OGH vom 20.06.2000, 3Ob134/00b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Angst als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Graf, Dr. Pimmer, Dr. Zechner und Dr. Sailer als weitere Richter in der Exekutionssache der führenden betreibenden Partei B*****, vertreten durch Univ. Prof. Dr. Friedrich Harrer und Dr. Iris Harrer-Hörzinger, Rechtsanwälte in Salzburg, gegen die verpflichtete Partei Eduard L*****, als Gemeinschuldner, vertreten durch den Masseverwalter Dr. Harald Kronberger, Rechtsanwalt in Salzburg, wegen 4,612.152,18 S sA über den ordentlichen Revisionsrekurs des Gemeinschuldners, vertreten durch Dr. Berthold Garstenauer, Rechtsanwalt in Salzburg, als Verfahrenshelfer gegen den Beschluss des Landesgerichtes Salzburg als Rekursgericht vom , GZ 22 R 371/99h-46, womit infolge Rekurses einer Dienstbarkeitsberechtigten der Beschluss des Bezirksgerichtes St. Gilgen vom , GZ E 456/98k-30, teilweise aufgehoben sowie der Rekurs des Gemeinschuldners und teilweise auch jener der Dienstbarkeitsberechtigten zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluss
gefasst:
Spruch
Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.
Die verpflichtete Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Begründung:
Am bewilligte das Erstgericht der führenden betreibenden Partei zur Hereinbringung deren vollstreckbaren Forderung von 4,612.152,18 S sA die Zwangsversteigerung zweier Liegenschaften des Verpflichteten. Später traten diesem Verfahren gemäß § 139 Abs 2 EO weitere betreibende Gläubiger bei. Am wurde über das Vermögen des Verpflichteten der Konkurs eröffnet.
Mit Beschluss vom setzte das Erstgericht den Verkehrswert einer der Liegenschaften mit 14,576.000 S "ohne Dienstbarkeiten" sowie alternativ mit 10,688.000 S "bei Aufrechterhaltung der Dienstbarkeiten" und den der anderen Liegenschaft mit 1,836.000 S fest. Überdies wurde ausgesprochen, dass die Liegenschaften eine wirtschaftliche Einheit bildeten.
Am beantragte der Gemeinschuldner die Bewilligung der Verfahrenshilfe unter "Beigebung eines Rechtsanwaltes" zur Erhebung eines Rekurses gegen den Beschluss über die Festsetzung des Schätzwerts. Das Erstgericht gab diesem Begehren statt. Daraufhin wurde ein Rechtsanwalt als Verfahrenshelfer des Gemeinschuldners bestellt, der den bezeichneten Beschluss anfocht. Der Masseverwalter bekämpfte diese Entscheidung dagegen nicht.
Das Rekursgericht wies das Rechtsmittel des Gemeinschuldners zurück und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei. Nach der Ansicht des Rekursgerichtes ist der Gemeinschuldner in Ansehung des konkursunterworfenen Vermögens nicht prozessfähig. Deshalb könne er - nach ständiger Rechtsprechung - Beschlüsse im Exekutionsverfahren nicht selbständig anfechten. Anderes gelte nur für die kridamäßige Versteigerung, bei der der Masseverwalter als betreibender Gläubiger auftrete. In reinen Exekutionsverfahren sei der Masseverwalter gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners, der somit den Beschluss über die Festsetzung des Schätzwerts nicht selbständig anfechten könne. Allerdings sei ein Rekurs des Gemeinschuldners nicht als Prozesshandlung einer an sich nicht rechtmittellegitimierten Person anzusehen. Die Einleitung eines Sanierungsverfahrens nach § 6 Abs 2 ZPO iVm § 78 EO komme jedoch deshalb nicht in Betracht, weil der Gemeinschuldner durch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe verdeutlicht habe, "neben dem Masserverwalter selbst handeln" zu wollen. Der Rekurs müsste überdies auch nach einer Genehmigung durch den Masseverwalter erfolglos bleiben, weil er verspätet erhoben worden sei, sei doch die Rechtsmittelfrist durch den Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe nicht verlängert worden. Wohl sei § 464 Abs 3 ZPO an sich auch im Rekursverfahren anzuwenden, was jedoch "für den Fall der Vertretung der Konkursmasse durch einen Rechtsanwalt als Masseverwalter" nicht gelte. Gesetzeszweck sei, die Partei im "Nichtanwaltsprozess" vor Rechtsnachteilen zufolge des Anwaltszwangs im Rechtsmittelverfahren zu bewahren. An einer solchen Ausgangslage fehle es, wenn ohnehin ein Rechtsanwalt als Masseverwalter und gesetzlicher Vertreter des Gemeinschuldners einschreite. Der ordentliche Revisionsrekurs sei in Ermangelung einer Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs "zur Frage der Einleitung eines Sanierungsverfahrens, wenn vom Gemeinschuldner nach Bewilligung der Verfahrenshilfe selbst Rekurs gegen den Beschluss auf Festsetzung des Schätzwertes erhoben" werde, zulässig. Eine erhebliche Rechtsfrage werfe überdies auch die Frage nach der Rechtzeitigkeit des Rekurses des Gemeinschuldners auf.
