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OGH vom 10.09.2003, 7Ob136/03f

OGH vom 10.09.2003, 7Ob136/03f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schalich als Vorsitzenden sowie durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Hon. Prof. Dr. Danzl, Dr. Vogel, Dr. Hoch und Dr. Kalivoda als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Gernot H*****, vertreten durch Dr. Günther Niebauer und Dr. Karl Schaumüller, Rechtsanwälte in Wien, wider die beklagte Partei W***** Versicherung AG, *****, vertreten durch Dr. Michael Mathes und Mag. Laurenz Strebl, Rechtsanwälte in Wien, wegen Feststellung (Streitwert: EUR 36.336,42 = S 500.000), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgericht vom , GZ 2 R 173/03d-15, folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die außerordentliche Revision samt dem (nicht aufgetragenen) Verbesserungsschriftsatz vom wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 2 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).

Text

Begründung:

Nach Art 8 Punkt 4. der zwischen den Streitteilen vereinbarten Allgemeinen Bedingungen für die Kfz-Haftpflichtversicherung (AKHB 1995) sind "Ersatzansprüche aus der Verwendung des Kfz bei einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung, bei der es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt, oder ihren Trainingsfahrten" vom Versicherungsschutz nicht umfasst; Art 9 Punkt 3.2. bestimmt als Obliegenheit nach § 6 Abs 3 VersVG, dass "bei Personenschäden die nächste Polizei- oder Gendarmeriedienststelle sofort zu verständigen" ist.

Das Erstgericht gab der vorliegenden Deckungsklage statt und stellte fest, die beklagte Versicherung habe dem Kläger im Rahmen des bezeichneten Kfz-Haftpflichtversicherungsvertrages für den Vorfall am auf dem A1-Ring in 8724 Spielberg Versicherungsschutz zu gewähren. Die Voraussetzungen für eine Gefahrenerhöhung iSd oa Risikoausschlusses seien nicht erfüllt, weil der Kläger zum Unfallszeitpunkt an einer "Publikumsfahrt" beteiligt gewesen sei. Da er nach Erstversorgung des Verletzten eine vollständige Schadensmeldung im Büro der Rennleitung erstattet habe, und ihm dort mitgeteilt worden sei, dass er keine weiteren Schritte veranlassen müsse, liege auch keine [grob fahrlässige bzw vorsätzliche] Obliegenheitsverletzung nach Art 9 Punkt 3.2. AKHB 1995 vor.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der Wert des Entscheidungsgegenstandes EUR 20.000 übersteige und die ordentliche Revision nicht zulässig sei.

Rechtliche Beurteilung

Die dagegen erhobene ao Revision der beklagten Partei ist unzulässig.

Zur Zulässigkeit ihres Rechtsmittels macht die Beklagte in Punkt 1 des (verfehlten) Antrages nach § 508 ZPO (bzw der mit Schriftsatz vom verbesserten Zulassungsbeschwerde) geltend, der Rechtsfrage, "ob der festgestellte Sachverhalt sich unter den Tatbestand des Art 8 Z 4 AHVB 1995 subsumieren lässt", komme erhebliche Bedeutung (iSd § 502 Abs 1 ZPO) zu, weil "dazu" eine Rsp des Obersten Gerichtshofes - soweit überblickbar - nicht vorliege; die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung (2 Ob 30/89) könnte auf den gegenständlichen Sachverhalt nicht angewendet werden, weil sie "auf den Einzelfall bezogen" (!) sei, und die Frage, ob sog Publikumsfahrten auf einer Rennstrecke als kraftfahrsportliche Veranstaltungen bzw deren Trainingsläufe zu qualifizieren seien, nur "gestreift", aber nicht abschließend und begründet beantwortet habe.

Hier ist vorerst auf die vom Berufungsgericht übernommenen (in der ao Revision aber weiterhin bekämpften) - irrevisiblen - Feststellungen des Erstgerichtes zu verweisen, wonach der Kläger mit seinem Motorrad am Unfalltag nicht an einem wettkampfähnlichen "Event", sondern an einer Publikumsfahrt, also einer grundsätzlich jedermann zugänglichen "freien Veranstaltung" zur Verbesserung der Fahrtechnik und -sicherkeit (ohne Zeitnehmung), beteiligt war, wobei ihm als Nichtrennsportler die Möglichkeit eingeräumt wurde, auf einer gesperrten Rennstrecke zu fahren, um diesen Zweck (Verbesserung der Fahrtechnik) zu erreichen, und es ihm nicht um die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ging, sondern um die Erhöhung der eigenen Fahrsicherheit.

