OGH vom 23.09.2020, 7Ob151/20m
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende sowie die Hofrätinnen und Hofräte Hon.Prof. Dr. Höllwerth, Dr. Solé, Mag. Malesich und MMag. Matzka als weitere Richter in der Heimaufenthaltssache des Bewohners K***** D*****, geboren am ***** 1944, *****, vertreten durch den Verein VertretungsNetz – Erwachsenenvertretung, Patientenanwaltschaft, Bewohnervertretung, 1050 Wien, Ziegelofengasse 33/1/3 (Bewohnervertreter M***** H***** und M***** W*****, BSc), vertreten durch RSF Rechtsanwälte Schachermayer Füssel, Rechtsanwälte in Wien, Vorsorgebevollmächtigte S***** D*****, Einrichtungsleiter M***** H*****, wegen Überprüfung einer Freiheitsbeschränkung gemäß § 11 HeimAufG, über den Revisionsrekurs des Vereins, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 44 R 184/20i-19, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Donaustadt vom , GZ 18 Ha 2/20d-12, teilweise bestätigt und teilweise abgeändert wurde, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Text
Begründung:
Der Bewohner leidet an einer schweren Demenz vom Mischtyp MMSE 22/30. Er hat kognitive Defizite, ist Tag und Nacht desorientiert und bedarf permanenter Betreuung und Begleitung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens. Aufgrund seiner Demenz ist der Bewohner nicht in der Lage, dem Gang einer Verhandlung zu folgen.
Der Bewohner wurde nach einem stationären Aufenthalt im S***** mit einem am vorgenommenen, negativen COVID-19-Test am in der Einrichtung aufgenommen. Am wurde der Bewohner aufgrund von Fieber wegen COVID-19-Verdachts vorübergehend neuerlich ins S***** transportiert. Der dort durchgeführte COVID-19-Test verlief wieder negativ, sodass er noch am selben Tag in die Einrichtung zurückgebracht wurde. Während des Transports erhielt der Bewohner keinen Mund-Nasen-Schutz angelegt.
In der Einrichtung wurden in der Zeit vom 30. 3. bis beim Bewohner über ärztliche Anordnung folgende zwei Maßnahmen durchgeführt:
Es erfolgte eine Einzelbetreuung und Isolierung in seinem Zimmer, um der Nichteinhaltung der Quarantäne und der Mindestabstände zu begegnen. Sobald der Bewohner die Quarantäne nicht einhielt und sein Zimmer verlassen wollte, wurden vom Pflegepersonal klärende Gespräche geführt und der Bewohner in sein Zimmer geführt. Diese Maßnahme wurde nach einem aufgrund eines Fieberschubes durchgeführten negativen COVID19Tests am und einem weiteren negativen Test am an diesem Tag beendet.
Zusätzlich wurde im genannten Zeitraum eine Sensormatte vor dem Bett des Bewohners angebracht, weil er einen hohen Bewegungsdrang zeigte und sturzgefährdet war. Die Matte diente einerseits dazu, der Sturzgefährdung entgegenzuwirken und andererseits zur Information des Pflegepersonals, dass der Bewohner den Quarantänebereich verlassen möchte und dabei aus dem Bett gestiegen oder gestürzt war und allenfalls versucht, sein Zimmer zu verlassen.
Der hohe Bewegungsdrang des Bewohners zeigte sich durch häufiges Verlassen des Zimmers und den Eintritt in den unmittelbaren Nahebereich anderer Personen. Die Mindestabstandsregeln konnte der Bewohner nicht einhalten. Das Tragen einer Mund-Nasen-Schutz-Maske tolerierte er nur wenige Sekunden, anschließend entfernte er die Maske. Aufgrund seiner kognitiven Einschränkungen konnte er die Maßnahmen der Quarantäne ebenso wenig erfassen wie die Notwendigkeit der Einhaltung eines Mindestabstands zu anderen Personen und die Notwendigkeit, einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen.