Rechtliche Beurteilung
Der Revisionsrekurs des Gemeinschuldners ist zulässig, weil die Entscheidung 3 Ob 8/96 der nachfolgend unter 2. erläuterten Klarstellung bedarf; das Rechtsmittel ist jedoch nicht berechtigt.
1. Der erkennende Senat begründete in der Entscheidung 3 Ob 8/96 (=
RZ 1997/17 = RPflSlgE 1996/118 = JUS Z 2055, 2082 mwN) näher, dass
ein vom Gemeinschuldner als Verpflichtetem selbst erhobenes Rechtsmittel gegen die Festsetzung des Schätzwerts im Verfahren auf Zwangsversteigerung einer Liegenschaft zur Hereinbringung einer durch ein Absonderungsrecht gesicherten vollstreckbaren Forderung nicht als Rechtshandlung einer Person zu qualifizieren ist, die einer Rechtsmittellegitimation an sich entbehrt. Vor der Entscheidung über die Zurückweisung eines solchen Rechtsmittels sei vielmehr gemäß § 78 EO und § 6 Abs 2 ZPO von Amts wegen eine Sanierung des Vertretungsmangels zu versuchen. Dagegen lasse sich nicht erfolgreich einwenden, der Masseverwalter erkläre, wenn er selbst kein Rechtsmittel ergriffen habe, sein Einverständnis mit dem vom Exekutionsgericht festgesetzten Schätzwert, könne er doch einer Prozesshandlung des Gemeinschuldners nicht nur im Voraus, sondern auch im Nachhinein zustimmen. Sei unklar, ob ein bestimmtes Verhalten des Masseverwalters als Genehmigung einer Prozesshandlung des Gemeinschuldners anzusehen sei, müsse der Sachverhalt vor einer Zurückweisungsentscheidung zweifelsfrei geklärt werden. Der Mangel eines Sanierungsversuchs gemäß § 78 EO und § 6 Abs 2 ZPO sei zwar an sich von Amts wegen in jeder Lage des Verfahrens - also auch noch im Verfahren über einen Revisionsrekurs - wahrzunehmen, Voraussetzung dafür sei jedoch, dass der Gemeinschuldner im Revisionsrekurs (auch) das Rechtsschutzziel anstrebe, eine Prozesshandlung durch den Masseverwalter als gesetzlichen Vertreter setzen zu können. Gehe es dem Gemeinschuldner dagegen nur um den Ausspruch, im Exekutionsverfahren selbständig - also unabhängig von Genehmigungsakten des Masseverwalters - handeln zu dürfen, so bedürfe es keines Versuchs, den bestehenden Vertretungsmangel zu sanieren.
2. An der unter 1. referierten und in späteren Entscheidungen fortgeschriebenen Ansicht zur Stellung des Masseverwalters als gesetzlicher Vertreter des Verpflichteten als Gemeinschuldner in einem reinen Exekutionsverfahren (3 Ob 251/99d; SZ 70/79) ist festzuhalten.
Zutreffend erblickte das Rekursgericht im prozessualen Verhalten des Gemeinschuldners - Antrag auf Bewilligung der Verfahrenshilfe unter Beigebung eines Rechtsanwalts als Verfahrenshelfer zur Bekämpfung des Beschlusses über die Festsetzung des Schätzwerts - eine Verdeutlichung seines Willens, selbständig - also unabhängig von Genehmigungsakten des Masserverwalters - handeln zu können und zu wollen. Der Gemeinschuldner tritt dieser Auslegung seiner Prozesshandlung im Revisionsrekurs nicht entgegen. Unter offenkundiger Zugrundelegung der Erwägungen des Rekursgerichts zur Vertretungsproblematik vertritt er vielmehr erstmals die Ansicht, sein Rekurs hätte ohne einen Versuch zur Sanierung des Vertretungsmangels nicht zurückgewiesen werden dürfen.
