OGH vom 29.11.1962, 2Ob238/62
Norm
Allgemeine Kraftfahrversicherungsbedingungen § 16;
Versicherungsvertragsgesetz 1958 § 74;
Kopf
SZ 35/127
Spruch
Zur Frage der Anrechnung der Versicherungssumme aus der Insassenversicherung auf den bereits geleisteten Schadenersatz.
Entscheidung vom , 2 Ob 238/62.
I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.
Text
Nach den Feststellungen der Untergerichte wurde die Klägerin bei einem Verkehrsunfall schwer verletzt, der vom Erstbeklagten als Führer eines dem Zweitbeklagten gehörigen PKW am auf der Katschberg-Bundesstraße verschuldet wurde. Sie fuhr in dem vom Erstbeklagten gelenkten PKW mit. Der Erstbeklagte wurde vom Strafgericht rechtskräftig verurteilt.
Die Klägerin machte Schadenersatzansprüche gegenüber dem Erstbeklagten als Fahrzeugführer und gegenüber dem Zweitbeklagten als Fahrzeughalter in der Höhe von 114.619.50 S und einer monatlichen Rente von 750 S ab geltend und begehrte die Feststellung, daß ihre Ansprüche gegenüber den Beklagten auf Ersatz des entstandenen und im Zukunft noch entstehenden Schadens dem Gründe nach zu Recht bestehen. Außerdem stellte sie das Begehren, den Zweitbeklagten schuldig zu erkennen, die Ansprüche aus der Insassenversicherung geltend zu machen und ihr die Versicherungssumme auszuzahlen.
Die Beklagten wendeten ein Mitverschulden der Klägerin zu 50% mit der Begründung ein, daß bei der Klägerin ein stillschweigender Haftungsverzicht und ein Handeln auf eigene Gefahr anzunehmen sei, weil sie sich dem Erstbeklagten anvertraut habe, obwohl ihr nach ihren eigenen Angaben in der Klage bekanntgewesen sei, daß dieser vor Antritt der Fahrt Alkohol zu sich genommen und sich in einem alkoholisierten Zustand befunden habe. Der Klägerin sei auch bekannt gewesen, daß der eine Vorderreifen stark abgefahren gewesen sei und daß dadurch sowie durch die regennasse und glitschige Straße die besondere Gefahrenlage noch erhöht werde. Sie wäre verpflichtet gewesen, den Erstbeklagten abzumahnen, andere Fahrzeuge zu überholen und zu schnell zu fahren. Schließlich wendeten sie ein, daß der Zweitbeklagte das Fahrzeug dem Erstbeklagten nicht überlassen und auch nicht die Zustimmung gegeben habe, andere Personen zu befördern. Sie bestritten auch die Höhe der geltend gemachten Ansprüche.
Das Erstgericht verurteilte die Beklagten zur ungeteilten Hand, der Klägerin 68.925.40 S darunter ein Schmerzengeld von 40.000 S (abzüglich bereits bezahlter 5000 S) und für die Verunstaltung 40.000 S, zu bezahlen, wobei es einen vom Versicherer des Zweitbeklagten an die Klägerin mit einer Auflage bezahlten Betrag von 10.000 S in Abzug brachte. Die Auflage ging dahin, eine Schule für Körperbehinderte zu besuchen. Außerdem wurden der Klägerin für die Zeit vom Juli 1959 monatliche Geldrenten in verschiedener Höhe und ab bis auf weiteres in der Höhe von monatlich 390 S zuerkannt. Der Zweitbeklagte wurde auch dazu verhalten, den Versicherungsanspruch aus der Insassenversicherung geltend und der Klägerin die Versicherungssumme nach Feststellung ihrer Höhe zugänglich zu machen. Schließlich wurde auch dem Feststellungsbegehren stattgegeben. Das Leistungsmehrbegehren wurde abgewiesen.
