OGH vom 21.11.2018, 6Ob191/18h
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Schramm als Vorsitzenden und durch die Hofräte Dr. Gitschthaler, Univ.-Prof. Dr. Kodek, Dr. Nowotny sowie die Hofrätin Dr. Faber als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei B*****anstalt *****, Liechtenstein, vertreten durch Dr. Lukas Fantur, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei B***** GmbH, *****, vertreten durch Pelzmann Gall Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Nichtigerklärung eines Generalversammlungsbeschlusses (Streitwert 35.000 EUR), über die außerordentliche Revision der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 4 R 59/18b-19, in nichtöffentlicher Sitzung den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen (§ 510 Abs 3 ZPO).
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die in der Generalversammlung der beklagten Gesellschaft vom mit der Stimme der Klägerin als Minderheitsgesellschafterin gefassten Beschlüsse über die gerichtliche Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen die Mehrheitsgesellschafterin waren Scheinbeschlüsse, war doch die Generalversammlung bereits am wieder abberaumt worden (7 Ob 284/98k). Sind Beschlüsse mit solch gravierenden Mängeln behaftet, dass von einer rechtlich unbeachtlichen Willensäußerung gesprochen werden muss, ist deren Anfechtung mittels Klage nach § 41 GmbHG entbehrlich (RIS-Justiz RS0060167). Die Nichtigkeit kann aber, wenn die Voraussetzungen des § 228 ZPO gegeben sind, mit Feststellungsklage geltend gemacht werden, für die die einmonatige Frist des § 41 GesmbHG nicht gilt. Der Oberste Gerichtshof hat dies bisher für Fälle anerkannt, in denen nur zum Schein ein Beschluss vorlag (7 Ob 179/98v unter Hinweis auf 4 Ob 527/94 und 7 Ob 38/98h; vgl auch 1 Ob 573/85).
2. In der Generalversammlung vom wurde mit der Stimme der Mehrheitsgesellschafterin gegen jene der Klägerin der Beschluss auf Feststellung der Nichtigkeit und Aufhebung der am gefassten Scheinbeschlüsse gefasst. Das Berufungsgericht bejahte einen Stimmrechtsausschluss der Mehrheitsgesellschafterin nach § 39 Abs 4 GmbHG, erklärte den Beschluss vom für nichtig und stellte fest, dass der diesem Beschluss zugrunde gelegene Antrag abgelehnt worden sei.
2.1. Bei § 39 Abs 4 GmbHG geht es zum einen um eine Variation der Regeln über das In-Sich-Geschäft, zum anderen um die Durchsetzung des Gedankens, dass niemand Richter in eigener Sache sein soll (RIS-Justiz RS0086644 [T2]). Dabei handelt es sich um institutionell bedingte Interessenkonflikte, die es notwendig machen, sich im Interesse der Richtigkeitsgewähr der Verbandswillensbildung nicht allein mit der Ausübungskontrolle unter Missbrauchsgesichtspunkten zu begnügen, sondern das Stimmrecht überhaupt auszuschließen (6 Ob 169/09k). Die Stimmverbote greifen bei den im Gesetz festgelegten Interessenkonflikten als starre Schranke ein, ohne dass zu prüfen wäre, ob die gesellschaftsinterne Willensbildung tatsächlich beeinträchtigt wäre (Enzinger in Straube, WK GmbHG [2013] § 39 Rz 71; ähnlich Hillmann in Henssler/Strohn, Gesellschaftsrecht³ [2016] § 47 GmbHG Rz 49).
2.2. § 39 Abs 4 GmbHG erfasst unter anderem Beschlüsse betreffend die Einleitung oder Erledigung von Rechtsstreiten zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern (6 Ob 49/09p). Damit ist etwa bei einem Antrag, einen von der Gesellschaft an einen Gesellschafter bezahlten Betrag von diesem zurückzuverlangen, der betreffende Gesellschafter nicht stimmberechtigt (RIS-Justiz RS0059877). Bei Rechtsstreitigkeiten greift das Stimmverbot, anders als beim Abschluss von Rechtsgeschäften, in jedem Fall, also auch bei allen sozietär begründeten Rechtsstreitigkeiten (RIS-Justiz RS0059969 [T4]). Für die Anwendbarkeit des Stimmrechtsverbots ist es weder erforderlich, dass der angestrebte Prozess mit einer Sanktion gegen den Gesellschafter zu tun hat, noch kann es auf dieser Entscheidungsebene für die Zulassung zur Abstimmung auf eine Günstigkeitsprognose ankommen (RIS-Justiz RS0059969 [T6]).
2.3. Die Frage, ob und wie der Anspruch der Gesellschaft in einem Rechtsstreit verfolgt werden soll, ist bereits vom Stimmverbot erfasst (vgl RIS-Justiz RS0086644 [T4]); dies gilt auch für die Frage, ob ein Anspruch überhaupt geltend gemacht werden soll (BGH II ZR 73/85 NJW 1986, 2051). Als „Einleitung eines Rechtsstreits“ ist jede mit der eigentlichen Prozessführung verbundene prozessuale Handlung zu verstehen, einschließlich unmittelbar vorgelagerter Aktionen wie die Bestellung eines Prozessvertreters (RIS-Justiz RS0059969 [T5]). Überhaupt fängt die Einleitung des Rechtsstreits nicht erst mit Klage oder Antragstellung an; früher liegende Vorbereitungsmaßnahmen, wie etwa eine Weisung an die Geschäftsführer, einen Anspruch geltend zu machen, sind einzubeziehen (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ [2007] § 39 Rz 43).
