OGH vom 01.10.1986, 1Ob638/86
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schragel als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert, Dr.Gamerith, Dr.Hofmann und Dr.Schlosser als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Ö*** C***-I*** AG, Wien 1.,
Herrengasse 12, vertreten durch Dr. Gerda Kostelka-Reimer, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Wilhelm H***, Bauspengler, Wien 22., Ziegelhofstraße 36/30/2/9, vertreten durch Dr. Raimund Mittag, Rechtsanwalt in Wien, wegen 605.762 S s.A., infolge Rekurses der beklagten Partei gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Berufungsgerichtes vom , GZ 14 R 47/86-37, womit die Berufung der beklagten Partei gegen das Versäumungsurteil des Landesgerichtes für ZRS Wien vom , GZ 12 Cg 192/84-3, zurückgewiesen wurde, folgenden
Beschluß
gefaßt:
Spruch
Dem Rekurs wird Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluß wird aufgehoben und dem Berufungsgericht die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.
Text
Begründung:
Die Sendung mit der Klage und der Ladung zu der auf den anberaumten ersten Tagsatzung wurde am beim zuständigen Postamt 1225 Wien hinterlegt, nachdem die Sendung weder beim ersten Zustellversuch am noch beim zweiten Zustellversuch am dem Beklagten zugestellt werden konnte. Da dieser der ersten Tagsatzung fernblieb, erließ das Erstgericht auf Antrag der klagenden Partei ein dem auf Zahlung von 605.762 S s.A. gerichteten Klagebegehren stattgebendes Versäumungsurteil, dessen Ausfertigung einem Mitbewohner der Abgabestelle als Ersatzempfänger am zugestellt wurde. Dieser unterfertigte den Rückschein mit "Herm. H***".
Erst am überreichte der Beklagte beim Erstgericht seine gegen dieses Versäumungsurteil gerichtete, ausschließlich auf den Nichtigkeitsgrund des § 477 Abs. 1 Z 4 ZPO gestützte Berufung, mit der er im wesentlichen vorbrachte, er halte sich schon seit Jahren mit seiner Familie in den Monaten Juli und August bis zum Schulbeginn nicht an der Abgabestelle, sondern auf seinem Gartengrundstück in Wien 19., Nußberggasse 18, auf. Die Sendung mit dem Versäumungsurteil habe sein Sohn aus erster Ehe, Wilhelm H*** jun., entgegengenommen und auf dem Rückschein mit dem Namen seiner Ehegattin Hermine H*** unterschrieben. Sein Sohn habe ihm die Sendung vorenthalten und sie vernichtet; der Beklagte habe erst infolge der gegen ihn bewilligten Gehaltsexekution von der Tatsache Kenntnis erlangt, daß gegen ihn ein Versäumungsurteil ergangen sei.
Das Gericht zweiter Instanz wies die Berufung zurück. Es nahm als bescheinigt an, der Postbedienstete Eduard G*** habe die Sendung mit dem Vesäumungsurteil am der Ehegattin des Beklagten, Hermine H***, zugestellt, nachdem ihm diese mitgeteilt habe, daß der Beklagte nicht anwesend sei. Hermine H*** habe den Rückschein selbst unterschrieben und die Sendung übernommen. Eduard G*** habe in dieser Angelegenheit mit dem Sohn des Beklagten, Wilhelm H*** jun., nicht gesprochen und diesem auch keine Gerichtssendungen ausgefolgt.
In rechtlicher Hinsicht führte das Berufungsgericht aus, das Versäumungsurteil sei dem Beklagten am ordnungsgemäß zugestellt worden, so daß die erst am überreichte Berufung bei weitem verspätet erhoben worden und deshalb gemäß den §§ 471 Z 2 und 473 Abs. 1 ZPO in nichtöffentlicher Sitzung zurückzuweisen sei.
