OGH vom 21.02.2017, 4Ob213/16a
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr.
Vogel als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Jensik, Dr. Schwarzenbacher, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der Klägerin Mag. I***** H*****, vertreten durch Mag. Wolfgang Lentschig, Rechtsanwalt in Horn, gegen die Beklagte D***** AG, *****, vertreten durch Dr. Ralph Mitsche, Rechtsanwalt in Wien, wegen zuletzt 150.829,25 EUR sA, über die außerordentliche Revision der Klägerin gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 118/16m-19, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Text
Begründung:
Die Klägerin schloss mit der Rechtsvorgängerin der beklagten Bank einen Vermögensverwaltungsvertrag. Für die Veranlagung stand ein Betrag von 730.000 EUR zur Verfügung. Im Rahmen dieses Vertrags investierte die Beklagte für die Klägerin 150.000 EUR in einen geschlossenen Immobilienfonds (KG-Beteiligung), ohne die Klägerin über die Möglichkeit eines Totalverlusts und ihre Stellung als Gesellschafterin aufzuklären. Die Klägerin unterfertigte am die Beitrittserklärung für den Fonds. In weiterer Folge erlitt sie mit diesem Anlagemodell erhebliche Verluste und kündigte den Vermögensverwaltungsvertrag auf.
Die Klägerin begehrte mit Klage vom die Rückzahlung des in den Fonds investierten Betrags samt Agio, Zug um Zug gegen Übertragung ihrer Treuhandrechte an der Immobilien-KG. Mit der Beklagten sei nicht nur ein Vermögensverwaltungsvertrag, sondern auch ein gesonderter Beratervertrag über die Investition in Kommanditanteile zustande gekommen. Der Beklagten seien dabei Beratungs- und Aufklärungsfehler unterlaufen, weshalb sie der Klägerin für den Vertrauensschaden hafte.
Die Beklagte bestritt einen Aufklärungsmangel und wendete ein, die Klägerin habe auf ihre Immobilienbeteiligung für die Jahre 2003 bis 2008 Ausschüttungen von insgesamt 63.750 EUR erhalten. Bei der gebotenen ex-ante-Betrachtung sei die Veranlagung daher geeignet gewesen, die Anlageziele der Klägerin zu erfüllen. Zudem sei die Klage verjährt.
Das Erstgericht wies die Klage ab. Ein Beratervertrag sei nicht abgeschlossen worden. Als Folge einer fehlerhaften (weil allenfalls zu risikoreichen) Abwicklung des Vermögensverwaltungsvertrags könne die Klägerin nicht den Vertrauensschaden, sondern nur den Ersatz des Nichterfüllungsschadens begehren. Dabei sei die Entwicklung des gesamten Portfolios in die Betrachtung miteinzubeziehen. Eine Haftung bloß für einzelne Fehlveranlagungen im Rahmen des gesamten Vertragsverhältnisses sei hingegen zu verneinen.
Das Berufungsgericht bestätigte diese abweisende Entscheidung im Ergebnis wegen Verjährung des Anspruchs und sprach aus, dass die ordentliche Revision nicht zulässig sei. Die Klägerin habe in der Berufung nur die unterlassene Aufklärung über das mit der Veranlagung verbundene Risiko eines Kapitalverlusts geltend gemacht. Sie sei aber in einem Schreiben der Fondsgesellschaft vom Oktober 2010 über deren Insolvenzgefahr informiert worden und habe somit schon damals vom Kapitalverlustrisiko erfahren. Die dreijährige Verjährungsfrist sei daher bei Klageeinbringung im Juli 2015 bereits abgelaufen.
In ihrer außerordentlichen Revision macht die Klägerin geltend, sie habe sich allgemein auf Fehlberatung gestützt und nicht nur auf die unterlassene Aufklärung über den möglichen Kapitalverlust. Es sei eine einheitliche Beratung vorgelegen, daher handle es sich auch um eine einheitliche Anspruchsgrundlage. Die einzelnen Beratungsfehler seien der Klägerin erst im Zuge der Vorbereitung der Klage bewusst geworden. Überdies sei sie von der Beklagten beschwichtigt worden. Im Übrigen liege eine Überraschungsentscheidung vor.
