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OGH vom 16.10.2015, 7Ob143/15b

OGH vom 16.10.2015, 7Ob143/15b

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr.

Kalivoda als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Pflegschaftssache des minderjährigen D***** N*****, in Obsorge der Mutter S***** M*****, vertreten durch Dr. Helene Klaar, Dr. Norbert Marschall, Rechtsanwälte OG in Wien, und des Vaters F***** N*****, vertreten durch Mag. Martina Hackl, Rechtsanwältin in Mödling, wegen Obsorge, über den außerordentlichen Revisionsrekurs des Vaters gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 135/15i 152, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 13 Ps 213/10i 134, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Aus Anlass des Revisionsrekurses wird der angefochtene Beschluss des Rekursgerichts ersatzlos aufgehoben und der Rekurs des Vaters gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 13 Ps 213/10i 134, zurückgewiesen.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

Aufgrund der Vereinbarung vom sind die (nunmehr) getrennt lebenden Eltern gemeinsam mit der Obsorge des unehelich geborenen Kindes betraut.

Die Eltern streben seit August 2014 jeweils die (vorläufige) Entziehung der Obsorge des anderen Elternteils und die Übertragung der alleinigen Obsorge an sich selbst an.

In diesem Zusammenhang beantragte der Vater die Einholung einer Stellungnahme des Jugendamts zu im Detail ausformulierten Fragen und (insofern wiederholt) die Beischaffung des Aktes des Jugendamts zur Ermöglichung der Einsichtnahme.

Das Erstgericht wies diese Anträge ab.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ den ordentlichen Revisionsrekurs mangels Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage nicht zu. Eine Entscheidung des Verfassungsgerichtshofs über einen zeitgleich mit dem Rekurs eingebrachten Parteiantrag auf Normenkontrolle gemäß Art 140 Abs 1 Z 1 lit d B-VG iVm § 62a Abs 1 VfGG wartete es nicht ab, weil die Rekursentscheidung vom Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofs nicht beeinflusst werden könne.

Der vom Vater erhobene, einseitige (§ 48 AußStrG iVm § 71 Abs 4 AußStrG; RIS Justiz RS0120860) Revisionsrekurs zeigt zwar eine erhebliche Rechtsfrage auf, aus Anlass des Revisionsrekurses ist aber eine dem angefochtenen Beschluss anhaftende Nichtigkeit aufzugreifen.

1. Vorweg ist zu klären, ob aufgrund einer zwischen den Eltern getroffenen Ruhensvereinbarung über den Revisionsrekurs derzeit zu entscheiden ist.

1.1. Noch vor Vorlage des Revisionsrekurses an den Obersten Gerichtshof nahm das Erstgericht mit Beschluss vom eine zwischen den Eltern vor der Familiengerichtshilfe getroffene und von letzterer übermittelte Vereinbarung zur Kenntnis, worin die Eltern Regelungen über die Obsorge und das Kontaktrecht trafen, eine „vorläufige Ruhestellung der offenen Anträge auf Obsorgeübertragung“ und die Inanspruchnahme einer (gemeinsamen) begleitenden Erziehungsberatung vereinbarten und ihre Bereitschaft zur Teilnahme an einem weiteren Clearing durch die neuerlich zu beauftragende Familiengerichtshilfe zur Evaluierung und Anpassung der getroffenen Vereinbarung im Jänner 2016 bekundeten. Zudem sprach das Erstgericht aus, dass hinsichtlich Obsorge und Kontaktrecht bis Jänner 2016 „keine weiteren Anträge offen seien“.

