OGH vom 20.02.2020, 6Ob196/19w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Mag. Wessely-Kristöfel als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Verein für Konsumenteninformation, 1060 Wien, Linke Wienzeile 18, vertreten durch Dr. Sebastian Schumacher, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei T*****gesellschaft ***** mbH & Co KG, *****, Deutschland, vertreten durch Wess Kux Kispert & Eckert Rechtsanwalts GmbH in Wien, wegen Unterlassung und Veröffentlichung, über die Rekurse beider Parteien gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 186/15b-27, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 53 Cg 43/13i-22, aufgehoben wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
I. Das mit Beschluss vom , AZ 6 Ob 5/17d, gemäß § 90a Abs 1 GOG ausgesetzte Verfahren wird von Amts wegen fortgesetzt.
II. Beiden Rekursen wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben. Dem Berufungsgericht wird eine neuerliche Entscheidung aufgetragen.
Die Kosten des Rekursverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Der klagende Verein ist eine gemeinnützige Verbraucherorganisation, die berechtigt ist, Unterlassungsklagen zum Schutz von Verbraucherinteressen einzubringen.
Die Beklagte ist eine Gesellschaft deutschen Rechts mit Sitz in H*****, die zu HRB ***** des Amtsgerichts Hamburg protokolliert ist. In Österreich hat die Beklagte weder einen Sitz noch eine Niederlassung. Sie ist eine Tochtergesellschaft der M***** AG H***** (kurz: M*****), die geschlossene Fonds strukturiert und vertreibt. Dabei handelt es sich um deutschem Recht unterliegende Kommanditgesellschaften, an denen sich Privatanleger und institutionelle Anleger als Kommanditisten beteiligen können. Zwischen der Beklagten und der Muttergesellschaft bestand bis ein Beherrschungs- und Gewinnabführungsvertrag; die Leitung der Beklagten war damit M***** unterstellt.
Zu den von der M***** Gruppe strukturierten (zahlreichen) Kommanditgesellschaften gehören unter anderem die Dreiundvierzigste ***** GmbH & Co KG (kurz: 43. Fonds), die Einundfünfzigste ***** GmbH & Co KG (kurz: 51. Fonds) und die Zweiundsiebzigste ***** GmbH & Co KG (kurz: 72. Fonds). Diese Fonds waren von Beginn an so konzipiert, dass die Beklagte als Treuhandkommanditistin ermächtigt wurde, weitere Kommanditisten aufzunehmen. Deren Anwerbung erfolgte nicht durch die Beklagte selbst, sondern über die C***** GmbH i. L. (vormals: M***** Austria AG). Auch diese ist eine 100 %-Tochter der M*****. Zwischen diesen Gesellschaften gab es auch mehrere personelle Verflechtungen; so waren Dr. A*****, U***** und U***** zumindest zwischen 2001 und 2010 zeitgleich Vorstände der M*****, Aufsichtsräte der M***** Austria AG und Prokuristen der Beklagten.
Nach den folgenden Feststellungen des Erstgerichts, deren Richtigkeit das Berufungsgericht allerdings noch nicht überprüft hat, ist die Beklagte als Treuhänderin und Gründungskommanditistin unter anderem am 2003 errichteten 43. Fonds beteiligt. Dieser wurde zwar nicht nur in Österreich vertrieben, allerdings wurde bei einer österreichischen Bank ein Treuhandkonto eröffnet, auf das die Zahlungen im Zusammenhang mit der Beteiligung zu leisten waren. Einige der anderen Fonds der Beklagten wurden ausschließlich in Österreich vertrieben, so etwa der 51. Fonds (errichtet 2004), die Siebenundsechzigste ***** GmbH & Co KG (errichtet 2006) und der 72. Fonds (errichtet 2011). Für den 51. Fonds und für den 72. Fonds wurden von der Beklagten bei einer österreichischen Bank je ein Treuhandkonto eingerichtet.
