OGH vom 22.01.2014, 2Ob243/13v
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Baumann als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Veith, Dr. E. Solé, Dr. Schwarzenbacher und Dr. Nowotny als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Berta F*****, vertreten durch Dr. Ingrid Neyer, Rechtsanwältin in Feldkirch, gegen die beklagten Parteien 1. Nadja G*****, und 2. Mag. Markus G*****, beide vertreten durch Dr. Felix Graf, Rechtsanwalt in Feldkirch, wegen 45.626,89 EUR sA, Rente und Feststellung, über die Revision der beklagten Parteien gegen das Teilzwischenurteil des Oberlandesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 85/13d 16, womit das Urteil des Landesgerichts Feldkirch vom , GZ 5 Cg 122/12i 11, abgeändert wurde, zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt der Endentscheidung vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Am um etwa 9:20 Uhr stießen in der Fußgängerzone in Feldkirch im Übergangsbereich zwischen der Kreuzgasse und dem Sparkassenplatz die damals 80 jährige Klägerin und der damals etwa zwei Jahre und zwei Monate alte Valentin G***** zusammen. Die Klägerin war als Fußgängerin und Valentin G***** mit einem Laufrad unterwegs. Infolge dieses Zusammenstoßes stürzte die Klägerin und verletzte sich. Die beiden Beklagten sind die Eltern des Valentin G*****.
Die gesamte Fläche im Unfallbereich hat ein Kopfsteinpflaster. Links und rechts in der Kreuzgasse ist ein Gehsteig, der gegenüber der übrigen Straßenfläche leicht erhöht ist. Dieser endet auf Höhe des Hauses Nr 9, wo sich die Kreuzgasse zum Sparkassenplatz hin öffnet. Der Sparkassenplatz hat eine ebene Fläche und mit Ausnahme der Unebenheiten, die sich aufgrund des Kopfsteinpflasters ergeben, keine Niveauunterschiede. Der Sparkassenplatz ist ein offener Platz ohne Sichtbehinderungen. Die Eisdiele befindet sich im Haus Kreuzgasse Nr 1.
Am Unfalltag herrschte schönes, sonniges Wetter. Die Fußgängerzone in Feldkirch, insbesondere auch der Sparkassenplatz, war einigermaßen bevölkert.
Die Beklagten waren gemeinsam mit ihren beiden Söhnen Valentin und Benedikt, den Eltern der Erstbeklagten sowie der Großmutter der Erstbeklagten im Bereich des Sparkassenplatzes unterwegs. Der jüngere Sohn Benedikt saß in einem Kinderwagen, der von der Erstbeklagten geschoben wurde. Der ältere Sohn Valentin war mit einem Laufrad, also einem Rad ohne Treteinrichtung, unterwegs. Er hatte das Laufrad zum zweiten Geburtstag geschenkt bekommen, beherrschte jedoch zum Unfallzeitpunkt das Laufradfahren schon recht gut.
Die Erstbeklagte blieb mit ihrer Mutter und ihrer Großmutter ca in der Mitte des Sparkassenplatzes stehen, da man von dort aus eine gute Sicht auf den „Katzenturm“ hat. Von dieser Stelle aus erzählte sie ihrer Mutter und Großmutter die Geschichte des Katzenturms. Der Zweitbeklagte trank in der Eisdiele einen Espresso.