1.2. Sind an einem Verfahren mindestens zwei Parteien beteiligt, so tritt Ruhen des Verfahrens ein, wenn dies alle Parteien ausdrücklich vereinbaren und die Vereinbarung dem Gericht anzeigen; eine solche Vereinbarung wird mit dem Zeitpunkt wirksam, mit dem sie von allen Parteien bei Gericht angezeigt wurde (§ 28 Abs 1 AußStrG). Die Vereinbarung kann zwar auch außergerichtlich zustande kommen, sie ist jedoch eine Prozesshandlung, die sich nach den Regeln des Verfahrensrechts richtet ( Gitschthaler in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 28 Rz 8; Rechberger in Rechberger , AußStrG² § 28 Rz 2). Die Wirkung des Eintritts des Ruhens ist daher an die Prozesshandlung der gemeinsamen Anzeige der Parteien an das Gericht geknüpft (vgl RIS-Justiz RS0036770 zum Streitverfahren).

1.3. Die von den Eltern vor der Familiengerichtshilfe außergerichtlich getroffene Ruhensvereinbarung wurde dem Erstgericht nur von der Familiengerichtshilfe mitgeteilt. Damit liegt aber keine verfahrensrechtlich wirksame Ruhensvereinbarung vor, wovon aber offenbar das Erstgericht ausgeht. Dafür wäre vielmehr die unmittelbare Bekanntgabe durch die (Rechtsvertreter der) Elternteile selbst an das Gericht erforderlich gewesen. Demnach steht die von den Eltern außergerichtlich getroffene Ruhensvereinbarung einer Rechtsmittelentscheidung jedenfalls nicht entgegen.

2.1. § 45 zweiter Satz AußStrG sieht vor, dass verfahrensleitende Beschlüsse, soweit nicht ihre selbständige Anfechtung angeordnet ist, nur mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die (Haupt-)Sache anfechtbar ist. Die Entscheidung über Beweisanträge ist als verfahrensleitender Beschluss anzusehen. Darunter fallen die der Stoffsammlung dienenden Aufträge und Verfügungen (RIS-Justiz RS0120910). Als Beweismittel kommen im Verfahren außer Streitsachen unter anderem die Einholung schriftlicher Auskünfte von Behörden und die Beischaffung und Verwertung von Akten in Betracht (RIS-Justiz RS0006272), worauf die vom Vater gestellten und vom Erstgericht abgewiesenen Anträge abzielen. Damit unterliegt diese Beschlussfassung aber der Rechtsmittelbeschränkung des § 45 zweiter Satz AußStrG.

2.2. Bereits das Rekursgericht hätte daher das unzulässige abgesonderte Rechtsmittel zurückweisen müssen (§ 54 Abs 1 Z 1 AußStrG). Entscheidet ein Gericht zweiter Instanz über einen unzulässigen Rekurs meritorisch, so ist der Mangel der funktionellen Zuständigkeit für eine solche Erledigung vom Obersten Gerichtshof aus Anlass des gegen eine unzulässige Sachentscheidung erhobenen Revisionsrekurses als Nichtigkeit, die immer eine erhebliche Rechtsfrage aufwirft, wahrzunehmen; als Folge dessen ist der unzulässige Rekurs gegen den Beschluss erster Instanz zurückzuweisen (RIS-Justiz RS0115201 [T4], RS0042059: RS0043969). Dieser allgemeine Verfahrensgrundsatz gilt nicht nur im Zivilprozess, sondern, wie aus § 54 AußStrG iVm § 71 Abs 4 AußStrG herzuleiten ist, auch für eine vom Obersten Gerichtshof im Außerstreitverfahren zu treffende Entscheidung (5 Ob 232/10v; 5 Ob 24/10f jeweils mwN; vgl auch RIS Justiz RS0121264).

2.3. Aus Anlass des Revisionsrekurses war daher die Entscheidung des Rekursgerichts ersatzlos aufzuheben und der Rekurs zurückzuweisen. Dieser Entscheidung steht das beim Verfassungsgerichtshof anhängige Verfahren über den vom Vater gestellten Parteiantrag auf Normenkontrolle schon deshalb nicht entgegen, weil dieser Antrag gemäß § 62a Abs 1 VfGG ein zulässiges Rechtsmittel gegen eine erstinstanzliche Gerichtsentscheidung voraussetzt.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00143.15B.1016.000