Nach § 3 Abs 3 des Gesellschaftsvertrags des 43. Fonds ist die Beklagte ermächtigt, weitere Kommanditisten aufzunehmen. Dies erfolgte in der Weise, dass Anleger der Gesellschaft mittelbar als Treugeber über die Beklagte als Treuhandkommanditistin beitraten. Ihre Beteiligungen werden von der Beklagten auf Grundlage eines Treuhandvertrags verwaltet. Diese Vorgehensweise wurde auch bei den anderen Fonds angewendet.
Die Anteile am 43. Fonds wurden auch in Österreich, jene am 51. und am 72. Fonds ausschließlich in Österreich – mit Wissen und Einverständnis der Beklagten – über die C***** GmbH i. L. an Verbraucher vermittelt. Die Beklagte hatte dabei keinen direkten Kontakt mit den Anlegern und erbrachte auch selbst keine Beratungstätigkeiten.
Die Beklagte hat ihre Dienstleistungen auf den österreichischen Markt ausgerichtet. Einige Fonds wurden ausschließlich in Österreich vertrieben, und die Beklagte betreibt für österreichische Anleger die Website www.t*****treuhand.at. Dort gibt es seit 2006 einen Bereich, wo sich Anleger tatsächlich auch anmelden können; seit 2011 können hier Anleger, die dies explizit möchten, ihre Stimme alternativ zur schriftlichen Abgabe online abgeben. Eine Kopie der Schriften, die dem Anleger zugegangen sind, kann er dort einsehen. Die Website ist so konzipiert, dass man auf eine deutsche Website (www.t*****treuhand.de) weitergeleitet wird. Domaininhaber ist die M***** Service GmbH; hierbei handelt es sich um ein Unternehmen der M***** Gruppe, das sich zentral um die EDV-Agenden kümmert. Auch die deutsche Homepage wird von diesem Unternehmen verwaltet.
Der Beitritt zur Gesellschaft erfolgte, indem Verbraucher durch Zeichnung einer Beitrittserklärung an die Beklagte ein Angebot auf Abschluss eines Treuhandvertrags richteten. Der Zeichnungsantrag wurde von österreichischen Verbrauchern in allen der Klägerin bekannten Fällen in Österreich unterfertigt. Die Beklagte errichtete auch eine Zahlstelle in Österreich. Der Beteiligungsbetrag war beim 43. Fonds auf das auf die Beklagte lautende Treuhandkonto bei der ***** Bank ***** AG zu bezahlen. Für den 51. und den 72. Fonds waren die Treuhandkonten bei einer anderen österreichischen Bank eingerichtet. In keinem Fall waren Beteiligungsbeträge auf ein deutsches Treuhandkonto zu überweisen.
Für die Anleger steht die Beklagte als Anbieterin einer Treuhanddienstleistung zur Verfügung. Sie übernimmt den Kommanditanteil für Rechnung des Anlegers und verwaltet ihn treuhändig, übt im eigenen Namen, aber für Rechnung des Anlegers seine Rechte aus dem Kommanditanteil aus und leitet Ausschüttungen wie auch jeden sonstigen vermögenswerten Vorteil aus der Beteiligung an den Anleger weiter. Die Beklagte gibt laufend jene Informationen, die sie von Fonds über den Geschäftsverlauf der Beteiligung erhält, an die Anleger weiter. Für diese Leistungen erhält die Beklagte ein pauschales Entgelt von 0,3 % der Einlage des Anlegers pro Jahr.
Der 43., der 51. und der 72. Fonds wurden auf unbestimmte Zeit errichtet. Die Beklagte nimmt auch jetzt noch ihre Verwaltungsaufgaben auf Grundlage der Treuhandverträge wahr.
Die Beklagte verwendete und verwendet im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern Vertragsformblätter. Dem Abschluss der Treuhandverträge, die die verfahrensgegenständlichen Klauseln (darunter auch eine Rechtswahlklausel) beinhalten, gingen gezielte Angebote und Werbungen an in Österreich wohnhafte Verbraucher voraus. Die Angebote wurden von österreichischen Geschäftsbanken oder gewerblichen Vermögensberatern an österreichische Verbraucher weitergeleitet. Die erforderlichen Rechtshandlungen (Unterfertigung der Beitrittserklärung) wurden von den Verbrauchern in Österreich vorgenommen und von Vertragspartnern der Beklagten beziehungsweise deren Vertragspartnern in Österreich entgegengenommen.