Valentin fuhr während dieser Zeit mit seinem Laufrad im Bereich des Sparkassenplatzes herum, wobei er von seinem Großvater begleitet wurde. Es war dies das erste Mal, dass der Großvater seinen ein Laufrad benützenden Enkel in einer bevölkerten Fußgängerzone begleitete. Anfangs ging der Großvater in einem Abstand von ca 3 bis 5 m hinter seinem Enkel her. In weiterer Folge bewegten sich die beiden in Richtung Kreuzgasse, wobei der Großvater hauptsächlich rückwärts gehend, also mit Blickrichtung auf Valentin, vor ihm herging und dieser ihm nachfuhr. Der Abstand zwischen ihm und Valentin variierte zwischen 3 bis 6 m. Der Großvater blieb immer wieder stehen, wenn sich der Abstand vergrößerte. Die Geschwindigkeit von Valentin mit seinem Laufrad betrug jedenfalls mehr als Gehgeschwindigkeit. Valentin fuhr dabei aber nicht immer in einer direkten geraden Linie. Es kam auch immer wieder vor, dass Fußgänger durch einen Schritt auf die Seite dem Kind ausweichen mussten. Umgekehrt lenkte aber auch Valentin immer wieder aus, wenn es quasi „Begegnungsverkehr“ mit Fußgängern gab. Bis zum gegenständlichen Vorfall gab es keinerlei Situationen, die dem begleitenden Großvater gefährlich oder „brenzlig“ erschienen und in ihm das Bewusstsein weckten, er müsse hier besonders aufpassen.
Zur gleichen Zeit näherte sich die Klägerin von der Kreuzgasse kommend, wo sie ursprünglich den aus ihrer Gehrichtung gesehen rechten Gehsteig benützt hatte. Am Ende der Kreuzgasse verließ sie den Gehsteig und wollte den Sparkassenplatz in Richtung Bushaltestelle überqueren. Sie war eher mit langsamer Gehgeschwindigkeit unterwegs.
Die Klägerin ist sehbehindert. Zum Unfallszeitpunkt konnte sie mit dem rechten Auge nur sehr eingeschränkt sehen. Die Klägerin konnte mit dem rechten Auge Personen nur ganz „trüb“ wahrnehmen, was sich jedoch auf das gesamte Wahrnehmungsvermögen nicht auswirkte, da die Klägerin am linken Auge, mit Ausnahme beim Lesen, wozu sie eine Brille benötigte, keinerlei Sehprobleme hatte.
Durch die Richtung, die die Klägerin eingeschlagen hatte, kam es dazu, dass die Gehrichtung der Klägerin und die Fahrlinie von Valentin einander kreuzten. Die Klägerin und Valentin bewegten sich in einem spitzen Winkel aufeinander zu. Weder das Kind noch die Klägerin machten eine Ausweichbewegung. Das weitere Kollisionsgeschehen, nämlich die von beiden in den letzten Metern vor der Kollision zurückgelegten Wegstrecken und das genaue Anstoßgeschehen sowie insbesondere der Umstand, ob die Klägerin auf den letzten Schritten ihres Weges vor der Kollision das Kind überhaupt bemerken konnte, sind nicht feststellbar. In der Unfallendlage befand sich das Kind im Bereich der Füße der Klägerin.
Der Großvater nahm wahr, dass sich die Klägerin direkt auf Valentin zubewegte und dachte noch bei sich, dass die Fußgängerin jetzt entweder ausweichen oder stehen bleiben müsste. Zu diesem Zeitpunkt befand er sich in einer Entfernung von ca 3 oder 4 m vom Geschehen. Der Großvater machte in dieser Situation weder die Klägerin noch Valentin durch Zuruf auf einen möglichen, drohenden Zusammenstoß aufmerksam. Er nahm die konkrete Situation bis zur tatsächlichen Kollision nie als gefährlich wahr, weil er immer davon ausging, dass die Klägerin wohl noch ausweichen oder stehen bleiben werde. Für ihn war die nachfolgende Kollision unerklärlich.
Die Erstbeklagte, ihre Mutter und ihre Großmutter standen im Kollisionszeitpunkt ca 5 m entfernt. Sie hatten ihre Blicke auf den Katzenturm gerichtet und wurden erst durch das Weinen von Valentin auf die bereits erfolgte Kollision aufmerksam.
Auch der Zweitbeklagte wurde erst durch das Weinen seines Sohnes auf die bereits geschehene Kollision aufmerksam. Er hatte sich zu diesem Zeitpunkt gerade zur Personengruppe um seine Frau dazu gestellt.