Den von dieser (angeblich "nicht nachvollziehbaren") Tatsachengrundlage abweichenden Rechtsmittelausführungen ist nicht zu entnehmen, weshalb die Voraussetzungen des angeführten Risikoausschlusses bzw der damit erfassten Gefahrenerhöhung, die im Rechtsmittel zT auch unter Zitierung deutscher Literatur zum Begriff "Fahrtveranstaltungen" nach den dAKB (vgl dazu jüngst: BGH vom , VI ZR 321/02 zur Qualifikation einer sog "Gleichmäßigkeitsprüfung" als Fahrtveranstaltung iSd § 2 b Abs 3 b AKB [Info-Letter Versicherungs- und Haftungsrecht 2003, 123 f = VersR 2003, 775]) dargestellt werden (nämlich: neben Rennen aller Art "auch Schnelligkeitsproben einzelner Wagen oder Probefahrten von Fabriken ua, bei denen festgestellt werden soll, welche Geschwindigkeiten sich mit einem Wagen erzielen lassen"), hier gegeben sein sollten; ist doch nach den bindenden Feststellungen der Tatsacheninstanzen keine der genannten Voraussetzungen erfüllt.

Davon abgesehen hat sich der Oberste Gerichtshof in der Entscheidung 2 Ob 30/89 (ZVR 1990/116 = VersE 1417) bereits mit einem dem vorliegenden Fall völlig vergleichbaren Sachverhalt befasst (auch dort ereignete sich der Motorradunfall auf einer permanenten Rennstrecke [Salzburgring], im Rahmen ihrer Benützung durch Nichtrennsportler [auch durch clubfremde Personen gegen Unkostenbeitrag], beim "freien Fahren" zur Verbesserung der Fahrtechnik, ohne Zeitnehmung) und dabei die auch hier angesprochene Frage (nämlich die Voraussetzungen des eingewendeten Risikoausschlusses [nach dem dort maßgebenden Art 25 Abs 2 zweiter Halbsatz AKHB 1967]) keineswegs nur gestreift, sondern abschließend wie folgt beurteilt:

"Gemäß Art 1 Abs 1 AKHB 1967 umfasste die Versicherung die Befriedigung begründeter und die Abwehr unbegründeter Ersatzansprüche, wenn durch die Verwendung des Fahrzeugs gemäß dem § 1 Abs 1 KFG (auf Straßen mit öffentlichem Verkehr) ein Schaden verursacht wurde. Gemäß Art 25 Abs 2 AKHB 1967 umfasste die Versicherung aber auch Schadensereignisse, die nicht auf Straßen mit öffentlichem Verkehr eintraten; lediglich die Verwendung des Kraftfahrzeugs bei einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung, bei der es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit ankam, und ihren Trainingsfahrten auf einer für den übrigen Verkehr gesperrten Straße war für die Dauer einer solchen Veranstaltung von der Versicherung ausgeschlossen. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, wie das Berufungsgericht zutreffend erkannte, das direkte Klagerecht des Klägers gegen die Drittbeklagte, es sei denn, dass die im zweiten Halbsatz des Art 25 Abs 2 AKHB 1967 normierten Voraussetzungen für den Ausschluss von der Versicherung vorlägen. Dies wurde aber vom Berufungsgericht mit Recht verneint, weil es sich nach den getroffenen Feststellungen nicht um eine Trainingsfahrt für eine kraftfahrsportliche Veranstaltung, bei der es auf die Erzielung einer Höchstgeschwindigkeit angekommen wäre, handelte, sondern um eine Fahrt im Rahmen einer Veranstaltung, die nur der Perfektionierung des Fahrkönnens der Teilnehmer diente."

Die Rechtsfrage, ob derartige Publikumsfahrten auf einer Rennstrecke dem Risikoausschluss für "Ersatzansprüche aus der Verwendung eines Kfz bei einer kraftfahrsportlichen Veranstaltung, bei der es auf die Erzielung von Höchstgeschwindigkeiten ankommt, oder ihren Trainingsfahrten" (nunmehr nach Art 8 Punkt 4. AKHB 1995) unterfallen, hat der Oberste Gerichtshof somit bereits beantwortet (vgl zum Begriff "kraftfahrsportliche Veranstaltungen" auch jüngst: 7 Ob 51/03f betreffend Art 7 Punkt 5.3. AHVB 1997 iVm § 1 Abs 2 KFG); da das Berufungsgericht in der angefochtenen Entscheidung die Grundsätze dieser Rsp berücksichtigt hat, liegen die Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO nicht vor.

