OGH vom 21.09.2018, 3Ob126/18b
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch als Vorsitzenden sowie die Hofräte Dr. Roch und Dr. Rassi und die Hofrätinnen Dr. Weixelbraun-Mohr und Dr. Kodek als weitere Richter in der Pflegschaftssache der Minderjährigen A*****, geboren am ***** 2013, wohnhaft bei der Mutter M*****, vertreten durch Dr. Eva Maria Barki, Rechtsanwältin in Wien, Vater G*****, verteten durch Goldsteiner Rechtsanwalt GmbH in Wiener Neustadt, wegen Kontaktrechts, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 42 R 71/18d-83, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.
Auch der Antrag auf „Hemmung (Aufschiebung) bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs“ wird zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1.1 Die nach pflichtgemäßem Ermessen zu treffende Entscheidung, inwieweit einem Elternteil unter Bedachtnahme auf Persönlichkeit, Eigenschaften und Lebensumstände das Kontaktrecht eingeräumt werden soll, ist grundsätzlich von den Umständen des Einzelfalls abhängig, sodass ihr keine Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG zuerkannt werden kann, wenn nicht leitende Grundsätze der Rechtsprechung verletzt wurden (RIS-Justiz RS0097114; RS0007101).
Das in § 187 Abs 1 Satz 1 ABGB idF KindNamRÄG 2013 normierte Kontaktrecht des Kindes und jeden Elternteils auf regelmäßige und den Bedürfnissen des Kindes entsprechende persönliche Kontakte ist ein allgemein anzuerkennendes, unter dem Schutz des Art 8 EMRK stehendes Grundrecht der Eltern-Kind-Beziehung (RIS-Justiz RS0047754 [T3, T 19, T 21]).
1.2 Mit der angefochtenen Entscheidung bestätigte das Rekursgericht jene des Erstgerichts, das Kontaktrecht des Vaters – welches ihm bisher im Ausmaß von (vierzehntägig) zwei Stunden mit Besuchsbegleitung eingeräumt ist – vorläufig (und erst nach dem nachgewiesenen Besuch von fünf Einheiten Erziehungsberatung) auf ein Ausmaß von vier Stunden alle 14 Tage auszudehnen, wobei die Übergaben des Kindes begleitet stattfinden sollen. Dem dieser Entscheidung zugrundeliegenden Sachverhalt ist kein Hinweis darauf zu entnehmen, dass diese Besuchskontakte für das fünfjährige Mädchen nachteilig sein könnten; nur die (offenbar erheblichen) Konflikte der Eltern im Rahmen der Übergabe des Kindes stellen offenbar eine erhebliche Belastung für das Kind dar. Soweit die Revisionsrekurswerberin argumentiert, die Ausdehnung des Besuchsrechts vor der – vom Erstgericht ebenfalls angeordneten – gemeinsamen Erziehungsberatung der Eltern sei verfrüht, ist ihr zu erwidern, dass sich diese Anordnung auf die erforderliche Kommunikationsbasis der Eltern im Hinblick auf die noch ausständige Entscheidung über die Obsorge für die Minderjährige bezieht.
2.1 Als Beweismittel kommt im Verfahren außer Streitsachen, in dem der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel herrscht, alles in Betracht, was zur Feststellung des Sachverhalts geeignet und zweckdienlich ist (RIS-Justiz RS0006272). Es besteht kein genereller Grundsatz dahin, dass das Gericht im Verfahren über die Festsetzung des Kontaktrechts stets einen Sachverständigen beizuziehen hätte, im Einzelfall kann vielmehr auch eine Stellungnahme eines Psychologen der Familiengerichtshilfe im Zusammenhalt mit den anderen Beweismitteln eine ausreichende Entscheidungsgrundlage bilden (4 Ob 245/16g mwN).
2.2 Die Revisionsrekurswerberin meint, das Rekursgericht habe nicht erkannt, dass sie im erstinstanzlichen Verfahren, in dem sie nicht anwaltlich vertreten war, zu Beweisanträgen anzuleiten und außerdem auch eine mündliche Verhandlung durchzuführen gewesen wäre. Diese angeblichen Verfahrensmängel hat sie jedoch im Rekurs gar nicht gerügt und kann dies im Revisionsrekurs nicht mehr nachholen (RIS-Justiz RS0074223 [T3, T 4]). Die vermisste mündliche Verhandlung ist im Außerstreitverfahren nicht zwingend vorgeschrieben (RIS-Justiz RS0006048; RS0006036). Außerdem sind die Argumente des Rechtsmittels, die sich zum Großteil auf das – bereits rund drei Jahre zurückliegende und daher für die nun angeordnete vorläufige Ausdehnung des Kontaktrechts nicht ausschlaggebende – Gutachten der gerichtlichen Sachverständigen beziehen, durch die ausführliche, vom Erstgericht seiner Entscheidung zugrundegelegte Stellungnahme der Familiengerichtshilfe überholt (zur erforderlichen aktuellen Tatsachengrundlage für die jeweils zukunftsbezogene Rechtsgestaltung: RIS-Justiz RS0106312). Auch eine Mangelhaftigkeit des Rekursverfahrens ist daher nicht zu erkennen.
2.3 Eine ausnahmsweise Durchbrechung des Neuerungsverbots im Interesse des Kindeswohls setzt diesbezügliche, ganz besondere Umstände voraus (RIS-Justiz RS0119918 [T6]), durch die insbesondere die bisherige Tatsachengrundlage dadurch wesentlich verändert wird, wobei aber zu bedenken ist, dass bei wesentlicher Änderung der maßgeblichen Umstände den Parteien ohnehin die Möglichkeit einer neuerlichen Antragstellung offensteht (RIS-Justiz RS0122192 [T3] = RS0048056 [T10]). Die dem Revisionsrekurs beigelegte Kopie einer Stellungnahme der das Kind seit rund zwei Monaten behandelnden Psychotherapeutin ist nicht geeignet, die Tatsachengrundlage für die hier angefochtene vorläufige Kontaktrechtsregelung in Frage zu stellen.
3. Mangels einer Rechtsfrage von der Qualität des § 62 Abs 1 AußStrG war der Revisionsrekurs daher zurückzuweisen. Einer weiteren Begründung bedarf dieser Beschluss nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).
4. In Anbetracht der Erfolglosigkeit des Rechtsmittels besteht auch kein Anlass, die vorläufige Verbindlichkeit gemäß § 107 Abs 2 Satz 3 AußStrG (vgl dazu Beck in Gitschthaler/Höllwerth, AußStrG § 107 Rz 41 f) abzuerkennen (vgl 5 Ob 79/15a); was mit dem Antrag, dem Revisionsrekurs die „Hemmung (Aufschiebung)“ bis zur Entscheidung des Obersten Gerichtshofs zuzuerkennen, offenbar angestrebt wurde.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0030OB00126.18B.0921.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.