Damit gelingt es der Klägerin jedoch nicht, Rechtsfragen in der Qualität des § 502 Abs 1 ZPO aufzuzeigen.
Rechtliche Beurteilung
1. Die Auslegung des Prozessvorbringens ist eine Frage des Einzelfalls (RIS-Justiz RS0042828 [T42]), die hier vom Berufungsgericht jedenfalls vertretbar gelöst wurde, zumal in der Berufung nur die mangelnde Aufklärung über das Totalverlustrisiko konkret angesprochen wurde.
2. Bereits das Berufungsgericht hat darauf hingewiesen, dass es dem Rechtsmittelgericht verwehrt ist, auf ausgeschiedene Rechtsgründe einzugehen (vgl RIS-Justiz RS0041570). Da somit nur mehr ein Beratungsfehler gegenständlich ist, kann die – hier nur mehr theoretische – Frage nach einer einheitlichen oder nach gesonderten Anspruchsgrundlagen auf sich beruhen.
3.1. Versuchen von Anlageberatern, nach Kursverlusten nervös gewordene Anleger zu beschwichtigen, kann nach der Judikatur in zweifacher Hinsicht Bedeutung zukommen. Sie können die Erkennbarkeit des Schadenseintritts und damit den Beginn der Verjährungsfrist hinausschieben oder dazu führen, dass dem Verjährungseinwand des Schädigers die Replik der Arglist entgegengehalten werden kann. Welche Auswirkungen derartige „Beschwichtigungsversuche“ auf die Verjährung der Ansprüche von Anlegern haben, ist im jeweiligen Einzelfall zu beurteilen und wirft daher – von krassen Fehlbeurteilungen abgesehen – keine erhebliche Rechtsfrage auf (3 Ob 205/13p mwN). Eine derartige Fehlbeurteilung ist dem Berufungsgericht hier nicht vorzuwerfen.
3.2. Nach den Feststellungen rief die Klägerin im Jahr 2012 ihren Berater an, welcher ihr sagte, sie solle sich „keine Sorgen machen“. Daraus leitet sie eine verjährungshemmende Beschwichtigung ab. Dass das Berufungsgericht dieser Argumentation im Lichte der erfolgten Aufklärung über das Risiko eines Kapitalverluts im Schreiben der Fondsgesellschaft vom Oktober 2010 nicht folgte, hält sich im Rahmen der Rechtsprechung zu diesem Problem (vgl 1 Ob 12/13s: Erklärung des Beraters, die Anlegerin solle „nicht vorschnell reagieren“, ist ohne Einfluss auf die Verjährungsfrist). Eine Zusicherung, die Klägerin werde ihr Kapital und die versprochenen Ausschüttungen (wieder) erhalten, ist der Aussage nämlich nicht zu entnehmen.
4.1. Das Gericht darf die Parteien in seiner Entscheidung nicht mit einer Rechtsauffassung überraschen, die sie nicht beachtet haben und auf die sie das Gericht nicht aufmerksam gemacht hat (RIS-Justiz RS0037300; RS0108816). Das Verbot von Überraschungsentscheidungen bedeutet keineswegs, dass das Gericht seine Rechtsansicht vor der Entscheidung kundtun muss (RIS-Justiz RS0122749). § 182a ZPO hat nichts daran geändert, dass es keiner richterlichen Anleitung zu einem Vorbringen bedarf, gegen das der Prozessgegner bereits Einwendungen erhoben hat. Angesichts solcher Einwendungen hat die andere Partei ihren Prozessstandpunkt selbst zu überprüfen und die erforderlichen Konsequenzen zu ziehen (RIS-Justiz RS0122365).
4.2. Die Beklagte erhob in erster Instanz ausdrücklich die Einrede der Verjährung und brachte die dafür relevanten Tatsachen vor. Die Klägerin replizierte darauf. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Verjährungsthematik in erster Instanz von den Parteien nicht beachtet worden wäre und dass das Berufungsgericht eine „Überraschungsentscheidung“ gefällt hätte.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2017:0040OB00213.16A.0221.000 |
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