Die Klägerin begehrt die Zahlung von 46.072,97 EUR sA, den Zuspruch einer monatlichen Rente in Höhe von 667,70 EUR ab sowie die Feststellung der Haftung der Beklagten für sämtliche zukünftigen Folgen und Schäden aus dem Unfall. Sie brachte vor, die Beklagten hätten sich zum Unfallszeitpunkt nicht bei ihrem Kind befunden und dadurch ihre Aufsichtspflicht verletzt. Die Klägerin sei nicht über das Kleinkind gestolpert. Der Unfall sei vom Kind verursacht worden. Auch andere Personen hätten dem Kind ausweichen müssen, das mit dem Laufrad eher schnell und in Schlangenlinien unterwegs gewesen sei. Die Beklagten als Aufsichtspersonen hätten damit rechnen müssen, dass sich in der Fußgängerzone zahlreiche Fußgänger auch auf der Straße befinden. Eine Aufsichtsperson hätte sich direkt neben dem Kind aufhalten müssen, weil ein zweijähriges Kind bekanntlich nicht in der Lage sei, das Laufrad so zu beherrschen, dass es allfälligen Hindernissen ausweichen könne. Die Beklagten hätten daher damit rechnen müssen, dass ihr Kind ohne Begleitung seiner Eltern in Fußgänger hineinfahre. Die Klägerin habe durch den Unfall unter anderem einen Speichenbruch der rechten Hand und Rissquetschwunden im rechten Kniegelenk erlitten. Die Verletzungen hätten zu einer nachhaltigen Bewegungseinschränkung geführt. Seit dem Unfall müsse die Klägerin durch den Mobilen Hilfsdienst betreut werden.
Die Beklagten wandten ein, sie hätten ihre Aufsichtspflicht nicht verletzt. Es habe sich jeweils eine erwachsene Person um Valentin gekümmert. Dieser habe sich zum Unfallszeitpunkt ausgesprochen langsam mit dem Laufrad zu seinem auf ihn wartenden Großvater zubewegt, als die Klägerin völlig überraschend und ohne den Minderjährigen zu beachten auf diesen zugegangen, über ihn gestolpert sei und ihn mit zu Boden gerissen habe. Die Klägerin sei stark sehbehindert und habe deshalb das Kind offensichtlich nicht wahrgenommen. Die Sehbehinderung der Klägerin sei für Außenstehende nicht erkennbar gewesen, habe sie doch weder eine gelbe Armbinde noch einen weißen Stock oder sonstige Erkennungsmerkmale getragen. Das Kind habe keine Gefahr dargestellt. Die Beklagten und auch die Großeltern hätten nicht damit rechnen müssen und können, dass das Kind von einem Fußgänger übersehen werde und es dadurch zu einem Unfall kommen würde.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren, ausgehend von teilweise anderen als den oben wiedergegebenen Feststellungen, ab.
Das Berufungsgericht änderte nach Beweiswiederholung einzelne vom Erstgericht getroffene, von der Klägerin bekämpfte Feststellungen ab, sodass von dem oben wiedergegebenen Sachverhalt auszugehen ist. Es gab der Berufung der Klägerin Folge, fällte ein den Grund des Zahlungs- und des Rentenbegehrens bejahendes Teilzwischenurteil, hob das erstgerichtliche Urteil zum Feststellungsbegehren auf und verwies insoweit die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Erstgericht zurück.
