OGH vom 31.10.1980, 1Ob689/80
Norm
G RGBl. 77/1897 Art 1;
Kopf
SZ 53/139
Spruch
Auch in Tirol kann die Einverleibung von auf Ersitzung gegrundete Wegedienstbarkeiten im Grundbuch jedenfalls dann begehrt werden, wenn der Eigentümer des belasteten Grundstückes zu Unrecht deren Bestehen oder ihre Offenkundigkeit bestritten hat
(LG Innsbruck 3 R 348, 349/80; BG Hopfgarten C 237/77)
Text
Der Kläger ist Alleineigentümer der Liegenschaft EZ 47 1 KG K, geschlossener Hof V, die beklagte Partei ist Alleineigentümerin der Liegenschaft EZ 1288 II KG K, zu deren Gutsbestand u. a. das Grundstück 207, Wohn- und Wirtschaftsgebäude K II/81 gehört. Mit rechtskräftigem Teilanerkenntnisurteil des Erstgerichtes vom 6. Feber 1980, C 237/77-16, wurde festgestellt, dem Kläger und allen künftigen Eigentümern der Liegenschaft EZ 47 I KG K als dem herrschenden Gute stehe die Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes sowie des Viehtriebes gegenüber den jeweiligen Eigentümern der Bauparzelle 207 in EZ 1280 II KG K als dem dienenden Gute in der Weise zu, daß zur Bewirtschaftung des Hofes in EZ 47 I KG K über den entlang der Grenze zu den Grundstücken 1352 und 4457 gelegenen Teil der Bauparzelle 207 gegangen und gefahren sowie Vieh getrieben werden darf. Als Rechtsgrund hatte der Kläger angeführt, er habe dieses Recht ersessen.
Strittig blieb noch das Begehren, die beklagte Partei sei schuldig, in die grundbücherliche Einverleibung dieser Dienstbarkeiten einzuwilligen. Gegen diesen Teil des Begehrens wendete die beklagte Partei ein, eine solche Verbücherung sei in Tirol nicht vorgesehen und nicht erforderlich.
Das Erstgericht gab dem Begehren auf Einverleibung der Dienstbarkeit des Viehtriebes statt; das weitere Begehren um Zustimmung zur Einwilligung zur Einverleibung der Dienstbarkeit des Geh- und Fahrrechtes wies es ab. Es führt aus, der Eintragungsgrundsatz finde im Lande Tirol gemäß Art. I des Gesetzes RGBl. 77, 1897 auf Wege- und Wasserleitungsservituten keine Anwendung. Der Kläger habe daher nur Anspruch auf Einverleibung der Dienstbarkeit des Viehtriebes.
Dieses Urteil bekämpften beide Parteien mit Berufung. Mit dem angefochtenen Urteil wurde nur der Berufung des Klägers Folge gegeben und das Urteil des Erstgerichtes dahin abgeändert, daß dem gesamten Leistungsbegehren stattgegeben wurde. Das Berufungsgericht sprach aus, daß der von der Abänderung betroffene Wert des Streitgegenstandes 2000 S übersteige. Nach Art. I des Gesetzes RGBl. 77/1897 bedürften in Tirol als Felddienstbarkeiten sich darstellende Wege- und Wasserleitungsservituten, insofern sich dieselben auf Ersitzung grunden, der Eintragung in das Grundbuch nicht und finde auf solche Rechte die Vorschrift des § 1500 ABGB keine Anwendung. Damit sei lediglich der im § 1500 ABGB festgelegte Vertrauensgrundsatz für solche Dienstbarkeiten ausgeschlossen, was zur Folge habe, daß sich in Tirol der Erwerber einer Liegenschaft, die mit solchen Dienstbarkeiten belastet sei, nicht darauf berufen könne, er habe die Liegenschaft infolge Nichtverbücherung dieser Dienstbarkeiten lastenfrei erworben. Die Bestimmung des Art. I dieses Gesetzes schließe aber anders als die für Vorarlberg geltende Bestimmung des Art. I des Gesetzes RGBl. 33/1905, wonach als Felddienstbarkeiten sich darstellende Wege-, Wasserleitungs- und Holzriesenservituten überhaupt von der Eintragung in das Grundbuch ausgenommen seien, die Zulässigkeit der Eintragung von Wege- und Wasserleitungsservituten, die sich als Felddienstbarkeiten darstellen und auf Ersitzung gegrundet seien, nicht aus. Der Ersitzungsbesitzer solcher Servituten sei daher wie jeder andere, der eine Sache oder ein Recht ersessen habe, gemäß § 1498 ABGB berechtigt, auf Feststellung dieses Rechtes zu klagen und vom Liegenschaftseigentümer zu begehren, in die Verbücherung dieses Rechtes einzuwilligen.
Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der beklagten Partei nicht Folge.
