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OGH vom 11.11.1992, 1Ob644/92

OGH vom 11.11.1992, 1Ob644/92

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Franz K*****, vertreten durch Dr. Christian Moser, Rechtsanwalt in Graz, wider die beklagte Partei S***** AG, ***** vertreten durch Dr. Robert Plaß, Rechtsanwalt in Leoben, wegen S 72.090,-- samt Anhang, infolge außerordentlicher Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Graz als Berufungsgerichtes vom , GZ 5 R 10/92-24, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Kreisgerichtes Leoben vom , GZ 8 Cg 55/91-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben. Das Urteil des Berufungsgerichtes wird aufgehoben. Die Rechtssache wird an das Berufungsgericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückverwiesen.

Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Kosten des Berufungsverfahrens.

Text

Begründung:

Am gegen 14 Uhr wurde die auf dem der Gattin des Klägers gehörenden Grundstück E***** 63 befindliche hölzerne Fischerhütte, die der Kläger mit Zustimmung seiner Gattin errichtet hatte, durch Brand schwer beschädigt. Als der Bezirksbrandermittler bei der Brandstelle eintraf, war die Feuerwehr noch mit Aufräumungsarbeiten beschäftigt. An der südöstlichen Front der Hütte stand zu diesem Zeitpunkt ein ca. 50 l fassender Sack mit restlichen 30 kg ungelöschtem Feinkalk. Der Kalk war noch so heiß, daß sich der Bezirksbrandermittler bei seinen Erhebungen zwei Finger seiner rechten Hand verbrannte. Der Kläger verwendete diesen Kalk zur Desinfektion und zur Aufbesserung der Wasserqualität seines Fischteiches. Jeweils nach Entnahme von Kalk wurde der Sack zusammengefaltet und zugeschlagen. Dem Kläger war nicht bekannt, welche „Aggressionen“ auftreten konnten, sollte das Kalkmehl mit Wasser in Verbindung kommen.

Der Feinkalk ist ein Erzeugnis der beklagten Partei. Der Kläger hatte zwei Säcke bei der Firma L***** gekauft. Auf dem Sack befand sich eine Löschanweisung nachstehenden Inhaltes: „80 Liter Wasser in die Löschrein (Trog) einlassen, Inhalt dieses Sackes (40 kg) gleichmäßig einrühren; sobald der Kalk zu kochen beginnt, nochmals 20 bis 40 l Wasser dazugeben und gut durchrühren. Kalkteig ist nach 12 Stunden verarbeitbar; für Arbeiten, die abgelagerten Kalk verlangen, beliebig lange einsumpfen, Fässer sind wegen schlechter Durchmischung (ungleiche Löschtemperatur) und wegen Unfallgefahr ungeeignet. Trocken lagern. Kontakt mit Augen und Mund vermeiden, Schutzbrille tragen.“ Bis einschließlich 1988 wurde im Werk P***** der beklagten Partei ungelöschter Kalk in Papiersäcken abgefüllt, ab 1989 wurden nur mehr Plastiksäcke verwendet. Die Aufschrift auf den Papiersäcken und auf den Plastiksäcken war ident.

Die Wiederherstellung der Hütte und der Ersatz der vernichteten Einrichtungsgegenstände wird einen Betrag von S 256.967,60 erfordern.

Der Kläger begehrt den Zuspruch des Betrages von S 72.090,-- samt Anhang. Er habe unter dem Vordach seiner Fischerhütte den von der beklagten Partei erzeugten und vertriebenen ungelöschten Kalk abgestellt. Durch starken Regen und Wind sei es jedoch offensichtlich dazu gekommen, daß der ungelöschte Kalk feucht wurde, wodurch es letztlich zum Ausbruch des Brandes gekommen sei. Auf der Verpackung habe sich kein Warnhinweis befunden, daß das Produkt feuergefährlich sei. Die beklagte Partei hafte aufgrund gesetzlicher Bestimmungen, insbesondere der Bestimmungen des Produkthaftungsgesetzes für den von ihr verursachten Schaden, zumal das von der beklagten Partei hergestellte und in Verkehr gebrachte Produkt wegen unzureichender Gefahrenhinweise fehlerhaft sei. Die beklagte Partei sei verpflichtet gewesen, auf die mit dem von ihr erzeugten und in Verkehr gebrachten Produkt verbundenen Gefahren entsprechend hinzuweisen. Die beklagte Partei habe jedenfalls um die Gefährlichkeit ihres Produktes, insbesondere die entsprechende Brandgefahr Bescheid wissen müssen. Auch ein fachmännischer Abnehmer hätte keinesfalls damit rechnen können, daß bei Einwirkung von Regenwasser auf den ungelöschten Feinkalk ein Brand verursacht werden könne. Der Kläger sei kein fachmännischer Abnehmer, er habe umso weniger damit rechnen müssen, daß bedingt durch die extremen Witterungseinflüsse, ein Brand hervorgerufen werden könne. Der Kläger mache aus Vorsichtsgründen nur ein Drittel seines erlittenen Schadens abzüglich des Selbstbehaltes von S 5.000,-- geltend.