Rechtliche Beurteilung
Der gegen diesen Beschluß erhobene Rekurs des Beklagten ist zulässig (§ 519 Abs. 1 Z 1 ZPO) und auch berechtigt. Vorauszuschicken ist, daß der Beklagte mit seinem Vorbringen in der Berufung, er habe sich im Zeitpunkt der Zustellung (von Klage und Ladung zur ersten Tagsatzung sowie) des Versäumungsurteiles nicht an der in den Sendungen angeführten Abgabestelle, sondern während der Monate Juli und August 1984 bis zum Schulbeginn (am ) in seinem Gartengrundstück in einem anderen Wiener Gemeindebezirk aufgehalten und sei während dieses Zeitraumes nicht nur nicht regelmäßig, sondern überhaupt nicht an die Abgabestelle zurückgekehrt, an und für sich noch keinen Sachverhalt dartut, der die Ersatzzustellung unwirksam erscheinen ließe. Gemäß § 16 Abs. 1 ZustG ist (SZ 57/141) an einen an der Abgabestelle anwesenden Ersatzempfänger zuzustellen, wenn der Empfänger dort nicht angetroffen wird. Als solcher Ersatzempfänger kam für den Zusteller auch der Sohn des Beklagten, Wilhelm H*** jun., in Betracht (§ 16 Abs. 2 ZustG), der der Behauptung des Beklagten zufolge auf dem Rückschein der Gerichtssendung - wenngleich mit "Herm. H***" - unterschrieben hat. Dem Zusteller hätte diese Unterschrift schon deshalb nicht bedenklich erscheinen müssen, weil die gebrauchte Abkürzung ebenso gut die eines männlichen Vornamens (z.B. Hermann) sein konnte. Könnte der Beklagte die Behauptung über seine Abwesenheit von der Abgabestelle unter Beweis stellen, so hätte dies - wie der erkennende Senat bereits ausgesprochen hat (SZ 57/141) - lediglich zur Folge, daß die Zustellung mit dem der Rückkehr des Beklagten an die Abgabestelle folgenden Tag - demnach am - wirksam geworden wäre (§ 16 Abs. 5 ZustG); das (durch Wiedereinsetzung behebbare) Risiko, daß der Ersatzempfänger die zugestellte Sendung nicht (oder nicht rechtzeitig) an den Empfänger weitergibt, trifft den Empfänger. Damit würde sich am Ergebnis der berufungsgerichtlichen Beurteilung, daß die Berufung verspätet erhoben worden sei (§§ 471 Z 2, 464 Abs. 1 ZPO), noch nichts ändern.
Voraussetzung der wirksamen Ersatzzustellung ist allerdings, daß der Zusteller Grund zur Annahme hatte, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (§ 16 Abs. 1 ZustG). An dieses Erfordernis sind, will man den Behelf der Ersatzzustellung den Intentionen des Gesetzes zuwider nicht völlig entwerten, keine allzu strengen Anforderungen zu stellen. Im allgemeinen wird es genügen, daß der Zusteller den Ersatzempfänger befragt und dessen Auskunft über die nur kurzfristige Abwesenheit des Empfängers unbedenklich erscheint oder wenn der Zusteller aus objektiven Tatsachen (wiederholte Zustellung am selben Ort u.ä.) mit einiger Sicherheit darauf schließen darf, daß sich der Empfänger regelmäßig an der Abgabestelle aufhält (Walter-Mayer, Zustellrecht, 91 Anm. 10). Muß der Zusteller hingegen aus den von ihm vorgefundenen Umständen ableiten, daß der Empfänger nicht bloß vorübergehend von der Abgabestelle abwesend ist, oder ist ihm dies sogar bekannt, so darf weder eine Zustellung an einen Ersatzempfänger bewirkt noch die Sendung gemäß § 17 Abs. 1 ZustG hinterlegt werden. Erfolgt die Ersatzzustellung dennoch, so ist diese Zustellung unwirskam und zieht demnach auch keine Rechtswirkungen nach sich (AB 1050 BlgNR 15. GP bei Walter-Mayer aaO 267 f.; vgl. auch SZ 57/141). Insbesondere gilt nicht § 16 Abs. 5 ZustG, weil gar nicht zugestellt werden durfte. Da die Annahme der Sendung durch den Ersatzempfänger aber für die Annahmeberechtigung spricht, ist es Sache des Empfängers darzutun, weshalb die Zustellung unwirksam ist.
