt hat. Auch wenn dennoch Risikobeschränkungen und -ausschlüsse grundsätzlich möglich sind, dürfen diese (wie Fenyves aaO betont) den Schutz des Dritten nicht entscheidend untergraben. Demgemäß ist auch aus Art 1 ABBF zu erkennen, dass unter anderem die (gesamte) Tätigkeit der Wertpapierdienstleistungsunternehmen versichert sein soll, wenn auch nicht als „all risk-Versicherung", sondern in dem von Art 2 ABBF gezogenen Rahmen, also grundsätzlich nur mit den dort ausdrücklich angeführten Ausnahmen. Daraus folgt, dass die vom Wortlaut her miteinander nicht in Einklang stehenden und daher objektiv als unklar aufzufassenden Bestimmungen des Art 3 ABBF und der Klausel V77 nicht - wie von den Vorinstanzen - zu Gunsten des Versicherers durch eine einschränkende Interpretation des Art 3 ABBF zu harmonisieren sind. Die bestehende Unklarheit geht vielmehr - wie bereits ausgeführt - im Sinne des § 915 ABGB zu Lasten des Versicherers. Die genannten Bestimmungen sind daher genau umgekehrt, also dahin auszulegen, dass der im Art 3 ABBF vereinbarte Versicherungsschutz nicht eingeschränkt wird, sondern dass durch die Klausel V77 (wie sie ja ausdrücklich vorgibt) eine „Erweiterung des Deckungsumfanges", nämlich auf Tätigkeiten (Beratung und Vermittlung) außerhalb des örtlichen Geltungsbereiches nach Art 3 ABBF erfolgen soll.

Der von der Revision angestrebten Beurteilung, wonach es im vorliegenden Fall gar nicht darauf ankommt, um welche konkrete Aktien es geht, weil lediglich entscheidend ist, dass der Versicherungsnehmer seine Tätigkeit (Beratung und Vermittlung) unstrittig innerhalb der örtlichen Geltungsbereiches entfaltet hat, muss somit beigepflichtet werden. Die Ansprüche der Kläger, deren Höhe in dritter Instanz keinen Streitpunkt bildet, bestehen daher zu Recht, weshalb der Revision stattzugeben und die angefochtene Entscheidung spruchgemäß abzuändern ist.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten erster Instanz gründet sich auf § 41 ZPO, jene über die Kosten des Berufungs- und des Revisionsverfahrens auf die §§ 41, 50 ZPO.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin des Obersten Gerichtshofes Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Schaumüller, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. Wilhelm R*****, 2. Dr. Wilfried S*****, vertreten durch Neumayer & Walter Rechtsanwälte-Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei W***** Versicherungs AG, *****, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen USD 150.312,50 (EUR 125.260) sA, über den am beim Obersten Gerichtshof eingelangten Berichtigungsantrag der beklagten Partei, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Antrag der beklagten Partei, das Urteil vom , 7 Ob 152/06p-29, im Zinsenzuspruch dahin zu „berichtigen", dass es jeweils zu lauten hat: „samt 4 % Zinsen seit " wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Mit Urteil vom , 7 Ob 152/06p-29, gab der Oberste Gerichtshof der außerordentlichen Revision der Kläger gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 230/05p-24, Folge und änderte die klageabweisenden Urteile der Vorinstanzen dahin ab, dass er die Beklagte (als Haftplichtversicherer) schuldig erkannte, den Klägern (als den Geschädigten) die begehrten Beträge von USD 125.937,50 und USD 24.375 samt 10,25 % Zinsen seit zu bezahlen. Dazu wird im letzten Satz des vorletzten Absatzes der Entscheidungsgründe Folgendes ausgeführt:

Die Ansprüche der Kläger, deren Höhe in 3. Instanz keinen Streitpunkt bildet, bestehen daher zu Recht, weshalb der Revision stattzugeben und die angefochtene Entscheidung spruchgemäß abzuändern ist. Die Beklagte hält in ihrem „Berichtigungsantrag" selbst fest, dass der Zinsenzuspruch dem Klagebegehren entspricht, beruft sich aber nunmehr darauf, sie habe das Zinsenbegehren in der Klagebeantwortung bestritten, weil „zwischen den Streitteilen" kein unternehmerisches Geschäft im Sinne des § 1333 Abs 2 ABGB vorliege und der Basiszinssatz 2,2 % betrage, weshalb auch die Höhe des Zinssatzes nicht nachvollziehbar sei. Die Kläger hätten ihr Zinsenbegehren nicht konkretisiert.

