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OGH vom 23.11.2016, 1Ob146/16a

OGH vom 23.11.2016, 1Ob146/16a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Dr. S***** Z*****, vertreten durch die Schlosser Péter Rechtsanwälte OG, Wien, gegen die beklagte Partei Republik Österreich (Bund) vertreten durch die Finanzprokuratur in Wien, wegen restlich 2.709.739,36 EUR sA und Zahlung einer Rente, über die Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 14 R 9/16w 205, mit dem das Endurteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 30 Cg 21/09t 193, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird teilweise Folge gegeben.

Die Urteile der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie insgesamt lauten:

„1. Das Zahlungsbegehren an Kapital besteht mit 808.658,43 EUR zu Recht.

2. Diese Klageforderung ist infolge der von der Beklagten erklärten Aufrechnung im Umfang von 244.130,71 EUR erloschen.

3. Die beklagte Partei ist daher schuldig, der klagenden Partei binnen 14 Tagen 564.527,72 EUR samt 4 % Zinsen seit zu zahlen.

4. Die beklagte Partei ist weiters schuldig, der klagenden Partei beginnend mit Mai 2015 und endend mit September 2022 eine monatliche Rente von 2.515,35 EUR zu zahlen und zwar die bereits fälligen Beträge binnen 14 Tagen und die künftig fällig werdenden Beträge an jedem 1. eines jeden Monats im Vorhinein.

5. Das Mehrbegehren, die beklagte Partei sei schuldig, der klagenden Partei weitere 2.145.211,64 EUR samt 4 % Zinsen seit und eine weitere monatliche Rente von 1.844,64 EUR zu zahlen, wird abgewiesen.

6. Die Kostenentscheidung wird gemäß § 52 Abs 2 ZPO vorbehalten.“

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens bleibt dem Erstgericht vorbehalten.

Text

Entscheidungsgründe:

Unstrittig ist, dass sich der Kläger vom bis zum im Sinn des § 2 Abs 1 Z 2 StEG 2005 ungerechtfertigt in Haft befand und ihm die Beklagte gemäß § 5 Abs 1 StEG 2005 auch den dadurch verursachten Verdienstentgang zu ersetzen hat (Ideelle Haftentschädigung, Ersatz der Verteidigerkosten, Schmerzengeld und Verunstaltungsentschädigung wurden dem Kläger bereits rechtskräftig mit Teilurteil zuerkannt.).

Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war der Kläger zum Zeitpunkt seiner Inhaftierung an mehreren Gesellschaften beteiligt und auch als Geschäftsführer tätig. Die operative Tätigkeit von zwei dieser Gesellschaften endete aufgrund der Verhaftung des Klägers und der ebenfalls im Geschäftsbetrieb tätigen ehemaligen Gattin. Nachdem alle Unterlagen und Computer beschlagnahmt und die Konten gesperrt worden waren, verließen auch die übrigen Mitarbeiter das Unternehmen. Wäre der Kläger nicht inhaftiert worden und der Betrieb der Gesellschaften nicht zum Erliegen gekommen, hätte er im Zeitraum vom bis April 2015 (Schluss der mündlichen Verhandlung in erster Instanz) aus seiner Geschäftsführertätigkeit insgesamt 304.435,78 EUR netto erhalten; danach beträgt sein Verdienstentgang monatlich 2.550,35 EUR netto. Aus seiner Geschäftsführertätigkeit für ein anderes Unternehmen ist ihm ein Einkommen von 491.890,51 EUR entgangen. Aus seiner Gesellschafterstellung bei der einen GmbH hätte er an Ausschüttungen bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung erster Instanz einen Betrag von 43.346,01 EUR erhalten; seither entgehen ihm jährlich Ausschüttungen von 4.134,38 EUR, die ihm ohne seine Verhaftung zugekommen wären. Wegen Abgabenschulden zweier Gesellschaften, für die der Kläger als Geschäftsführer tätig war, ergingen am gegen ihn als „Haftungsschuldner“ vollstreckbare Rückstandsausweise des zuständigen Finanzamts über Beträge von 152.344,30 EUR und 91.786,41 EUR. Über die Beschwerden gegen die diesen Rückstandsausweisen zugrunde liegenden Abgabenbescheide hat der Verwaltungsgerichtshof noch nicht entschieden.