Der Kläger begehrt mit seiner seit gerichtsanhängigen Klage, der Beklagten zu verbieten, im geschäftlichen Verkehr mit Verbrauchern in Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB), die sie von ihr geschlossenen Verträgen zu Grunde legt, und/oder in hierbei verwendeten Vertragsformblättern sechs Klauseln (darunter die Rechtswahlklausel) und (insbesondere acht ausdrücklich genannte) sinngleiche Klauseln zu verwenden sowie sich auf solche Klauseln zu berufen; weiters wird die Ermächtigung zur Urteilsveröffentlichung begehrt. Die Klauseln verstießen gegen § 6 Abs 3 sowie Abs 1 Z 9 KSchG und § 864a ABGB; außerdem seien sie gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB. Die in den AGB enthaltene Rechtswahlklausel zugunsten deutschen Rechts sei zudem unionsrechtswidrig; sowohl gemäß Art 4 und 6 Rom II-VO als auch nach § 48 IPRG sei die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Klauseln nach dem Deliktsstatut und nicht nach dem Vertragsstatut zu beurteilen, somit nach österreichischem Recht. Die Beklagte habe ihre Tätigkeit bewusst auf den österreichischen Markt ausgerichtet, ihr zurechenbare Dienstleistungen seien in Österreich erbracht worden; im Übrigen habe sie in Österreich Treuhandkonten und eine Zahlstelle eingerichtet und durch die Zurverfügungstellung eines passwortgeschützten Internetzugangs den Anlegern Dienstleistungen in Österreich angeboten. Auch nach dem EVÜ und der Rom I-VO sei österreichisches Sachrecht anwendbar.
Die Beklagte beantragt Klagsabweisung. Gesetz- oder Sittenwidrigkeit der Treuhandbedingungen seien nicht nach österreichischem, sondern nach deutschem Recht, dem Vertragsstatut zu beurteilen (Art 10 Abs 1 Rom I-VO, Art 8 Abs 1 EVÜ). Im Übrigen seien die Treuhandverträge und die Kommanditgesellschaftsverträge so eng miteinander verzahnt, dass auch der Treuhandvertrag dem auf den Gesellschaftsvertrag anzuwendenden deutschen Recht unterliege. Die Beklagte habe alle vertraglich vereinbarten Dienstleistungen in Deutschland erbracht und in Österreich weder Niederlassung noch Betriebsstätte oder Mitarbeiter.
Das Erstgericht wendete österreichisches Recht an und gab dem Klagebegehren statt.
Das Berufungsgericht hob diese Entscheidung auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche nach Verfahrensergänzung zu fällende Entscheidung auf. Es sprach weiters aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstands 30.000 EUR übersteigt und der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig ist, dem die Gelegenheit zu einer Äußerung zu den sich aus der jüngsten Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) ergebenden Auslegungs- und Anwendungsfragen geboten werden solle.
In der Sache selbst bezog sich das Berufungsgericht, das die von der Beklagten erhobene Feststellungs- und Beweisrüge unerledigt ließ, auf die Entscheidung des , EU:C:2016:612 (VKI/Amazon EU Sárl) und vertrat die Auffassung, die Prüfung der Gültigkeit der Rechtswahlklausel habe zwar nach deutschem Recht zu erfolgen, aber auch nach diesem Recht sei eine Klausel in AGB missbräuchlich, sofern sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur deutsches Recht anwendbar, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Rom I-VO und EVÜ auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre. Selbst für den Fall der Wirksamkeit der Rechtswahlklausel nach deutschem Recht hätte es zwar grundsätzlich zu einer Prüfung der übrigen Klauseln nach diesem Recht zu kommen, jedoch wäre dann weiters zu prüfen, ob dem Verbraucher Schutz gewährende zwingende Bestimmungen österreichischen Rechts der Anwendung deutschen Rechts bei der Beurteilung der Zulässigkeit der inkriminierten Klauseln entgegenstehen. Den Parteien müsse Gelegenheit zur Stellungnahme zur jüngsten Rechtsprechung des EuGH gegeben werden, weshalb die Entscheidung des Erstgerichts aufzuheben sei, das im Lichte dieser jüngsten Rechtsprechung Feststellungen zu treffen haben werde, die eine Beurteilung der Rechtswahlklausel und sodann der weiteren Klauseln nach dem konkret anzuwendenden Sachrecht ermöglichen.
