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OGH vom 18.10.2016, 1Ob144/16g

OGH vom 18.10.2016, 1Ob144/16g

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Hon. Prof. Dr. Sailer als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger und die Hofrätin Dr. Hofer Zeni Rennhofer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei D***** KG, *****, vertreten durch Dipl. iur. Mag. Dr. Daniel H. A. Rose, Rechtsanwalt in Neulengbach, gegen die beklagte Partei S***** GmbH, *****, vertreten durch Denk Kaufmann Fuhrmann Rechtsanwälte OG, Wien, wegen 20.072,50 EUR sA, über den als „ordentliche Revision“ bezeichneten Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 47/16t 25, mit dem die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 20 Cg 18/15y 11, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Rekurs wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die Klägerin begehrt von der Beklagten Werklohn. Die Beklagte erhob gegen den erlassenen Zahlungsbefehl rechtzeitig Einspruch. In der vorbereitenden Tagsatzung erschien für sie allerdings trotz Anwaltszwang eine nicht mit großer Legitimationsurkunde (§ 15 Abs 2 und 4 RAO) ausgestattete Rechtsanwaltsanwärterin.

Das daraufhin erlassene Versäumungsurteil bekämpfte die Beklagte mit Berufung, in der sie bemängelte, es hätte diese Rechtsanwaltsanwärterin gemäß § 38 ZPO vorläufig gegen Nachweis der Vollmacht (hier einer später ausgestellten großen Legitimationsurkunde) zugelassen werden müssen und kein Versäumungsurteil gefällt werden dürfen. Da die einstweilige Zulassung gemäß § 38 ZPO unterblieben sei, sei das Urteil aus diesem Grund nichtig, das Verfahren mangelhaft geblieben und die Sache unrichtig rechtlich beurteilt worden.

Das Berufungsgericht, das die Abweisung des eingebrachten Wiedereinsetzungsantrags durch das Erstgericht bestätigte, wies die Berufung zurück. Es legte dar, dass ein nicht substitutionsberechtigter Rechtsanwaltsanwärter gemäß § 38 ZPO im Verfahren mit absoluter Anwaltspflicht auch nicht als einstweiliger Vertreter hätte zugelassen werden dürfen, weswegen weder der Nichtigkeitsgrund der Verletzung des rechtlichen Gehörs gemäß § 477 Abs 1 Z 4 ZPO vorliege, noch Mängel oder Rechtsrüge berechtigt seien. Da der Gegenstand der Berufung allein die Frage gewesen sei, ob die Beklagte säumig gewesen sei, sei im Hinblick auf die Entscheidung 8 Ob 198/62 = SZ 35/62 die Berufung gemäß §§ 471 Z 4 und 473 ZPO mit Beschluss zurückzuweisen.

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Beklagte mit ihrem rechtzeitig binnen 14 Tagen eingebrachten, als „ordentliche Revision“ bezeichneten Rechtsmittel. Darin trägt sie vor, das Berufungsgericht habe die falsche Entscheidungsform gewählt und macht als „Revisionsgründe“ Mangelhaftigkeit des Verfahrens und unrichtige rechtliche Beurteilung geltend.

Rechtliche Beurteilung

Dieser (richtig:) Rekurs ist unzulässig.

Gemäß § 519 Abs 1 ZPO ist der Rekurs gegen einen im Berufungsverfahren ergehenden Beschluss nur zulässig, soweit das Berufungsgericht die Klage oder die Berufung ohne Sachentscheidung aus formellen Gründen zurückgewiesen (Z 1) oder nach Aufhebung des Ersturteils die Rechtssache zur neuerlichen Entscheidung und/oder Verfahrensergänzung zurückverwiesen hat (Z 2). Diese seit geltende Fassung des § 519 Abs 1 Z 1 ZPO geht auf die Wertgrenzennovelle 1989 (WGN 1989, BGBl 1989/343) zurück. Damals wurden die bis dahin in § 519 Z 1 und 2 ZPO enthaltenen Tatbestände in einer nunmehr neu formulierten Z 1 (nun in Abs 1 des § 519 ZPO) zusammengefasst. Bis dahin war gemäß § 519 Z 1 und Z 2 ZPO aF der Rekurs gegen im Berufungsverfahren ergehende Beschlüsse des Berufungsgerichts nur statthaft, wenn das Berufungsgericht die Berufung nur aus formellen Gründen zurückgewiesen hatte, ohne in die Prüfung der Sache einzugehen, wobei in Klammer auf § 474 Abs 2, § 471 Z 2 und 3 sowie § 495 ZPO verwiesen wurde (Z 1), oder wenn es die Nichtigkeit des erstgerichtlichen Urteils und die Zurückweisung der Klage durch Beschluss ausgesprochen hatte (Z 2). Nach den Materialien sollten mit der Zusammenfassung durch die WGN 1989 die „alten“ Z 1 und 2 keine inhaltliche Änderung erfahren (AB 991 BlgNR XVII. GP 11; vgl auch 4 Ob 557/95).

