OGH vom 26.11.2019, 4Ob207/19y
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Priv.-Doz. Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Friedrich Valzachi, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde *****, vertreten durch Graf Patsch Tauscher Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Einräumung einer Servitut (Streitwert 10.000 EUR), über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt als Berufungsgericht vom , GZ 58 R 55/19i-14, mit der das Urteil des Bezirksgerichts Mödling vom , GZ 8 C 36/19f-8, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden aufgehoben und die Rechtssache wird zur neuerlichen Entscheidung nach Verfahrensergänzung an das Erstgericht zurückverwiesen.
Die Kosten des Revisionsverfahrens sind weitere Verfahrenskosten.
Text
Begründung:
Die Klägerin ist Eigentümerin der Grundstücke 4***** und ***** in EZ ***** GB *****, die als Bauland-Wohngebiet gewidmet sind. Zwischen diesen beiden Grundstücken verläuft ein im Eigentum der beklagten Gemeinde stehender Grundstücksstreifen (Grundstück 2*****), bei dem es sich um einen trockenliegenden Entwässerungsgraben handelt, der weder bebaubar noch befahrbar ist und der über keinen Anschluss an das öffentliche Gut verfügt. Die Klägerin ist beim Erwerb ihrer beiden Grundstücke davon ausgegangen, dass die Beklagte einem späteren Erwerb einer Teilfläche des Grundstücks 2***** durch die Klägerin oder der Einräumung einer Servitut zugunsten des Grundstücks 4***** zustimmen werde. Der Gemeinderat der Beklagten lehnte dies jedoch ab.
Die begehrte, die Beklagte zum Abschluss eines Vertrags sowie zur Einwilligung in dessen Verbücherung zu verpflichten, mit dem die Beklagte als Eigentümerin des Grundstücks 2***** der Klägerin als Eigentümerin des Grundstücks 4***** auf einer näher bezeichneten Teilfläche des Grundstücks 2***** gegen Zahlung eines Entgelts von 145 EUR pro m2 das Geh-, Fahr-
und Leitungsrecht einräumt. Die Klägerin verfüge hinsichtlich ihres Grundstücks 4***** über keine Zugangs-, Zufahrts- und Aufschließungsmöglichkeit. Die Beklagte habe die aus Sicht der Klägerin erforderliche Rechteeinräumung aus unsachlichen Gründen abgelehnt. Die beklagte Gemeinde treffe aber ein Kontrahierungszwang, weil ihr als Verantwortliche für „Bauen und Widmung“ eine Monopolstellung zukomme. Außerdem sei die Beklagte zur Gleichbehandlung verpflichtet. Auch gegen diese Verpflichtung habe sie aus unsachlichen Gründen zum Nachteil der Klägerin verstoßen, weil sie in gleichgelagerten Fällen entsprechende Rechte eingeräumt habe.
Die Beklagte entgegnete, dass eine grundbücherliche Belastung ihres Grundstücks einen eklatanten Eingriff in ihr Eigentumsrecht bewirke. Die Klägerin habe die beiden Grundstücke in Kenntnis der örtlichen Situation sowie der Eigentumsverhältnisse erworben. Die Voraussetzungen für die Annahme eines Kontrahierungszwangs seien nicht gegeben.
Die Vorinstanzen wiesen das Klagebegehren ohne Durchführung eines Beweisverfahrens ab. In einigen Bereichen werde von der Rechtsprechung als Ausnahme vom Grundsatz der Privatautonomie ein Kontrahierungszwang angenommen. Dies gelte für Monopolisten, die einem Interessenten die zur Befriedigung seines Normal- oder Notbedarfs nötige Leistung und den Vertragsabschluss dazu ohne sachlich gerechtfertigte Gründe nicht verweigern dürften, wenn diesem zumutbare Ausweichmöglichkeiten fehlten. In Ansehung des in Rede stehenden Grundstücks 2***** sei die Beklagte nicht als Monopolistin anzusehen. Es existiere auch kein größerer Personenkreis, der Interesse an einer gleichartigen Servitut habe. Das Berufungsgericht erklärte die ordentliche Revision für zulässig, weil zur Frage des Bestehens eines Kontrahierungszwangs einer Gebietskörperschaft als Grundeigentümerin zur Ermöglichung einer von ihr beschlossenen Widmung höchstgerichtliche Rechtsprechung fehle.