Rechtliche Beurteilung
Die Rekurse beider Parteien sind zur Klarstellung der Rechtslage zulässig; sie sind auch berechtigt.
1. Der Kläger bekämpft (unter anderem) die Klauseln 4, d und h (Rechtswahl, Erfüllungsort und Gerichtsstandsvereinbarung):
4. Dieser Treuhandvertrag unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Erfüllungsort und Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus diesem Vertrag sowie über das Zustandekommen dieses Vertrages ist der Sitz der Treuhänderin, soweit dies gesetzlich zulässig vereinbart werden kann.
d)Die Treuhänderin erbringt ihre Dienstleistung nach diesem Vertrag ausschließlich in Deutschland. Daher vereinbaren die Parteien, dass auf diesen Vertrag deutsches Recht ausschließlich anwendbar sein soll. Erfüllungsort und Gerichtsstand für alle Streitigkeiten aus oder im Zusammenhang mit diesem Treuhandvertrag ist der Sitz der Treuhänderin.
h) Dieser Vertrag unterliegt dem Recht der Bundesrepublik Deutschland. Erfüllungsort für sämtliche Verpflichtungen und Gerichtsstand für sämtliche Streitigkeiten aus diesem Vertrag sowie über das Zustandekommen dieses Vertrages, ist Hamburg, soweit dies rechtlich vereinbart werden kann.
1.1. Maßgeblich für die Qualifikation einer Klausel als eigenständig im Sinne des § 6 KSchG ist nicht die Gliederung des Klauselwerks; es können auch zwei unabhängige Regelungen in einem Punkt oder sogar in einem Satz der AGB enthalten sein. Es kommt vielmehr darauf an, ob ein materiell eigenständiger Regelungsbereich vorliegt. Dies ist dann der Fall, wenn die Bestimmungen isoliert voneinander wahrgenommen werden können (RS0121187 [T1]). Auf dieser Basis bestehen die Klauseln 4 (Rechtswahl), d (Erfüllungsortvereinbarung) und h (Gerichtsstandsvereinbarung) aus drei getrennt beurteilbaren Regelungsbereichen.
1.2. Im Zusammenhang mit der Rechtswahlklausel hat der EuGH – über Vorabentscheidungsersuchen des erkennenden Senats (6 Ob 5/17d) – entschieden, dass Art 1 Abs 2 lit e EVÜ und Art 1 Abs 2 lit f Rom I-VO dahin auszulegen sind, dass vertragliche Pflichten wie die im vorliegenden Verfahren in Rede stehenden, die ihren Ursprung in einem Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Beteiligung an einer Kommanditgesellschaft haben, nicht vom Anwendungsbereich des EVÜ und der Rom I-VO ausgenommen sind sowie dass Art 5 Abs 4 lit c EVÜ und Art 6 Abs 4 lit a Rom I-VO dahin auszulegen sind, dass ein Treuhandvertrag, aufgrund dessen die dem Verbraucher geschuldeten Dienstleistungen in dem Staat, in dem er seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat, vom Gebiet eines anderen Staats aus, das heißt aus der Ferne, zu erbringen sind, nicht unter den in diesen Bestimmungen vorgesehenen Ausschluss fällt.
Damit ist aber zum einen klargestellt, dass auf den vorliegenden Sachverhalt EVÜ und Rom I-VO anzuwenden sind, weil keine Fragen betreffend das Gesellschaftsrecht (Bereichsausnahme) zu beantworten sind (ErwGr 40).