Die angeordneten Maßnahmen dienten der Vermeidung einer Ansteckung der übrigen Bewohner der Einrichtung mit COVID-19. Sämtliche Bewohner der Einrichtung sind hochbetagt und zählen mit einem Durchschnittsalter von 84 Jahren sowie zahlreichen Vorerkrankungen zu einer vulnerablen Gruppe mit erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Darüber hinaus besteht bei Auftreten einer COVID-19-Erkrankung in der Einrichtung aufgrund der gemeinsamen räumlichen Unterbringung, der Teilnahme an gemeinsamen Aktivitäten und teilweise nahem physischen Kontakt bei pflegerischen Tätigkeiten ein erhöhtes Risiko für eine Infektion. Diese Situation erfordert den Einsatz breitgefächerter Strategien für die Prävention des Auftretens und der Weiterverbreitung einer COVID-19-Erkrankung innerhalb der Einrichtung sowie nach Außen.
Das Intervall zwischen Infektion und ersten Symptomen konnte bei COVID-19 nach dem seinerzeitigen Kenntnisstand bis zu 14 Tage betragen. Es war daher zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung eine 14-tägige Isolation nationaler und internationaler Standard.
Der Nachweis von COVID-19 ist zwar zuverlässig, doch es kann zu falschen negativen Testergebnissen kommen. Entscheidend ist dabei die Untersuchung zum optimalen Zeitpunkt. Selbst bei Patienten mit gesicherter COVID-19-Infektion ist nur bei 32–63 % aller Proben aus dem Nasen-Rachenraum, wie diese auch beim Bewohner vorgenommen wurden, tatsächlich das Virus nachweisbar.
Die Art der Isolation des Bewohners war aus internistisch-infektiologischer Sicht verhältnismäßig, geeignet und angemessen. Die Anwendung gelinderer Mittel (Tragen einer Maske) wurde versucht, konnte jedoch wegen der Demenz des Bewohners nicht umgesetzt werden. Aus diesem Grund konnte der Bewohner auch das Verbleiben in seinem Zimmer nicht selbst einhalten.
Die Meldung der Freiheitsbeschränkungen an den Verein erfolgte am .
Der Verein begehrte mit einem später modifizierten Antrag vom , die am Bewohner ab vorgenommenen Freiheitsbeschränkungen und zwar die Einzelisolierung im Zimmer für formell und materiell und die Verwendung einer Sensormatte (nur) für formell unzulässig zu erklären.
Der Einrichtungsleiter beantragte die Abweisung dieser Anträge und führte insbesondere aus, dass in besonders schutzbedürftigen Einrichtungen bei Neuaufnahmen oder Krankenhaustransferierungen Maßnahmen wie Quarantäne die einzig wirksame Möglichkeit seien, um einer Virusverbreitung zu begegnen.
Das Erstgericht sprach – nach einer im Gerichtsgebäude, nicht in der Einrichtung und ohne Beisein des Bewohners durchgeführten Verhandlung – aus, (Pkt 1.) dass die am Bewohner von bis vorgenommenen Freiheitsbeschränkungen a) durch Einzelisolierung im Zimmer sowie b) durch Anbringen einer Sensormatte formell unzulässig, und (Pkt 2.) dass die zuvor genannten Maßnahmen von bis materiell zulässig waren. Rechtlich war das Erstgericht zusammengefasst der Ansicht, dass die am Bewohner vorgenommenen Freiheitsbeschränkungen aufgrund unterbliebener Meldung bis formell unzulässig, als unbedingt notwendige Maßnahmen zur Infektionsprävention aber für den gesamten Zeitraum materiell zulässig gewesen seien.