Gegen die Entscheidung des Berufungsgerichts richtet sich die der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.
Mit ihrer beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.
Die ordentliche Revision ist zulässig, weil die Rechtssache noch nicht abschließend beurteilt werden kann. Dementsprechend ist die Revision im Sinn des subsidiär gestellten Aufhebungsantrags auch berechtigt.
Die Klägerin führt in ihrer Revision aus, dass die Voraussetzungen für die Annahme eines Kontrahierungszwangs gegeben seien. Die Weigerung der Beklagten, ihr die begehrte Servitut einzuräumen, sei unsachlich, weil diese in gleichgelagerten Fällen einer Servitutseinräumung zugestimmt habe. Die Intention der Beklagten bestehe nur darin, die Bebauung des Grundstücks 4***** zu verhindern und die Klägerin in ihrem Recht auf widmungsgemäße Nutzung des Grundstücks zu schädigen.
Rechtliche Beurteilung
Der Oberste Gerichtshof hat dazu erwogen:
1.1 Allgemein wird ein Kontrahierungszwang und damit eine Pflicht zum Vertragsabschluss – außerhalb des Kartellrechts und neben den Fällen eines gesetzlich normierten Kontrahierungszwangs – nach ständiger Rechtsprechung dort bejaht, wo die öffentliche Hand (hier eine Gebietskörperschaft) oder ein Unternehmer eine Monopolstellung oder eine marktbeherrschende Stellung durch Verweigerung des Vertragsabschlusses sittenwidrig ausnützt und dem Interessenten zumutbare Ausweichmöglichkeiten fehlen. Kontrahierungszwang besteht demnach überall dort, wo die faktische Übermacht eines Beteiligten bei bloßer formaler Parität diesem die Möglichkeit der Fremdbestimmung über andere gibt (RISJustiz RS0016744; RS0016745). Faktische Übermacht darf nämlich ganz allgemein nicht in unsachlicher Weise ausgenützt werden (RS0110808). Dies ist aber der Fall, wenn der Vertragsabschluss ohne sachlichen Grund verweigert wird (4 Ob 13/18t).
1.2 Nach diesen Grundsätzen kommt ein Kontrahierungszwang etwa für Versorgungsunternehmen der öffentlichen Hand (wie zB öffentliche Bibliotheken, Museen, Galerien, Ausstellungen oder öffentliche Verkehrsunternehmen) oder im Rahmen der Versorgung mit lebensnotwendigen Gütern (Daseinsvorsorge) in Betracht (vgl 1 Ob 524/94). In der Entscheidung 1 Ob 227/71 wurde ein Kontrahierungszwang des Trägers der Landesstraßenverwaltung für die Gestattung der Errichtung einer Zu- und Abfahrt zur öffentlichen Straße mit dem Argument bejaht, dass der Straßenverwaltung gegenüber den Anrainern der Straße in Bezug auf Zu- und Abfahrten eine Monopolstellung zukomme, weil diese ohne Benützung der öffentlichen Straße außerstande seien, sich Zu- und Abfahrten zu ihren Liegenschaften auf andere Weise zu verschaffen.
Das Bestehen einer Kontrahierungspflicht ist aber nicht auf solche Fälle beschränkt. Vielmehr kommt es auf eine Monopol- oder marktbeherrschende Stellung bei den konkret angebotenen Leistungen gegenüber jenen potenziellen Interessenten an, an die sich das Angebot richtet und die auf die angebotenen Leistungen angewiesen sind (4 Ob 13/18t).
