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OGH vom 11.12.2007, 4Ob207/07f

OGH vom 11.12.2007, 4Ob207/07f

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden und durch die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk sowie die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei DI Alfred M*****, vertreten durch Dr. Rolf Schuhmeister und Dr. Walter Schuhmeister, Rechtsanwälte in Schwechat, gegen die beklagte Partei Renate G*****, vertreten durch Dr. Heinz-Peter Wachter, Rechtsanwalt in Wien, wegen Räumung, infolge Revision der Beklagten gegen das Urteil des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 41 R 278/06w-15, mit welchem das Urteil des Bezirksgerichts Innere Stadt Wien vom , GZ 30 C 1581/05g-9, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird nicht Folge gegeben.

Die Beklagte ist schuldig, dem Kläger binnen 14 Tagen die mit 875,34 EUR bestimmten Kosten der Revisionsbeantwortung (darin 145,89 EUR Umsatzsteuer) zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Der Kläger hatte im Jahr 1991 einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ein Geschäftslokal vermietet. Für eine Weitergabe des Mietgegenstands war seine Zustimmung erforderlich. Seit August 2000 zahlte die Gesellschaft keinen Mietzins mehr.

Im Juni 2002 wies das Handelsgericht Wien einen gegen die Gesellschaft gerichteten Konkursantrag mangels kostendeckenden Vermögens ab. Daraufhin wurde im Firmenbuch die Auflösung der Gesellschaft eingetragen, und der bisherige Geschäftsführer und Mehrheitsgesellschafter wurde zum Liquidator. Er ist der Ehemann der Beklagten. In formularmäßig verfassten Briefen teilte er den Geschäftspartnern der Gesellschaft die Liquidation mit, mangels jeglichen Vermögens müssten sie ihre Ansprüche als uneinbringlich betrachten. Ob dieses Schreiben auch dem Kläger zuging, steht nicht fest; andere Kontakte zwischen dem Liquidator und dem Kläger gab es nicht. Ende 2002 war jede Geschäftstätigkeit der Gesellschaft beendet.

Im ersten Halbjahr 2003 vereinbarte der Liquidator mit der Beklagten, dass sie das Geschäftslokal solange unentgeltlich nutzen dürfe, bis es die Gesellschaft aufgrund eines gegen sie ergangenen Räumungsurteils an den Kläger zurückstellen müsse. Zu diesem Zeitpunkt wusste die Beklagte, dass der Liquidator verpflichtet war, den Mietvertrag im Zuge der Liquidation aufzulösen. Sie wusste auch, dass die Gesellschaft mangels jeglichen Vermögens nicht in der Lage war und sein würde, dem Kläger Mietzins zu bezahlen. Den mit der unentgeltlichen Weitergabe des Mietgegenstands verbundenen finanziellen Nachteil des Klägers nahm sie ebenso wie der Liquidator billigend in Kauf.

Ende 2003 wurde die Gesellschaft im Firmenbuch gelöscht.

Der Kläger begehrt von der Beklagten die Räumung des Geschäftslokals. Ihr Einwand, sie verfüge über ein von der Gesellschaft abgeleitetes Recht, sei verfehlt. Denn der Liquidator sei verpflichtet gewesen, das Mietverhältnis zu beenden. Daher habe er mit der Weitergabe seine Befugnisse überschritten. Er und die Beklagte hätten bewusst zum Nachteil des Klägers zusammengewirkt.

Die Beklagte stützt sich auf das ihr von der Gesellschaft eingeräumte Recht. Da nur ein Prekarium vorliege, sei das Mietrecht noch immer ein Vermögenswert der Gesellschaft. Diese sei daher noch nicht zur Gänze beendet, weswegen die Beklagte ihr Recht weiterhin von ihr ableiten könne. Daran scheitere der unmittelbar gegen die Beklagte geltend gemachte Räumungsanspruch; der Kläger hätte vielmehr gegen die Gesellschaft vorgehen müssen.