Das Rekursgericht gab dem Rekurs des Vereins teilweise Folge und sprach – insgesamt und zusammengefasst – aus, dass die am Bewohner vorgenommenen Maßnahmen, nämlich 1. das Anbringen der Sensormatte vor dem Bett von bis unzulässig und 2. die Einzelisolierung im Zimmer a) von bis unzulässig und b) von bis zulässig war. Es vertrat – soweit für das Revisionsrekursverfahren noch wesentlich, nämlich zur Einzelisolierung des Bewohners ab – die Rechtsansicht, dass diese unter den gegebenen Umständen zulässig gewesen sei. Es seien zwar zwei negative COVID-19-Testergebnisse vorgelegen, doch sei der Bewohner infolge seiner Demenzerkrankung und seines Bewegungsdrangs nicht in der Lage gewesen, durch das Tragen eines MundNasen-Schutzes und die Einhaltung des erforderlichen Mindestabstands sich selbst und andere in der Einrichtung aufhältige Personen vor einer potenziellen Infektion zu schützen. Dies habe eine ernsthafte und erhebliche Selbst- sowie Fremdgefährdung begründet und die Freiheitsbeschränkung als verhältnismäßig erwiesen. Die behaupteten Verfahrensmängel (Nichteinholung von Gutachten aus dem Gebiet der Psychiatrie und des Pflegewesens) seien rechtlich nicht relevant, weil sie das vom Bewohner ausgegangene Gefährdungspotential für andere Bewohner ausklammerten. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs habe nicht vorgelegen, weil die Parteien sich schriftlich hätten äußern können oder geäußert hätten und ihren Standpunkt im Rekurs hätten darlegen können.
Das Rekursgericht sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Die Wechselwirkungen zwischen freiheitsbeschränkenden Maßnahmen in dem HeimAufG unterliegenden Einrichtungen und Maßnahmen nach den COVID-19-Gesetzen bildeten eine über den Anlassfall hinausgehende rechtliche Gemengelage, deren Klärung die in § 62 Abs 1 AußStrG genannte Bedeutung zukomme.
Diese Entscheidung bekämpft der Verein mit seinem Revisionsrekurs insoweit, als das Rekursgericht die Einzelisolierung des Bewohners im Zimmer von bis für zulässig erachtete. Er stellt einen Aufhebungs- und hilfsweise einen Abänderungsantrag dahin, die Maßnahme auch im zuvor genannten Zeitraum für unzulässig zu erklären.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig, weil noch keine höchstgerichtliche Rechtsprechung zu einer Freiheitsbeschränkung nach dem HeimAufG aufgrund der Gefahr einer COVID-19-Infektion vorliegt; er ist aber nicht berechtigt.
1.1. Der Verein macht als „Nichtigkeit“ geltend, dass sich das Erstgericht entgegen § 12 Abs 1 HeimAufG keinen persönlichen Eindruck vom Bewohner verschafft, dessen Anhörung nicht (ausdrücklich) mit der mündlichen Verhandlung verbunden, diese nicht in der Einrichtung durchgeführt und den Bewohner zu dieser nicht beigezogen habe. Soweit daraus die Verletzung des rechtlichen Gehörs abgeleitet wird, ist dem Folgendes zu entgegnen:
1.1.1. Im Außerstreitverfahren kann eine vom Rekursgericht verneinte „Nichtigkeit“ des Verfahrens erster Instanz wegen der ausdrücklichen Anordnung in § 66 Abs 1 AußStrG und des Fehlens einer § 519 ZPO vergleichbaren Bestimmung in dritter Instanz neuerlich geltend gemacht werden. Auf die im Revisionsrekurs mit den zuvor wiedergegebenen Ausführungen als „Nichtigkeit“ geltend gemachte Verletzung des rechtlichen Gehörs des Bewohners ist daher einzugehen (7 Ob 101/13y mwN).
1.1.2. Von einer Ladung des Bewohners darf grundsätzlich nicht abgesehen werden. Wird dem Bewohner die Teilnahme an der mündlichen Verhandlung verwehrt, so kann dies nach 7 Ob 101/13y dann zu einer „Nichtigkeit“ des Verfahrens nach § 58 Abs 1 Z 1 (iVm § 66 Abs 1 Z 1) AußStrG führen, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass dadurch relevante Verfahrensergebnisse erzielt worden wären. Der Anfechtungsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs wirkt also im Außerstreitverfahren nicht – wie die Nichtigkeitsgründe der ZPO – absolut. Er kann vielmehr nur dann zur Aufhebung führen, wenn er zum Nachteil des Rechtsmittelwerbers ausschlagen konnte (RS0120213 [T22]).