Die beklagte Partei wendete ein, es stehe auch nach den Ergebnissen der Brandursachenermittlung keineswegs fest, daß der Kalk Ursache des Brandes gewesen sei. Auf den von ihr gelieferten Säcken mit ungelöschtem Kalk finde sich der ausdrückliche Hinweis, daß der Kalk trocken zu lagern sei. Die von der Gendarmerie festgestellte Lagerung habe diesem Hinweis zweifellos nicht entsprochen, sie sei daher unsachgemäß gewesen. Schon aus diesem Grund sei eine Haftung grundsätzlich abzulehnen. Darüber hinaus könne man bei dem Produkt Feinkalk von den erfahrungsgemäß fachmännischen Abnehmern ein höheres Maß an Gefahrenbewußtsein und Sorgfalt beim Umgang mit dem Produkt verlangen als bei allgemeinen Konsumgütern, dies umso mehr, als ein 50 kg-Sack mit Feinkalk keineswegs von Kleinverbrauchern benötigt werde. Es handle sich dabei um eine Packung, die bereits für ausgesprochen fachmännische Konsumenten gedacht und vorgesehen sei. Den Kläger treffe auf jeden Fall das überwiegende Mitverschulden. Der Zeitwert der Hütte und der vernichteten Gegenstände wurde bestritten.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Es stellte fest, der neben der Fischerhütte gelagerte Kalk habe sich in einem Papiersack befunden. Die Brandausbruchstelle sei durch den Bezirksbrandermittler im Bereich des Kalksackes festgestellt worden, wobei es unter Einfluß von Wasser (Regen) zur Selbsterwärmung des Kalkes, anschließend zum Wärmestau und schließlich zur Selbstentzündung (Erhitzung) gekommen sein müsse. Hiedurch seien das unterhalb des Fußbodens befindliche getrocknete Gras sowie diverse Holzkleinteile in Brand gesetzt worden, schließlich habe das Feuer auf die gesamte Holzkonstruktion übergegriffen. Nach dem Produkthaftungsgesetz könne Informationsmangel ein Produkt fehlerhaft machen. Der Hinweis „trocken lagern“ sei deutlich erkennbar gewesen. Zwar würden hier nicht die möglichen konkreten Folgen eines nicht bestimmungsgemäßen Gebrauches erwähnt, jedoch werde ein solcher Hinweis als Warnung eines Benützers wohl als ausreichend anzusehen sein. Würde in einer Gebrauchsanweisung über jede mögliche Gefahr bei mißbräuchlicher Verwendung eines Produktes konkret informiert werden, so ginge sicherlich die Klarheit und Übersichtlichkeit solcher Hinweise verloren. Hätte nun der Kläger den Hinweis „trocken lagern“ befolgt und den Feinkalk so abgestellt, daß auch bei starkem Regen keine Feuchtigkeit hinzukommen hätte können, so hätte er auch keinen Schaden erlitten. Was im Erfahrungswissen von potentiellen Abnehmern liege, müsse nicht zum Inhalt einer Gebrauchsanweisung oder Warnung gemacht werden. Da der Kläger den ungelöschten Kalk zweckfremd verwendet habe und er in einem solchen Maße abweichend von der Gebrauchsanweisung vom Produkt Gebrauch gemacht habe, womit billigerweise nicht habe gerechnet werden können, handle es sich nicht mehr um einen Fall des Mitverschuldens, sondern vielmehr um eine mangelnde Fehlerhaftigkeit des Produktes.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Klägers nicht Folge. Es sprach aus, daß die Revision nach § 502 Abs 1 ZPO nicht zulässig sei. Auf die von beiden Seiten erhobenen Beweisrügen ging es aus rechtlichen Gründen nicht ein. Der Schaden sei nicht durch zweckfremde Verwendung, sondern bei der Lagerung des ungelöschten Kalkes eingetreten. Das Erstgericht habe zutreffend die zweckwidrige Verwendung des Kalkes als Argument dafür angeführt, daß die beklagte Partei mit einem derartigen Gebrauch billigerweise nicht habe rechnen müssen und daher vom Erfahrungswissen potentieller Abnehmer habe ausgehen können. Diese potentiellen Abnehmer seien nicht solche, die den Feinkalk zur Aufbesserung der Wasserqualität eines Fischteiches verwenden, sondern Personen, die den ungelöschten Kalk zu Bauzwecken heranziehen und mit den Eigenschaften des ungelöschten Kalkes bei Feuchtigkeitseinwirkung daher vertraut seien. Insofern seien die Hinweise auf der Verpackung nicht unzulänglich gewesen, wenngleich es richtig sei, daß der Hinweis „trocken lagern“ in erster Linie so zu verstehen sei, daß im gegenteiligen Fall das Produkt selbst Schaden leide, also für die vorgesehene Verwendung unbrauchbar werde. Die beklagte Partei habe aber davon ausgehen können, daß ihr Produkt nur von Leuten erworben werde, die es für Bauzwecke benötigen und auch über die Reaktion des ungelöschten Kalkes bei Feuchtigkeitseinwirkung Bescheid wissen.