Das Erstgericht gab der Räumungsklage statt. Der Liquidator sei verpflichtet gewesen, das Bestandverhältnis zu beenden. Seine Vertretungsbefugnis sei auf Liquidationsgeschäfte beschränkt gewesen. Die mit der Beklagten geschlossene Vereinbarung sei kein solches Liquidationsgeschäft und daher - mangels Gutgläubigkeit der Beklagten - nichtig.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und ließ die ordentliche Revision zu. Nach 6 Ob 262/02a stünden Mietrechte einer GmbH deren Vollbeendigung nicht entgegen, wenn sie kein verwertbares Vermögen bildeten. Das sei hier der Fall, da die Gesellschaft wegen der Weitergabe an die Klägerin keinen Nutzen mehr daraus ziehen könne. Die Gesellschaft sei daher untergegangen, weswegen die Beklagte kein Recht von ihr ableiten könne. Jedenfalls sei aber die Vertretungsmacht des Liquidators mit dem Zweck der Liquidation beschränkt gewesen, weswegen die Vereinbarung mit der Beklagten nichtig sei. Eine erhebliche Rechtsfrage iSv § 502 Abs 1 ZPO liege vor, weil weder zur Frage der Vollbeendigung einer GmbH bei Vorhandensein eines Mietrechts noch zur Frage des Umfanges der Vertretungsmacht des Liquidators eine ausreichend gesicherte Judikatur vorliege.

Rechtliche Beurteilung

Die Revision der Beklagten ist zulässig, aber nicht berechtigt.

1. Unstrittig ist, dass der Vermieter einen Dritten, der sein Recht auf Benutzung vom Mieter ableitet, im Regelfall nicht unmittelbar auf Räumung klagen kann (RIS-Justiz RS0010408 [T1]; RS0007670). Das gilt auch dann, wenn der Mietvertrag - wie hier - ein Weitergabeverbot enthält (RIS-Justiz RS0010408 [T8], RS0010367).

2. Anders verhält es sich aber, wenn die Einräumung des Rechts an den dritten Benutzer gegenüber dem Vermieter unwirksam ist. Das ist insbesondere der Fall, wenn (auch) dem Dritten - wie hier - eine (versuchte) sittenwidrige Schädigung des Vermieters zur Last fällt.

2.1. Sittenwidrigkeit iSv § 1295 Abs 2 ABGB liegt nicht nur dann vor, wenn Schädigungsabsicht der einzige Grund der Rechtsausübung war. Es genügt, wenn zwischen den vom Handelnden verfolgten eigenen Interessen und den beeinträchtigten Interessen der Gegenseite ein krasses Missverhältnis bestand (RIS-Justiz RS0026265; RS0026271, insb T 18, T 19, T 22, T 23, T 24). Auf der subjektiven Seite reicht bereits bedingter Vorsatz aus (3 Ob 556/92 = wbl 1994, 167; 1 Ob 562/92 = SZ 65/76; 2 Ob 569/95 = SZ 70/137).

2.2. Im vorliegenden Fall ist zunächst offenkundig, dass der Liquidator gegen seine Pflichten nach § 90 GmbHG iVm § 149 HGB (nunmehr § 149 UGB) verstoßen hat. Danach haben die Liquidatoren die laufenden Geschäfte zu beenden, die Forderungen der Gesellschaft einzuziehen, das Sachvermögen der Gesellschaft zu verwerten, die Gesellschaftsgläubiger zu befriedigen oder sicherzustellen und das Restvermögen unter die Gesellschafter zu verteilen (7 Ob 539/90 = wbl 1990, 278). Zweck der Regelung ist - zumindest bei der Liquidation von Kapitalgesellschaften - der Schutz der Gesellschaftsgläubiger (1 Ob 509/96 = SZ 69/94; RIS-Justiz RS0103902).

Auf dieser Grundlage war der Liquidator zur Beendigung des Mietvertrags verpflichtet (3 Ob 186/06h = RWZ 2007, 104 [Wenger]); eine grundsätzlich denkbare Beendigung des Mietverhältnisses durch Weitergabe an Dritte (3 Ob 186/06h) musste im vorliegenden Fall am diesbezüglichen Verbot scheitern. Vom Schutzzweck dieser Verpflichtung war jedenfalls auch der Kläger erfasst, der von der insolventen Gesellschaft keinen Mietzins mehr erwarten konnte. Der Liquidator hat daher gegen ein Schutzgesetz verstoßen; seine Haftung wäre auch ohne Rückgriff auf § 1295 Abs 2 ABGB begründet.