1.1.3. Die Entscheidungsrelevanz einer allfälligen Gehörverletzung ist hier aber deshalb ausgeschlossen, weil im vorliegenden Kontext allein das fragliche Infektionsrisiko und die dagegen bestehenden Präventionsmöglichkeiten zu beurteilen sind. Dabei handelt es sich um eine Sachverständigenfrage, zu welcher der Bewohner – unabhängig von der Reichweite seiner geistigen Beeinträchtigung – schon abstrakt keinen inhaltlichen Beitrag zu leisten vermag. Der behaupteten „Nichtigkeit“ fehlt daher die Entscheidungsrelevanz.
1.2. Der Verein macht als weitere Nichtigkeit einen Widerspruch in der vom Erstgericht – dem Überprüfungsantrag folgend – vorgenommenen spruchmäßigen Differenzierung zwischen formeller und materieller (Un-)Zulässigkeit der Freiheitsbeschränkung geltend. Dieser wurde aber bereits vom Rekursgericht behoben und ist nicht mehr Beurteilungsgegenstand des Revisionsrekursverfahrens.
2. Der Verein leitet aus der schon zur „Nichtigkeit“ beschriebenen Verfahrensgestion des Erstgerichts (Pkt 1.1.) eine Verletzung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und aus der unterbliebenen Einholung eines Pflegegutachtens sowie eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens weitere Mängel des Verfahrens ab. Diese angeblichen Mängel sind gegebenenfalls solche des erstinstanzlichen Verfahrens, die bereits das Rekursgericht verneint hat. Der Grundsatz, wonach Mängel erster Instanz, die vom Rechtsmittelgericht verneint wurden, nicht mehr wirksam in dritter Instanz aufgegriffen werden können, ist (nur) dann unanwendbar, wenn das Rechtsmittelgericht infolge unrichtiger Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften eine Erledigung der Mängelrüge unterlassen oder sie mit einer durch die Aktenlage nicht gedeckten Begründung verworfen hat. Dann läge nämlich ein Mangel des Rechtsmittelverfahrens selbst vor, der gegebenenfalls zu einem Feststellungsmangel führen und in dritter Instanz mit Rechtsrüge geltend gemacht werden könnte (vgl RS0043086). Diese Voraussetzungen liegen hier aber nicht vor und können daher vom Verein auch nicht aufgezeigt werden, ist doch nicht erkennbar, welchen Beitrag unmittelbare Wahrnehmungen über die in der Einrichtung bestehenden örtlichen Verhältnisse, ein Pflegegutachten oder ein medizinisch-psychiatrisches Gutachten zur hier allein zu lösenden Frage nach dem Infektionsrisiko und den bestehenden Präventionsmöglichkeiten (vgl Pkt 1.1.3.) leisten könnten.
3.1. Rechtlich ist unstrittig, dass die im Revisionsrekursverfahren noch zu prüfende Einzelisolierung des Bewohners im Zimmer von bis eine Freiheitsbeschränkung im Sinn des § 3 Abs 1 HeimAufG war.Eine solche Freiheitsbeschränkung darf nach § 4 HeimAufG nur dann vorgenommen werden, wenn sie zur Abwehr (ua) einer Fremdgefahr (Z 1) unerlässlich und geeignet sowie in ihrer Dauer und Intensität im Verhältnis zur Gefahr angemessen ist (Z 2) und diese Gefahr nicht durch andere Maßnahmen, insbesondere schonendere Betreuungs- oder Pflegemaßnahmen, abgewendet werden kann (Z 3). Die Ausführungen der Bewohnervertretung in ihrer Rechtsrüge, wonach diese Voraussetzungen im Anlassfall nicht vorgelegen hätten, der mehrfach negativ auf COVID-19 getestete Bewohner keine Gefahr für Mitbewohner dargestellt habe und diese gegebenenfalls durch andere Maßnahmen (Einzelbetreuung, Ausgänge ins Freie ohne Kontakt zu Dritten, Benutzung von Aufenthaltsräumen im Schichtbetrieb, um die Dichte an Anwesenden zu reduzieren) hätten abgewendet werden können, gehen durchwegs nicht von den getroffenen Feststellungen aus und ignorieren die daraus folgende Gefahrenlage:
3.2. In der Einrichtung halten sich hochbetagte Bewohner auf, die mit einem Durchschnittsalter von 84 Jahren sowie zahlreichen Vorerkrankungen zu einer vulnerablen Gruppe gehören mit erhöhtem Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf. Diese Situation erfordert ein besonders wirksames Sicherheitsmanagement.