Rechtliche Beurteilung

Die außerordentliche Revision des Klägers ist zulässig und berechtigt.

Die Vorinstanzen und die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, daß der zeitliche Anwendungsbereich des Produkthaftungsgesetzes (§ 19 PHG) gegeben sei. Nach dem vorliegenden Sachverhalt könnte ein Fehler des Produktes gemäß § 5 Abs. 1 Z 1 PHG nur in seiner Darbietung gelegen sein. Der Kreis der Produktdarbietung ist weit gezogen. Er beginnt mit der Werbung, geht über die Aufmachung des Produktes und den Anschluß von Beipackzetteln bis zur mündlichen Information beim Verkaufsgespäch (RV 270 BlgNR 17.GP, 10; Welser, Produkthaftungsgesetz Rz 11 zu § 5; Aicher-Gruber, Zur haftungsrechtlichen Verantwortung des Zement- und Betonherstellers nach dem PHG 38). Unter Darbietung des Produktes wird somit die Art und Weise der Produktpräsentation in der Öffentlichkeit verstanden (Kullmann, Produzentenhaftung, 3604, 7). Zu den Instruktionspflichten des Herstellers gehört es, den Benützer auf gefährliche Eigenschaften des Produktes hinzuweisen, ja ihn unter Umständen selbst vor widmungswidrigen Gebrauch zu warnen (Welser aaO Rz 11, 12 zu § 5; Fitz-Purtscheller-Reindl, Produkthaftung, Rz 8 zu § 5 PHG). Ihrem Inhalt nach müssen Warnhinweise klar und allgemein verständlich formuliert sein. Das spezielle Risiko ist in einer ganzen Tragweite möglichst eindrucksvoll zu schildern (Foerste in von Westphalen, Produkthaftungshandbuch § 24 Rz 194). Die Instruktion muß daher geeignet sein, das Risiko einer Rechtsgutverletzung zu beseitigen (Hettich, Produkthaftung2 37). Ungenügend erschiene daher ein Hinweis „trocken lagern“, wenn im gegenteiligen Fall nicht nur das Produkt Schaden nehmen konnte, sondern Feuergefahr eintritt (vgl. Foerste aaO Rz 205). Für die Verpflichtung, vor Folgen zu warnen, ist entscheidend, ob ein Schutzbedürfnis des Verbrauchers vorliegt (vgl. 8 Ob 556/92, 1 Ob 603/84); das ist nur dann gegeben, wenn der Hersteller damit rechnen muß, daß sein Produkt in die Hände von Personen gerät, die mit den Produktgefahren nicht vertraut sind (NJW 1987, 372; Fitz-Purtscheller-Reindl aaO Rz 9). Was im Bereich allgemeiner Erfahrung der in Betracht kommenden Abnehmer und Benützer liegt, braucht nicht zum Inhalt einer Warnung gemacht werden (Welser aaO Rz 12 zu § 5; Hettich aaO 35;Kullmann aaO 3604, 3; Foerste aaO 182). Die berechtigten Sicherheitserwartungen der Produktbenützer sind somit entscheidend. Beurteilungsmaßstab ist der Idealtypus des durchschnittlichen Produktbenützers (Kullmann aaO 3604, 3; von Westphalen aaO § 62 Rz 6; die Legaldefinition des § 5 PHG entspricht fast wörtlich dem Art. 6 der EG-Richtlinien und § 3 des deutschen PHG [Pfister in Kullmann aaO 5110, 7; Posch in von Westphalen aaO § 128 Rz 71]). Der Sinngehalt des Begriffes „berechtigte Sicherheitserwartungen“ kann nur durch Zuhilfenahme außerrechtlicher Begriffsinhalte und Wertmaßstäbe ausgefüllt werden. Es liegt somit ein unbestimmter Rechtsbegriff vor (von Westphalen aaO § 62 Rz 5; Kullmann aaO 3604, 2; vgl. Fasching, Lehrbuch2 Rz 1924). Zur Ausfüllung unbestimmter