Zum anderen wären deren Regelungen über Verbraucherverträge anzuwenden, weil zwar die Beklagte in Deutschland domiziliert ist und ihre AGB mit den hier zu beurteilenden Klauseln Verträgen mit Anlegern zugrundelegt, die Verbraucher mit gewöhnlichem Aufenthalt in Österreich sind, die Beklagte ihre Dienstleistungen jedoch nach den insofern nicht überprüften Feststellungen des Erstgerichts (auch) in Österreich zu erbringen hat (ErwGr 53). Nach diesen Feststellungen überwies die Beklagte den österreichischen Anlegern die Dividendenzahlungen auf österreichische Konten und erfüllte ihre Informationspflichten aus dem Treuhandvertrag, indem sie den österreichischen Anlegern in Österreich Berichte über die Treuhandverwaltung zusendete; darüber hinaus wurden die für den Beitritt zu den (Kommandit-)Gesellschaften erforderlichen Beträge auf Treuhandkonten der Beklagten in Österreich eingezahlt und verfügte die Beklagte über eine Website für die österreichischen Anleger, auf der diese Informationen abrufen und ihr Stimmrecht ausüben konnten. Auf diese Umstände haben bereits der Generalanwalt in seinen Schlussanträgen und der EuGH (ErwG 53) hingewiesen.
1.3. Weiters stellte der EuGH unter Bezugnahme auf seine Entscheidung C-191/15, EU:C:2016:612 (VKI/Amazon EU Sárl) klar, dass Art 3 Abs 1 der Richtlinie 93/13/EWG des Rates vom über missbräuchliche Klauseln in Verbraucherverträgen (Klausel-Richtlinie) dahin auszulegen ist, dass eine in einem zwischen einem Unternehmer und einem Verbraucher abgeschlossenen Treuhandvertrag über die Verwaltung einer Kommanditbeteiligung, wie sie im vorliegenden Verfahren in Rede steht, enthaltene Klausel, die nicht im Einzelnen ausgehandelt wurde und nach der das Recht des Sitzmitgliedstaats der Kommanditgesellschaft anwendbar ist, missbräuchlich im Sinn des Art 3 Abs 1 der Klausel-Richtlinie ist, wenn sie den Verbraucher in die Irre führt, indem sie ihm den Eindruck vermittelt, auf den Vertrag sei nur das Recht dieses Mitgliedstaats anzuwenden, ohne ihn darüber zu unterrichten, dass er nach Art 5 Abs 2 EVÜ und Art 6 Abs 2 Rom I-VO auch den Schutz der zwingenden Bestimmungen des nationalen Rechts genießt, das ohne diese Klausel anzuwenden wäre.
1.4. Der Oberste Gerichtshof hat bereits in seiner Entscheidung 2 Ob 155/16g (jusIT 2018/21 [Thiele; Mader] = ÖBl 2018/76 [Handig] = MR 2018, 283 [Walter]) unter Bezugnahme auf die Entscheidung des EuGH C-191/15, EU:C:2016:612 (VKI/Amazon EU Sárl) zu einer – der hier vom Kläger beanstandeten – vergleichbaren Rechtswahlklausel (Anwendung luxemburgischen Rechts) ausgeführt (ErwGr 2.3 bis 2.5):
Wäre [die Rechtswahlklausel] wirksam, so wäre auf Verträge mit in Österreich ansässigen Verbrauchern grundsätzlich luxemburgisches Recht anzuwenden; die Klauseln müssten daher jedenfalls den Bestimmungen dieses Rechts entsprechen. Allerdings blieben die Verbraucher durch die zwingenden Bestimmungen des österreichischen Rechts geschützt. Im Ergebnis wäre die Verwendung von Klauseln daher jedenfalls dann zu untersagen, wenn sie gegen solche Bestimmungen des österreichisches Rechts verstießen. Es kann offen bleiben, ob auf dieser Grundlage in einem Verbandsprozess tatsächlich [...] immer auch eine Prüfung nach luxemburgischem Recht erfolgen müsste. Denn behauptet der Kläger nur einen Verstoß gegen zwingendes österreichisches Recht, liegt nahe, nur diesen Verstoß zu prüfen. Wird er bejaht, ist unerheblich, ob die Klausel auch nach dem gewählten Recht unzulässig wäre oder nicht.
