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OGH 24.08.2022, 7Ob131/22y

OGH 24.08.2022, 7Ob131/22y

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* S*, vertreten durch Mag. Matthias Strohmayer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A* E* Versicherungs-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 50 R 18/22m-12, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 3 C 310/21s-6, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Akten werden dem Berufungsgericht mit dem Auftrag zurückgestellt, sein Urteil durch einen Ausspruch iSd § 500 Abs 2 Z 1 ZPO darüber zu ergänzen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands 5.000 EUR übersteigt.

Begründung:

Rechtliche Beurteilung

[1] Der Kläger begehrt von der Beklagten Rechtsschutzdeckung für die klageweise Geltendmachung der Rückzahlung einer an die Anbieterin eines Ferienhauses geleisteten Zahlung aufgrund der seitens der Vermieterin erfolgten Stornierung.

[2] Das Erstgericht wies das Feststellungsbegehren ab.

[3] Das Berufungsgericht bestätigte die Entscheidung des Erstgerichts und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Ein Bewertungsausspruch fehlt.

[4] Die gegen das Urteil des Berufungsgerichts gerichtete Revision des Klägers legte das Erstgericht dem Obersten Gerichtshof im Wege des Berufungsgerichts vor.

[5] Besteht der Entscheidungsgegenstand – wie im vorliegenden Fall – nicht ausschließlich in einem Geldbetrag, hat das Berufungsgericht nach § 500 Abs 2 Z 1 ZPO in seinem Urteil auszusprechen, ob der Wert des Entscheidungsgegenstands insgesamt 5.000 EUR übersteigt. Der Ausspruch über die Zulässigkeit der Revision ersetzt diesen Ausspruch nicht, weil die rein formale Zulässigkeit des Rechtsmittels das Überschreiten der Wertgrenze von 5.000 EUR voraussetzt und der Oberste Gerichtshof zwar nicht an den Ausspruch über die Zulässigkeit wegen Vorliegens einer erheblichen Rechtsfrage, wohl aber – innerhalb bestimmter Grenzen – an die Bewertung des Entscheidungsgegenstands durch das Berufungsgericht gebunden ist (7 Ob 225/18s mwN; vgl RS0042429; RS0042544 [T7]). Der fehlende Bewertungsausspruch wird auch nicht durch die vom Kläger vorgenommene Angabe des Werts des Feststellungsbegehrens ersetzt (RS0042296).

[6] Es ist daher der aus dem Spruch ersichtliche Ergänzungsauftrag zu erteilen.

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Senatspräsidentin Dr. Solé als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich, Dr. Weber und Mag. Fitz als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei E* S*, vertreten durch Mag. Matthias Strohmayer, LL.M., Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*-Aktiengesellschaft, *, vertreten durch Dr. Andreas A. Lintl, Rechtsanwalt in Wien, wegen Feststellung, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Handelsgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 50 R 18/22m-12, mit dem das Urteil des Bezirksgerichts für Handelssachen Wien vom , GZ 3 C 310/21s-6 bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 501,91 EUR (darin enthalten 83,65 EUR USt) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

[1] Zwischen dem Kläger und der Beklagten besteht ein Rechtsschutzversicherungsvertrag, dem die Allgemeinen Bedingungen für die Rechtsschutzversicherung der Beklagten (ARB 2018) zugrunde liegen. Deren „Besondere Bestimmungen“ lauten auszugsweise:

Artikel 23

Allgemeiner Vertrags-Rechtsschutz:

[...]

2. Was ist versichert?

2.1 Versicherungsschutz umfasst die Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus

[...]

2.1.2 schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen,

[...]