Rechtliche Beurteilung
Aus den Entscheidungsgründen:
Während in sämtlichen anderen im Reichsrat vertretenen Königreiche und Länder zur Sicherung des Rechtsverkehrs mit Grund und Boden und der sich darauf beziehenden dinglichen Rechte das Rechtsinstitut der Grundbücher bestand, versahen in Tirol und Vorarlberg die Verfachbücher die Funktionen des öffentlichen Buches. Diesen kam zwar der Charakter eines öffentlichen Buches zu, es mangelte ihnen aber, da sie eines Hauptbuches und Realfoliums entbehrten, die Evidenz der dinglichen Rechte nahezu vollständig, sodaß das Publizitätsprinzip nicht gewahrt war. Als anläßlich der Wiedervereinigung Tirols mit Österreich im Jahre 1815 das ABGB in Wirksamkeit treten sollte, wurde mit allerhöchster Entschließung vom 24. Dezember 1814, Z. 5827, angeordnet, daß jene Gesetzesstellen der Galizischen Gerichtsordnung und des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches, welche die Existenz der Grundbuchs- und Landtafelverfassung voraussetzten, vorderhand bis zur erfolgenden Einführung der Grundbücher außer Anwendung sein sollten. In allen diesen Fällen sei nach den vorigen Gesetzen und Verordnungen, welche vor Einführung des bayerischen und italienischen Rechtes in Tirol und Vorarlberg gegolten haben (Hofdekret vom 12. März 1792, JGB 5 u. a.) zu entscheiden (s. den Wortlaut bei Lecher, Das Verfachbuch, 82). Eine in den Jahren 1869 bis 1872 auf Grund des Gesetzes vom 27. März 1869, RGBl. 42, betreffend die Grundsätze der Anmeldung und Umgestaltung der Hypothekarrechte in Tirol durchgeführte Hypothekarerneuerung brachte keine grundsätzliche Verbesserung der dem Verfachbuchwesen anhaftenden Mängel. In einer im Jahre 1893 an 16 Orten in verschiedenen Gegenden Tirols abgehaltenen ambulanten Kommission wurde mehrheitlich der Wunsch nach Einführung des Grundbuches auch in Tirol geäußert, allerdings unter gewissen Einschränkungen und Voraussetzungen, die durch die Eigentümlichkeit des Landes und dessen Rechtsanschauungen und durch die jahrhundertelange bestehenden Rechtsgewohnheiten gerechtfertigt erschienen. Diese Sonderregelungen finden sich im Gesetz RGBl. 77/1897 womit für den Fall der Einführung der Grundbücher in Tirol einige grundbuchsrechtliche Sonderbestimmungen und erleichternde Gebührenbestimmungen sowie das Realexekutionsverfahren betreffende Anordnungen erlassen und Beschränkungen der Teilung von Gebäuden nach materiellen Anteilen eingeführt wurden. Nicht alle Bestimmungen dieses Gesetzes haben den Charakter von Übergangsregeln. Es finden sich auch bleibende Abweichungen vom damaligen Reichsrecht. Zu diesen Abweichungen zählt die Bestimmung des Art. I. Nach dieser Bestimmung bedürfen als Felddienstbarkeiten sich darstellende Wege- und Wasserleitungsservituten, insofern sich dieselben auf Ersitzung grunden, der Eintragung in das Grundbuch nicht und findet auf solche Rechte die Vorschrift des § 1500 ABGB keine Anwendung. Ursprünglich wurde im Regierungsentwurf vorgeschlagen, alle als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wegerechte von der Eintragung in das Grundbuch auszuschließen. Dies wurde damit begrundet, daß infolge der Lage des Grundbesitzes, der Terrainverhältnisse und der großen Parzellierung des Gründes und Bodens in Tirol vielfach ein sehr kompliziertes Abhängigkeitsverhältnis zwischen den Grundstücken verschiedener Eigentümer bestehe. Die Zahl der Grundstücke, bei deren Bewirtschaftung die Eigentümer auf die Benützung fremder Grundstücke angewiesen seien, sei außerordentlich groß, und es komme in vielen Gegenden eine überaus große Menge von Wegerechten verschiedener Art vor. Auch die in Tirol sehr zahlreich vorkommenden privaten Interessentschaftswege stellten sich zumeist als Wegeservituten dar. Wie bei der Enquete in verschiedenen Orten übereinstimmend berichtet worden sei, stehe oft Hunderten von Grundbesitzern das Recht zu, über fremden Grund zu fahren oder ihr Vieh durchzutreiben; anderseits müßten einzelne Grundbesitzer Hunderte fremder Parzellen befahren, um zu ihrer Parzelle zu gelangen. Die Ansicht sei zum Ausdruck gekommen, daß die Fixierung der Rechtsverhältnisse bezüglich einer einzigen Wegeverbindung mitunter vielleicht tausend Eintragungen im Grundbuch