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OGH vom 17.01.1990, 1Ob690/89

OGH vom 17.01.1990, 1Ob690/89

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gudrid G***, Private, Linz, Oidenerstraße 34a, vertreten durch Dr. Gerhard Wagner, Rechtsanwalt in Linz, wider die beklagte Partei Verlassenschaft nach Günther Karl W***, verstorben am , vertreten durch die erbserklärten Erben mj. Florian W***, Schüler, und mj. Marie-Luise W***, Schülerin, beide Enns, Moserweg 14, beide vertreten durch die Mutter und gesetzliche Vertreterin Eva W***, Lehrerin, ebendort, diese vertreten durch Dr. Johannes Grund, Dr. Wolf D. Polte, Rechtsanwälte in Linz, wegen S 184.163,33 samt Anhang, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Linz als Berufungsgerichtes vom , GZ 4 R 195/89-10, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Linz vom , GZ 7 Cg 329/88-4, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Die Urteile der Vorinstanzen werden aufgehoben, die Rechtssache wird an das Prozeßgericht erster Instanz zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Kosten der Rechtsmittelverfahren sind weitere Prozeßkosten.

Text

Begründung:

Günther Karl W*** verstarb am . In einem Kodizill vermachte er der Klägerin diverse Einrichtungsgegenstände und das Sparbuch der S*** DER S*** E***, lautend auf "Günther" Nr. 0010-370708 mit einem Einlagestand am Todestag von S 184.163,33. Seine mj. Kinder Florian und Marie-Luise W*** gaben auf Grund des Gesetzes je zur Hälfte des Nachlasses die bedingte Erbserklärung ab, die vom Bezirksgericht Linz mit Beschluß vom , 1 A 148/88-15, zu Gericht angenommen wurde; gemäß § 145 AußStrG wurde den Erben die Besorgung und Verwaltung des Nachlasses überlassen.

Nach dem vom Gerichtskommissär Dr. Rudolf S*** am errichteten Hauptinventar ergibt sich nach Abzug der Verfahrenskosten ein Reinnachlaß von S 317.436,01. Der Gesamtwert aller an die Klägerin und an andere Personen ausgesetzten Vermächtnisse beträgt S 253.210,85. Bei einem sich nach dem Reinnachlaß ergebenden Pflichtteil der beiden Kinder von S 158.718 würde sich bei Erfüllung aller Vermächtnisse eine Pflichtteilsverkürzung von S 94.493,84 ergeben.

Mit der vorliegenden Vermächtnisklage begehrt die Klägerin die Herausgabe des Sparbuches. Die Aktiva und Passiva (im Inventar) seien unrichtig errechnet. Eine Pflichtteilsverkürzung sei nicht gegeben. Im übrigen hätten die beiden mj. Kinder eine bedingte Erbserklärung abgegeben, sodaß ein Pflichtteilsanspruch nicht gegeben sein könne.

Die beklagte Verlassenschaft wendete ein, daß der Reinnachlaß nicht zur Abdeckung der Pflichtteile der mj. Erben ausreiche. Es bestehe daher keine Verpflichtung, das Sparbuch auszufolgen. Es liege mangelnde Fälligkeit vor.

Das Erstgericht gab dem Klagebegehren statt. Der Beweis der Unzulänglichkeit des Nachlasses nach § 692 ABGB treffe den Erben. Der Beweis könne durch die Ergebnisse des Verlassenschaftsverfahrens erbracht werden. Ergebnisse einer Inventarisierung seien im Prozeß zwar nicht bindend, doch treffe jenen die Beweislast, der die Unrichtigkeit des Inventars behaupte. Die Klägerin habe zwar behauptet, die Errechnung der Aktiven und der Passiven sei unrichtig erfolgt. Sie habe jedoch dafür keine Beweismittel angeboten, sodaß von der Richtigkeit des im Verlassenschaftsverfahren aufgenommenen Inventars ausgegangen werden könne. Die Schätzung des Nachlasses ergebe, daß dieser tatsächlich nicht zur Bezahlung der anderen pflichtmäßigen Auslagen ausreichen würde, stünde den beiden mj. Kindern ein Pflichtteilsanspruch zu. Die beklagte Partei übersehe jedoch, daß der Erblasser unter Hinterlassung eines Kodizills verstorben sei und seine beiden mj. Kinder auf Grund des Gesetzes je zum halben Nachlaß die bedingte Erbserklärung abgegeben haben. Bei der gesetzlichen Erbfolge gebe es jedoch kein Noterbrecht, sodaß auch keine Pflichtteilsverkürzung eintreten könne. Die Einrede der mangelnden Sicherstellung entbehre daher einer rechtlichen Grundlage. Die beklagte Partei erhob Berufung. Die Klägerin rügte in ihrer Berufungsbeantwortung ausdrücklich die vom Erstgericht im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vorgenommene Feststellung, daß von der Richtigkeit des im Verlassenschaftsverfahren aufgenommenen Inventars ausgegangen werden könne.