Artikel 24

Rechtsschutz für Grundstückseigentum und Miete

Der Versicherungsschutz umfasst je nach Vereinbarung

-das in der Versicherungsurkunde bezeichnete Grundstück, Gebäude (Gebäudeteil) oder Wohnung, das ausschließlich den eigenen Wohn- oder Betriebszwecken dient (selbstgenutztes versichertes Objekt)

[...]“

[2] Der Kläger begehrt Deckung für die beabsichtigte Klagsführung auf Rückzahlung einer bereits geleisteten Zahlung für die Anmietung eines Ferienhauses. Die Vermieterin habe den bereits bezahlten Aufenthalt im Ferienhaus wegen behördlich verhängter Reisebeschränkungen aufgrund der Corona-Pandemie („Lockdown“) storniert. Der Versicherungsfall sei vom – in der Rechtsschutzpolizze des Klägers enthaltenen – allgemeinen Vertragsrechtsschutz gemäß Art 23 2.1.2. ARB 2018 „Wahrnehmung rechtlicher Interessen aus schuldrechtlichen Verträgen des Versicherungsnehmers über bewegliche Sachen“ erfasst.

[3] Die Beklagte wendete – soweit im Revisionsverfahren relevant – ein, der Versicherungsfall sei von Art 23 2.1.2. ARB 2018 nicht erfasst, weil der Kläger lediglich eine unbewegliche Sache gemietet habe.

[4] Das Erstgericht wies die Deckungsklage ab. Streitgegenständlich sei eine Forderung aus einem Mietvertrag für ein Ferienhaus; bei einem solchen handle es sich um eine unbewegliche Sache.

[5] Das Berufungsgericht bestätigte die Klagsabweisung. Es teilte die Rechtsauffassung des Erstgerichts und ergänzte dazu, es handle sich zwar bei dem aus einem Mietvertrag erfließenden Recht um eine bewegliche Sache (§ 298 ABGB), Art 23 2.1.2. ARB 2018 knüpfe aber an die Qualifikation des Gegenstands des Vertrags als beweglich oder unbeweglich an (arg. „über“). Das entspreche auch dem Verständnis eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers.

[6] Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision zu, weil die Frage nach der Deckung einer Streitigkeit aus einem zeitlich begrenzten Mietvertrag über ein Ferienhaus im Zusammenhang mit einem Rechtsschutzversicherungsvertrag auch andere vergleichbare Fälle berühren könnte und höchstgerichtliche Rechtsprechung dazu fehle.

[7] Mit seiner ordentlichen Revision wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung beantragt der Kläger die Abänderung im Sinne einer Klagsstattgebung; hilfsweise stellt er einen Aufhebungsantrag.

[8] Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.

Rechtliche Beurteilung

[9] Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig; sie ist jedoch nicht berechtigt.

[10] 1.1. Allgemeine Versicherungsbedingungen sind nach ständiger Rechtsprechung nach den Grundsätzen der Vertragsauslegung (§§ 914 f ABGB) auszulegen und zwar orientiert am Maßstab des durchschnittlich verständigen Versicherungsnehmers und stets unter Berücksichtigung des erkennbaren Zwecks einer Bestimmung (RS0050063 [T71]; RS0112256 [T10]; RS0017960). Die Klauseln sind, wenn sie nicht Gegenstand und Ergebnis von Vertragsverhandlungen waren, objektiv unter Beschränkung auf den Wortlaut auszulegen; dabei ist der einem objektiven Betrachter erkennbare Zweck einer Bestimmung zu berücksichtigen (RS0008901 [insb T5, T7, T87]). Unklarheiten gehen dabei zu Lasten der Partei, von der die Formulare stammen, das heißt im Regelfall zu Lasten des Versicherers (RS0050063 [T3]).

[11] 1.2. Die allgemeine Umschreibung des versicherten Risikos erfolgt durch die primäre Risikobegrenzung, mit der festgelegt wird, welche Interessen gegen welche Gefahren und für welchen Bedarf versichert sind (vgl RS0080166 [T10]). Auf der zweiten Ebene (sekundäre Risikobegrenzung) kann durch einen Risikoausschluss ein Stück des von der primären Risikoabgrenzung erfassten Deckungsumfangs ausgenommen und für nicht versichert erklärt werden. Der Zweck liegt darin, dass ein für den Versicherer nicht überschaubares und kalkulierbares Teilrisiko ausgenommen und eine sichere Kalkulation der Prämie ermöglicht werden soll. Mit dem Risikoausschluss begrenzt also der Versicherer von vornherein den Versicherungsschutz, ein bestimmter Gefahrenumstand wird von Anfang an von der versicherten Gefahr ausgenommen (vgl 7 Ob 92/19h; RS0080166; RS0080068). Entscheidend für die Abgrenzung und Einordnung einer Bedingung ist ihr materieller Inhalt, nicht ihr äußeres Erscheinungsbild (RS0103965).

