OGH vom 04.07.2012, 7Ob146/11p

OGH vom 04.07.2012, 7Ob146/11p

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Dr. Schwarzenbacher und Mag. Dr. Wurdinger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei G***** AG, *****, vertreten durch Dr. Thomas Zelger, Rechtsanwalt in Kufstein, gegen die beklagten Parteien 1. P***** GmbH Co KG, *****, 2. P***** GmbH, ebendort, beide vertreten durch Kucera Rechtsanwälte GmbH in Hard, wegen 6.361,71 EUR (sA), über die Revision der beklagten Parteien gegen das Urteil des Landesgerichts Innsbruck als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 151/11a 17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Hall in Tirol vom , GZ 4 C 572/10w 12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagten Parteien sind schuldig, der klagenden Partei die mit 614,86 EUR (darin enthalten 102,48 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Gemäß § 510 Abs 3 letzter Satz ZPO kann sich die Zurückweisung einer ordentlichen Revision wegen Fehlens einer erheblichen Rechtsfrage (§ 502 Abs 1 ZPO) auf die Ausführung der Zurückweisungsgründe beschränken.

Das Berufungsgericht sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei, weil es sich zur Auslegung von Klauseln, die von § 158 VersVG abweichen, „lediglich“ auf die Entscheidung 7 Ob 179/03d habe stützen können, die jedoch vom vorliegenden Fall (insbesondere hinsichtlich der [konkreten] Bagatellgrenze) abweiche.

Die dagegen erhobene, von der klagenden Versicherung beantwortete Revision der Beklagten ist im Hinblick auf die zu § 158 VersVG bereits vorliegende Rechtsprechung des zuständigen Fachsenats für Fragen des Vertragsversicherungsrechts (RIS-Justiz RS0117830; 7 Ob 179/03d = SZ 2003/91) nicht zulässig (vgl auch jüngst: 7 Ob 212/11v und 7 Ob 215/11k [EvBl-LS 2012/85] ausführlich zur Unbedenklichkeit eines in den ARB 2004 noch immer vorgesehenen Kündigungsrechts im Schadensfall, das im Bereich Rechtsschutzversicherung [sogar] imparitätisch zu Lasten des Versicherungsnehmers festgelegt ist).

In der zitierten Entscheidung 7 Ob 179/03d (SZ 2003/91 = VersE 2030 = VR 2003/622 = VRInfo 2004 H 1, 7 = ecolex 2004/237 [ Leitner ] = ecolex 2005, 420 [ Ertl ] = JBl 2004, 245 = KRES 3/116 = RdW 2003/614, 699 = RdW 2004/241, 265 [ Reisinger ]; RIS-Justiz RS0117830) wurde Folgendes ausgesprochen:

Bei Prüfung der Frage, ob Art 12 Punkt 2.2. AHVB/EHVB 1995 für die Beklagten iSd § 879 Abs 3 ABGB gröblich benachteiligend ist, war ins Kalkül zu ziehen, dass der Kündigungsgrund nach dem Versicherungsfall überwiegend dem Interesse des Versicherungsnehmers dient, der ihn auch häufiger in Anspruch nimmt als der Versicherer, und dass Vereinbarungen, die das Recht des Versicherungsnehmers zur Schadensfallkündigung zu stark einschränken, trotz formaler Gleichheit gemäß § 879 Abs 3 ABGB unzulässig sind. Bei Betrachtung des Art 12 Punkt 2.2. AHVB/EHVB 1995 unter diesem Aspekt bestanden gegen die Bestimmung der Beschränkung der Kündigungsmöglichkeit darauf, dass in der Versicherungsperiode insgesamt bereits zwei Schadensfälle eingetreten waren und die dafür insgesamt zu leistende Entschädigung eine Jahresprämie überstieg , keine Bedenken. Anders verhielt es sich mit der die Kündigungsmöglichkeit darauf einschränkenden Klausel, dass die für einen Schadensfall zu leistende Entschädigung 5 % der Versicherungssumme übersteigen muss, was im dortigen Fall bei einer Versicherungssumme von 10 Mio ATS eine Mindestschadenssumme von 500.000 ATS bedeutete. Bei realistischer Prämiengestaltung konnte eine durchschnittliche Kalkulation mit einem oder gar mehreren solch hoher Schadenfällen keineswegs angenommen werden. Damit lag klar auf der Hand, dass die dortige „5 %-Klausel“ eine Schadensfallkündigung in der Mehrzahl der Fälle ausschloss und daher im aufgezeigten Sinn unzulässig war. Im Gegensatz dazu erscheint die als Untergrenze genannte Mindestschadenssumme von 50.000 ATS (3.633,64 EUR) im Sinn einer erlaubten Bagatellbegrenzung unbedenklich.

Nichts anderes kann für die hier zu beurteilende Klausel des Art 12 Punkt 2.1 AHVB/EHVB 2003 gelten, wonach die Kündigungsmöglichkeit für beide Vertragspartner nach Eintritt des vom Versicherer anerkannten Versicherungsfalls darauf beschränkt wird, dass „ die gesamten Schadenszahlungen seit Beginn des Versicherungsvertrags, längstens jedoch innerhalb des letzten Jahres, die für diesen Zeitraum verrechnete Prämie übersteigen “; eine solche Beschränkung ist nach den dargelegten Grundsätzen nämlich gerade nicht als „gröblich benachteiligend“ im Sinn des § 879 Abs 3 ABGB zu beanstanden.

Dass die Beklagten die Voraussetzungen für eine Kündigung nach dieser Klausel nicht erfüllen, weil die Versicherungssumme 1,5 Mio EUR und die Jahresprämie brutto 6.344,01 EUR betrugen, während die Auszahlungen der Klägerin im letzten Jahr vor dem Versicherungsfall jedenfalls unter der Jahresbruttoprämie lagen, ist nicht strittig. Der weiter aufrecht erhaltene Standpunkt der Beklagten, Art 12 Punkt 2.1. AHVB/EHVB 2003 entspreche nicht dem Erfordernis der paritätischen Kündigungsmöglichkeit nach § 158 VersVG, widerspricht der bereits von den Vorinstanzen zutreffend wiedergegebenen Rechtsprechung, von der abzugehen kein Anlass besteht.

Da bereits eine einzige ausführlich begründete Entscheidung für das Vorliegen gesicherter Rechtsprechung ausreicht (RIS-Justiz RS0103384 [T5]; 7 Ob 224/11h; 7 Ob 245/11x), ist die von den Beklagten (mit Hinweis darauf, dass weitere Rechtsprechung zur „gegenständlich zu beurteilenden Streitfrage“ fehle) entsprechend dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts aufgeworfene Frage nicht erheblich im Sinn des § 502 Abs 1 ZPO. Dass gegenteilige Entscheidungen vorlägen oder an der zitierten Entscheidung im Schrifttum Kritik geübt worden wäre, machen die Revisionswerber - zu Recht - gar nicht geltend (vgl RIS-Justiz RS0103384). Ihr Rechtsmittel ist daher zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO. Die Klägerin hat in der Revisionsbeantwortung auf die Unzulässigkeit der Revision der Beklagten hingewiesen.