Der Beklagte hat nun in der Berufung behauptet, der Postzusteller sei von Wilhelm H*** jun., mit dem er bekannt gewesen sei, zu dem gesetzwidrigen Zustellvorgang veranlaßt worden; er habe gewußt, daß niemand von seiner Familie regelmäßig oder ständig in der Ziegelhofstraße anwesend gewesen sei. Er habe Gerichtssendungen in Abwesenheit des Beklagten und seiner Familienangehörigen einfach in den Hausbriefkasten geworfen und die vom Sohn des Beklagten mit nachgemachten Unterschriften versehenen Rückscheine ein bis zwei Tage später wieder ausgefolgt erhalten (AS 32). Erwiese sich diese Behauptung als richtig, läge eine unwirksame (Ersatz-)Zustellung vor.
Das Berufungsgericht hat entgegen diesen Behauptungen und den damit übereinstimmenden Aussagen des Beklagten und seiner Ehegattin Hermine, die - neben anderen Personen - vom Erstgericht als Auskunftspersonen vernommen wurden, als bescheinigt angenommen, der Zusteller habe Hermine H*** an der Abgabestelle angetroffen und nach deren Auskunft, daß der Beklagte nicht anwesend sei (sich jedoch - so wird offenbar unterstellt - regelmäßig an der Abgabestelle aufhalte), die Gerichtssendungen an sie als Ersatzempfänger zugestellt; Hermine H*** habe auf dem Rückschein selbst unterschrieben. Bei dieser Annahme stützte es sich auf die Aussage des Zustellers Eduard G***, an deren Richtigkeit es deshalb nicht zweifle, weil der Beklagte und seine Ehegattin in einem an den Klagevertreter gerichteten Schreiben vom (Beilage B) einbekannt hätten, sie hätten das Versäumungsurteil "bekommen". Dabei übergeht das Gericht zweiter Instanz das - zur Dartuung des geltend gemachten Nichtigkeitsgrundes zulässige weitere - Vorbringen des Beklagten, das Schreiben vom (und ein weiteres mit "Hermine H***" unterzeichnetes Schreiben, Beilage A) stammten aus der Hand seines Sohnes, der sich ohne sein Wissen und unter dem Namen des Beklagten bzw. seiner Ehegattin an den Klagevertreter um Stundung gewandt habe (ON 30); es nimmt auch mit keinem Wort zu dem vom Beklagten vorgelegten, nach dessen Behauptung von seinem Sohn stammenden Schreiben an den Beklagtenvertreter (Beilage 12 und 13), mit dem der Schreiber unter anderem eingesteht, daß er alle an den Beklagten gerichteten Schreiben selbst geöffnet, zerrissen und weggeworfen und an den Klagevertreter im Namen der Hermine H*** zwei Briefe mit der Bitte um Stundung geschrieben habe, Stellung. Dabei fällt auf, daß der Schriftzug auf dem Rückschein (der abgekürzte Namen "Herm. H***") - so vor allem die Anstriche der Anfangsbuchstaben "H" - nicht mit jenem der Unterschrift der Ehegattin des Beklagten auf dem Protokoll ON 27 übereinstimmt, wohl aber dem Schriftzug ihres Namens im Schreiben Beilage 13 (dort in der ersten Zeile) ähnelt. Der Beklagte hat sich zum Beweis seiner Behauptungen über das Verhalten seines Sohnes auch auf die Begutachtung durch einen Schriftsachverständigen berufen; könnte damit nachgewiesen werden, daß die Unterschrift auf dem Rückschein von Wilhelm H*** jun. herrührt, so könnte auch die vom Berufungsgericht seinen Annahmen zugrunde gelegte Darstellung des Zustellers, er habe Hermine H*** angetroffen und befragt, sie habe die Sendung entgegengenommen und auf dem Rückschein unterschrieben, nicht richtig sein. Das berufungsgerichtliche Verfahren leidet somit an einem die erschöpfende Erörterung und gründliche Beurteilung der Sache hindernden Mangel, der im fortgesetzten Verfahren zu beheben sein wird. Mit Rücksicht auf die unterschiedlichen Schriftzüge wird das Gericht zweiter Instanz auch die beantragte Begutachtung in seine Erwägungen miteinzubeziehen haben.