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OGH vom 29.01.2010, 1Ob138/09i

OGH vom 29.01.2010, 1Ob138/09i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten Dr. Gerstenecker als Vorsitzenden sowie die Hofräte Univ. Prof. Dr. Bydlinski, Dr. Fichtenau, Dr. Grohmann und Dr. E. Solé als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei S***** A*****, vertreten durch Specht Rechtsanwalt GmbH in Wien, gegen die beklagte Partei M***** M*****, vertreten durch Dr. Susanne Schwarzenbacher, Rechtsanwältin in Wien, wegen Nichtigerklärung einer Ehe, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 42 R 543/08a 31, womit das Urteil des Bezirksgerichts Leopoldstadt vom , GZ 45 C 87/07b 19, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 447,98 EUR (darin enthalten 74,66 EUR USt) bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Streitteile schlossen 1993 in Ägypten die Ehe. Beide sind mittlerweile österreichische Staatsbürger und gehören der islamischen Religion an. Nach den Feststellungen wurde durch Entscheidung des Amtsgerichts El Sayed Zeinab vom , eingetragen unter einer bestimmten Nummer im Zivilregisteramt, die in Ägypten geschlossene Ehe zwischen den Streitteilen für den ägyptischen Rechtsbereich endgültig geschieden. Mit der Scheidungsurkunde dieses ägyptischen Amtsgerichts von diesem Tag wurde die Erklärung des Ehemannes, wonach er sich von seiner Ehefrau gemäß islamischem Recht getrennt habe, wodurch die Ehe endgültig aufgelöst worden sei, beurkundet. Die Klägerin wurde der Beurkundung nicht beigezogen.

Am schloss der Beklagte vor dem Standesamt Wien Brigittenau eine neue Ehe. Vom Standesbeamten wurde als Vorfrage die ägyptische Ehescheidung einer Prüfung unterzogen und für rechtsgültig befunden.

Im Oktober 2006 beantragte die Klägerin die Anerkennung der ägyptischen Ehescheidung für den österreichischen Rechtsbereich. Am beantragte dies auch der Beklagte. In diesem Verfahren anerkannte das Erstgericht die Wirksamkeit der Entscheidung des ägyptischen Amtsgerichts mit der Begründung, dass die Frau im Verfahren zwar kein rechtliches Gehör gehabt habe, mit der Scheidung aber einverstanden sei. Das Rekursgericht wies die Anträge beider Eheleute zurück. Es liege keine anerkennungsfähige Entscheidung iSd § 97 AußStrG vor. Aus der Textierung der Übersetzung der Scheidungsurkunde gehe hervor, dass es sich um eine „private Entscheidung" des die Scheidung aussprechenden Mannes handle, die vom Gericht lediglich beurkundet worden sei. Im Übrigen verstoße eine Anerkennung gegen den inländischen ordre public. Der Revisionsrekurs des Ehemannes wurde zu 3 Ob 130/07z zurückgewiesen. Das Rekursgericht habe ohne Rechtsirrtum einen Verstoß gegen den ordre public bejaht. Die vom Ehemann aufgeworfene Frage, ob überhaupt eine anerkennungsfähige ausländische Scheidungsentscheidung vorliege, könne im Hinblick auf die gleich bleibenden Rechtsfolgen auf sich beruhen.

Die Klägerin begehrte nun die Nichtigerklärung der vor dem Standesamt Wien Brigittenau geschlossenen zweiten Ehe des Beklagten im Hinblick auf die Nichtanerkennung der in Ägypten erfolgten Ehescheidung unter Berufung auf § 24 EheG.

Der Beklagte beantragte die Abweisung dieses Begehrens unter Hinweis auf die vom Standesamt als Vorfrage geprüfte Rechtmäßigkeit der Scheidung seiner Ehe mit der Klägerin. Im Hinblick darauf sei die zweite Ehe wirksam geschlossen worden. Der Klägerin fehle das Rechtsschutzinteresse, weil sie selbst die Wirksamkeit der ägyptischen Scheidung anerkenne.