Die weitere Zulassungsbeschwerde (Punkt 2) moniert die Abweichung der Berufungsentscheidung von der einheitlichen Judikatur des Obersten Gerichtshofes zur Frage, ob die Unterlassung der Verständigung der nächsten Polizei- oder Gendarmeriedienststelle bei Personenschäden zur Leistungsfreiheit des Haftpflichtversicherers führe. Sich wie der Kläger - anstatt die Behörde zu verständigen - "blind" auf die Betreiber des A1-Ringes zu verlassen, sei grob fahrlässig. Außerdem habe das Berufungsgericht, soweit es die gegenteilige Beurteilung des Erstgerichtes als zutreffend befand, einen nicht festgestellten Sachverhalt zugrundegelegt.

Richtig ist, dass das Berufungsgericht die (für den Eintritt der Leistungsfreiheit des Versicherers erforderliche) grobe Fahrlässigkeit des Klägers bei der Verletzung der diesbezüglichen Obliegenheit nach Art 9 Punkt 3. 2. AKHB 1995 (eine nur leichte Fahrlässigkeit bleibt hier ohne Sanktion: § 6 Abs 3 VersVG; RIS-Justiz RS0043728 [T4]; 7 Ob 105/02w mwN; zuletzt: 7 Ob 222/02a) ua deshalb verneinte, weil der Kläger den Unfall ohnehin der Betreiberin der Rennstrecke angezeigt und ihm diese erklärt habe, dass von ihm nichts mehr zu veranlassen sei. Zu Unrecht hält die Revisionswerberin jedoch daran fest, dass die Vorinstanzen dieser Beurteilung einen nicht vorgebrachten und auch nicht festgestellten Sachverhalt zugrundegelegt hätten:

Das Berufungsgericht hat dazu nämlich die vom Erstgericht - wenn auch im Rahmen der Rechtsbeurteilung - auf Grundlage des Vorbringens des Klägers im Schriftsatz ON 3 (AS 16) getroffene Feststellung übernommen, dass diesem "im Büro [der Rennleitung] mitgeteilt wurde", er müsse nach seiner [unmittelbar nach Erstversorgung des Verletzten erstatteten] Meldung keine weiteren Schritte veranlassen (Seite 13 des Ersturteils). Außerdem steht fest, dass die Gendarmerie, wenn es bei Publikumsfahrten Verletzte gibt, grundsätzlich vom Betreiber der Rennstrecke verständigt wird, und dass der Kläger davon ausging (und auch ausgehen konnte) mit der erstatteten Meldung über das Unfallsgeschehen im Büro der Rennleitung alles Notwendige erledigt zu haben, weil allfällige Meldungen vom Betreiber des A1-Ringes erfolgen würden (Seite 9 des Ersturteils).

Auch die in der ao Revision erörterte Frage, ob das Berufungsgericht - von dieser Tatsachengrundlage ausgehend - zu Recht grobe Fahrlässigkeit des Klägers verneint hat, bildet aber keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO. Die Beurteilung des Verschuldensgrades kann nämlich immer nur nach den Umständen des Einzelfalles vorgenommen werden und stellt daher im Allgemeinen keine erhebliche Rechtsfrage dar (7 Ob 58/03k mwN; RIS-Justiz RS0044262; RS0087606; RS0089215; RS0105331; vgl zuletzt: 10 ObS 115/03i).

Dies gilt auch für den vorliegenden Fall: In der Ansicht des Berufungsgerichtes, dass dem Kläger nach den festgestellten Umständen nicht der Vorwurf einer (vorsätzlichen oder) grob fahrlässigen Verletzung der Obliegenheit nach Art 9 Punkt 3.2. AKHB 1995 (vgl dazu RIS-Justiz RS0074566; RS0080965; insb RS0080888 und RS0074503 [zur Erfüllung der Meldepflicht durch einen verlässlichen Boten]) gemacht werden kann (wenn man den [nach Meinung des Berufungsgerichtes] naheliegenden Gedanken berücksichtigt, dass sich auf derartigen Strecken bei Rennen, aber auch bei Publikumsfahrten immer wieder Unfälle auch mit Personenschäden ereignen und diesfalls die Betreiberin [wohl] schon des öfteren Polizei- oder Gendarmeriedienststelle einschalten musste, dass sie dies also üblicherweise für die Beteiligten besorgt), ist eine außerhalb der Bandbreite liegende und daher vom Obersten Gerichtshof zu korrigierende grobe Fehlbeurteilung nämlich nicht zu erblicken.

Die außerordentliche Revision war daher mangels erheblicher Rechtsfragen zurückzuweisen.