1.3 Im Anlassfall ist die Beklagte Eigentümerin eines Grundstücksstreifens, der sich zwischen zwei von der Klägerin erworbenen Grundstücken befindet und bei dem es sich um einen trockenliegenden Entwässerungsgraben handelt. Die Klägerin ist beim Erwerb der beiden Grundstücke davon ausgegangen, dass die Beklagte später keine Einwände gegen einen Verkauf einer Teilfläche des Grundstücks 2***** oder gegen eine Servitutseinräumung haben werde.
Eine faktische Übermacht der Beklagten in Bezug auf eine von ihr beschränkt angebotene Leistung, die einen Kontrahierungszwang aufgrund einer Monopolstellung begründen könnte, ist in der vorliegenden Situation nicht ersichtlich. Die Beklagte ist Eigentümerin eines gewöhnlichen Grundstücks, das – anders als zB eine öffentliche Straße – nicht zur allgemeinen Nutzung gewidmet ist. Ein darauf gerichtetes Leistungsangebot der Beklagten in Bezug auf den in Rede stehenden Grundstücksstreifen liegt nicht vor.
1.4 Aus diesen Überlegungen folgt, dass ein Kontrahierungszwang zur Einräumung der von der Klägerin begehrten Dienstbarkeiten schon nach ihrem Vorbringen nicht ableitbar ist. In dieser Hinsicht haben die Vorinstanzen das Vorliegen der Voraussetzungen für einen Kontrahierungszwang somit zu Recht verneint.
2.1 Im Verhältnis zu Gebietskörperschaften, die im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung tätig werden, kommt ein weiterer Rechtsgrund für einen Kontrahierungszwang in Betracht, der in der Verpflichtung zur Gleichbehandlung gesehen wird.
In der Rechtsprechung ist anerkannt, dass die öffentliche Hand auch im Rahmen der Privatwirtschaftsverwaltung der Bindung an die Grundrechte unterliegt (Fiskalgeltung der Grundrechte). Die Bindung an den Gleichheitssatz verpflichtet die öffentliche Hand zur strikten Gleichbehandlung der Wirtschaftsteilnehmer bzw der Teilnehmer am Rechts- und Geschäftsverkehr, weshalb sie diese nicht unsachlich bevorzugen oder benachteiligen darf. Liegt eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots vor und wird ein Wirtschaftsteilnehmer durch eine Leistungsverweigerung unsachlich benachteiligt, so kann dies zu einem Kontrahierungszwang führen.
Dies gilt nicht nur für die Vergabe von Subventionen, sondern auch für die Erbringung eigener Leistungen und beim Bezug nachgefragter Leistungen (vgl 4 Ob 71/02y; 4 Ob 158/17i). Dabei ist der Gleichbehandlungsgrundsatz in allen Bereichen staatlichen Wirtschaftens zu beachten (RS0038110) und daher auch, aber nicht nur in jenen Bereichen, in denen die öffentliche Hand überwiegend öffentliche Zielsetzungen (zB im Rahmen der Daseinsvorsorge) verfolgt (4 Ob 59/19h).
2.2 Im Anlassfall ist die beklagte Gemeinde im Bereich der Privatwirtschaftsverwaltung tätig und daher an das Gleichbehandlungsgebot gebunden. Gleichzeitig ist zu beachten, dass auch Gebietskörperschaften als Träger von Privatrechten grundrechtlicher Schutz (hier) des Eigentums und der Freiheit des Liegenschaftsverkehrs zukommt (vgl Öhlinger/Eberhard, Verfassungsrecht12 Rz 705; Berka, Verfassungsrecht7 Rz 1246). Die beklagte Gemeinde kann sich als Grundstückseigentümerin somit auch auf die Unverletzlichkeit und die natürliche Freiheit ihres Eigentums berufen und sich grundsätzlich gegen jede Inanspruchnahme ihres Eigentums durch unbefugte Dritte zur Wehr setzen (vgl 3 Ob 138/19v).