Weil aber § 471 Z 4 ZPO (wonach die Berufung dann vor den Berufungssenat zur Beschlussfassung nach § 473 ZPO zu bringen ist, wenn sie sich gegen ein wegen Säumnis einer Partei gefälltes Urteil mit der Begründung, dass eine Versäumung nicht vorliege, wendet) in § 519 Z 1 ZPO aF nicht genannt war und die WGN 1989 keine inhaltliche Änderung bezweckte, ist der Rekurs hier nicht zulässig.

Auch nach der WGN 1989 ist nach ständiger Rechtsprechung der Beschluss des Berufungsgerichts, mit dem etwa eine wegen Nichtigkeit erhobene Berufung verworfen wurde, weder mit Revision noch mit Rekurs bekämpfbar; und zwar auch dann nicht, wenn er in das Berufungsurteil aufgenommen wurde (RIS Justiz RS0043405 [insbesondere T 33, T 48]). Gegenstand der Prüfung im Rechtsmittelverfahren war im vorliegenden Fall allein die Frage, ob die zur Tagsatzung erschienene Konzipientin als vorläufig Bevollmächtigte nach § 38 ZPO zugelassen hätte werden müssen. Dabei handelt es sich um eine Frage des Prozessrechts. Mit dem von der Rekurswerberin für ihren Standpunkt ins Treffen geführten Rechtsmittelgrund der unrichtigen rechtlichen Beurteilung wird stets die unrichtige rechtliche Beurteilung des Meritums geltend gemacht. Die Beurteilung von Nichtigkeitsgründen hat aber stets nach Prozessrecht zu erfolgen und ist nicht mittels Rechtsrüge bekämpfbar (RIS Justiz RS0043405 [T51]). Wäre die (tatsächlich unrichtige) Auslegung des Prozessrechts, wonach im Prozess mit Anwaltszwang ein Rechtsanwaltsanwärter mit „kleiner“ Legitimationsurkunde gemäß § 38 ZPO als einstweiliger Bevollmächtigter zugelassen werden hätte können, zutreffend, hätte das Berufungsgericht schon bei Prüfung des Vorliegens des behaupteten Nichtigkeitsgrundes des Entzugs des rechtlichen Gehörs zum Ergebnis kommen müssen, dass die Beklagte nicht säumig und ihr Vorbringen daher als berücksichtigungswürdig anzusehen gewesen wäre. Es hätte dann das Vorliegen eines Nichtigkeitsgrundes bejahen und das Urteil aufheben müssen.

Gleich unter welchem Rekursgrund die Beklagte meint, den hier allein nach Prozessrecht zu beurteilenden Streitpunkt, ob sie als säumig anzusehen ist oder nicht, geltend machen zu können, ist diese Frage vom Berufungsgericht abschließend beurteilt und einer Nachprüfung durch den Obersten Gerichtshof entzogen (vgl zu diesem Größenschluss auch RIS Justiz RS0043405 [T24, T 25, T 43]; E. Kodek in Rechberger 4 § 471 Rz 11, wonach die weite Fassung der Z 4 nicht nur den Fall erfasse, dass ein Versäumungsurteil wegen Nichtigkeit angefochten werde, sondern auch jenen, wo ein Verfahrensmangel oder unrichtige rechtliche Beurteilung als Ursache der Annahme einer Säumnis behauptet werde; vgl auch Fasching , Lehrbuch 2 Rz 1795; derselbe in Fasching , Kommentar zu den Zivilprozessgesetzen IV § 471 Anm 4 und Anm 11, § 519 Anm 8; sa RIS Justiz RS0041028; RS0041052 [T2, T 3, T 4]; RS0041889).

Der Rekurs ist daher als unzulässig zurückzuweisen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2016:0010OB00144.16G.1018.000