Der Kläger begehrte zuletzt noch die Zahlung von 2.709.739,36 EUR samt 4 % Zinsen seit Klagsbehändigung sowie die Zahlung einer monatlichen Rente von 4.360 EUR für den Zeitraum Mai 2015 bis September 2022. Von den beiden Gesellschaften, an denen er beteiligt gewesen sei, habe er ein monatliches Geschäftsführergehalt von jeweils 2.180 EUR (12mal jährlich) bezogen, das ihm in Form einer monatlichen Schadenersatzrente in Höhe von 4.360 EUR zu vergüten sei. Im begehrten Kapitalbetrag seien einerseits die bisher fällig gewordenen Rentenbeträge enthalten, andererseits der eingetretene Verdienstentgang als Geschäftsführer einer weiteren Gesellschaft in Höhe von 638.579,36 EUR sowie der Entfall von Einkünften aus seinen Gesellschaftsbeteiligungen in Höhe von (zumindest) 1.500.000 EUR. Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit Abgabenforderungen sei unzulässig, weil die Abgabenbescheide nicht rechtskräftig seien. Die Aufrechnung sei auch sittenwidrig, weil die Gesellschaften ihre Abgabenschulden in voller Höhe bezahlt hätten, wenn sie ihre Geschäftstätigkeit weiter fortsetzen hätten können; nur wegen seiner ungerechtfertigten Verhaftung, die grob schuldhaft erfolgt sei, habe es dazu kommen können, dass Abgaben unbeglichen geblieben sind, für die er nun als Haftungsschuldner einstehen solle.

Die Beklagte wandte im Wesentlichen ein, dass der Kläger auch ohne die Inhaftierung aufgrund seines Gesundheitszustands außerstande gewesen wäre, seine Geschäfte weiterzuführen und die behaupteten Beträge zu verdienen. Seine Verhaftung sei auch deshalb nicht kausal für allfällige zukünftige Nachteile, weil es den betreffenden Gesellschaften aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht möglich gewesen wäre, ihm die behaupteten Beträge auszuzahlen. Hilfsweise wandte die Beklagte Abgabenforderungen in Höhe von 152.344,30 EUR und 91.786,41 EUR aufrechnungsweise ein, die sich aus Rückstandsausweisen vom ergäben. Die Aufrechnung sei zulässig, da die Erhebung einer Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof die bereits eingetretene Rechtskraft der letztinstanzlichen Bescheide nicht berühre.

Das Erstgericht sprach aus, dass die Klageforderung an Kapital mit 852.014,44 EUR sowie die eingewendete Gegenforderung mit 244.130,71 EUR zu Recht bestehe, und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger an Kapital 607.883,73 EUR samt 4 % Zinsen seit sowie eine monatliche Rente von 2.515,35 EUR vom bis zu zahlen. Das Mehrbegehren über einen weiteren Kapitalbetrag von 2.101.855,63 EUR samt Zinsen wies es ebenso ab wie das Begehren auf eine weitere monatliche Rente von 1.844,64 EUR. Gemäß § 5 Abs 1 StEG 2005 richteten sich der Gegenstand und der Umfang des Ersatzes nach den Bestimmungen des ABGB. Da der Ersatzanspruch nach § 5 Abs 3 leg cit keinen bundesgesetzlichen Abgaben unterliege, sei allein der reine Nettoschaden zu ersetzen. Auch bei der Berechnung einer Verdienstentgangsrente sei vom Nettoschaden auszugehen. Der zuzusprechende Betrag sei grundsätzlich so zu bestimmen, dass dem Betroffenen letztlich netto derselbe Betrag zur Verfügung steht, wie bei Ausübung der Erwerbstätigkeit. Zu den bisher bereits fällig gewordenen Ersatzbeträgen für den Entfall seiner Geschäftsführerbezüge sei auch noch für die entgangenen Ausschüttungen als Gesellschafter ein Kapitalbetrag von 55.749,15 EUR als Barwert einer Rente hinzuzurechnen. Für die Zukunft bestehe lediglich ein Verdienstentgang bezüglich der Geschäftsführerbezüge von monatlich 2.515,35 EUR netto. Das darüber hinausgehende Begehren an Kapital und Rente sei abzuweisen. Eine weitere Teilabweisung ergebe sich aus der Berechtigung der eingewandten Gegenforderung. Das Aufrechnungsverbot des § 1441 Satz 2 ABGB wirke nur zugunsten, nicht aber zu Lasten des Staates. Es bestehe auch eine Bindung der Gerichte an rechtskräftige Bescheide der Verwaltungsbehörden, und zwar auch bei einer Bekämpfung durch eine Beschwerde an den VwGH, sofern dieser nicht aufschiebende Wirkung zuerkannt wurde. Der Einwand der Sittenwidrigkeit sei schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil nicht feststehe, dass die eingewandte Gegenforderung in Gestalt von Abgabenforderungen eine kausale Folge der Haft des Klägers sei. Sonst habe er keine besonderen Umstände ins Treffen geführt, wonach eine Aufrechnung unzulässig wäre.