Es führte in rechtlicher Hinsicht Folgendes aus:
Die beklagten Eltern hätten die Aufsichtspflicht über das Kind und seien unter den Voraussetzungen des § 1309 ABGB für die Unfallfolgen haftbar. Das Vorbringen der Beklagten in der Berufungsbeantwortung, das Kind sei damals beim Unfall von seinem Großvater begleitet und diesem faktisch anvertraut worden, weshalb eine Verletzung der Aufsichtspflicht der Beklagten nur dann in Betracht käme, wenn ihnen ein Auswahl- oder Überwachungsverschulden zur Last falle, verstoße gegen das Neuerungsverbot. Eine haftungsbegründende Verletzung der Aufsichtspflicht durch die Beklagten sei schon deshalb zu bejahen, weil diese zugelassen hätten, dass sich das Kind spielend in einer bevölkerten Fußgängerzone mit dem Laufrad bewegt habe, sodass mehrere Personen zum Ausweichen genötigt worden und es letztlich zur Kollision mit der Klägerin gekommen sei. Ob das Spielen oder Befahren einer Fußgängerzone mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug erlaubt sei, gehe aus der Fußgängerzonen regelnden Bestimmung des § 76a StVO nicht hervor. Das Verhalten des Kindes, nämlich das Bewegen mit dem Laufrad innerhalb der bevölkerten Fußgängerzone, sei als „Spielen auf einer Straße“ iSd § 88 StVO, der als Schutzgesetz anzusehen sei, zu beurteilen. Nach Abs 2 erster Satz dieser Bestimmung seien Spiele auf Gehsteigen oder Gehwegen und deren Befahren mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln verboten, wenn hiedurch der Verkehr auf der Fahrbahn oder Fußgänger gefährdet oder behindert werden. Eine solche Gefährdung oder Behinderung der Fußgänger sei durch das Verhalten des Kindes zu bejahen. Nach herrschender Auffassung in der Lehre sei das Spielen auf der Fahrbahn der Fußgängerzone wie hier grundsätzlich verboten. Diesen Meinungen folgend, sei die Benützung der Fußgängerzone am Unfallort zur Unfallzeit mit einem Laufrad jedenfalls verboten gewesen. Die Klägerin habe somit eine objektive Schutznormverletzung durch die Beklagten bewiesen, die darin bestehe, dass diese die Benützung der Fußgängerzone als Spiel- und Übungsplatz für das Laufrad ihres zweijährigen Sohnes nicht unterbunden hätten. Nicht entscheidend sei daher, in welchem Abstand sich der Großvater des Kindes zum Kollisionszeitpunkt befunden habe, ob es bereits zuvor gefährliche Situationen gegeben habe und ob dieser nicht von sich aus zu einer erhöhten Sorgfalt verpflichtet gewesen wäre. Infolge dieser Schutzgesetzverletzung wäre es daher an den Beklagten gelegen gewesen nachzuweisen, dass sie am Unfall kein Verschulden treffe und der Unfall auch bei rechtmäßigem Alternativverhalten eingetreten wäre. Den Nachweis, dass ihnen die objektive Übertretung des Schutzgesetzes nicht als schutzgesetzbezogenes Verhaltensunrecht anzulasten ist, hätten die Aufsichtspflichtigen des minderjährigen Schädigers zu erbringen. Diesen Beweis hätten die Beklagten jedoch nicht erbracht. Aus den (Negativ-)Feststellungen zum Unfallhergang lasse sich ein Mitverschulden der Klägerin am Unfall, wofür die Beklagten beweispflichtig seien, nicht ableiten.
Das Berufungsgericht ließ die Revision gegen den abändernden Teil seiner Entscheidung zu, weil eine höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Zulässigkeit der Benützung eines Laufrades in einer Fußgängerzone und zur Beurteilung dieser Benützung als Spielen nicht vorliege.
Gegen das Urteil des Berufungsgerichts richtet sich die Revision der Beklagten mit dem Antrag, im angefochtenen Umfang das erstgerichtliche Urteil wiederherzustellen; hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt in der Revisionsbeantwortung, die Revision mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus den vom Berufungsgericht genannten Gründen zulässig; sie ist aber nicht berechtigt.
Die Revisionswerber meinen, entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts sei hier nicht der X. Abschnitt der StVO („Benützung von Straßen zu verkehrsfremden Zwecken“; §§ 82 bis 88 StVO), insbesondere nicht dessen § 88 Abs 1 StVO anzuwenden. Da in einer Fußgängerzone gemäß § 76a Abs 1 StVO jeglicher Fahrzeugverkehr verboten sei, liege keine Fahrbahn vor. Die Benützung des Laufrades sei kein „Spielen“ (iSd StVO). Die Verwendung von Laufrädern sei in Fußgängerzonen erlaubt, eine Schutznormverletzung liege nicht vor.
