OGH vom 21.10.1994, 5Ob553/94
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Zehetner als Vorsitzenden sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schwarz, Dr.Floßmann, Dr.Adamovic und Dr.Baumann als weitere Richter in der Verlassenschaftssache nach dem am verstorbenen Kurt B*****, infolge Revisionsrekurses des Mj. Maximilian Leopold D*****, geb. am , vertreten durch seine Mutter, Maria Gabriele S*****, diese vertreten durch Dr.Helga Hofbauer-Goldmann, Rechtsanwältin in Wien, gegen den Beschluß des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 47 R 367/93-48, womit der Beschluß des Bezirksgerichtes Hietzing vom , GZ 3 A 93/91-45, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.
Die Beschlüsse der Vorinstanzen werden aufgehoben; dem Erstgericht wird die Fortsetzung des Verlassenschaftsverfahrens unter Beteiligung des Mj. Maximilian Leopold D*****, geb. am , aufgetragen.
Text
Begründung:
Zur Verlassenschaft des am verstorbenen Kurt B***** haben neben der Witwe des verstorbenen dessen eheliche Kinder Doris und Kurt sowie der am geborene Maximilian Leopold D***** auf Grund des Gesetzes bedingte Erbserklärungen abgegeben. Letzterer stützte sein gesetzliches Erbrecht auf die Behauptung, ein uneheliches Kindes des Erblassers zu sein.
Tatsächlich stellte das Bezirksgericht Liesing mit Urteil vom , 1 C 74/91-8, das am rechtskräftig wurde, die außereheliche Abstammung des Mj. Maximilian Leopold D***** vom Erblasser fest. Die zu diesem Urteil führende Klage hatte der Minderjährige am eingebracht, nachdem festgestellt worden war, daß er kein Kind des Ehemannes seiner Mutter ist (Urteil des BG Liesing vom , 5 C 2/91-7).
Das Erstgericht nahm mit Beschluß vom , ON 21, die Erbserklärung des Minderjährigen Maximilian Leopold D***** "unter Erbrechtsanerkennung" zunächst an, wies jedoch dann am anläßlich der Übermittlung des Schlußprotokolls durch den Gerichtskommissär den Antrag des Minderjährigen "auf Einantwortung des Nachlasses zu 2/9-Anteilen auf Grund seiner bedingt abgegebenen Erbserklärung" ab, weil die uneheliche Abstammung des Erbansprechers im Zeitpunkt des Todes des Erblassers weder festgestellt noch anerkannt oder gerichtlich geltend gemacht war (ON 45). Die Einantwortung selbst steht noch aus; offensichtlich wollte das Erstgericht die Erbberechtigung des Mj. Maximilian Leopold D***** vorweg klären.
Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung aus folgenden Erwägungen:
Gemäß § 730 Abs 2 ABGB müsse die Abstammung eines gesetzlichen Erben zu Lebzeiten des Erblassers (und der die Verwandtschaft vermittelnden Personen) feststehen oder zumindest gerichtlich geltend gemacht worden sein. Bei Ungeborenen genüge, daß die Abstammung binnen Jahresfrist nach ihrer Geburt feststeht oder gerichtlich geltend gemacht wird. Das gehe auch aus den Gesetzesmaterialien hervor. Es wäre nicht angebracht, die Feststellung der Abstammung mit erbrechtlicher Wirkung erst nach dem Tod zuzulassen, wenn die derzeit angewendeten naturwissenschaftlichen Beweise in aller Regel nicht zur Verfügung stünden. Eine Ausnahme müsse lediglich bei Ungeborenen gemacht werden. Das ABGB schütze sie in § 778 ABGB im besonderen dadurch, daß deren Auftreten ein Testament, das sie nicht berücksichtigt, außer Kraft setze. Hätte ein nach dem Tod des Erblassers Geborener nicht die Möglichkeit, die Abstammung mit Wirkung für das Erbrecht geltend zu machen, so wäre ein Wertungswiderspruch zu § 778 ABGB gegeben; das Testament wäre zwar außer Kraft gesetzt, das Kind - auch das eheliche - käme dennoch nicht zum Zug. Die Unterscheidung der Rechtsstellung bereits geborener und nicht geborener Kinder des Erblassers beruhe somit auf sachlichen Gründen.
Die mit Beschluß vom ergänzte Entscheidung des Rekursgerichtes enthält den Ausspruch, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes S 50.000,-- übersteigt und der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Letzteres wurde damit begründet, daß noch keine Judikatur zur hier entschiedenen Rechtsfrage vorliege.