Das Berufungsgericht änderte die erstgerichtliche Entscheidung in teilweiser Stattgebung der Berufungen beider Streitteile ab. Es sprach aus, dass die Klagsforderung an Kapital mit 808.658,43 EUR zu Recht bestehe, wies die Einwendung einer Gegenforderung ab und erkannte die Beklagte schuldig, dem Kläger 808.658,43 EUR samt 4 % Zinsen seit , eine monatliche Rente von 2.515,35 EUR vom bis sowie eine lebenslange jährliche Rente von 4.134,38 EUR ab dem Jahr 2015 zu zahlen; das Mehrbegehren über weitere 1.901.080,93 EUR samt Zinsen sowie eine weitere monatliche Rente von 1.844,64 EUR wies es ab. Die ordentliche Revision erklärte es für zulässig. Das Berufungsgericht verwarf die Verfahrensrügen beider Parteien und die Beweisrüge der Beklagten und übernahm die erstgerichtlichen Feststellungen als Ergebnis eines mängelfreien Verfahrens und einer zutreffenden Beweiswürdigung. In rechtlicher Hinsicht vertrat es die Auffassung, dem Erstgericht sei insoweit ein Fehler bei der Berechnung der Ersatzansprüche des Klägers unterlaufen, als sein Vermögensnachteil aus dem (dauerhaften) Entfall von Erträgnissen aus seinen Gesellschaftsanteilen nicht zur Gänze als Kapitalbetrag zugesprochen hätte werden dürfen. Bei einem Erwerbsschaden aus selbständiger Tätigkeit sei – im Gegensatz zu einem solchen aus unselbständiger Tätigkeit – eine unbefristete lebenslange Rente zuzuerkennen, deren Beträge jeweils erst am Ende des jeweiligen Jahres fällig werden. Es seien daher nur die bereits fällig gewordenen Beträge von insgesamt 43.346,01 EUR als Kapitalforderung zuzuerkennen, wogegen für die Zukunft eine Verpflichtung der Beklagten zur jährlichen Rentenzahlung – als „Minus“ im Sinne des § 405 ZPO gegenüber dem begehrten Kapitalbetrag – auszusprechen sei. Die von der Beklagten erklärte Aufrechnung sei unzulässig, sei doch nach § 6 StEG 2005 ein Ersatzanspruch nach diesem Gesetz Exekutions und Sicherungsmaßnahmen entzogen und könne auch der Geschädigte über solche Ersatzansprüche keine wirksamen Verfügungs und Verpflichtungsgeschäfte in Form einer Abtretung, Anweisung, Verpfändung oder eines anderen Rechtsgeschäfts unter Lebenden eingehen. Zweck dieser Regelung sei nach den Gesetzesmaterialien, dass dem Geschädigten der Ersatzbetrag ungeschmälert zur Verfügung steht. Es wäre eine Umgehung des Gesetzeszwecks, wenn eine Minderung des Ersatzanspruchs des Geschädigten im Wege der Aufrechnung zulässig wäre. Die Einwendung der Gegenforderungen sei daher in Abänderung des Ersturteils abzuweisen. Damit erübrige sich auch ein Eingehen auf den Einwand der Sittenwidrigkeit der Aufrechnung. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil keine Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage bestehe, ob eine Forderungsaufrechnung gegen Ersatzansprüche des Geschädigten nach dem StEG zulässig ist.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene Revision der Beklagten ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig und teilweise auch berechtigt.