[12] 2. Der materielle Inhalt der zu beurteilenden Klausel nimmt nicht ein Stück des bereits erfassten Deckungsumfangs aus, sondern definiert eine bestimmte Eigenschaft des versicherten Risikos und beschreibt damit das primäre Risiko. Es trifft daher den Kläger als Versicherungsnehmer die Beweislast für das die Deckungspflicht auslösende Vorliegen eines „schuldrechtlichen Vertrags über eine bewegliche Sache“ (vgl RS0081013). Dieser Beweis ist ihm hier nicht gelungen:

[13] 3.1. Wie bereits das Berufungsgericht zutreffend dargelegt hat, ist für den hier zu beurteilenden Deckungsumfang entscheidend, dass der Vertrag im weitesten Sinn eine bewegliche Sache „betrifft“. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch ist von einem schuldrechtlichen Verhältnis dessen realer Gegenstand „betroffen“ (vgl 7 Ob 66/83; RS0008869; RS0128752). Ein Vertrag über ein Nutzungsrecht an einer unbeweglichen Sache „betrifft“ daher nicht das Nutzungsrecht, sondern die unbewegliche Sache (RS0008869).

[14] 3.2. Bewegliche Sachen sind Gegenstände, die ohne Verletzung ihrer Substanz von einer Stelle zur anderen versetzt werden können (§ 293 ABGB). Dazu zählen in der Regel auch Rechte (§ 298 ABGB). Zwar gelten Rechte grundsätzlich als beweglich, selbst dann wenn sie verbüchert sind (vgl 7 Ob 17/13w mwN). Daraus ist aber für den Kläger hier nichts gewonnen, weil nicht die Einordnung eines Rechts als solches entscheidend ist, sondern der Vertragsgegenstand, den das (grundsätzlich bewegliche) Recht betrifft. Das lässt sich auch mit dem Verständnis des durchschnittlichen Versicherungsnehmers vereinbaren, der die Formulierung „über“ als Definition des Gegenstands des Vertrags verstehen und sich weniger der Einordnung eines Rechts als beweglich bewusst sein wird. Das Verständnis der Abgrenzung über den Vertragsgegenstand liegt auch der bisherigen Judikatur des Fachsenats dazu zugrunde (RS0128752; vgl 7 Ob 97/17s zum treuhändigen Erwerb einer Liegenschaft).

[15] 4. Damit bleibt die Frage zu lösen, ob der Vertragsgegenstand – nach dem Vorbringen des Klägers die Miete eines Ferienhauses, offenbar ohne darüberhinausgehende Zusatzleistungen – eine bewegliche oder eine unbewegliche Sache betrifft.

[16] 4.1. Ein Beherbergungsvertrag, wie er in der Regel Grundlage für einen zeitlich begrenzten Aufenthalt in einem Hotel oder einer Ferienwohnung ist, enthält Elemente eines Mietvertrags, aber auch solche des Dienstvertrags, Werkvertrags und Kaufvertrags und rechtfertigt damit eine Beurteilung als Vertrag sui generis (RS0020600; vgl auch RS0020591; RS0020596). Bei derartigen gemischten Verträgen ist für die Beurteilung jeder einzelnen Leistungspflicht die jeweils sachgerechteste Norm aus dem jeweiligen Vertragstyp heranzuziehen (RS0020600 [T4]).