Der erkennende Senat hat erwogen:
1.1. Wie schon das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, lässt sich der Fußgängerzonen regelnden Norm des § 76a StVO unmittelbar nichts über die Erlaubtheit des Spielens oder des Befahrens mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug in Fußgängerzonen entnehmen. Der erkennende Senat ist daher ebenso wie das Berufungsgericht der Ansicht, dass eine Antwort auf diese Frage primär aus § 88 StVO, der das „Spielen auf Straßen“ regelt, abzuleiten ist (so auch Grundtner , Rechtliche Probleme um die Fußgängerzone, ZVR 1987, 257 [262]).
1.2. Nach Abs 1 erster Satz dieser Bestimmung sind auf der Fahrbahn Spiele jeder Art verboten; dies gilt nicht für Wohnstraßen.
1.3. Nach Abs 2 erster Satz dieser Bestimmung sind Spiele auf Gehsteigen oder Gehwegen und deren Befahren mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln verboten, wenn hiedurch der Verkehr auf der Fahrbahn oder Fußgänger gefährdet oder behindert werden.
2. In der oberstgerichtlichen Rechtsprechung wurde bisher die Frage nicht beantwortet, ob in Fußgängerzonen § 88 Abs 1 oder Abs 2 StVO anzuwenden ist.
2.1. In der Lehre werden dazu folgende Meinungen vertreten:
2.1.1. Grundtner aaO führt aus, in Fußgängerzonen mit Fahrbahnen sei das Spielen am Gehsteig unter den Voraussetzungen des § 88 Abs 2 erster Satz StVO erlaubt, auf der Fahrbahn gemäß § 88 Abs 1 erster Satz erster Halbsatz StVO verboten. In Fußgängerzonen ohne Fahrbahn und Gehsteig sei das Spielen generell verboten, da weder im § 88 StVO noch im § 76a StVO hiefür eine Ausnahme vorgesehen sei. In Fußnote 41 wird dazu ergänzt, gegen eine Gleichstellung der Fußgängerzone mit Gehsteigen spreche auch, dass für Fußgängerzonen analoge Bestimmungen wie § 76b Abs 2 und § 88 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz StVO (ausdrückliche Spielerlaubnis für Wohnstraßen) fehlten.
2.1.2. Derselbe Autor , StVO, § 76a, Zu Abs 1 (2003), meint unter Verweis auf § 88 Abs 2 StVO, das Befahren mit Geräten (zB Skateboards) von Fußgängerzonen sei nur erlaubt, wenn sich dort Gehsteige befänden.
2.1.3. Pürstl , StVO-ON 13.01 § 88 Anm 7 (Stand , rdb.at), vertritt die Ansicht, Spiele auf Gehsteigen, auf denen nur schwacher Fußgängerverkehr herrsche, seien in der Regel nicht verboten (zB „Tempelhupfen“), weil in diesem Fall eine Gefährdung oder Behinderung des Verkehrs nicht zu erwarten sei. Wohl aber seien Ballspiele und das Skateboardfahren (mangels Lenk- und Bremsvorrichtungen sowie der hohen Geschwindigkeit) im Hinblick auf die damit verbundene Gefährdung der Behinderung des Fußgängerverkehrs als auch des Verkehrs auf der Fahrbahn verboten. Dies gelte auch für Gehsteige in Fußgängerzonen. Dagegen sei das Spielen auf der Fahrbahn der Fußgängerzone grundsätzlich verboten; Ausnahmen davon können durch Verordnung gemäß § 88 StVO verfügt werden. Weise die Fußgängerzone weder Fahrbahn noch Gehsteig auf, sei zufolge des gemäß § 76a StVO nicht aber auf Gehsteigen beschränkt zulässigen Fahrzeugverkehrs eine analoge Anwendung des § 88 Abs 1 StVO vertretbar.
2.1.4. Dittrich/Stolzlechner , StVO 3 (1999), § 88, Rz 15, meinen dagegen, Fußgängerzonen seien im Hinblick auf die sie benützenden Verkehrsteilnehmer Gehsteigen gleichzustellen; daher sei das Spielen dort unter den Voraussetzungen des Abs 2 erlaubt.