1. Eine Nichtigkeit im Sinn des § 477 Z 1 ZPO soll nach Auffassung der Revisionswerberin darin liegen, dass das Berufungsgericht eine Entscheidung getroffen hat, obwohl es gemäß § 12 Abs 1 StEG 2005 iVm § 9 Abs 4 AHG davon ausgeschlossen gewesen wäre. Das Oberlandesgericht Wien habe nämlich im seinerzeitigen Strafverfahren über eine Haftbeschwerde einer Mitbeschuldigten entschieden und dieser nicht Folge gegeben. Nach dem im früheren § 114 Abs 3 StPO (nunmehr § 89 Abs 3 StPO) normierten Grundsatz des „beneficium cohaesionis“ hätte das Oberlandesgericht bei seiner Entscheidung von Amts wegen auch allfällige Gründe für eine Beendigung der Untersuchungshaft des Klägers wahrzunehmen gehabt. Es habe daher implizit auch die Haft des Klägers überprüft und die Voraussetzungen dafür bejaht. Somit werde der Ersatzanspruch auch aus einer Verfügung des Oberlandesgerichts Wien abgeleitet.

Diese Ausführungen sind nicht begründet. Nach der genannten Bestimmung kam eine Auswirkung einer Entscheidung über eine Haftbeschwerde auf die Haft eines Mitbeschuldigten nur dann in Betracht, wenn auf die Aufhebung der Haft des Beschwerdeführers erkannt wurde, was aber – auch nach der Darstellung der Beklagten – im vorliegenden Fall gerade nicht geschehen ist. Hat aber das Beschwerdegericht, der Haftbeschwerde nicht Folge gegeben, hatte es gar keinen Anlass, gleichzeitig das Vorliegen der gesetzlichen Haftvoraussetzungen für den Kläger als seinerzeitigen Mitbeschuldigten zu überprüfen. Damit kann keine Rede davon sein, das Oberlandesgericht Wien habe seinerzeit auch dessen Haft „implizit“ überprüft und die Voraussetzungen dafür bejaht.

2. Die Berufung auf Nichtigkeit „im Sinn des § 411 Abs 2 ZPO“ im Zusammenhang mit dem Zuspruch einer (lebenslangen) jährlichen Rente für die dem Kläger entgangenen Erträgnisse aus seiner Gesellschaftsbeteiligung durch das Berufungsgericht ist unverständlich. Der Revisionswerberin kann ja kaum entgangen sein, dass das mit 1844,64 EUR bereits rechtskräftig abgewiesene Teilbegehren auf Zahlung einer monatlichen Rente den Entfall seines Geschäftsführerentgelts betrifft, wogegen es hier um die Erträgnisse aus seiner Gesellschafterstellung geht. Für den zuletzt genannten Ersatzanspruch kann daher von einer insoweit eingetretenen Teilrechtskraft keine Rede sein.

3. Die von der Revisionswerberin im Hinblick auf die Erledigung ihrer Beweisrüge behauptete Mangelhaftigkeit des Berufungsverfahrens wurde geprüft. Sie liegt nicht vor (§ 510 Abs 3 Satz 3 ZPO).

4. Zu Recht moniert die Revisionswerberin eine Verletzung des § 405 ZPO durch den Zuspruch einer jährlichen Rente ab 2015, obwohl der Kläger als Ersatz für seine entgangenen Gesellschaftserträge (lediglich) einen Kapitalbetrag begehrt – und auch kein Eventualbegehren erhoben – hat. Auch wenn „Alimente“ gemäß § 406 Satz 2 ZPO auch für die Zukunft zugesprochen werden können, setzt dies doch regelmäßig ein darauf gerichtetes Begehren voraus, das hier nicht vorliegt. Wenn der Kläger auf jene Judikatur verweist, nach der in bestimmten Fällen als bloßes Minus künftige Ratenzahlungen auferlegt werden können, übersieht er, dass diese Entscheidungen (6 Ob 603/85 mwN = RIS Justiz RS0017645; 1 Ob 202/59 = Jbl 1959, 632 ua) Fälle des § 904 Satz 3 ABGB (Zahlung nach Möglichkeit und/oder Tunlichkeit) betrafen, für die eine Bestimmung der Fälligkeit durch richterliche Rechtsgestaltung angenommen wird. Dies ist mit Schadenersatzforderungen für künftige periodisch eintretende Schäden nicht vergleichbar, die regelmäßig nur in Form einer Rente zustehen (RIS Justiz RS0104094), was der Revisionsgegner auch gar nicht in Zweifel zieht. Zudem ist darauf hinzuweisen, dass den zuerkannten Kapitalbetrag übersteigende Leistungsbegehren rechtskräftig abgewiesen wurde, sodass gar kein Raum für eine „Umwidmung“ bleibt.