[17] 4.2. Beim typischen Beherbergungsvertrag steht die Unterbringung im Vordergrund, daneben kommt aber auch der Verpflegung und weiteren Leistungen des Beherbergungsbetriebs wie etwa der Reinigung oder der Zurverfügungstellung von Freizeiteinrichtungen keine unwesentliche Bedeutung zu. Ein solcher Beherbergungsvertrag unterscheidet sich damit ganz erheblich von einem (klassischen) Miet- oder Pachtvertrag (1 Ob 131/13s mwN). Der „klassische“ – in der Regel auf längere Zeit als die Dauer eines Urlaubs abgeschlossene – Bestandvertrag fällt nach eindeutigem Bedingungswortlaut unter den Rechtsschutzbaustein des Art 24 „Schutz für Grundstückseigentum und Miete“. Dieser Rechtsschutzbaustein stellt auf das in der Versicherungsurkunde bereits bezeichnete Grundstück, das Gebäude oder die Wohnung ab und kann Kurzzeitmietverträge über eine Beherbergung im Urlaub bereits deshalb nicht erfassen, weil der Ort dieser Beherbergung zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses in der Regel noch nicht feststeht.

[18] 4.3. Kronsteiner (Die Rechtsschutzversicherung²,  75) sieht Vereinbarungen über die kurzfristige Nutzung von Immobilien – zumindest auf der Mieterseite – im Rahmen des Art 23 gedeckt (als Abgrenzungskriterium dient offenbar die „Bestimmbarkeit“ der Immobilie im Vorhinein).

[19] Auch Kronsteiner/Lafenthaler (Erläuterungen zu den Musterbedingungen für die Rechtsschutzversicherung [ARB 1994], 211) und Garo/Kath/Kronsteiner ([ARB 2015],F6-039) gehen von einer Deckung nach Art 23 aus. Die Genannten stehen ganz grundsätzlich auf dem Standpunkt, dass der Baustein für Grundstückseigentum und Miete, Art 24, nach seinem Sinn und Zweck auf längerfristige Schuldverhältnisse abstellt und folgern daraus, dass „das Risiko auf Seiten des Nutzungsberechtigten eines Hotelzimmers, einer Ferienwohnung oder eines Campingabstellplatzes dem privaten Allgemeinen Vertragsrechtsschutz zuzuordnen sein wird“, weil die vorgesehene Konkretisierung des Objekts im Versicherungsschein in der Praxis nicht möglich sei. Sie stellen dabei darauf ab, ob das bestandrechtliche Element bei diesen gemischten Verträgen in den Hintergrund tritt (Kronsteiner/Lafenthaler aaO 213 mwN; Garo/Kath/Kronsteiner aaO F6-039 f).

[20] 4.4. Ein gemischter Vertrag über eine Beherbergung betrifft sowohl die Komponente der Anmietung einer unbeweglichen Sache als zumeist auch Komponenten wie etwa Reinigung, Verpflegung oder die Benutzung weiterer Freizeiteinrichtungen, also auch bewegliche Sachen und kann daher vom Allgemeinen Vertragsrechtsschutz grundsätzlich erfasst sein. Da solche Beherbergungsverträge für Urlaubsaufenthalte im Rahmen des Allgemeinen Vertragsrechtsschutzes gedeckt sein können – was den berechtigten Deckungserwartungen eines durchschnittlichen Versicherungsnehmers entspricht – ist die gegenständliche Klausel bei sachgerechter Auslegung auch nicht gröblich benachteiligend im Sinne des § 879 Abs 3 ABGB.

[21] 4.5. Nach dem Klagsvorbringen ist hier ausschließlich die Anmietung einer unbeweglichen Sache gegenständlich. Ein Beherbergungsvertrag liegt demnach nicht vor. Der Kläger hat im gesamten Verfahren keine derartige Zusatzleistung angeführt, sodass sich ein weiteres Eingehen darauf erübrigt; er hätte diese Umstände allerdings nachzuweisen gehabt (vgl RS0081013; RS0043438; RS0080003).

[22] 5. Der Revision des Klägers war daher keine Folge zu geben.

[23] 6. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 50, 41 ZPO.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2022:0070OB00131.22Y.0824.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
YAAAD-36619