Das Berufungsgericht verwarf die Berufung der Klägerin insoweit, als sie Nichtigkeit nach § 477 Z. 9 ZPO. geltend machte und gab im übrigen der Berufung der Klägerin teilweise Folge. Es bestätigte das erstgerichtliche Urteil bezüglich des Feststellungsbegehrens und des Anspruches aus der Insassenversicherung und änderte das Urteil dahin ab, daß die Beklagten schuldig seien, der Klägerin 108.981 S (statt 68.925.40 S) zu bezahlen und das Mehrbegehren von 5828.70 S abgewiesen werde. Es erhöhte auch die vom Erstgericht der Klägerin für die Zeit vom Juli 1959 bis Juli 1960 zuerkannten Rentenbeträge und sprach der Klägerin ab bis auf weiteres eine monatliche Rente von 690 S (statt 390 S) zu.
Der Oberste Gerichtshof änderte das Urteil des Berufungsgerichtes dahin ab, daß die zweitbeklagte Partei schuldig erkannt wurde, den Versicherungsanspruch aus der für ihr Kraftfahrzeug, Marke VW, Kennzeichen ..., bei der A.-Versicherungs-Aktiengesellschaft, zur Polizze Nr. ... oder zu einer anderen Polizzennummer, abgeschlossenen Insassenversicherung gegen den Versicherer geltend zu machen und der klagenden Partei die Versicherungssumme nach Feststellung ihrer Höhe insoweit zugänglich zu machen, als nicht bereits ihre kongruenten Schadenersatzansprüche auf Grund der Verurteilung der beklagten Partei im Urteilsspruch B erfüllt wurden. Im übrigen bestätigte es das Urteil des Berufungsgerichtes.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Die Revision ist nur insoweit teilweise gerechtfertigt, als sie die Verurteilung des Zweitbeklagten aus der Insassenversicherung betrifft.
Mit der Rechtsrüge wenden sich die Beklagten gegen die Ansicht des Berufungsgerichtes, daß der der Klägerin vom Versicherer des Zweitbeklagten gezahlte Betrag von 10.000 S bei der Berechnung des ihr entstandenen Schadens nicht zu berücksichtigen sei.
Diese Ausführungen sind nicht überzeugend. Die 10.000 S wurden der Klägerin mit der ganz bestimmten Auflage zugewendet, damit die Kosten für den Besuch der Schule für Körperbehinderte in Wien zu decken. Die Klägerin stellte keinen Anspruch in dieser Hinsicht, und es wurden auch keine Behauptungen in der Richtung aufgestellt, die Verhältnisse hätten sich bei der Klägerin durch den Schulbesuch bezüglich ihrer zukünftigen Berufstätigkeit in einem Maß geändert, daß ein Anspruch nach § 1326 ABGB, nicht mehr bestehe. Es ist daher auch kein Grund vorhanden, diesen Betrag von dem der Klägerin aus diesem Rechtsgrund zuerkannten Betrag abzuziehen.
Mit dem Schmerzengeld hat dieser Betrag überhaupt nichts zu tun, so daß ein Abzug hievon schon deshalb nicht in Frage kommt. Auch von den der Klägerin zuerkannten Rentenbeträgen ist dieser Betrag nicht abzusetzen, weil nicht feststeht, daß der Verdienstentgang der Klägerin durch den Schulbesuch bereits gemindert wurde oder in Zukunft gemindert wird. Darauf, daß die Ansicht des Versicherers des Zweitbeklagten über die Anrechnung dieses Betrages nicht ausschlaggebend sein kann, wurde oben bereits hingewiesen.
Gegen die Berechnung der Rente für einzelne Monate bestehen keine Bedenken. Schließlich müßte man aber auch nach der von den Beklagten für richtig gehaltenen Methode der Zusammenrechnung der Verdienstsummen und ebenso der Abzüge zu demselben Ergebnis kommen.