2.2. Das Berufungsgericht hat sich der Auffassung Grundtners und Pürstls angeschlossen, wonach das Spielen in einer Fußgängerzone ohne Gehsteig generell verboten ist.
2.3. Der erkennende Senat teilt aus folgenden Erwägungen hingegen die Meinung von Dittrich/Stolzlechner , wonach in Fußgängerzonen unabhängig davon, ob sie über durch Randsteine, Bodenmarkierungen oder dergleichen von der Fahrbahn abgegrenzte Gehsteige (vgl § 2 Abs 1 Z 10 StVO) verfügen oder wie hier nur aus einer einheitlichen Fläche ohne Abgrenzungen bestehen, § 88 Abs 2 StVO anzuwenden ist und demnach die Betätigungen von Kindern im Sinn dieser Gesetzesstelle in Fußgängerzonen nicht generell verboten sind:
2.3.1.1. § 88 Abs 1 erster Satz erster Halbsatz StVO verbietet (ohne Ausnahme) Spiele auf der Fahrbahn . Die Fahrbahn ist gemäß § 2 Abs 1 Z 2 StVO der für den Fahrzeugverkehr (zum Begriff des Fahrzeugs vgl § 2 Abs 1 Z 19 StVO) bestimmte Teil der Straße.
2.3.1.2. Eine Fußgängerzone ist aber gemäß § 76a Abs 1 erster Satz StVO „dauernd oder zeitweilig dem Fußgängerverkehr vorbehalten“. Selbst dann, wenn eine Fußgängerzone über eine „Fahrbahn“ und einen davon durch Randsteine, Bodenmarkierungen oder dergleichen abgegrenzten Gehsteig (§ 2 Abs 1 Z 10 StVO) verfügt, entspricht diese „Fahrbahn“ nicht der Begriffsbestimmung gemäß § 2 Abs 1 Z 2 StVO, weil sie eben als Teil der Fußgängerzone dauernd oder zeitweilig dem Fußgängerverkehr vorbehalten und somit gar nicht oder nur zeitweilig dem Fahrzeugverkehr gewidmet ist. Dem entsprechend stellt § 76a Abs 7 StVO klar, dass entgegen § 76 iVm § 2 Abs 1 Z 2 StVO Fußgänger in Fußgängerzonen auch die „Fahrbahn“ benützen dürfen.
2.3.1.3. Aus diesen Bestimmungen wird deutlich, dass die „Fahrbahn“ iSd § 76a Abs 7 StVO kraft ihrer anderen Widmung nicht völlig identisch mit der Fahrbahn iSd § 2 Abs 1 Z 2 StVO ist. Mit der „Fahrbahn“ iSd § 76a Abs 7 StVO ist daher bei vorhandenen Gehsteigen (§ 2 Abs 1 Z 10 StVO) jener Teil einer Fußgängerzone gemeint, der nicht Gehsteig ist.
2.3.1.4. Häufig haben aber Fußgängerzonen wie auch im vorliegenden Fall keine abgegrenzten Gehsteige, sondern bestehen aus einer einheitlichen Fläche. Diesfalls ist fraglich, ob diese einheitliche Fläche (eher) als Gehsteig oder als Fahrbahn anzusehen ist. Sollte man die gesamte Fläche überhaupt als Fahrbahn ansehen, handelte es sich aufgrund der vorstehenden Erwägungen jedenfalls nicht um eine „Fahrbahn“ iSd § 2 Abs 1 Z 2 StVO.
2.3.1.5. Dies spricht aber dagegen, § 88 Abs 1 erster Satz erster Halbsatz StVO, der sich auf Fahrbahnen (iSd § 2 Abs 1 Z 2 StVO) bezieht, auf Fußgängerzonen anzuwenden.