Dem ist nicht beizutreten.
Durch seine prozessuale Willenserklärung im Verfahren erster Instanz, unabhängig von einem Vertretungsakt des Masseverwalters handeln zu können und zu wollen, bestimmte der Gemeinschuldner die Grenzen des Entscheidungsgegenstands im Rechtsmittelverfahren. Danach ist bloß zu prüfen, ob der Gemeinschuldner als Verpflichteter in einem reinen Exekutionsverfahren neben dem Masseverwalter selbständig Prozesshandlungen setzen kann. Zufolge dieser Begrenzung des Entscheidungsgegenstands kann der Gemeinschuldner einen Genehmigungsakt des Masserverwalters durch die Änderung seines prozessualen Handlungswillens erst im Revisionsrekursverfahren nicht mehr erreichen, weil der Oberste Gerichtshof den angefochtenen Beschluss nach der Sachlage im Zeitpunkt seiner Erlassung zu überprüfen hat. Somit kann aber die Rekursentscheidung nicht durch eine Entscheidung auf Grundlage einer erst im Revisionsrekurs vorgebrachten Neuerung - nämlich nunmehr nicht mehr selbst, sondern durch den Masseverwalter handeln zu wollen - ersetzt werden (siehe zum Neuerungsbegriff: Fasching, LB2 Rz 1724; Kodek in Rechberger, ZPO2 Rz 1 zu § 482).
Dagegen lässt sich im Anlassfall nicht erfolgreich ins Treffen führen, dass im Allgemeinen Tatsachen, die von Amts wegen wahrzunehmende Umstände - so (absolute) Prozessvoraussetzungen, die Zulässigkeit eines Rechtsmittels oder Nichtigkeitsgründe - betreffen, nicht unter das Neuerungsverbot fallen (Fasching aaO Rz 1731; Kodek aaO Rz 3 zu § 482), ist doch im vorliegenden Rechtsmittelverfahren nur zu beurteilen, ob der den Entscheidungsgegenstand begrenzende Standpunkt des Gemeinschuldners zutrifft, seine prozessuale Handlungsfähigkeit werde in einem reinen Exekutionsverfahren durch die Konkurseröffnung über sein Vermögen nicht berührt, sodass er legitimiert bleibe, Rechtsmittel selbständig - also ohne Genehmigungsakte des Masserverwalters - zu ergreifen. Demzufolge kann der Gemeinschuldner durch die Auswechslung des Entscheidungsgegenstands im Revisionsrekursverfahren nicht erreichen, dass gemäß § 78 EO iVm § 6 Abs 2 ZPO doch noch ein von ihm wegen der soeben erörterten Gründe ursprünglich gerade nicht gewolltes Sanierungsverfahren eingeleitet wird.
Gegenteiliges wird der Sache nach auch nicht in der Entscheidung 3 Ob 8/96 ausgesprochen, weil der Verpflichtete dort seine Ansicht, als Gemeinschuldner ohne Genehmigungsakte des Masseverwalters handeln zu können und zu wollen, im Revisionsrekursverfahren beibehalten hatte. Somit können sich deren allgemeinen Erwägungen über die Notwendigkeit eines Sanierungsverfahrens zur Behebung eines Vertretungsmangels nur auf den Fall beziehen, dass der Gemeinschuldner als Verpflichteter in einem reinen Exekutionsverfahren zwar zunächst selbständig handelte, ohne jedoch dadurch gleichzeitig zum Ausdruck gebracht zu haben, anders gar nicht handeln zu wollen.
3. Vor dem Hintergrund aller voranstehenden Erwägungen ergibt sich zusammenfassend, dass der Gemeinschuldner als Verpflichteter in einem reinen Exekutionsverfahrens nicht berechtigt ist, neben dem Masseverwalter ohne Genehmigungserfordernis selbständig Rechtsmittel zu ergreifen. Wollte er nach seinen Prozesserklärungen im Verfahren erster Instanz gar nicht anders als selbständig handeln, bedarf es nicht der Einleitung eines Sanierungsverfahrens zur Behebung eines Vertretungsmangels, wenn er ein solches erst auf dem Boden einer die Entscheidungsgrundlage ändernden Neuerung im Rechtsmittelverfahren anstrebt.
Dem Revisionsrekurs ist somit ein Erfolg zu versagen. Die Kostenentscheidung gründet sich auf § 78 EO iVm §§ 40, 41 und § 50 Abs 1 ZPO.