Rechtsbegriffe ist kein „gesellschaftlicher Befund“, somit keine Demoskopie zu erheben. Es ist auch hier ein normativer Maßstab anzulegen (Schmidt-Salzer - Hollmann, Kommentar EG-Richtlinien Produkthaftung I Rz 46 zu Art 6), der im Rahmen der rechtlichen Beurteilung vom Revisionsgericht überprüft werden kann (RdW 1985, 108; Fasching aaO). Zur weiteren Normenkonkretisierung eines unbestimmten Rechtsbegriffes sind neben gesetzlichen Wertungen und allgemein anerkannten rechtsethischen Maximen und Standards vor allem die Rechtsüberzeugung und die Verkehrssitte der beteiligten Kreise heranzuziehen (F. Bydlinski in Rummel2 Rz 25 zu § 6; Canaris in ZAS 1970, 147). Damit gehört zur Normenkonkretisierung des Begriffes berechtigte Sicherheitserwartungen des durchschnittlichen Benützers auch die dem Tatsachenbereich zugehörende Kenntnis der Rechtsüberzeugung und der Verkehrssitte dieser Verkehrskreise, die nicht vorweg durch richterliche Eigenwertung ersetzt werden darf (Canaris aaO). Der beurteilende Richter ist insofern nicht Repräsentant dieser Verkehrskreise (Kullmann aaO 3604, 4). Der Richter darf zwar zur Konkretisierung unbestimmter Rechtsbegriffe sowohl seine allgemeine Lebenserfahrung einsetzen (RdW 1985, 108), aber auch dieses Wissen kann vom Revisionsgericht überprüft werden. Während das Erstgericht nur auf den Rechtssatz verwies, alles, was zum Erfahrungswissen potentieller Abnehmer gehöre, brauche nicht zum Inhalt einer Instruktion gemacht werden und die Frage, ob die Erhitzungsmöglichkeit und damit Brandgefahr ungelöschten Kalkes dem durchschnittlichen Verwender des Produktes ohnedies bekannt sei, nicht beantwortete, bejahte dies das Berufungsgericht ohne aufzuzeigen, aus welchen Quellen es diese Erfahrung bzw. dieses Fachwissen über die Kenntnis des Idealtypus eines Verbrauchers schöpfe. Erscheint dem Revisionsgericht aber die Normenkonkretisierung durch das Berufungsgericht zumindest als fragwürdig, hat es eine Beweisaufnahme über die tatsächlichen Ansichten bzw. das Wissen der maßgeblichen Verkehrskreise anzuordnen (RdW 1985, 108). Auf die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung jener Tatsachen, die zur Konkretisierung dieses allgemeinen Rechtsbegriffes erforderlich sind, wird daher im vorliegenden Fall grundsätzlich nicht verzichtet werden können (vgl. von Westphalen aaO § 78 Rz 12). Dabei mag es auch durchaus bedeutsam sein, ob der Feinkalk in einem wasserundurchlässigen Plastiksack oder aber einem Feuchtigkeit ins Innere weitergebenden Papiersack verpackt war.

Der Revision ist Folge zu geben, das Urteil des Berufungsgerichtes ist aufzuheben und die Rechtssache an dieses Gericht zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung zurückzuverweisen. Weitere Erhebungen über die objektiv zu ermittelnde Verkehrsauffassung würden allerdings dann entbehrlich sein, wenn das Berufungsgericht der Beweisrüge der beklagten Partei folgend die Kausalität zwischen dem Ausbruch des Brandes und der Lagerung des Feinkalkes verneinte.

Die Entscheidung über die Kosten des Revisionsverfahrens gründet sich auf §§ 50, 52 ZPO.