2.3.2. Gehsteige sind nach der entsprechenden Legaldefinition für den Fußgängerverkehr „bestimmt“ (§ 2 Abs 1 Z 10 StVO). Ähnlich dazu sind Fußgängerzonen gemäß § 76a Abs 1 StVO dem Fußgängerverkehr „vorbehalten“. Die ausdrückliche Widmung eines innerstädtischen Bereichs als Fußgängerzone bedeutet, dass dieser Bereich nach Möglichkeit von jedem Fahrzeugverkehr freigehalten werden und primär der Benützung durch Fußgänger dienen soll ( 2 Ob 220/77 = ZVR 1978/284 = RIS-Justiz RS0075449) .
2.3.3. Angesichts dieser vom Gesetz vorgesehenen gleichen Widmung von Gehsteig und Fußgängerzone liegt es nahe, hinsichtlich der Benützungsberechtigung Gehsteige und Fußgängerzonen grundsätzlich gleich zu behandeln.
2.3.4.1. Entgegen der oben referierten Auffassung Grundtners , ZVR 1987, 257 (262, FN 41), kann aus der in § 76b Abs 2 und § 88 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz StVO explizit angeordneten Erlaubnis des Spielens in Wohnstraßen noch nicht abgeleitet werden, überall sonst, wo diese Erlaubnis nicht ausdrücklich ausgesprochen wurde, sei jedenfalls ein Umkehrschluss derart geboten, dass Spielen generell verboten sei.
2.3.4.2. In Wohnstraßen ist das Spielen ohne die Einschränkungen des § 88 Abs 2 StVO gestattet (§ 76b Abs 2 StVO). Die Widmung einer Wohnstraße zum Spielen wird auch in den Hinweiszeichen nach § 53 Abs 1 Z 9c („Wohnstraße“) und Z 9d („Ende einer Wohnstraße“) StVO deutlich, die ua stilisiert einen Erwachsenen und ein Kind beim Ballspielen zeigen.
2.3.4.3. Ein aus § 76b Abs 2 und § 88 Abs 1 erster Satz zweiter Halbsatz StVO zu ziehender Umkehrschluss für Fußgängerzonen ist auch dahingehend möglich, dass dort Spielen nicht wie in Wohnstraßen generell, aber doch unter den Voraussetzungen des § 88 Abs 2 StVO erlaubt ist.
3.1. Höchstgerichtliche Rechtsprechung zur rechtlichen Qualifikation eines Laufrades (für Kleinkinder) existiert nicht. Der Oberste Gerichtshof hat sich bisher mit der rechtlichen Einordnung eines Tretrollers (RIS-Justiz RS0073512; ZVR 1982/2) und eines Micro-Scooters (2 Ob 18/08y = RIS-Justiz RS0124213 = RS0124209 [T1] = RS0124210 [T1]) befasst.
3.2. In der Entscheidung 2 Ob 246/97i hat der Oberste Gerichtshof ausgesprochen, dass durch den Begriff „Spiele“ (im Sinn der StVO) jede Form spielerischer Betätigung erfasst wird, gleichgültig, ob es sich um einfache Spiele (Fangenspielen etc), Ballspiele oder sonstige Mannschaftspiele oder auch um das Befahren der Fahrbahn mit nicht als Fahrzeuge zu bewertenden Tretrollern, Dreirädern, Kinderfahrrädern, Rollschuhen und dergleichen handelt.
3.3. Für die Anwendbarkeit des § 88 Abs 2 erster Satz StVO auf den vorliegenden Fall kann die Frage, ob das am Unfall beteiligte Laufrad als „fahrzeugähnliches Kinderspielzeug“ (vgl dazu § 2 Abs 1 Z 19 StVO; RIS-Justiz RS0111362) anzusehen ist, dahingestellt bleiben, weil es sich (bei Verneinung dieser Frage) bei einem Laufrad (für Kleinkinder) jedenfalls um ein „einem fahrzeugähnlichen Kinderspielzeug ähnliches Bewegungsmittel“ iSd § 88 Abs 2 erster Satz StVO handelt (vgl in diesem Sinn schon 2 Ob 18/08y für Micro-Scooter).
