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OGH vom 23.07.2020, 1Ob131/20a

OGH vom 23.07.2020, 1Ob131/20a

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr.

Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Parteien 1. O*****, 2. Ing. H***** und 3. Mag. H*****, beide *****, 4. K*****, 5. J*****, 6. C*****, 7. O*****, 8. F*****, 9. R*****, und 10. E*****, alle vertreten durch Dr. Franz Unterasinger, Rechtsanwalt in Graz, gegen die beklagte Partei Marktgemeinde *****, vertreten durch Dr. Rudolf Denzel und Dr. Peter Patterer, Rechtsanwälte in Villach, wegen 25.215,72 EUR sA, über die Revision der klagenden Parteien gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 149/19z-20, mit dem das Urteil des Landesgerichts Klagenfurt vom , GZ 26 Cg 22/18h-16, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Die Revision wird zurückgewiesen.

Die beklagte Partei hat die Kosten ihrer Revisionsbeantwortung selbst zu tragen.

Text

Begründung:

1. Die Kläger begehren im Wege der Amtshaftung den Ersatz jener (Verfahrens)Kosten, die ihnen als Eigentümern von Grundstücken im Nahebereich eines zu errichtenden landwirtschaftlichen Gebäudes „für die Erlangung ihrer Parteistellung“ in dem vom Bürgermeister der Beklagten als Baubehörde erster Instanz (§ 3 Kärntner Bauordnung 1996; nachfolgende kurz „KBO“) bzw ihrem Gemeindevorstand als Berufungsbehörde (vgl § 47 Abs 2 KBO iVm § 94 Abs 1 Kärntner Allgemeine Gemeindeordnung) geführten Bauverfahren entstanden seien.

Rechtliche Beurteilung

2. Ihre Revision ist – entgegen dem den Obersten Gerichtshof nicht bindenden Ausspruch des Berufungsgerichts – nicht zulässig, weil darin keine erhebliche Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO aufgezeigt wird. Allein der Umstand, dass Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Auslegung des § 23 KBO fehlt, bedeutet – entgegen dem Zulassungsausspruch des Berufungsgerichts – noch nicht, dass die Entscheidung von der Lösung einer solchen Rechtsfrage abhängt, geht es doch primär um die Vertretbarkeit der behördlichen Rechtsansicht (vgl auch RISJustiz RS0116438; RS0123321 [T7]).

3. Die Kläger verkennen über weite Strecken ihres Rechtsmittels, dass im Amtshaftungsprozess nicht – wie in einem Rechtsmittelverfahren – zu prüfen ist, ob die beanstandeten Entscheidungen richtig waren, sondern nur, ob sie auf einer vertretbaren Rechtsanwendung beruhten (vgl RS0049955 [T2, T 7, T 8]). Gerade dort, wo dem entscheidenden Organ ein Beurteilungsspielraum eingeräumt ist, liegt eine Unvertretbarkeit seiner Entscheidung nicht schon dann vor, wenn eine neue Prüfung des gebotenen Verhaltens im Amtshaftungsverfahren zu einer anderen Entscheidung führte (vgl RS0049955 [T4]). Eine unrichtige, aber vertretbare Rechtsauffassung begründet selbst dann keine Amtshaftung, wenn die Rechtsansicht von der höheren Instanz nicht gebilligt wurde (RS0049955 [T9, T 18]). Die Vertretbarkeit einer Rechtsauffassung ist aufgrund der konkreten Umstände des Einzelfalls zu beurteilen und begründet regelmäßig keine Rechtsfrage iSd § 502 Abs 1 ZPO (RS0110837).