Mangels entsprechenden Begehrens können dem Kläger allenfalls für die Zukunft gebührende Rentenbeträge – anders als die bereits fällig gewordenen (5 Ob 38/04f = RIS Justiz RS0119039) – nicht zuerkannt werden. Der entsprechende Zuspruch des Berufungsgerichts hat daher zu entfallen. Entgegen der Ansicht des Klägers ist die Beschwer der Revisionswerberin nicht deshalb zu leugnen, weil sie in ihrer Berufung ausgeführt hat, die jährlich entgehenden Beträge wären „allenfalls“ in Form einer weiteren Rente zuzusprechen gewesen, hat sie damit den Zuspruch einer (nicht begehrten) Rente doch keineswegs gebilligt.

5. Ebenfalls berechtigt sind die Revisionsausführungen zur Zulässigkeit der Aufrechnung, zumal auch der Revisionsgegner nicht in Zweifel zieht, dass er entsprechend den vollstreckbaren Rückstandsausweisen als Haftungsschuldner zur Begleichung der Abgabenschulden verpflichtet ist.

Wie auch das Berufungsgericht erkannt hat, enthält § 6 StEG 2005 kein ausdrückliches Aufrechnungsverbot, sondern ordnet nur an, dass Ersatzansprüche nach § 1 Abs 1 grundsätzlich Exekutions oder Sicherungsmaßnahmen entzogen sind und auch der Geschädigte über den Ersatzanspruch nicht verfügen kann; entgegen der Auffassung des Revisionsgegners fällt die Aufrechnung nicht unter den Begriff der „Sicherungsmaßnahmen“, bei dem in erster Linie an einstweilige Verfügungen nach der EO zu denken ist (vgl etwa § 378 Abs 1 EO). Welche Gesetzeszwecke mit diesen Anordnungen konkret verfolgt werden sollen, ist einigermaßen unklar, zumal die Gesetzesmaterialien (ErläutRV 618 BlgNR 22. GP 10) lediglich darauf hinweisen, dass dem Geschädigten der Ersatz auch künftig weitestgehend ungeschmälert zur Verfügung stehen soll. Die (primär) angeordnete Unpfändbarkeit von Ersatzansprüchen nach dem StEG kann jedenfalls insoweit als sachgerecht angesehen werden, als es um den Ersatz von konkreten Aufwendungen geht, die dem unrechtmäßig Verhafteten entstanden sind, wie etwa die dem Kläger bereits mit Teilurteil zuerkannten Verteidigerkosten. Auch für Schmerzengeldansprüche oder die sonstige Abgeltung ideeller Nachteile erscheint es verständlich, einen exekutiven Zugriff von Gläubigern zu beschränken. Soweit es allerdings um die Abgeltung sonstiger Schäden, insbesondere den durch die Haft erlittenen Verdienstentgang, geht, könnte an der sachlichen Rechtfertigung des umfassenden Exekutionsschutzes (und der sonstigen Verfügungsbeschränkungen) durchaus gezweifelt werden. Erhält der Geschädigte jene Beträge, die er sonst als Erwerbseinkommen (im weiteren Sinn) lukriert hätte, nun im Wege eines Entschädigungsanspruchs vom Bund, ist nicht ohne weiteres zu erkennen, warum ihm insoweit ein besonderer Schutz gegen den Zugriff durch seine Gläubiger zu gewähren sein sollte, zumal grundsätzlich auch sonstige Ersatzleistungen für Verdienstentgang, insbesondere Schadenersatzrenten, gemäß § 290a Abs 1 Z 12 EO nur den allgemeinen gesetzlichen Lohnpfändungsbeschränkungen unterliegen. Gerade für derartige Schadenspositionen ist eine Privilegierung des zu Unrecht Inhaftierten und eine damit einhergehende Schlechterstellung seiner Gläubiger auch rechtspolitisch kaum zu begründen. Für beschränkt pfändbare Forderungen im Sinne des § 290a EO, zu denen – wie dargestellt – auch Verdienstentgangsrenten gehören, sieht § 293 Abs 3 EO ein Aufrechnungsverbot nur für den der Exekution entzogenen Teil vor.

