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OGH vom 19.12.2019, 4Ob217/19v

OGH vom 19.12.2019, 4Ob217/19v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.Prof. Dr. Brenn, Priv.Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. S***** K*****, 2. P***** K*****, vertreten durch Wagner Rechtsanwälte GmbH in Schärding, gegen die beklagten Parteien 1. H***** E*****, 2. L***** E*****, 3. mj J***** E*****, 4. mj E***** E*****, 5. mj A***** E*****, Dritt- bis Fünftbeklagten vertreten durch die Mutter A***** E*****, diese vertreten durch Dr. Roland Mühlschuster, Rechtsanwalt in Wels als Verfahrenshelfer, wegen Unterlassung (Streitwert 4.000 EUR), über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Wels als Berufungsgericht vom , GZ 22 R 178/19m-24, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts Grieskirchen vom , GZ 2 C 272/18m-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen, die in der Klagsstattgabe bezüglich des Erstbeklagten in Rechtskraft erwachsen sind, werden im Übrigen dahin abgeändert, dass sie insoweit zu lauten haben:

„2. Die zweit- bis fünftbeklagten Parteien sind zur ungeteilten Hand schuldig, die Ablagerung und die unmittelbare Zuleitung von Mist und Erdreich von dem ihnen gehörigen Grundstück ***** auf dem/das den klagenden Parteien gehörige Grundstück ***** zu unterlassen.“

Die Kostenentscheidung für das gesamte Verfahren ist dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Kläger sind Eigentümer einer Liegenschaft. Der Erstbeklagte bewohnt allein die Nachbarliegenschaft, die im Eigentum seiner zweit- bis fünftbeklagten Kinder steht. Die nunmehr volljährige Zweitbeklagte war im Zeitpunkt der mündlichen Streitverhandlung erster Instanz noch minderjährig und wurde von ihrer Mutter als gesetzliche Vertreterin vertreten. Diese ist auch die Vertreterin der noch minderjährigen (in den Jahren 2002, 2003 bzw 2007 geborenen) übrigen beklagten Kinder des Erstbeklagten.

Die Zweit- bis Fünftbeklagten (im Folgenden: Kinder) räumten dem Erstbeklagten (im Folgenden: Vater) an ihrer Liegenschaft ein bücherliches Wohnungsgebrauchsrecht, das „am gesamten Gebäude“ besteht (nicht aber am Garten), und das Recht ein, das Gebäude (auf seine Kosten) beliebig umzubauen, auszubauen, zu renovieren oder nach seinem Gutdünken wertsteigernd zu verändern. Ferner räumten die Kinder dem Vater ein Belastungs- und Veräußerungsverbot ein.

Der Vater lagerte ab 2017 im Garten der Liegenschaft seiner Kinder zur Grenze des klägerischen Grundstücks eine aus Erde, Pferdemist, Humus und Laub bestehende Aufschüttung ab. Teile des Materials fielen auf das Grundstück der Kläger bzw wurden auch bei Regen dort hingeschwemmt. Die Kinder wurden vom Vater über die Aufschüttung nicht informiert.

Die Kläger begehren, den Beklagten zu verbieten, Mist- und Erdreich auf dem klägerischen Grundstück abzulagern und unmittelbar zuzuleiten.

Die Vorinstanzen verurteilten den Vater (rechtskräftig) zur Unterlassung. Hinsichtlich der Kinder wurde die Klage mangels Passivlegitimation abgewiesen. Die negatorische Haftung des Eigentümers setze ein effektives und zumutbares Hinderungsrecht auf das Eingriffsverhalten des unmittelbaren Störers voraus. Der Erstbeklagte sei als Dienstbarkeitsberechtigter ausschließlich verantwortlich, die Kinder hätten hinsichtlich der Liegenschaft faktisch keine Handlungsmöglichkeit.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR, nicht aber 30.000 EUR übersteigt. Das Berufungsgericht ließ die Revision wegen der zur nachbarschaftsrechtlichen Passivlegitimation kaum noch überblickbaren und zum Teil kasuistischen Rechtsprechung zu.

Dagegen richtet sich die außerordentliche Revision der Kläger mit dem Antrag auf Abänderung im klagsstattgebenden Sinn. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Die Kinder beantragen, die Revision mangels erheblicher Rechtsfrage zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision ist zulässig, weil die Vorinstanzen die Frage der Passivlegitimation abweichend von der Judikatur gelöst haben. Das Rechtsmittel ist auch berechtigt.

1. Der Unterlassungsanspruch nach § 364 Abs 2 ABGB kann sich auch gegen einen Liegenschaftseigentümer richten, der den Eingriff nur mittelbar veranlasst hat. Die Störereigenschaft wird dabei nicht dadurch ausgeschlossen, dass ein Dritter als unmittelbarer Störer aus eigenem Antrieb und selbstverantwortlich gehandelt hat (RS0103058 [T7]). Verursachte ein anderer den Eingriff, so wird die Haftung des Eigentümers dann als gerechtfertigt erachtet, wenn er die Einwirkung duldet, obwohl er sie zu hindern berechtigt und dazu auch imstande gewesen wäre (RS0011737 [T5 und T 11]). Maßgeblich für die Bejahung der verschuldensunabhängigen Unterlassungspflicht des beklagten Eigentümers für einen im Nachbarrecht wurzelnden Anspruch ist lediglich ein Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Störung (RS0053260 [T7]; RS0010648 [T14]). Die Haftung des Liegenschaftseigentümers hängt also davon ab, ob dieser imstande und berechtigt ist, den Eingriff abzustellen (RS0053260 [T6, T 8]). Dabei genügt es, dass der Eigentümer zu jener Person, die die störende Benützung seines Eigentums vornimmt, in einem Rechtsverhältnis bezüglich der Benützung steht (RS0053260 [T5]).

