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OGH vom 08.09.2009, 4Ob120/09i

OGH vom 08.09.2009, 4Ob120/09i

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Schenk als Vorsitzende und durch die Hofräte Dr. Vogel, Dr. Jensik, Dr. Musger und Dr. Schwarzenbacher als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj Christina D*****, geboren am *****, vertreten durch den Jugendwohlfahrtsträger Land Niederösterreich, Bezirkshauptmannschaft S*****, als besonderer Vertreter in Unterhaltsangelegenheiten, wegen Unterhalt, infolge Revisionsrekurses der Minderjährigen gegen den Beschluss des Landesgerichts St. Pölten als Rekursgericht vom , GZ 23 R 71/09b-U-52, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Scheibbs vom , GZ 4 P 52/00x-U-47, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung folgenden

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen wird zurückgewiesen.

Text

Begründung:

Die siebzehnjährige Minderjährige, die bei ihrer Mutter wohnt, hat die Hauptschule abgeschlossen. Im Februar 2008 brach sie den Besuch eines BORG (ua wegen einer Mathematikschwäche) ab. Nach über 20 erfolglosen Bewerbungen um eine Lehrstelle in verschiedenen Branchen, darunter auch zwei Gastronomiebetrieben, ist die Minderjährige nunmehr in einer privaten Tourismusschule mit dreijähriger Ausbildungszeit ab dem Schuljahr 2008/2009 angemeldet. Die dortige Ausbildung vermittelt einen Lehrabschluss als Köchin, Kellnerin und Hotel- und Gastgewerbeassistentin; die Schulgebühr beträgt 1.496 EUR pro Schuljahr zuzüglich 25 EUR Einschreibegebühr.

Die Minderjährige beantragte, ihren Vater zur Leistung eines Sonderbedarfs zu verpflichten; begehrt werde die Hälfte der ersten Teilzahlung auf das jährliche Schulgeld zuzüglich der halben Einschreibgebühr (zusammen 212,50 EUR) (ON 35) und ein weiterer Beitrag (210,47 EUR) für Kochschuhe und Kochbekleidung. Der Vater sprach sich gegen den Antrag aus. Er könne keine Zielstrebigkeit in der Ausbildung seiner Tochter erkennen. Den durch die entgeltliche Privatschule vermittelten Lehrabschluss könne die Minderjährige auch in der selben Zeit als bezahlter Lehrling erlangen (ON 42). Der Vater zahlt derzeit - bei einem Durchschnittsnettoeinkommen von 1.930 EUR - seiner Tochter 350 EUR monatlich Unterhalt und ist weiters mit Sorgepflichten für zwei weitere Kinder belastet.

Das Erstgericht verpflichtete den Vater zur Leistung eines Sonderbedarfs für die Minderjährige von einmalig 210,47 EUR für Kochschuhe und Kochkleidung, wies jedoch den darüber hinausgehenden Antrag auf einen weiteren Sonderbedarf für die Hälfte der bisher angelaufenen Schulkosten und der Einschreibgebühr der Privatschule ab.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass der ordentliche Revisionsrekurs zulässig sei, weil höchstgerichtliche Rechtsprechung zur Frage fehle, ob sich die Maßfigur des pflichtbewussten rechtsgetreuen Elternteils gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten bei aufrechter Haushaltsgemeinschaft im wohlverstandenen Interesse des Kindes dafür entscheiden würde, die vergleichsweise sichere, wenn auch kostenintensivere Ausbildung in einer Privatschule der längeren Lehrstellensuche (verbunden mit dem Risiko, die Ausbildung nicht im ursprünglichen Lehrbetrieb beenden zu können) vorzuziehen. Für den von der Minderjährigen angestrebten Ausbildungsweg stehe zwar keine kostenlose öffentliche Schule zur Verfügung, wohl aber eine Lehre, die mit teilweiser Selbsterhaltungsfähigkeit verbunden sei. Unter diesen Umständen müssten besondere Gründe für den gewählten kostenpflichtigen Ausbildungsweg vorliegen, wie etwa eine besondere Begabung oder ein besonderes Interesse. Hinweise auf solche besonderen Gründe fehlten im Anlassfall. Die Minderjährige dürfe ihre Lehrstellensuche auch nicht auf den allerengsten örtlichen Bereich beschränken.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs der Minderjährigen ist - entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden (§ 71 Abs 1 AußStrG) - Ausspruch des Rekursgerichts mangels erheblicher Rechtsfrage (§ 62 Abs 1 AußStrG) nicht zulässig. Selbst wenn das Rekursgericht den ordentlichen Revisionsrekurs zulässt, ist das Rechtsmittel dann zurückzuweisen, wenn es nur solche Gründe geltend macht, deren Erledigung nicht von der Lösung erheblicher Rechtsfragen abhängt (RIS-Justiz RS0102059).