Im jetzt vorliegenden Revisionsrekurs macht der Minderjährige geltend, daß in § 778 ABGB, der im übrigen nur von der testamentarischen und nicht von der gesetzlichen Erbfolge handle, keine Rechtfertigung für eine Ungleichbehandlung geborener und ungeborener Kinder des Erblassers zu finden sei; beiden müsse eine gewisse Frist für die Geltendmachung der unehelichen Abstammung gewährt werden. Es gehe auch nicht an, bei ehelichen Kindern die Vermutung der Ehelichkeit gelten zu lassen, bei unehelichen jedoch nicht einmal deren Feststellung der Abstammung vom Erblasser, wenn sie verspätet betrieben wurde. Der Revisionsrekursantrag geht dahin, den angefochtenen Beschluß entweder im Sinne einer Stattgebung des Einantwortungsbegehrens abzuändern oder aber aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Beschlußfassung nach Verfahrensergänzung an eine der Vorinstanzen zurückzuverweisen; hilfsweise wurde angeregt, einen Gesetzesüberprüfungsantrag beim Verfassungsgerichtshof zu stellen, sollte der Auslegung des § 730 Abs 2 ABGB durch die Vorinstanzen gefolgt werden.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs ist zulässig und auch berechtigt.
Den Vorinstanzen ist zuzugeben, daß die reine Wortinterpretation des § 730 Abs 2 ABGB zu dem von ihnen vertretenen Ergebnis führt; das Gebot, Gesetze im Zweifel verfassungskonform auszulegen (SZ 61/189; JBl 1993, 733 ua), legt jedoch ein anderes Gesetzesverständnis nahe, das wegen des Zutreffend aller Voraussetzungen einer Rechtsanalogie auch erreichbar ist.
Die vom Rekursgericht angesprochene (letztlich mit den Gesetzesmaterialien belegte: JAB 1158 BlgNR 17. GP, 3 f) Privilegierung Ungeborener ist mit dem Hinweis auf §§ 777, 778 ABGB nicht überzeugend zu rechtfertigen. Der eigentliche Grund, warum man ihnen im zweiten Satz des § 730 Abs 2 ABGB (idF des Erbrechtsänderungsgesetzes 1989, BGBl Nr. 656) eine Ausnahmeregelung zugestand, besteht darin, daß sie ansonsten überhaupt nicht in den Genuß der vom Gesetzgeber beabsichtigten Verbesserung der erbrechtlichen Stellung unehelicher Kinder kommen könnten. Vor die Unmöglichkeit, sich zu Lebzeiten des Erblassers um die Feststellung der Abstammung zu bemühen, kann jedoch auch ein uneheliches Kind gestellt sein, das so kurz vor dem Tod seines Vaters geboren wurde, daß faktisch keine Möglichkeit zur Anerkennung, Feststellung oder auch nur gerichtlichen Geltendmachung der Vaterschaft bestand. In dieser Ungleichbehandlung vor- und nachgeborener Kinder offenbart sich ein dem Gesetzgeber unterlaufener Wertungswiderspruch, der im Wege der Rechtsanalogie zu beseitigen ist, weil sich der Gesetzgeber den regelungsbedürftigen Sachverhalt nicht umfassend genug vorgestellt hat (vgl Bydlinski in Rummel2, Rz 2 f zu § 7 ABGB). Um ein den Gleichheitssatz der Verfassung mitberücksichtigendes Auslegungsergebnis zu erzielen, ist daher mit Schauer (Zum Anwendungsbereich des § 730 Abs 2 ABGB, NZ 1993, 73 ff), dessen Argumentation sich der erkennende Senat anschließt, § 730 Abs 2 ABGB idF BGBl 1989/656 so zu verstehen, daß es zur Wahrung des gesetzlichen Erbrechts eines unehelichen Verwandten des Erblassers in jedem Fall genügt, wenn die Feststellung der Abstammung oder die Einleitung eines darauf gerichteten Verfahrens innerhalb eines Jahres nach der Geburt des Erbansprechers erfolgt. Dies gilt über den Wortlaut des § 730 Abs 2 ABGB hinaus auch für jene Personen, die beim Tod des Erblassers bereits geboren waren.
Damit erweist sich der Beschluß, mit dem der Antrag des Mj. Maximilian Leopold D***** auf Einantwortung des Nachlasses seines verstorbenen Vaters nur deshalb abgewiesen wurde, weil er die Abstammung nicht schon vor dem Tod des Erblassers gerichtlich geltend gemacht hatte, als verfehlt; da er jedenfalls die Jahresfrist ab Geburt gewahrt hat, darf er vom weiteren Verlassenschaftsverfahren, das mangels Einantwortung noch nicht beendet ist (vgl zuletzt NZ 1994, 116), nicht ausgeschlossen werden.