2.3. Aber auch die Beklagte hat vorwerfbar gehandelt. Zwar hat sie - da nicht Liquidatorin - nicht gegen ein Schutzgesetz verstoßen. Nach den Feststellungen der Vorinstanzen war ihr aber die (materielle) Insolvenz der Gesellschaft und die Verpflichtung des Liquidators zur Beendigung des Mietverhältnisses bekannt; die mit der Überlassung des Mietobjekts verbundene Schädigung des Klägers nahm sie billigend in Kauf. Auf dieser Grundlage muss ihr Verhalten als sittenwidrig iSd oben referierten Rechtsprechung beurteilt werden. Denn die Errichtung eines Konstrukts, das den Vermieter zu einer Räumungsklage gegen eine insolvente Gesellschaft zwingt, um den eigentlichen Nutzer aus dem Mietobjekt entfernen zu können, ist durch keine gerechtfertigten Interessen des Nutzers, des Liquidators oder der Gesellschaft gedeckt. Der (wie angestrebt) unentgeltlichen Nutzung fremden Gutes durch die Beklagte stehen (zumindest) die uneinbringlichen Kosten des Klägers für die gegen die insolvente Gesellschaft zu richtende Räumungsklage gegenüber.

3. Die auch und gerade gegenüber dem Kläger bestehende Sittenwidrigkeit der Rechtseinräumung schließt es aus, dass sich die Beklagte gegen dessen dinglichen Räumungsanspruch darauf berufen könnte. Ihre Revision muss daher scheitern, ohne dass es auf die vom Berufungsgericht als erheblich bezeichneten Fragen ankäme. Insbesondere kann offen bleiben, wie sich die vom Berufungsgericht herangezogene, nach Auffassung des Senats überzeugend begründete Entscheidung 6 Ob 262/02a (= ecolex 2003, 529) zu jener Rechtsprechung verhält, wonach bei Bestehen von Nutzungsrechten - offenkundig generell - keine Vollbeendigung angenommen werden könne (7 Ob 645/80 = MietSlg 32.027; 7 Ob 116/05t = wobl 2006, 128). Weiters kann dahinstehen, ob nach dem hier noch maßgebenden alten Recht (§ 90 Abs 1 GmbHG iVm § 149 HGB idF vor dem Handelsrechts-Änderungsgesetz BGBl I Nr 120/2005) die Vertretungsmacht des Liquidators auf den Umfang seiner Geschäftsführungsbefugnis beschränkt war (dazu Dellinger, Rechtsfähige Personengesellschaften in der Liquidation [2001] 225; Koppensteiner/Rüffer, GmbH-Gesetz3 [2007] § 90 Rz 8; U. Torggler in Straube, HGB I3 § 149 Rz 45, alle mwN; aus der Rsp 5 Ob 282/05i = wbl 2006, 238 sowie 5 Ob 89/03d = SZ 2004/25). Nach neuem Recht (§ 90 GmbHG iVm § 149 UGB) ist das jedenfalls nicht mehr der Fall (Krejci in Krejci RK UGB § 149 Rz 1 mwN).

4. Die diese Entscheidung tragenden Erwägungen sind wie folgt zusammenzufassen: Eine nach dem Mietvertrag unzulässige Weitergabe des Bestandobjekts durch den Liquidator einer insolventen GmbH, die gegen dessen Abwicklungsverpflichtung nach § 90 GmbHG iVm § 149 HGB (UGB) verstößt, kann der Räumungsklage des Vermieters gegen den Nutzer nicht entgegengehalten werden, wenn der Nutzer die Pflichtverletzung des Liquidators kannte und die damit verbundene Schädigung des Vermieters in Kauf nahm.

5. Die Kostenentscheidung gründet sich auf §§ 50, 41 ZPO.