1. Der Revisionsrekurs enthält keine Ausführungen zur vom Rekursgericht als erheblich bezeichneten Rechtsfrage. Er verweist zunächst auf die Stellungnahme im Rekurs; ein derartiger Verweis ist jedoch unzulässig und unbeachtlich (RIS-Justiz RS0007029 [T7]).

2. Soweit die Rechtsmittelwerberin erstmals davon ausgeht, sie besitze ein besonderes Interesse an der eingeschlagenen Ausbildung, weicht sie von ihrem bisherigen Vorbringen ab und verstößt damit gegen das Neuerungsverbot im Revisionsrekursverfahren (RIS-Justiz RS0006904, RS0119918). Auch wurde festgestellt, dass sich die Minderjährige in verschiedensten Branchen um eine Lehrstelle beworben hat (davon jedoch nur zwei Mal im Bereich Gastronomie), woraus das Rekursgericht zutreffend geschlossen hat, dass ihr eine Beschäftigung im Bereich der Gastronomie keineswegs als einzige Möglichkeit erschienen sei, um allfällige besondere Begabungen oder Interessen zu fördern. Die Behauptung der Rechtsmittelwerberin, es gebe zum gewählten Ausbildungsweg keine Alternativen, entfernt sich von der Feststellung, dass es im Bereich der Gastronomie immer wieder Lehrstellenangebote gibt. Gegen die Auffassung des Rekursgerichts, die Minderjährige hätte ihre Suche nach einer Lehrstelle auch auf die „klassischen" Tourismusgebiete ausweiten müssen, bringt das Rechtsmittel nichts Substantielles vor.

3.1. Sonderbedarf ist jener Mehrbedarf eines unterhaltsberechtigten Kindes, der sich aus der Berücksichtigung der beim Regelbedarf (allgemeiner Durchschnittsbedarf) bewusst außer Acht gelassenen Umstände des Einzelfalls ergibt (RIS-Justiz RS0117791, RS0109908). Ob ein solcher Sonderbedarf vom Unterhaltspflichtigen zu decken ist, hängt davon ab, wovon dieser Sonderbedarf verursacht wurde (vgl RIS-Justiz RS0047560), und ob er dem Unterhaltspflichtigen angesichts der Einkommens- und Vermögensverhältnisse der Eltern des Kindes zumutbar ist (RIS-Justiz RS0107179). Generell kann gesagt werden, dass er durch Momente der Außergewöhnlichkeit, Dringlichkeit und Individualität bestimmt wird (RIS-Justiz RS0047539), also nicht mit weitgehender Regelmäßigkeit für die Mehrzahl der unterhaltsberechtigten Kinder zusteht (1 Ob 2383/96i). Darunter fallen hauptsächlich Aufwendungen für die Erhaltung und Wiederherstellung der Gesundheit und die Persönlichkeitsentwicklung (4 Ob 96/08h) und auch Ausbildungskosten (RIS-Justiz RS0109908). Maßgeblich sind die Umstände des Einzelfalls (4 Ob 96/08h). Die Behauptungs- und Beweispflicht für den Ausnahmecharakter des Sonderbedarfs trifft den Unterhaltsberechtigten (RIS-Justiz RS0109908 [T8]).

3.2. Stehen in einem bestimmten Ausbildungsweg entgeltliche Privatschulen neben öffentlichen (unentgeltlichen) Schulen zur Verfügung, wird der Unterhaltsberechtigte nach dem Grundsatz, dass bei gleichwertigen Alternativen stets die für den Unterhaltsverpflichteten weniger belastende den Vorzug genießt, grundsätzlich eine öffentliche Schule auszuwählen haben (4 Ob 108/98f; 9 Ob 40/02a). Der Oberste Gerichtshof hat wiederholt Schulgeld für eine Privatschule ua dann als Sonderbedarf anerkannt, wenn ein gerechtfertigter Grund - etwa eine besondere Begabung oder ein besonderes Interesse des Kindes - gerade für diesen Ausbildungsweg spricht (RIS-Justiz RS0109906).

3.3. Die angefochtene Entscheidung hält sich im Rahmen dieser Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs und wendet sie im Rahmen des ihm offenstehenden Ermessensspielraums zutreffend auf den Einzelfall an. Es ist insbesondere vertretbar, auch im Verhältnis zwischen einer entgeltlichen Privatschule und einer gleichwertigen Ausbildung im Rahmen eines entschädigungspflichtigen Lehrverhältnisses der für den Unterhaltsverpflichteten weniger belastenden Variante den Vorzug zu geben.

3.4. Im Übrigen ist die Beurteilung, ob die Voraussetzungen für die Anerkennung der Kosten einer Privatschule gegeben sind, eine solche des Einzelfalls und wirft, sofern - wie hier - keine krasse Fehlbeurteilung der Vorinstanzen vorliegt, keine erhebliche Rechtsfrage auf (9 Ob 40/02a; 6 Ob 195/04a).