2. Die Anwendung der referierten Grundsätze auf den hier zu beurteilenden Fall stützt den geltend gemachten Unterlassungsanspruch auch gegenüber den Kindern. Schon durch das (bloße) Gebrauchsrecht am Gebäude wird den Kindern als Liegenschaftseigentümern nicht die Möglichkeit genommen, gegenüber ihrem Vater dessen von ihrer Liegenschaft (im Gartenbereich) ausgehende rechtswidrige Eingriffe in das Eigentumsrecht der klagenden Nachbarn zu unterbinden.

3. Damit kann eine nähere Auseinandersetzung zur vom Berufungsgericht behaupteten Judikaturdivergenz betreffend den Zusammenhang zwischen Sachherrschaft und Störung bei der Begründung eines (umfassenden) Fruchtgenussrechts an der Liegenschaft dahinstehen. Das Berufungsgericht geht davon aus, dass das Ergebnis der Entscheidung 1 Ob 11/08m von jenem der Entscheidung 4 Ob 196/07p abweicht. Der 1. Senat stützte sich freilich ausdrücklich auf das ausschließliche Recht des Fruchtgenussberechtigten bzw den Umstand, dass der Eigentümer ihm gegenüber keine eigenen Gebrauchs- und Verwaltungsbefugnisse hat. Das unterscheidet den Fruchtgenuss aber vom Gebrauchsrecht (RS0011826). Mangels Einschlägigkeit für den hier zu beurteilenden Fall muss auf die Frage einer allenfalls unterschiedlichen Rechtsprechung nicht näher eingegangen werden. Auch die vom Berufungsgericht herangezogene Judikatur zum Baurecht (1 Ob 35/89) ist nicht einschlägig. Der Bauberechtigte hat am Grundstück die Rechte eines Fruchtnießers und ist Eigentümer des Gebäudes (§ 6 Abs 2 BauRG).

4. Auch die Minderjährigkeit der Kinder spricht nicht gegen den auf § 364 ABGB gestützten Unterlassungsanspruch, zumal dieser kein Handlungsverbot, sondern ein „Erfolgsverbot“ zur Folge hat (RS0010566). Es genügt bereits objektive Rechtswidrigkeit, es kommt daher weder auf ein Verschulden noch auf eine Störungsabsicht an (RS0053260 [T7]; vgl zu § 523 ABGB auch RS0012169). Der nachbarschaftrechtliche Unterlassungsanspruch setzt keine Handlungs- und Entscheidungsfähigkeit (§ 24 ABGB) des Liegenschaftseigentümers voraus. Im Wege der gesetzlichen Vertretung (durch ihre Mutter, allenfalls einen Kollisionskurator) ist es den Kindern sehr wohl möglich, die rechtswidrigen Eingriffe des Vaters zu unterbinden.

5. Der Hinweis des Berufungsgerichts, dass es den Kindern nicht zumutbar sei, gegen den eigenen Vater vorzugehen, zumal sich dieser „von seinen Kindern keine Vorgaben machen lässt“, verfängt nicht. Ein bestehendes Angehörigenverhältnis zwischen dem unmittelbaren und mittelbaren Störer kann die nachbarschaftsrechtlichen Ansprüche von Liegenschaftseigentümern nicht konterkarieren. Ein Eigentümer ist bei Eingriffen in die Rechte eines Nachbarn durch den Nutzungsberechtigten verpflichtet, für eine vertragsgemäße Ausübung des eingeräumten Nutzungsrechts notfalls im Klagsweg zu sorgen (7 Ob 182/02v [dort: Müllablagerungen auf dem Nachbargrundstück]), sodass es in letzter Konsequenz auf die zwangsweise Durchsetzung, nicht aber darauf ankommt, ob sich der Vater von seinen Kindern Vorgaben machen lässt.

6. Dass der Vater die Aufschüttungen ohne Kenntnis der Kinder vorgenommen hat, kann eine Klagsabweisung nicht stützen, weil die (von ihrer Mutter vertretenen) Kinder spätestens mit der Klagszustellung Kenntnis von den Eingriffen erlangt haben, jedoch auch weiter nicht bereit waren, auf den Vater einzuwirken.

7. Der Revision ist daher Folge zu geben und die Entscheidungen der Vorinstanzen auch hinsichtlich der Zweit- bis Fünftbeklagten in eine Klagsstattgabe abzuändern.

8. Eine Kostenentscheidung hatte im Hinblick auf den Kostenvorbehalt des Erstgerichts nach § 52 Abs 1 ZPO (hinsichtlich des Verfahrens in allen drei Instanzen) zu unterbleiben. Das Erstgericht hat nach rechtskräftiger Erledigung der Streitsache über die Verpflichtung zum Kostenersatz für das gesamte Verfahren zu entscheiden (§ 52 Abs 3 ZPO).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00217.19V.1219.000

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