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OGH vom 02.10.1963, 6Ob192/63

OGH vom 02.10.1963, 6Ob192/63

Norm

Ehegesetz § 54;

Kopf

SZ 36/124

Spruch

Keine Anwendung der Härteklausel des § 54 EheG., wenn die beklagte Ehefrau schon vor der Geburt des Kindes an einer ererbten oder anlagemäßigen geistigen Erkrankung litt, die bei der Geburt des Kindes zum Ausbruch kam.

Entscheidung vom , 6 Ob 192/63.

I. Instanz: Landesgericht Klagenfurt; II. Instanz: Oberlandesgericht Graz.

Text

Das Erstgericht sprach die Scheidung der am geschlossenen Ehe der Streitteile gem. § 50 EheG. aus, indem es folgenden Sachverhalt feststellte:

Die Ehe sei nach mehrjähriger Bekanntschaft geschlossen worden. Die Ehegatten hätten zunächst in W. gelebt und seien dann nach F. übersiedelt, von wo aus die Beklagte am Mädchenrealgymnasium in G. das Probejahr als Mittelschullehrerin abgeleistet habe. Schließlich seien die Ehegatten nach P. gezogen.

Am sei der eheliche Sohn Werner geboren worden. Bis dahin sei die Ehe, abgesehen von gelegentlichen Differenzen, die sich daraus ergaben, daß die Beklagte kein Kind haben wollte, verhältnismäßig gut und glücklich gewesen.

Nach der Geburt des Kindes habe die Beklagte ihr Verhalten vollkommen geändert. Sie habe den ehelichen Haushalt mehr und mehr vernachlässigt, so daß zunächst eine Hausgehilfin gehalten werden mußte, und später, als der Kläger diese finanzielle Belastung nicht mehr tragen konnte, habe er die häuslichen Arbeiten, wie Aufräumen, Kochen, Geschirrabwaschen, neben seinem Beruf zum größten Teil selbst verrichten müssen.

Die Wäsche sei außer Haus gegeben worden.

Gegenüber dem Kläger sei die Beklagte zänkisch, hysterisch, unbegrundet eifersüchtig und beim Geschlechtsverkehr frigid gewesen. Sie habe sich auch, ohne es ihm mitzuteilen, um ein Auslandsstipendium beworben. Auch dem Kind gegenüber habe sie sich lieblos gezeigt und habe dessen körperliche und geistige Betreuung vernachlässigt. Durch dieses fast drei Jahre andauernde Verhalten der Beklagten sei die Ehe auf seiten des Klägers unheilbar zerrüttet.

Der Kläger habe sich der Beklagten gegenüber rücksichts- und liebevoll verhalten, habe sie niemals kränkend oder barsch behandelt und habe ihr nicht nur die häuslichen Arbeiten, sondern auch die Arbeiten bei der Pflege des Kindes abgenommen.

Das eheliche Zusammenleben habe nur bis Juli 1958 gewährt. Von da ab habe sich die Beklagte wegen schwerer geistiger Erkrankung zunächst in kürzeren Unterbrechungen, seit dauernd in Anstaltspflege befunden. Ihr Zustand sei zuerst als Hysterie, weiterhin als Zykloidie, als Legierungspsychose und schließlich als paranoid-depressive Erkrankung erkannt und behandelt worden. Nach den Sachverständigengutachten leide die Beklagte an Schizophrenie. Ihr Zustand weise in den letzten Jahren keine deutliche oder zumindest keine längerdauernde Besserungstendenz auf. Nach medizinischer Voraussicht sei eine dauernde Wiederherstellung der ehelichen Gemeinschaft nicht zu erwarten, insbesondere könnte der Beklagten die Pflege und Erziehung des Kindes nicht anvertraut werden.

Da keiner der beiden Ehegatten Anlaß zur Erkrankung der Beklagten gegeben habe und deren materielle Versorgung durch die Bestimmung des § 69 (2) EheG. weitgehend gesichert sei, könne auch nicht gesagt werden, daß die Auflösung der Ehe für die Beklagte eine außergewöhnliche Härte darstelle und daß das Scheidungsbegehren des Klägers sittlich nicht gerechtfertigt sei.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung.