erforderlich machen würde. Seien solche Verhältnisse schon für die Durchführung der bezüglichen Rechtsermittlungen und der grundbücherlichen Eintragung sehr mißlich, so falle weiter die Tatsache gewichtig in die Waagschale, daß in bezug auf die Ausübung der gedachten Wegerechte gegenwärtig im allgemeinen ruhige Zustände obwalten, indem diese Rechte von den Beteiligten als etwas Selbstverständliches ausgeübt und geduldet werden. Im Falle gesetzlicher Verpflichtung zur Geltendmachung derselben bei der Grundbuchsanlegung, sei es anläßlich der Lokalerhebungen oder im Richtigstellungsverfahren, wären nun vielfache Außerachtlassungen der berechtigten Parteien und sohin Rechtsverluste zu gewärtigen, und anderseits sehr zahlreiche Widersprüche gegen die Verbücherung und kostspielige Prozesse zu besorgen, welche sonst voraussichtlich gar nicht entstehen würden. Die vorstehend erwähnten Schwierigkeiten und Nachteile der Ermittlung und Verbücherung der als Felddienstbarkeiten sich darstellenden Wegerechte sowie die Rücksicht auf die Ökonomie des öffentlichen Buches und die hievon bedingte Übersichtlichkeit des Grundbuchsstandes ließen es sonach als geboten erscheinen, das Eintragungsprinzip rücksichtlich dieser Kategorie von Grunddienstbarkeiten in Tirol fallen zu lassen. Diese Ausnahme tue dem Grundbuchssystem keinen wesentlichen Eintrag, da die bezüglichen Belastungen in der Regel selbst ohne bücherliche Eintragung von dritten Personen bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit wahrgenommen werden könnten. Der Tiroler Landtag sprach sich jedoch in seinem Gutachten gegen eine so weitgehende Änderung des allgemeinen Grundbuchsrechtes aus. Nur die auf Ersitzung gegrundeten Wegeservituten (deren Anzahl allerdings die weitaus größte ist) sollten der Verbücherung nicht bedürfen, und bezüglich derselben der § 1500 ABGB außer Anwendung sein, sodaß nur im Betreff dieser ersessenen Servituten das Grundbuch der publica fides entbehre; betreffs aller anderen Servituten, also auch für die durch Vertrag, richterliches Urteil oder letztwilliger Verfügung begrundeten Wegeservituten, möge das allgemeine Recht (Grundbuchs- und allgemeines bürgerliches Recht) zur Anwendung kommen; aber auch die grundbücherliche Eintragung der ersessenen Wegeservituten solle nicht verboten oder ausgeschlossen, sondern über ein verständliches Verlangen der Parteien gestattet sein (1516 der Beilagen zu den stenographischen Protokollen des Abgeordnetenhauses, XI. Session 1896, 1 ff.). Diesem Gutachten des Landes Tirol hat sich der Gesetzgeber angeschlossen. In Tirol ist daher die Eintragung einer ersessenen Wegedienstbarkeit in das Grundbuch zulässig (vgl. Rede des Abgeordneten Dr. Nitsche, mitgeteilt in NZ 1896, 160).
Die Erwägungen des historischen Gesetzgebers zeigen, daß die Ausnehmung ersessener Wege- und Wasserleitungsservituten, soweit sie sich als Felddienstbarkeiten darstellen, von der Eintragung ins Grundbuch geschaffen wurde, um die Grundbuchsanlegung in Tirol zu erleichtern. Der Gesetzgeber hatte dabei aber nur solche Rechte im Auge, die von alters her unbestritten waren, als etwas Selbstverständliches ausgeübt und geduldet wurden und auch von dritten Personen (Rechtsnachfolgern des Eigentümers des belasteten Grundstückes) selbst ohne bücherliche Eintragung bei Anwendung gehöriger Aufmerksamkeit wahrgenommen werden konnten. Wird aber ein ersessenes Recht zunächst bestritten und seine Offenkundigkeit geleugnet, herrschte also Streit um den Bestand des Rechtes, dient die Einverleibung ersessener Rechte der Sicherung des Rechtsverkehrs, weil nur dadurch jeder Erwerber der belasteten Liegenschaft unbezweifelbar auf den Bestand und den Umfang der Dienstbarkeit aufmerksam gemacht wird. Bei Bestreitung seines Rechtes und Zulässigkeit der Einverleibung steht daher dem Kläger, der bei Erhebung einer Leistungsklage regelmäßig ein besonderes Rechtsschutzinteresse an dem begehrten Urteil nicht behaupten muß (EvBl. 1972/20; EvBl. 1957/302; SZ 26/99), schon zur Vermeidung wiederholter Prozesse gegen die jeweiligen Eigentümer des belasteten Grundstückes auch bei Bedachtnahme auf die Rechtslage in Tirol der Anspruch zu, die Einverleibung der Dienstbarkeit zu begehren.