Es sind aber auch die Ausführungen der Beklagten, womit sie noch in der Revision versuchen, ein Mitverschulden der Klägerin zu 50% darzutun, nicht überzeugend. Wie das Berufungsgericht bereits richtig erkannte, kommt es lediglich darauf an, ob die Klägerin erkennen konnte, daß der Erstbeklagte alkoholisiert und daher zur Lenkung des Fahrzeuges nicht tauglich war. Die bloße Kenntnis der Klägerin, daß der Erstbeklagte Alkohol zu sich genommen hatte, reicht zur Annahme eines Mitverschuldens nicht aus (siehe auch JBl. 1957 S. 277, ZVR. 1959 Nr. 171 und Nr. 98, ZVR. 1957 Nr. 218). Auch sonst sind keine Umstände hervorgekommen, aus denen die Klägerin hätte erkennen müssen, daß sie sich in eine besondere Gefahr begebe, wenn sie mit dem Erstbeklagten mitfährt. Die Klägerin war als Fahrgast auch nicht verpflichtet, die Fahrweise des Erstbeklagten zu beobachten. Sie war auch gar nicht befugt, sich in die Führung des Kraftwagens einzumengen.
Da somit ein Mitverschulden der Klägerin nicht anzunehmen ist, ist auch die von den Beklagten begehrte Einschränkung der Feststellungsentscheidung nicht gerechtfertigt.
Entgegen der Ansicht der Beklagten wurden auch das Schmerzengeld und die Entschädigung nach § 1326 ABGB. richtig bemessen.
Soweit der Zweitbeklagte die Entscheidung bezüglich des Anspruches der Klägerin aus der Insassenversicherung bekämpft, sind seine Ausführungen nur so weit berechtigt, als geltend gemacht wird, daß die Klägerin die Vergütung ihres durch den Unfall entstandenen Schadens nicht zweimal begehren könne und er nicht verpflichtet sei, den Schaden zweimal zu ersetzen, weshalb die Klägerin nur so weit auf die Versicherungssumme aus der Insassenversicherung Anspruch habe, als ihre Schadenersatzansprüche nicht bereits durch ihn erfüllt wurden. Gleich hier soll darauf verwiesen werden, daß es sich immer nur um kongruente Ansprüche handeln kann.
Der Oberste Gerichtshof nahm bereits in seiner Entscheidung ZVR. 1956 Nr. 10, zur Insassenversicherung Stellung. Danach ist diese Art der Versicherung nach § 16 AKB. (Allgemeine Bedingungen für die Kraftfahrversicherung) eine Versicherung für fremde Rechnung im Sinne des § 74 VersVG. Sie unterscheidet sich von der in den §§ 74 ff. VersVG. geregelten Fremdversicherung dadurch, daß ein Versicherungsschein nicht ausgestellt wird und daß die Verfügung über die Versicherung nach außen abweichend von den §§ 75 ff. VersVG. geregelt ist. Dabei ist zu unterscheiden, ob es sich um namentlich oder nicht um namentlich versicherte Insassen handelt. Im ersten Fall können die Insassen die Ansprüche gegen den Versicherer selbständig geltend machen (§ 16 (5) AKB.), während im anderen Fall die Ausübung der Rechte aus dem Versicherungsvertrag ausschließlich dem Versicherungsnehmer zukommt. Er ist daher nicht nur berechtigt, sondern gegenüber dem versicherten Insassen auch verpflichtet, den Anspruch aus der Versicherung geltend zu machen und die Versicherungssumme an den materiell Berechtigten auszufolgen, wobei ihm allerdings das Recht zusteht, "seine Gegenforderungen" dem Versicherten gegenüber aufrechnungsweise geltend zu machen. In diesem Fall entsteht somit ein Treuhandverhältnis zwischen dem nicht namentlich versicherten Insassen und dem Versicherungsnehmer.
