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OGH vom 29.11.2001, 6Ob208/01h

OGH vom 29.11.2001, 6Ob208/01h

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Schiemer, Dr. Huber, Dr. Prückner und Dr. Schenk als weitere Richter in der Firmenbuchsache der im Firmenbuch des Landesgerichtes Wiener Neustadt zu FN 32484x eingetragenen B***** Gesellschaft mbH mit dem Sitz in Wiener Neudorf, wegen Verhängung von Zwangsstrafen nach § 283 HGB, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Gesellschaft und der Geschäftsführer Janet K***** und Franz N*****, alle vertreten durch Dr. Wilfried Ludwig Weh, Rechtsanwalt in Bregenz, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgericht vom , GZ 28 R 230/00z-9, womit über den Rekurs der Gesellschaft und der Geschäftsführer der Beschluss des Landesgerichtes Wiener Neustadt vom , GZ 1 Fr 2800/00d-4, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs und der Antrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens gemäß Art 89 Abs 2 iVm Art 140 B-VG vor dem Verfassungsgerichtshof werden zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Das Erstgericht forderte am die Geschäftsführer der Gesellschaft mbH vergeblich auf, den Jahresabschluss zum vorzulegen. Es verhängte über die Geschäftsführerin und den Geschäftsführer der Gesellschaft die angedrohten Zwangsstrafen von je 50.000 S.

Das Rekursgericht gab dem dagegen erhobenen Rekurs der Gesellschaft und der Geschäftsführer nicht Folge. Es begründete seine Entscheidung mit der oberstgerichtlichen Judikatur zur Unbedenklichkeit der österreichischen Offenlegungsvorschriften, mit denen Vorgaben der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien umgesetzt wurden.

Gegen die Bestätigung der Zwangsstrafen richtet sich der außerordentliche Revisionsrekurs der Gesellschaft und der beiden Geschäftsführer. Die Geschäftsführerin releviert den Umstand, dass über sie keinesfalls eine Zwangsstrafe verhängt werden dürfe, weil sie aus dem Unternehmen ausgeschieden sei und daher die zu erzwingende Leistung nicht erbringen könne. Das "Erzwingungsverfahren" ende mit sofortiger Wirkung.

Im Übrigen stehen alle Revisionsrekurswerber nach wie vor auf dem Standpunkt, dass die österreichischen Offenlegungsvorschriften, aber auch die gesellschaftsrechtlichen Richtlinien grundrechtswidrig seien und beantragen, beim Verfassungsgerichtshof einen Normprüfungsantrag zur Verfassungswidrigkeit der Bestimmung des § 277 Abs 1 und 4 HGB zu stellen. Sie regen ferner die Einholung einer Vorabentscheidung des Europäischen Gerichtshofs an.

Rechtliche Beurteilung

Der außerordentliche Revisionsrekurs ist mangels erheblicher Rechtsfragen im Sinne des § 14 Abs 1 AußStrG unzulässig.

Eines Ausspruchs des Rekursgerichts über den Wert des Entscheidungsgegenstandes bedurfte es nicht. Firmenbuchsachen sind im Regelfall keine rein vermögensrechtlichen Angelegenheiten, die das Rekursgericht gemäß § 13 Abs 2 AußStrG (§ 15 FBG) zu bewerten hat. Das Rechtsmittel ist als außerordentlicher Revisionsrekurs zu behandeln (6 Ob 214/98h; 6 Ob 188/99m; RS0110629).