4.1. Als Ergebnis der obigen Erwägungen ist daher festzuhalten: Auf Fußgängerzonen ist unabhängig davon, ob sie über als solche abgegrenzte Gehsteige (§ 2 Abs 1 Z 10 StVO) verfügen, § 88 Abs 2 StVO anzuwenden. Daher sind dort Spiele und das Befahren mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln (wie etwa Laufrädern für Kleinkinder) zwar nicht wie das Berufungsgericht meint generell, aber dann verboten, wenn hiedurch der Verkehr auf der Fahrbahn oder Fußgänger gefährdet oder behindert werden. Dabei ist unter dem „Verkehr auf der Fahrbahn“ in einer Fußgängerzone deren erlaubte Benützung durch Fahrzeuge (§ 2 Abs 1 Z 19 StVO) iSd § 76a Abs 5 bis 7 StVO zu verstehen.
4.2. Detaillierte Regeln, wann und unter welchen Voraussetzungen die Benützung einer Fußgängerzone durch Kinder iSd § 88 Abs 2 erster Satz StVO erlaubt ist, können nicht aufgestellt werden; maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls. Generell kann aber gesagt werden:
Wenn Fußgängerzonen von Fußgängern dicht frequentiert werden, wird eine Vermeidung von deren Gefährdung oder Behinderung oft nur durch die Unterlassung von Spielen oder dem Befahren mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln zu gewährleisten sein. Je weniger Fußgängerverkehr herrscht, umso eher wird eine derartige Benützung von Fußgängerzonen durch Kinder ohne Behinderung oder Gefährdung von Fußgängern möglich und somit erlaubt sein.
5.1. Auch die Beurteilung, ob durch das Befahren von Gehsteigen und Gehwegen mit einem Micro-Scooter eine konkrete Gefährdung oder Behinderung der in § 88 Abs 2 StVO genannten Verkehrsteilnehmer vorliegt, erfolgt nach der Rechtsprechung nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls. Sie hängt von der Neigung oder Breite des Gehsteigs oder Gehwegs sowie von der Fahrzeug- beziehungsweise der Benutzerfrequenz ab (2 Ob 18/08y = RIS-Justiz RS0124214).
5.2. Für die Benützung eines Laufrades in einer Fußgängerzone gelten ähnliche Kriterien: Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Fußgängerzone „einigermaßen bevölkert“ war und schon vor dem Unfall Fußgänger dem zweijährigen Kind ausweichen mussten, also iSd § 88 Abs 2 erster Satz StVO behindert wurden. Das Gefährdungspotential zeigt gerade der vorliegende Fall.
Die festgestellte Benützung der bevölkerten Fußgängerzone durch das Kind mit dem Laufrad war daher rechtswidrig. Die aufsichtspflichtigen Eltern des Kindes hätten diese Benützung von vornherein unterbinden müssen. Die Haftung der Beklagten gemäß § 1309 ABGB hat das Berufungsgericht in seinem Teilzwischenurteil daher im Ergebnis zutreffend bejaht.
5.3. Gemäß § 88 Abs 2 zweiter Satz StVO müssen Kinder unter zwölf Jahren beim Befahren von Gehsteigen oder Gehwegen mit fahrzeugähnlichem Kinderspielzeug und ähnlichen Bewegungsmitteln überdies von einer Person, die das 16. Lebensjahr vollendet hat, beaufsichtigt werden, wenn sie nicht Inhaber eines Radfahrausweises gemäß § 65 StVO sind.
Da die Haftung der Beklagten bereits aus den unter 5.2. genannten Gründen zu bejahen ist, kommt es auf die Beaufsichtigung des Kindes durch den Großvater als Aufsichtsperson iSd § 88 Abs 2 zweiter Satz StVO nicht mehr an.
6. Ein Mitverschulden der 80 jährigen Klägerin wird in der Revision nicht releviert und ließe sich aus den Sachverhaltsfeststellungen auch nicht ableiten.
7. Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 393 Abs 4 iVm § 52 Abs 4 ZPO (RIS-Justiz RS0035896).
European Case Law Identifier
ECLI:AT:OGH0002:2014:0020OB00243.13V.0122.000