Im vorliegenden Fall schloß der Zweitbeklagte eine Versicherung für unbestimmte Insassen ab. Er ist daher verpflichtet, diesen Anspruch geltend zu machen und die Versicherungssumme, allerdings mit einer gewissen Einschränkung, an die Klägerin auszufolgen. Das Begehren des Zweitbeklagten, die Ansprüche der Klägerin in dieser Richtung überhaupt abzuweisen, ist somit nicht gerechtfertigt.
Die Meinungen darüber, ob der Versicherungsnehmer berechtigt ist, die Versicherungssumme aus der Insassenversicherung auf den bereits geleisteten Schadenersatz anzurechnen, sind geteilt. Der Oberste Gerichtshof schließt sich der Ansicht an, die eine Anrechnung der Versicherungssumme dann zuläßt, wenn der Schadenersatzanspruch des versicherten Insassen gegen den Versicherungsnehmer gerichtet ist und dieser es verlangt (siehe hiezu für das deutsche Rechtsgebiet:
Geigl, Haftpflichtprozeß[10], S. 38, Wussow, Das Unfallhaftpflichtrecht[6], S. 522, Prölß, Komm. zum Versicherungsvertragsgesetz[13], Anm. 5, zu § 49 VersVG., S. 209 ff., Hofmann, Rechtsstellung des Verletzten in VR. 1960 S. 97 ff., und Entscheidung des BGH. vom in NJW. 1956 S. 222; für den österreichischen Bereich: Steininger in ÖJZ. 1962 S. 518, 519, Ritzberger in JBl. 1960 S. 432, und die oben zitierte Entscheidung des Obersten Gerichtshofes).
Diese Auffassung entspricht auch dem in Lehre und Rechtsprechung allgemein anerkannten Grundsatz, daß der Geschädigte seinen Schaden nur einmal ersetzt erhalten soll und der Schädiger nur verpflichtet sein soll, einmal Schadenersatz zu leisten, weil anderenfalls eine Bereicherung oder eine Benachteiligung auf der einen oder anderen Seite gegeben wäre.
Hier liegt nun der Fall so, daß die Klägerin als Verletzte und versicherte Insassin ihren Schadenersatz gegen den Erstbeklagten als Fahrzeugführer und gegen den Zweitbeklagten als Fahrzeughalter geltend machte und daß der Zweitbeklagte eine Insassenversicherung für namentlich nicht genannte Insassen abschloß. Nach den obenangeführten Grundsätzen ist daher die Anrechnung der Versicherungssumme aus der Insassenversicherung insoweit zu bejahen, als der Zweitbeklagte bereits auf Grund seiner Verurteilung zu Punkt B des Urteilsspruches des erstgerichtlichen Urteils kongruente Schadenersatzansprüche der Klägerin erfüllt hat. Es ist daher bei der Verurteilung des Zweitbeklagten auf Grund der Insassenversicherung die Einschränkung in den Spruch aufzunehmen, daß die Versicherungssumme aus der Insassenversicherung nach Feststellung ihrer Höhe der Klägerin nur insoweit zuzukommen hat, als ihr kongruente Schadenersatzansprüche nicht bereits durch Leistungen des Zweitbeklagten auf Grund seiner Verurteilung zu Punkt B ersetzt wurden. Dabei sind nur kongruente Schadenersatzansprüche, also solche zu berücksichtigen, die sowohl durch die Verurteilung des Zweitbeklagten zu Punkt B des Urteilsspruches als auch durch die Insassenversicherung, die eine Unfallversicherung ist, umfaßt sind.
In formeller Hinsicht ist noch auf folgendes zu verweisen: Der Zweitbeklagte erhob zwar den Einwand, daß die Klägerin den Schadenersatz nicht zweimal begehren könne, erst im Berufungsverfahren. Da es sich aber bei diesem Einwand um einen rechtlichen Einwand handelt und der Zweitbeklagte bereits in I. Instanz den Antrag stellte, dieses Klagebegehren abzuweisen, ist dieser auch noch im Rechtsmittelverfahren zu berücksichtigen.