Auf diese Frage kommt es hier aber nicht an. Denn aus [der Entscheidung des EuGH] ergibt sich, dass eine Rechtswahlklausel missbräuchlich im Sinn von Art 3 Abs 1 KlauselRL (RL 93/13/EWG) ist, wenn sie keinen Hinweis auf den ergänzenden Schutz durch Anwendung der zwingenden Bestimmungen des Verbraucherstaatrechts enthält (Rott, Das IPR der Verbraucherverbandsklage, EuZW 2016, 733 [735 f]; Mankowski. Verbandsklagen, AGB-Recht und Rechtswahlklauseln in Verbraucherverträgen, NJW 2016, 2705 [2708]; Dorfmayr/Komuczky, Anwendbares Recht bei der Kontrolle von AGB im Verbandsprozess, ZfRV 2016, 268 [272]). Zwar ist die Wirksamkeit der Rechtswahlklausel nach Art 3 Abs 5 iVm Art 10 Abs 1 Rom I-VO grundsätzlich nach dem gewählten Recht zu beurteilen, hier also nach luxemburgischem Recht. Dieses Recht ist aber, da Luxemburg der Europäischen Union angehört, richtlinienkonform auszulegen (Stadler, Die AGB-Kontrolle von Rechtswahlklauseln – Der Fall „Amazon“, VbR 2016, 168 [171]). Das Fehlen eines Hinweises auf den Schutz durch die zwingenden Bestimmungen des Verbraucherrechts muss daher auch nach diesem Recht zur Qualifikation der Klausel als missbräuchlich führen. Das hat nach der Rechtsprechung des EuGH zur Folge, dass diese Klausel – als „unverbindlich“ bzw „nichtig“ – nicht anzuwenden ist (C-618/10, Banco Español de Crédito SA; C-472/10, Nemzeti Fogyasztóvédelmi Hatóság). Auf die Frage, ob sich aus Art 10 Abs 2 Rom I-VO oder aus anderen Gründen (auch) die Maßgeblichkeit des österreichischen Rechts für die Prüfung der Missbräuchlichkeit der Rechtswahlklausel ergeben könnte (vgl etwa Stadler, VbR 2016, 171; Reichholf, Überlegungen zum Günstigkeitsprinzip gemäß Art 6 Abs 2 Rom I-VO, VbR 2017, 17 [20 f]), kommt es unter diesen Umständen nicht an.
Im vorliegenden Fall enthalten die AGB der Beklagten daher keine wirksame Wahl luxemburgischen Rechts. Damit sind die strittigen Klauseln gemäß Art 6 Abs 1 Rom I-VO nach österreichischem Recht zu beurteilen; ein Günstigkeitsvergleich ist von vornherein nicht erforderlich.
1.5. Dieser Auffassung schließt sich der erkennende Senat an. Damit wäre auch die von der Beklagten verwendete Rechtswahlklausel (Klausel 4.) unwirksam, alle weiteren Vertragsbestimmungen nach österreichischem Recht zu beurteilen. Der vom Berufungsgericht beschlossenen Aufhebung der Entscheidung des Erstgerichts zwecks Ermittlung des (anwendbaren) deutschen Rechts bedürfte es dann nicht, womit dem Rekurs des Klägers Folge zu geben ist.
Allerdings hat das Berufungsgericht – ausgehend von seiner unrichtigen Rechtsansicht – die Feststellungs- und Beweisrüge der Beklagten in deren Berufung nicht erledigt. Diese hat aber (jedenfalls teilweise) gerade jene Feststellungen des Erstgerichts angegriffen, die für den EuGH und den Obersten Gerichtshof die Schlussfolgerung zuließen, dass die Beklagte ihre Dienstleistungen (auch) in Österreich zu erbringen hatte. Sollte dies tatsächlich nicht der Fall sein, würde sich der vorliegende Sachverhalt aber von dem der Entscheidung 2 Ob 155/16g zugrunde liegenden erheblich unterscheiden und letztlich doch zur Anwendung deutschen Rechts führen. Insofern kommt (auch) dem Rekurs der Beklagten Berechtigung zu.
2. Damit war aber die Entscheidung des Berufungsgerichts aufzuheben und diesem eine neuerliche Entscheidung aufzutragen.
Die Entscheidung über die Kosten des Rekursverfahrens gründet sich auf § 52 ZPO.
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2020:0060OB00196.19W.0220.000 |
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