Die vorliegende Situation, bei der widerstreitende Grundrechte aufeinander treffen, erfordert eine Interessenabwägung, die nur bei einem klaren Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot zu Lasten der Beklagten ausschlägt. Es muss nämlich auch einer Gemeinde grundsätzlich ein weiter Entscheidungsspielraum darüber zugebilligt werden, ob sie ihr Grundeigentum aufgibt oder mit einer Servitut belastet und dadurch ihr Eigentum beschränkt. Nur wenn sie ihren Spielraum eklatant überschreitet, sodass sie sich geradezu willkürliches Verhalten vorwerfen lassen müsste, wäre die Grenze der Unsachlichkeit überschritten. In einem solchen Fall könnte die Klägerin verlangen, dass ihr die Beklagte die für die widmungskonforme Nutzung ihres Grundstücks 4***** notwendigen Rechte einräumt. Eine solche Rechteeinräumung wäre auf die notwendigen Maßnahmen zur Zielerreichung im Sinn der jeweils gelindesten Mittel zu begrenzen.
2.3 Die Klägerin hat vorgebracht, dass die Beklagte anderen Grundstückseigentümern in gleichgelagerten Fällen die hier begehrten Dienstbarkeitsrechte eingeräumt habe und der Klägerin diese Rechte nur verweigere, um sie zu schädigen. Dieses Vorbringen enthält den Vorwurf eines klar unsachlichen Verhaltens. Wenn die Klägerin die einzige von mehreren Grundstückseigentümern ist, die die Beklagte in einer vergleichbaren Situation aus unsachlichen Motiven benachteiligt, so wäre eine Verletzung des Gleichbehandlungsgebots und somit ein Kontrahierungszwang zu bejahen. Dafür wäre aber vorausgesetzt, dass sich die Klägerin eindeutig in einer vergleichbaren Situation wie andere, begünstigte Grundstückseigentümer befindet. Die Benachteiligung müsste sich daher auf eine vergleichbare (örtliche) Situation in Bezug auf den hier konkret in Rede stehenden Entwässerungsgraben oder auf vergleichbare Grundstücksverhältnisse beziehen.
Bei der vorzunehmenden Interessenabwägung ist auch zu berücksichtigen, dass das Gesetz für eine Situation wie der in Rede stehenden durch die Einräumung eines Notwegerechts eine besondere Abhilfemöglichkeit vorsieht. Steht ein im Gesetz vorgesehener alternativer Weg zur Zielerreichung zur Verfügung, so spricht dies im Allgemeinen gegen einen Kontrahierungszwang, weil ein solcher nicht dazu dienen soll, gesetzliche Sonderregelungen zu umgehen. In die Beurteilung ist daher die Frage miteinzubeziehen, warum die Klägerin diesen alternativen Weg nicht beschritten hat.
Demgegenüber fällt die von der Klägerin aufgeworfene Frage, ob eine bestimmte Grundstückskonfiguration die Nutzung entsprechend der raumordnungsrechtlichen Widmung ermöglicht, grundsätzlich in die Ingerenz des Grundstückseigentümers. Das Argument der Klägerin, die Beklagte müsse als Baubehörde eine raumordnungsrechtliche Widmung respektieren, was dazu führe, dass sie die widmungskonforme Nutzung gegebenenfalls auch durch die Belastung eigener Grundstücke ermöglichen müsse, schlägt daher fehl.
3. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der von der Klägerin behauptete Verstoß der Beklagten gegen das Gleichbehandlungsgebot als Rechtsgrund für die begehrte Rechteeinräumung nicht von vornherein verneint werden kann. Zur Beurteilung eines daraus ableitbaren Kontrahierungszwangs der Beklagten ist das Verfahren daher ergänzungsbedürftig, weshalb die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben werden müssen. Im fortgesetzten Verfahren wird die Tatsachengrundlage zur Beurteilung eines Verstoßes der Beklagten gegen das Gleichbehandlungsgebot nach Maßgabe des von der Klägerin dazu erstatteten Vorbringens zu schaffen sein.
Der Kostenvorbehalt gründet sich auf § 52 ZPO.
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0040OB00207.19Y.1126.000 |
Schlagworte: | Kontrahierungszwang II, |
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