Der Oberste Gerichtshof gab der Revision der Beklagten Folge, hob die Urteile der Untergerichte auf und verwies die Sache an das Erstgericht zurück.

Rechtliche Beurteilung

Aus der Begründung:

Der Revision kommt Berechtigung zu.

Unbegrundet sind allerdings ihre Einwendungen gegen die Ausführungen des Berufungsgerichtes zu § 50 EheG. Die Anwendung dieser Gesetzesstelle setzt ein Verhalten des beklagten Ehegatten voraus, das - wenn es nicht auf geistiger Störung beruhte - eine schwere Eheverfehlung im Sinne des § 49 EheG. darstellt. Der Revision ist zuzugeben, daß Streitigkeiten, Reibereien, gegenseitige Kränkungen und Pflichtversäumnisse geringen Grades, wie sie in vielen Ehen vorkommen mögen, keine schweren Eheverfehlungen im Sinne des § 49 EheG. darstellen. Unrichtig ist jedoch, daß außergewöhnliche Tatbestände oder gar ein ehrloses und unsittliches Verhalten des beklagten Ehegatten vorliegen müssen. § 49 EheG. spricht von "sonstigen (neben Ehebruch) schweren Eheverfehlungen oder ehrlosem und unsittlichem Verhalten". Schwere Eheverfehlungen können somit auch in einem Verhalten liegen, das nicht ehrlos oder unsittlich ist. Den Untergerichten muß darin beigepflichtet werden, daß das von ihnen als erwiesen angenommene Verhalten der Beklagten, wenn es nicht auf geistiger Störung beruhte, als schwere Eheverfehlung zu qualifizieren wäre. Die Beklagte vernachlässigte dauernd und völlig den ehelichen Haushalt, sah zu, wie der Kläger die Hausarbeiten verrichten mußte, zeigte sich ihm gegenüber zänkisch, hysterisch und unbegrundet eifersüchtig, bewarb sich hinter seinem Rücken um ein Auslandsstipendium, war auch gegenüber dem Kind lieblos und vernachlässigte dessen Erziehung in jeder Hinsicht. Dieses Verhalten würde, wenn die Beklagte gesund wäre, zur Scheidung der Ehe aus ihrem Verschulden führen. Daß ihr Verhalten ganz oder teilweise krankheitsbedingt war, führt eben dazu, daß die Ehe nicht nach § 49, sondern nach § 50 EheG. geschieden wird, nimmt ihm aber nicht die Qualifikation als schwere Eheverfehlung.

Unerheblich ist auch, daß die Beklagte an der Ehe festhält, und zum Kläger und zum Kind zurückkehren will. Die Ehe ist auch dann als unheilbar zerrüttet anzusehen, wenn die eheliche Gesinnung - wie hier festgestellt wurde - nur beim Kläger nicht mehr vorhanden ist (EvBl. 1959 Nr. 34). Vor allem aber haben die Untergerichte auf Grund der Sachverständigengutachten festgestellt, daß für den weiteren Krankheitsverlauf der Beklagten derzeit keine günstige Prognose aufgestellt werden kann. Die Wiederherstellung einer geistigen Gemeinschaft zwischen den Ehegatten kann daher nicht erwartet werden.

Soweit in der Revision versucht wird, unter Hinweis auf die Zeugenaussage des Vaters des Klägers, das Benehmen zwischen den Ehegatten sei gut und taktvoll gewesen, es habe keinen Streit gegeben, die untergerichtlichen Feststellungen hinsichtlich des ehewidrigen Verhaltens der Beklagten zu bekämpfen, kann darauf nicht eingegangen werden, da eine Überprüfung dieser Feststellungen im Revisionsverfahren nicht möglich ist.

Zur Frage der Anwendung der Härteklausel ist vorweg zu bemerken, daß nach Lehre und Rechtsprechung die §§ 50 bis 52 EheG. dem gesunden Gatten grundsätzlich ein Recht auf Scheidung geben, während die Härtebestimmung des § 54 EheG. eine einschränkend auszulegende Ausnahme darstellt (Hoffmann - Stephan, Komm. 1950, S. 212, Volkmar - Antoni, Komm., S. 201, EvBl. 1961 Nr. 364, JBl. 1955 S. 172, SZ. XXIV 275 u. a.).