3.3. Der Bewohner wurde aufgrund von Fieber und damit wegen COVID-19-Verdachts ins S***** transportiert. Der dort durchgeführte COVID-19-Test verlief zwar negativ, doch erhielt der Bewohner nach den bindenden erstgerichtlichen Feststellungen während des Rücktransports in die Einrichtung keinen Mund-Nasen-Schutz angelegt, hatte also nach dem Test im Krankenhaus sowie am Transportweg ungeschützten Außenkontakt und war damit für die Einrichtung evidenter Risikoträger. Dieses Risiko manifestierte sich für die Einrichtung zuletzt am durch einen Fieberschub.
3.4. Der Virusnachweis war nach seinerzeitigem Kenntnisstand nur sehr bedingt zuverlässig und selbst bei Patienten mit gesicherter COVID-19-Infektion nur bei 32–63 % zutreffend. Die negativen Testergebnisse des Bewohners waren daher – entgegen der Ansicht des Vereins – keine gesicherte Grundlage für gefahrlose Kontakte zu anderen Bewohnern und zum Pflegepersonal. Als sonstige, einigermaßen sichere Infektionsprävention kam lediglich das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und die Einhaltung eines Mindestabstands in Frage. Diese gelinderen Mittel wurden beim Bewohner erfolglos versucht. Alle anderen vom Verein in den Raum gestellten Alternativen, wie Einzelbetreuung, Ausgänge ins Freie ohne Kontakt zu Dritten, Benutzung von Aufenthaltsräumen im Schichtbetrieb, um die Dichte an Anwesenden zu reduzieren, setzen sich über die Feststellung hinweg, wonach der Bewohner permanenter Betreuung und Begleitung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens benötigt. Daraus folgt ohne das – für den Bewohner nicht mögliche – Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und die Einhaltung eines Mindestabstands ein von diesem ausgehendes permanentes Infektionsrisiko. Dieses war erst nach Ablauf von 14 Tagen, dem seinerzeit als möglich angenommenen Intervall zwischen Infektion und ersten Symptomen, mit einer angesichts der in der Einrichtung bestehenden besonderen Risikolage ausreichenden Sicherheit beendet. Die Freiheitsbeschränkung des Bewohners durch Einzelisolierung im Zimmer von bis war daher zulässig.
4. Zusammengefasst folgt:
4.1. Ein fehlender persönlicher Eindruck des Gerichts vom Bewohner, die unterbliebene Beiziehung des Bewohners zur Verhandlung sowie die Durchführung der Verhandlung bei Gericht und nicht in der Einrichtung sowie die unterbliebene Einholung eines Pflegegutachtens oder eines medizinisch-psychiatrischen Gutachtens bilden mangels Entscheidungsrelevanz dann keinen noch in dritter Instanz aufgreifbaren Gehörverstoß oder Verfahrensmangel, wenn allein das Risiko einer COVID-19-Infektion und die dafür zur Verfügung stehenden Präventionsmöglichkeiten in einer höchst gefährdeten Einrichtung durch ein internistisch-infektiologisches Gutachten geklärt sind.
4.2. In einer Einrichtung mit betagten Bewohnern und einem damit erhöhten Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf nach einer COVID-19-Infektion kann die Einzelisolierung eines Bewohners eine nach § 4 HeimAufG zulässige Freiheitsbeschränkung sein. Dies ist der Fall bei einem Bewohner der Betreuung und Begleitung bei allen Aktivitäten des täglichen Lebens benötigt, nach dessen Infektionsverdacht und einem ungeschützten Außenkontakt bei einer Sicherheit des Negativtests von nur 32–63 % für einen Zeitraum von 14 Tagen ab der letzten Infektionssymptomatik.
4.3. Der Revisionsrekurs muss daher erfolglos bleiben.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0070OB00151.20M.0923.000 |
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