Das Berufungsgericht gab der Berufung der beklagten Partei Folge. Es änderte das Urteil des Erstgerichtes dahin ab, daß es das Klagebegehren abwies. Die Revision erklärte es für zulässig. Der Pflichtteil könne auch in Gestalt eines Erbteiles hinterlassen werden, dem in seinem Pflichtteil verkürzten Noterben stehe ein Ergänzungsanspruch zu. Der gesetzliche Erbteil sei wohl auf den Pflichtteil anzurechnen. Der gesetzliche Erbe könne aber aus der Verlassenschaft das fordern, was ihm auf seinen Pflichtteil fehle. Demnach käme der von der Klägerin vorgeschlagene Weg, den gesetzlich angefallenen Erbteil auszuschlagen und statt dessen den Pflichtteil in Geld zu verlangen, nicht in Betracht. Auch bei der gesetzlichen Erbfolge seien die ausgesetzten Vermächtnisse nach § 692 ABGB zu kürzen, wenn die Erben nicht wenigstens den ihnen zustehenden Pflichtteil erhielten. Die beklagte Partei habe die Herausgabe des der Klägerin vermachten Sparbuches zu Recht verweigert bzw. von einer Sicherstellung ungedeckter Pflichtteilsforderungen abhängig gemacht. Da die Klägerin eine solche Sicherstellung verweigere, bestehe ihr Herausgabeanspruch nicht zu Recht. Zu prüfen bleibe nur ihr Einwand, die dem Verlassenschaftsakt entnommene Feststellung über die ausreichende Deckung der Pflichtteilsansprüche durch den Nachlaß sei unrichtig. Dieses Vorbringen laufe auf die Rüge eines Verfahrensmangels hinaus. Der einzige vom Erstgericht aufgenommene Beweis, die Verlesung des Verlassenschaftsinventars, decke nämlich die bekämpfte Feststellung. Die Klägerin könnte nur durch die Unvollständigkeit der Beweisaufnahme beschwert sein. Für die Frage der Zulänglichkeit des Nachlasses sei das Inventar nicht das einzige Beweismittel. Zutreffend habe jedoch schon das Erstgericht darauf hingewiesen, daß denjenigen die Beweislast treffe, der die Unrichtigkeit des Inventars behaupte. Es hätte also die Klägerin nicht nur konkret behaupten, sondern auch beweisen müssen, daß das Inventar unrichtig sei. Die darauf abzielende Behauptung der Klägerin ging aber dahin, das Inventar sei unrichtig errechnet worden. Ein Beweisangebot blieb sie mit Ausnahme des ohnehin verlesenen Verlassenschaftsaktes überhaupt schuldig, sodaß eine Mangelhaftigkeit des erstinstanzlichen Verfahrens nicht zu erkennen sei. Selbst wenn man der Klägerin unterstelle, sie habe mit ihrem Vorbringen gemeint, daß die Aktiven und Passiven des Nachlasses zu niedrig bzw. zu hoch bewertet worden seien und daß einzelne Nachlaßwerte nicht inventarisiert worden seien, fehle es an der notwendigen Konkretisierung eines solchen Einwands. Der Verlassenschaftsakt gebe keine Anhaltspunkte, was damit gemeint sei.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist berechtigt.

Nach § 692 ABGB haben die Legatare u.a. dann einen verhältnismäßigen Abzug zu leiden, wenn die Verlassenschaft zur Bezahlung der Schulden und anderer pflichtgemäßer Auslagen nicht zureicht. Der Erbe ist, solange eine solche Gefahr obwaltet, nicht schuldig, die Vermächtnisse ohne Sicherstellung zu berichtigen. Unter Schulden und pflichtgemäßen Auslagen fallen auch die Ansprüche der Pflichtteilsberechtigten (Welser in Rummel, ABGB, Rz 2 zu § 692; Weiß in Klang2 III 633; Kralik-Ehrenzweig, Erbrecht3 242; Zemen in ÖJZ 1985, 65). Die Pflichtteilsschuld geht als Passivum den Vermächtnissen vor (Koziol-Welser8 II 354; Ehrenzweig2 II/2, 580). Die Vorschrift des § 692 ABGB ist analog auf den ruhenden Nachlaß anzuwenden (EvBl. 1983/158 mwN).

Der Pflichtteil kann dem Noterben auch in Form des gesetzlichen Erbteiles zukommen (Koziol-Welser aaO 366; Kralik-Ehrenzweig aaO 309; Ehrenzweig aaO 575, Welser aaO, Rz 1 zu § 774 ABGB), sei es, daß der Erblasser nur über einen Teil des Nachlasses testierte, sei es, daß er nur Vermächtnisse aussetzte.