Ob die Scheidung den beklagten Ehegatten außergewöhnlich hart treffen würde, richtet sich gemäß § 54 EheG. nach den Umständen, namentlich nach der Dauer der Ehe, dem Lebensalter der Ehegatten und dem Anlaß der Erkrankung. Die Revisionswerberin gibt zu, daß weder aus ihrem Lebensalter noch aus der Dauer der Ehe eine außerordentliche Härte für sie abzuleiten ist. Auch der von den Untergerichten nicht festgestellte Umstand, daß die Beklagte unter der Scheidung seelisch leiden würde und dadurch vielleicht eine Verschlechterung ihres Zustandes zu gewärtigen sei, muß, wenn nicht aus konkreten Gründen eine besonders ungünstige Auswirkung zu befürchten ist, außer Betracht bleiben, da dies bei Scheidungen nach den §§ 50 und 51 EheG. fast immer bis zu einem gewissen Grad der Fall sein wird, so daß aus diesem Grund eine Scheidung nach den §§ 50 und 51 EheG. nahezu ausgeschlossen wäre.

Gleiches gilt für den Einwand der Verschlechterung der wirtschaftlichen Situation der Beklagten durch Beschränkung ihres Unterhaltsanspruchs auf das Ausmaß des § 69 (2) EheG. Eine solche wirtschaftliche Schlechterstellung ist die Folge jeder derartigen Scheidung und kann, wenn nicht besondere Umstände vorliegen, eine außerordentliche Härte nicht begrunden.

Begrundet ist aber der Einwand der Beklagten, die Untergerichte hätten den Anlaß ihrer Erkrankung, nämlich die Geburt des Kindes, nicht richtig gewürdigt und berücksichtigt. Der Revisionswerberin ist zuzustimmen, daß dann, wenn die Ursache ihrer geistigen Erkrankung ausschließlich in der Geburt des Kindes läge, dem Scheidungsbegehren des Klägers die sittliche Rechtfertigung abgesprochen werden müßte. Denn dann hätte im Falle der Scheidung die Beklagte allein die Folgen ihrer Mutterschaft zu tragen, gegen die sie sich ohnedies gewehrt hatte, deren Erfüllung aber ihre eheliche Pflicht war.

Diese Erwägungen würden allerdings dann nicht Platz greifen, wenn die Beklagte schon vorher an einer ererbten oder anlagsmäßigen geistigen Erkrankung litt, die zwar bei der Geburt des Kindes zum Ausbruch kam, aber ebensogut auch bei anderen Gelegenheiten hätte ausbrechen können. In diesem Falle müßte die Geburt als Anlaß der Erkrankung in ihrer Bedeutung zurücktreten (vgl. Godin, Ehegesetz, 1950, S. 194, und die dort zitierte Entscheidung des Reichsgerichtes, Bd. 166 S. 347).

Zwar wurde in den Urteilen aller drei Instanzen, mit denen das auf § 51 EheG. gestützte Scheidungsbegehren des Klägers abgewiesen wurde, davon ausgegangen, daß bei der Beklagten seit 1954 Schübe einer endogenen Legierungspsychose, d. h. einer angeborenen geistigen Erkrankung mit Zügen sowohl des manischdepressiven als auch des schizophrenen Formenkreises, aufgetreten seien. Diese Feststellungen können aber bei der vorliegenden Entscheidung nicht herangezogen werden, da sie in einem abgeschlossenen Verfahrensteil getroffen wurden. Die nunmehr zum Scheidungsbegehren nach § 50 EheG. ergangenen Urteile enthalten keine derartigen Feststellungen. Die von den Vorinstanzen in diesem Zusammenhang getroffenen Feststellungen, daß keinem der beiden Ehegatten ein Verschulden an der Erkrankung der Beklagten zur Last falle, treffen nicht den Kern des Problems.

Es mußten daher beide untergerichtlichen Urteile aufgehoben und dem Erstgericht in dieser Richtung eine Verfahrensergänzung sowie eine neue Entscheidung aufgetragen werden.