Der Oberste Gerichtshof hat schon mehrfach die österreichischen handelsrechtlichen Offenlegungsvorschriften und ihre Durchsetzung mit Zwangsstrafen als verfassungskonform und dem Gemeinschaftsrecht entsprechend beurteilt und in der Umsetzung der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien (1. Richtlinie 68/151/EWG des Rates vom - Publizitätsrichtlinie; 4. Richtlinie 78/660/EWG des Rates vom - Bilanzrichtlinie) nach mehreren Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs (vor allem der Entscheidung vom , Slg 1997 I-6843 - Daihatsu) keinen Eingriff in Grundrechte der MRK oder Grundwerte der Europäischen Gemeinschaft erblickt (RS0113282). Die Rekurswerber bekämpfen diese Auffassung zum ganz überwiegenden Teil mit Argumenten, die der Oberste Gerichtshof schon behandelt und abgelehnt hat. Die gesetzlichen Offenlegungspflichten nach dem Bezügebegrenzungsgesetz BGBl 1997/64 und die zu diesem Gesetz vom Verfassungsgerichtshof gestellten Fragen in dem anhängig gemachten Vorabentscheidungsverfahren zur Klärung der Vereinbarkeit der Offenlegung von Gehältern mit dem Datenschutz wurden als nicht vergleichbar beurteilt. Entscheidend sind die Verschiedenheit der Materien und der Umstand, dass im Falle der gesellschaftsrechtlichen Richtlinien eine die Umsetzung der Richtlinien einfordernde Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs bereits vorliegt (6 Ob 54/01m; zuletzt 6 Ob 101/01y; 6 Ob 172/01i). Gleiches gilt für den von den Rekurswerbern für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Schlussantrag des Generalanwalts in einem beim EuGH anhängigen Verfahren, in dem die Einschränkung von Wirtschaftsgrundrechten durch eine Werberichtlinie (Tabakwerberichtlinie) insbesondere im Hinblick auf das Recht auf freie Meinungsäußerung zu prüfen ist (6 Ob 215/00m).

Dem vom Landesgericht Wels an den EuGH im Sinne der Rekurswerber gestellten Vorabentscheidungsersuchen kommt für andere Verfahren keine Bindungswirkung zu (6 Ob 305/00x und 6 Ob 306/00v = RdW 2001/372 ua; RS0114648).

Der Hinweis der Revisionsrekurswerber auf die EU-Grundrechtscharta zeigt keine erhebliche Rechtsfrage auf. Die zunächst noch rechtlich unverbindliche Charta der Grundrechte (Schubarth, Die EU-Grundrechtscharta - Ein Paradigmawechsel? JBl 2001, 205), die noch keine europäische Verfassung (Hirsch, Grundrechtscharta für Europa - Anspruch - Wirklichkeit, European Law Reporter 2001, 2), sondern eine Deklaration der Staaten der Gemeinschaft darstellt (vgl die Präambel und den Text der Charta abgedruckt in Hummer/Obwexer, Der Vertrag von Nizza 305 ff) bringt im hier interessierenden Zusammenhang keine neuen Gesichtspunkte. Es ist nicht zweifelhaft, dass sowohl der nationale Gesetzgeber als auch der Gemeinschaftsrechtsgesetzgeber Eingriffe in Grundrechte nach den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte klargestellten Kriterien der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit des gesetzlichen Eingriffs zu rechtfertigen haben und dass dem EuGH die Prüfungskompetenz zukommt. Im Gegensatz zur Auffassung der Rekurswerber ist von einer schon erfolgten Prüfung des EuGH auszugehen.

Der Revisionsrekurs vermag keine Umstände darzutun, die eine Änderung der oberstgerichtlichen Rechtsprechung rechtfertigen könnten. Die neben dem Rekursantrag wiederholt gestellten Anregungen werden nicht aufgegriffen. Der formelle Antrag auf Einleitung eines Gesetzesprüfungsverfahrens ist zurückzuweisen (6 Ob 54/01m).

Der von der Geschäftsführerin relevierte Umstand ihres Ausscheidens aus dem Unternehmen kann im Revisionsrekursverfahren nicht wahrgenommen werden. Die Rekurswerberin beruft sich auf eine Beendigung ihrer Geschäftsführerfunktion erstmalig im Revisionsrekursverfahren. Ein Strafbeschluss ist im Rechtsmittelverfahren auf der Sachverhaltsgrundlage der erstinstanzlichen Entscheidung zu überprüfen. Nachfolgende Ereignisse (nova producta) sind von der Neuerungserlaubnis des § 10 AußStrG nicht erfasst und unterliegen nach ständiger Rechtsprechung dem Neuerungsverbot (6 Ob 212/99s = ecolex 2000, 366 = RdW 2000, 157 ua). Ob eine schon verhängte Zwangsstrafe nach § 283 HGB auch dann zu vollziehen ist, wenn die Offenlegung - wie es hier behauptet wird - nachträglich unmöglich geworden ist oder aber die Offenlegung nachgeholt wurde, ist nicht im Rekursverfahren, sondern im Vollzugsverfahren zu prüfen.

Zur Strafhöhe ist mangels jeglicher Revisionsrekursausführungen zu diesem Thema nicht Stellung zu nehmen.

Fundstelle(n):
UAAAD-39328