Der Erbteil des Noterben darf aber durch Vermächtnisse jedenfalls nicht insoweit geschmälert werden, daß - hätte der noterbsberechtigte gesetzliche Erben die Erbschaft nicht angetreten - sein Pflichtteilsanspruch verletzt wird. Ein pflichtteilsberechtigter Erbe ist wie ein sonstiger Noterbe zu behandeln (Kralik-Ehrenzweig aaO 242; Welser aaO Rz 3 zu § 692; vgl. GlUNF 2882). Auch dem gesetzlichen Erben, der gleichzeitig Pflichtteilsberechtigter ist, steht daher das Leistungsverweigerungsrecht nach § 692 ABGB zu. Die Beantwortung der vom Berufungsgericht aufgeworfenen Frage, wie der mit dem gesetzlichen Erbe idente Noterbe dem Nachlaß gegenüber seinen Pflichtteilsanspruch geltend zu machen in der Lage sei, ist dann aber entbehrlich.

Geht man aber von dieser Rechtslage aus, leidet das Urteil des Berufungsgerichtes auf Grund unrichtiger Beurteilung der Beweislast an einem Mangel. Die Unzulänglichkeit des Nachlasses ist vom Erben zu beweisen (EvBl. 1983/158; SZ 41/75 ua; Welser aaO Rz 11 zu § 692; Weiß aaO 636). Der Ansicht des Berufungsgerichtes, die Vermächtnisklägerin treffe die Behauptungs- und Beweislast, das im Verlassenschaftsverfahren aufgenommene Inventar sei unrichtig, kann nicht gefolgt werden. Das Berufungsgericht kann sich dabei nur auf die von Welser aaO, Rz 11 zu § 692 ohne nähere Begründung geäußerte Ansicht berufen, daß dann, wenn sich der Erbe (der ruhende Nachlaß), der ein Kürzungsrecht nach § 692 ABGB geltend machte, auf die Ergebnisse der Inventarisierung beruft, dies zu einer Umkehr der Beweislast führt, sodaß der Vermächtnisnehmer die Unrichtigkeit bzw. Unvollständigkeit des Inventars zu behaupten und zu beweisen hätte. Diese Meinung ist vereinzelt geblieben. Es entspricht vielmehr ständiger von der Lehre gebilligter Rechtsprechung, daß die Wirkungen der Inventarserrichtung nicht über das Verlassenschaftsverfahren hinausgehen (SZ 59/9; EFSlg 47.323, 35.122, 25.967, 23.695; SZ 47/12; RZ 1937/240 ua; Weiß aaO 984; Eccher aaO, Rz 19 zu § 802). Das Inventar macht daher keinen vollen Beweis über den Wert der geschätzten Sachen (Kralik in JBl. 1986, 518), aus ihm ergibt sich nur, daß der Sachverständige diese Gegenstände gesehen und in dieser Weise bewertet hat. Die Inventarserrichtung kommt daher ihrem Wesen nach nur einem besonderen außerstreitigen Beweissicherungsverfahren gleich; welche rechtlichen Wirkungen es im Prozeß hat, hat dann aber analog § 389 ZPO beurteilt zu werden (Kralik aaO). Jede Partei kann sich daher im streitigen Verfahren zum Beweis für die Richtigkeit ihrer Behauptungen auf das Inventar berufen, es kann auch eine Ergänzung oder Wiederholung dieser Beweisaufnahme angeordnet werden. Es wurde daher bereits in mehreren nicht veröffentlichten Entscheidungen ausgesprochen, daß auch bei einer Vermächtnisklage die im Inventar enthaltenen Werte "ohne Belang" seien (8 Ob 583, 584/87, 6 Ob 24/75, 3 Ob 401/60), was jedenfalls dahin zu verstehen ist, daß es nicht zu einer Umkehr der Beweislast kommt.

Die Klägerin traf daher nicht die Beweislast, daß im Gegensatz zu den Ergebnissen der im Verlassenschaftsverfahren durchgeführten Inventarisierung der Nachlaß zur Deckung der Pflichtteilsansprüche der ehelichen Kinder ausreichend sei. Den Beweis für die Unzulänglichkeit des Nachlasses hatte vielmehr die beklagte Partei zu erbringen. Die Frage, wen die Beweislast trifft, ist eine solche der rechtlichen Beurteilung. Lehnte das Berufungsgericht den geltend gemachten und tatsächlich auch gegebenen Verfahrensmangel auf Grund einer unrichtigen rechtlichen Beurteilung ab, blieb auch sein Verfahren selbst mangelhaft.

Der Revision ist Folge zu geben. Die Urteile der Vorinstanzen sind aufzuheben und die Rechtssache ist zur Erörterung der Frage der Unzulänglichkeit des Nachlasses zur Deckung der Pflichtteilsansprüche der Noterben zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an das Prozeßgericht erster Instanz zurückzuverweisen (§ 510 Abs 1 ZPO).

Die Entscheidung über die Kosten der Rechtsmittelverfahren gründet sich auf §§ 50, 52 ZPO.