Mit dem daneben vom Gesetz erfassten Fall der „Erledigung“ eines Rechtsstreits sind nicht nur Maßnahmen gemeint, die auf eine Beendigung desselben hinzielen, sondern alle Handlungen, die den Fortgang des Verfahrens betreffen, so etwa auch die Entscheidung darüber, ob ein Rechtsmittel eingelegt werden soll (Koppensteiner/Rüffler, GmbHG³ § 39 Rz 43) oder auch etwa Klagsrücknahme, Vergleich, Anerkenntnis, Rechtsmittel einschließlich der Frage, ob sich die Gesellschaft in einen Rechtsstreit überhaupt einlassen soll (Enzinger in Straube, WK GmbHG § 39 Rz 104). Generell sind die Begriffe „Einleitung und Erledigung eines Rechtsstreits“ in einem weiten Sinn zu verstehen (Harrer in Gruber/Harrer, GmbHG² [2018] § 39 Rz 58).
3. Das Gesetz kennt zwar kein generelles Stimmverbot bei jeder Art von Interessenkollision (RIS-Justiz RS0086644), allerdings kann § 39 Abs 4 GmbHG auch analog angewendet werden. Dabei ist die ratio der Vorschrift entscheidend: Das Stimmverbot darf nur auf Fälle erstreckt werden, die von einer den gesetzlich normierten Tatbeständen vergleichbaren institutionell bedingten Interessenkollision gekennzeichnet sind (Enzinger in Straube, WK GmbHG § 39 Rz 74). Vor diesem Hintergrund ist die Auffassung des Berufungsgerichts, die Mehrheitsgesellschafterin habe sich bei der Beschlussfassung darüber, ob die Beschlüsse über die Geltendmachung von Ansprüchen der Gesellschaft gegen sie nichtig sind, in einer die Anwendung des § 39 Abs 4 GmbHG rechtfertigenden Interessenkollision befunden, durchaus vertretbar:
3.1. Bei der Beschlussfassung vom ging es darum, dass die Gesellschaft gegen die Mehrheitsgesellschafterin verschiedene Ansprüche gerichtlich geltend zu machen habe; dass die Mehrheitsgesellschafterin bei dieser Beschlussfassung einem Stimmverbot unterlegen wäre, bedarf im Hinblick auf § 39 Abs 4 GmbHG keiner weiteren Erörterung. Bei der Beschlussfassung vom ging es darum zu klären, ob die vorangegangenen Beschlüsse nichtig sind; eine Frage, die – wie bereits ausgeführt (1.) – auch in einem gerichtlichen Feststellungsverfahren hätte geklärt werden können. Die Überlegung, dass die Beschlüsse vom ohnehin ein rechtliches Nichts seien, geht deshalb ins Leere.
3.2. Nicht zu beanstanden ist außerdem die Überlegung des Berufungsgerichts, die Beschlussfassung vom habe sich nicht bloß auf die deklarative Feststellung einer absoluten Nichtigkeit beschränkt, sondern außerdem für den Fall, dass es sich bei dem ursprünglichen Beschluss um einen rechtswirksam zustande gekommenen Gesellschafterbeschluss gehandelt haben sollte, konstitutiv auf dessen Aufhebung und damit das Absehen von einer Einleitung eines Rechtsstreits gegen die Mehrheitsgesellschafterin bezogen.
3.3. Ist einer der Fälle des § 39 Abs 4 GmbHG gegeben, dann erfasst der Stimmrechtsausschluss grundsätzlich jedenfalls die Stimmabgabe selbst. Das Stimmrecht entfällt aber auch bei Entscheidungen zu Verfahrensfragen, die auf den jeweiligen Beschlussantrag unmittelbaren Einfluss haben, wie beispielsweise die Absetzung von der Tagesordnung oder die Vertagung (Drescher in MünchKomm zum GmbHG² [2016] § 47 Rz 136; Römermann in Michalski/Heidinger/Leible/J. Schmidt, GmbHG³ [2017] § 47 Rz 171 jeweils mit Verweis auf BGH II ZR 139/70 NJW 1973, 1039). Wenn dem Gesellschafter durch den Stimmrechtsausschluss der Einfluss auf die Verbandsentscheidung verwehrt wird, muss er auch daran gehindert werden, durch Entscheidungen zum Abstimmungsverfahren darauf Einfluss nehmen zu können (Drescher aaO Rz 136). Damit betraf aber die Beschlussfassung vom letztlich ebenfalls die Frage, ob nun die Gesellschaft gegen die Mehrheitsgesellschafterin Ansprüche geltend zu machen hat, weshalb die Mehrheitsgesellschafterin bei dieser Beschlussfassung dem Stimmverbot nach § 39 Abs 4 GmbHG unterlag.
Zusatzinformationen
Tabelle in neuem Fenster öffnen
ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0060OB00191.18H.1121.000 |
Dieses Dokument entstammt dem Rechtsinformationssystem des Bundes.