Das Erstgericht erklärte die zweite Ehe des Beklagten für nichtig, weil seine erste Ehe nach wie vor aufrecht sei.

Das Berufungsgericht wies den Antrag auf Nichtigerklärung der zweiten Ehe ab und ließ die ordentliche Revision zu. § 45 EheG statuiere die Konsequenz der Nichtigkeit der zweiten Ehe nur dann, wenn beide Ehegatten der neuen Ehe wussten, dass die ausländische Entscheidung bezüglich der ersten Ehe in Österreich nicht anerkannt werden könne. Dies sei hier nicht der Fall. Die Nichtanerkennung einer eine Ehe auflösenden ausländischen Entscheidung werde im Regelfall damit begründet, dass die Rechte des anderen Ehegatten im Verfahren des Ursprungsstaats nicht gewahrt worden seien. Genau diese Konstellation liege hier vor. In diesem Fall wäre es aber ein Wertungswiderspruch, die gesetzlich vorgesehene Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung durch eine ipso iure Auflösung der Vorehe - analog der Vorbildbestimmung des § 43 EheG - zu unterlaufen. Daraus folge, dass bei Nichtanerkennung der ausländischen Entscheidung und Gutgläubigkeit zumindest eines Gatten der neuen Ehe sowohl die alte als auch die neue Ehe für den österreichischen Rechtsbereich wirksam seien. In diesem seltenen Ausnahmefall akzeptiere das Gesetz zwei nebeneinander bestehende Ehen. Die Lösung dieses Problems liege ausschließlich darin, dass der zweifach Verheiratete auch eine im Inland wirksame Auflösung der „alten" Ehe anstreben müsse.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Klägerin ist zulässig , aber nicht berechtigt .

Mit der Entscheidung zu 3 Ob 130/07z wurde rechtskräftig darüber abgesprochen, dass die in Ägypten erfolgte Ehescheidung in Österreich nicht anerkennungsfähig ist. Soweit sich die Revision dennoch mit Fragen der Anerkennung in Österreich befasst, ist darauf nicht weiter einzugehen.

In der genannten Entscheidung hat der Oberste Gerichtshof die Frage, ob es sich bei der in Ägypten ausgesprochenen Scheidung um eine ausländische Entscheidung iSd § 97 Abs 1 AußStrG handelt, insofern offen lassen können, als eine inhaltliche Prüfung den Verstoß gegen den inländischen ordre public und damit in materiellrechtlicher Hinsicht die mangelnde Anerkennungsfähigkeit der Entscheidung ergab.

Wie bereits die Vorinstanzen darlegten, gehen die Materialien zu § 45 EheG idF des Art X Z 1 AußStrG BeglG BGBl I 2003/112 (225 BlgNR 22. GP 13 f) davon aus, dass ohne ausdrückliche Regelung die zweite Ehe nichtig (vernichtbar) wäre. Sie halten diese Rechtsfolge aber nur dann für gerechtfertigt, wenn beide Gatten der neuen Ehe von der mangelnden Anerkennungsfähigkeit wussten. Ansonsten sei ihr Vertrauen auf die eheauflösende Wirkung der ausländischen Entscheidung grundsätzlich schutzwürdig und daher in einem solchen Fall die neue Ehe nicht als Doppelehe nichtig.

Diese Regelung wurde in Anlehnung an jene zur Wiederverheiratung nach fälschlicher Todeserklärung (§ 43 EheG) getroffen, allerdings ausdrücklich ohne die dort normierte Rechtsfolge der Auflösung der ersten Ehe ipso iure mit der Schließung der neuen Ehe. Ansonsten würden die Rechte des Ehegatten der ersten Ehe, die nicht gewahrt worden seien, wieder unterlaufen. Die Materialien (aaO) kommen daher ausdrücklich zu dem Schluss, dass in einem solchen Fall sowohl die alte als auch die neue Ehe nach österreichischem Recht wirksam seien und das Nebeneinanderbestehen zweier Ehen unter diesen - von den Materialien als seltenen Ausnahmefall bezeichneten - Umständen hingenommen werde. Der zweifach verheiratete Ehegatte müsse eine auch für das Inland wirksame Auflösung der ersten Ehe anstreben.