Der „Berichtigungsantrag" ist unzulässig.

Rechtliche Beurteilung

Gemäß Art 92 Abs 1 B-VG ist der Oberste Gerichtshof die oberste Instanz in Zivil- und Strafsachen. Er wird bei Ausübung der Gerichtsbarkeit zufolge § 5 OGHG in Senaten tätig. Hat ein solcher Senat in einer bestimmten Rechtssache entschieden, so ist dessen Entscheidung, die eine solche des Obersten Gerichtshofs als der höchsten Instanz ist, im innerstaatlichen Instanzenzug nicht mehr überprüfbar, sondern sie klärt die Rechtslage im entschiedenen Einzelfall endgültig (RIS-Justiz RS0116215 = 1 Ob 287/01i; EvBl 1999/139).

Die Beklagte strebt mit ihrem „Berichtigungsantrag" in Wahrheit keine Berichtigung des Urteils des Obersten Gerichtshofs vom im Rahmen der Möglichkeiten des § 419 Abs 1 ZPO an, sondern bekämpft diese Entscheidung nach Art eines Rechtsmittels. Da jedoch Entscheidungen des Obersten Gerichtshofs - wie bereits ausgeführt - endgültig und im innerstaatlichen Rechtszug nicht mehr überprüfbar sind, erweist sich der als Rechtsmittel aufzufassende „Berichtigungsantrag" als absolut unzulässig (1 Ob 287/01i). Davon abgesehen verschweigt die Beklagte, dass sie hier als Haftpflichtversicherer einer Anlageberaterin in Anspruch genommen wurde, die den beiden Klägern (als Unternehmer) infolge sorgfaltswidriger Anlageberatung - rechtskräftig (10 Ob 76/04f) - zum Ersatz von EUR 139.996,86 sA bzw EUR 37.158,47 sA verpflichtet ist, wobei eine dagegen erhobene außerordentliche Revision des (hier beklagten) Haftpflichtversicherers, der dem dortigen Verfahren als Nebenintervenient auf Seiten seiner Versicherungsnehmerin beigetreten war, erfolglos blieb und das vorliegende Verfahren bis zur Rechtskraft der Entscheidung im Vorprozess unterbrochen war. Die Höhe ihrer Versicherungsleistung hat die Beklagte in der Revisionsbeantwortung somit zu Recht nicht mehr bezweifelt; bei der Verzögerung einer Zahlung von Geldforderungen zwischen - wie hier - Unternehmern aus unternehmensbezogenen Geschäften (hier: Anlageberatung) liegt nämlich der gesetzliche Zinssatz gemäß § 1333 Abs 2 ABGB (und nunmehr - ohne inhaltliche Änderung - nach § 352 UGB [Schauer in Krejci/Schauer Reform-Komm UGB/ABGB § 352 UGB Rz 1]) acht Prozentpunkte über dem Basiszinssatz und es gibt auch keinen Anhaltspunkt dafür, warum die zitierte Bestimmung (idF des mit in Kraft getretenen ZinsRÄG, BGBl I 2002/118 [Art VI]) Leistungen aus Versicherungsverträgen nicht umfassen sollte (RIS-Justiz RS0120608 [T1]).

Der Berichtigungsantrag ist daher im Sinne der dargestellten Rechtslage zurückzuweisen.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
Schlagworte
Kennung XPUBL - XBEITR
Diese Entscheidung wurde veröffentlicht in
Ertl, ecolex 2007,586 = ecolex 2007/257 S 604 - ecolex 2007,604 =
VersR 2008,379 = Ertl, ecolex 2008,1094 (Rechtsprechungsübersicht)
XPUBLEND
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2007:0070OB00152.06P.0117.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
IAAAD-39507