Dass der durch die zuletzt genannte Norm bezweckte Schutz des durch Verdienstentgang Geschädigten unzureichend wäre und insbesondere der (teilweise unklare) Gesetzeszweck des § 6 StEG 2005 im Wege einer Lückenfüllung durch Hinzufügen eines generellen Aufrechnungsverbots zu verwirklichen wäre, vermögen weder das Berufungsgericht noch der Revisionsgegner überzeugend zu begründen. Da es im vorliegenden Fall ausschließlich um die Aufrechnung gegen Schadenersatzforderungen geht, die auf den Ersatz von Verdienstentgang gerichtet sind, erübrigt sich die Erörterung einer allfälligen Sachgerechtigkeit eines Aufrechnungsverbots für sonstige Schadenspositionen.

Damit kann die grundsätzliche Möglichkeit der Aufrechnung nicht durch einen Hinweis auf die Notwendigkeit einer „ausdehnenden Auslegung“ des § 6 StEG 2005 abgelehnt werden. Es entspricht der herrschenden Rechtsprechung (vgl nur die Nachweise bei Deixler Hübner in Fasching/Konecny 2 III/2 § 391 ZPO Rz 37), dass die Geltendmachung von bereits von der dafür zuständigen Behörde rechtskräftig entschiedenen Gegenforderungen durch Aufrechnungseinrede im Zivilprozess zulässig ist, da ja das ordentliche Gericht in solchen Fällen nicht mehr über den Bestand der Gegenforderung, sondern nur über die Aufrechenbarkeit zu entscheiden hat. Die im Finanzverfahren festgestellten Abgabenforderungen, für die der Kläger unstrittigermaßen nach den einschlägigen Vorschriften mithaftet und die Gegenstand vollstreckbarer Rückstandsausweise sind, können daher zwar als Gegenforderung in einem Rechtsstreit eingewendet werden, doch hat sich die Entscheidung – entgegen der Formulierung des Erstgerichts – auf die Aufrechenbarkeit und die dadurch bedingte Tilgung der Klageforderung zu beschränken (vgl nur 4 Ob 36/53 = SZ 26/54). Nur der Vollständigkeit halber ist darauf hinzuweisen, dass durch die vorgenommene Aufrechnung die Aufrechnungsbeschränkung des § 293 Abs 3 EO nicht verletzt wird, beläuft sich doch der für einen Zeitraum von fast 12 Jahren als Kapitalbetrag zuerkannte Verdienstentgang des Klägers auf mehr als 800.000 EUR netto, wogegen die davon in Abzug zu bringenden Gegenforderungen nur 244.000 EUR ausmachen (vgl § 291a EO).

Die vom Kläger behauptete Sittenwidrigkeit der Aufrechnung liegt schon deshalb nicht vor, weil Abgabenschulden von den Steuerpflichtigen und allfälligen Mithaftenden im Fall ihrer rechtskräftigen Festsetzung ohne Rücksicht darauf zu begleichen sind, aufgrund welcher Ursachen der Steuertatbestand verwirklicht wurde oder der Steuerschuldner die Verbindlichkeit nicht erfüllen kann, weshalb auf einen Mithaftenden gegriffen wird. Sollte das Schlagendwerden der Mithaftung – wie der Kläger offenbar vermeint – auf ein amtshaftungsbegründendes Fehlverhalten in einem anderen behördlichen Verfahren (hier: im Strafverfahren) zurückzuführen sein, mag dies allenfalls Ersatzansprüche nach dem AHG auslösen, nicht aber einen Einwand gegen die Durchsetzung der Abgabenverbindlichkeit begründen. Warum der Kläger, der einer Betreibung der Abgabenforderung im Finanzverfahren nichts entgegensetzen könnte, die Möglichkeit haben sollte, einer Anspruchstilgung durch Aufrechnung entgegenzutreten, ist seinen Ausführungen, die auch keine einschlägige Gesetzesstelle ins Treffen führen, nicht zu entnehmen.

6. Die Entscheidungen der Vorinstanzen sind daher wie aus dem Spruch ersichtlich abzuändern, wobei zu erwähnen ist, dass die Beklagte den Zinsenzuspruch inhaltlich nicht bekämpft hat.

7. Der Kostenvorbehalt beruht darauf, dass schon das Erstgericht die Kostenentscheidung gemäß § 52 Abs 2 ZPO der Rechtskraft des Endurteils vorbehalten hat.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00146.16A.1123.000