Ob es sich bei dieser Konstellation tatsächlich um einen seltenen Ausnahmefall handelt oder dadurch - wie die Revision meint - einem „Scheidungstourismus" Tür und Tor geöffnet würde, kann im Hinblick auf die Eindeutigkeit des Gesetzes und der Materialien dahingestellt bleiben.

Fraglich bleibt lediglich, wie der Begriff einer „ausländischen Entscheidung" iSd § 45 EheG zu verstehen ist.

Zur identen Wendung in § 97 AußStrG hat der Oberste Gerichtshof in 6 Ob 189/06x unter ausführlicher Darlegung der Gesetzeslage, der Materialien, der Lehre und Rechtsprechung in Österreich bzw Deutschland dargelegt, dass der Begriff der „Entscheidung" hier weit verstanden wird. Insbesondere zur Verstoßung nach islamischem Recht werde die Ansicht vertreten, dass dem Gericht in diesen Fällen nur eine gewisse registrierende oder ordnende Funktion zukomme. Nach dem Zweck der Bestimmung solle aber die inländische Feststellungskompetenz gerade in solchen Fällen eingreifen und daher nicht nur auf konstitutive Entscheidungen einer ausländischen Behörde über die Auflösung bzw den Bestand einer Ehe eingeschränkt werden. Es reiche aus, wenn das Gericht an der Ehescheidung - wenngleich nur durch Abhaltung eines Schlichtungsverfahrens oder durch Registrierung der Scheidung - mitgewirkt habe. Anderes gelte nur bei reinen Privatscheidungen .

Wenngleich die eingangs wiedergegebenen Feststellungen über die Umstände der Scheidung in Ägypten nicht völlig eindeutig sind, ist ihnen jedenfalls zu entnehmen, dass vom ägyptischen Amtsgericht zumindest eine vom Beklagten ausgesprochene Trennung beurkundet und darüber eine Scheidungsurkunde ausgestellt wurde. Damit hat das ägyptische Gericht aber im Sinne der Entscheidung 6 Ob 189/06x durch Abhaltung eines gerichtlichen Termins, Registrierung der Scheidung und Ausstellung einer Urkunde an der Scheidung mitgewirkt. Von einer „reinen Privatscheidung" kann daher nicht mehr die Rede sein. Es ist kein Grund ersichtlich, weshalb diese Auslegung nicht auch für dieselbe Wortwahl des Gesetzgebers in § 45 EheG herangezogen werden sollte. Gerade den üblicherweise betroffenen juristischen Laien ist in aller Regel der Unterschied zwischen einer konstitutiven gerichtlichen Entscheidung und einer bloßen Bestätigung, zB eines Registrierungsvorgangs, nicht geläufig und schon gar nicht erkennbar, um welche der beiden Varianten es sich bei einem gerichtlichen Schriftstück handelt. Damit würde der im Gesetz vorgesehene Gutglaubensschutz aber von für den Betroffenen nicht erkennbaren Zufällen abhängen oder ihn zu Nachforschungen im Ausland zwingen. Beides kann den Intentionen des Gesetzgebers nicht ohne Weiteres unterstellt werden.

Dass die Grenze dort zu ziehen wäre, wo durch die ausländische „Entscheidung" inländische Grundsätze verletzt würden, wie die Revision argumentiert, kann schon deshalb nicht zutreffen, weil die Verletzung fundamentaler inländischer Rechtsgrundsätze erst materiellrechtlich - also dann, wenn das Vorliegen einer ausländischen Entscheidung grundsätzlich bejaht wird - zu prüfen ist. Keineswegs bedeutet die Annahme des Vorliegens einer ausländischen Entscheidung gleichzeitig - wie die Revision offenbar unterstellt -, dass diese auch im Inland inhaltlich anerkannt wird. Daher ist auch die von der Revision geortete Verfassungswidrigkeit des § 45 EheG nicht zu erkennen.

Die Kostenentscheidung gründet sich auf die §§ 41 Abs 1, 50 Abs 1 ZPO.