4. Soweit die Revisionswerber überhaupt eine unvertretbare – und nicht bloß unrichtige – Rechtsansicht der Organe der Beklagten behaupten, fehlt es ihrem Rechtsmittel dafür weitgehend an einer nachvollziehbaren Begründung. Die Revisionsausführungen erschöpfen sich großteils in Vorwürfen von im Bauverfahren angeblich begangenen Verfahrensfehlern, deren Kausalität für den geltend gemachten (Kosten)Schaden sich überwiegend nicht erschließt. Dies betrifft etwa die Behauptungen, die Kläger seien (wegen Missachtung ihrer Parteistellung im Bauverfahren) nicht zur Bauverhandlung geladen, die Baubewilligung sei ihnen nicht zugestellt und ein von der Behörde eingeholtes Gutachten sei ihnen verspätet übermittelt worden; ebenso die Vorwürfe, es fehle an einem „nachvollziehbaren“ Auftrag an den im Bauverfahren beigezogenen (nicht amtlichen) Sachverständigen, an einer „Urkunde“ über seine Beeidigung sowie an „Auszahlungsanweisungen und Unterlagen über die Gebührenverrechnung und -bezahlung“. Welche Anträge der Kläger die Organe der Beklagten „ignoriert“ haben sollen, ist nicht ersichtlich; über ihren Antrag auf Zuerkennung der Parteistellung wurde jedenfalls entschieden. Warum die ersatzweise geltend gemachten Verfahrenskosten dadurch verursacht worden sein sollten, dass die Entscheidung über die Parteistellung der Kläger erst nach (erstinstanzlicher) Bewilligung des Bauvorhabens erging, legen die Revisionswerber nicht nachvollziehbar dar. Es bleibt auch unerfindlich, warum darüber nicht in einem „ordentlichen Verfahren“ entschieden worden sein soll. Auf die Gründe, aus denen das Landesverwaltungsgericht Kärnten die – eine Parteistellung der Kläger verneinende – Entscheidung der Beklagten im ersten Rechtsgang (wegen unzureichender Sachverhaltsfeststellungen zum möglichen Einflussbereich des Bauvorhabens) aufhob und im zweiten Rechtsgang (da ein Einfluss auf die Grundstücke der Kläger als Anrainer wegen unzureichender Projektunterlagen nicht ausgeschlossen werden könne) abänderte, gehen die Revisionswerber nicht näher ein.

5.1. Die Unvertretbarkeit der (die Parteistellung der Kläger im Bauverfahren verneinenden) Entscheidungen der Organe der Beklagten wurde von den Klägern in erster Instanz vor allem damit begründet, dass die Beklagte mit dem Bauwerber rechtsmissbräuchlich „zusammengewirkt“ habe, um das Bauprojekt rasch und ohne Beachtung der Parteirechte der Kläger bewilligen zu können. Soweit die Kläger ihre Amtshaftungsansprüche in dritter Instanz überhaupt noch auf eine bewusst rechtswidrige Verfahrensführung stützen, ergeben sich dafür aus dem festgestellten Sachverhalt aber keine Anhaltspunkte.

5.2. Die Kläger beriefen sich in erster Instanz auch darauf, dass sich aus den im Bauverfahren – zur Frage des (räumlichen) Einflussbereichs des Bauvorhabens durch davon ausgehende Immissionen – eingeholten Gutachten ihre Parteistellung ergeben hätte bzw (dies kann dem erstinstanzlichen Vorbringen gerade noch entnommen werden) dass die Organe der Beklagten diese Gutachten ihren Entscheidungen über die Parteistellung der Kläger nicht zugrunde legen hätten dürfen. Das Berufungsgericht führte dazu aus, dass die Kläger in zweiter Instanz nicht mehr auf eine potentielle Lärmbeeinträchtigung zurückgekommen seien, was in der Revision – die dazu ebenfalls keine konkreten Argumente enthält – nicht bekämpft wird. Es ist daher in weiterer Folge nur mehr auf die Frage einzugehen, ob die Verneinung ihrer Parteistellung im Bauverfahren aufgrund der Betroffenheit ihrer Grundstücke durch mögliche Immissionen von Gerüchen und Luftschadstoffen unvertretbar war bzw ob die Beurteilung als vertretbar im angefochtenen Urteil eine klare Fehlbeurteilung darstellt (vgl RS0049955 [T10]).

5.3. Dazu ging das Berufungsgericht (unter Bezugnahme auf VwGH 2000/06/0109) davon aus, dass ein subjektives öffentliches Recht auf Freiheit von Immissionen überhaupt nur dann beeinträchtigt werden könne, wenn ein solches Recht tatsächlich besteht. Dies sei aufgrund der KBO hinsichtlich der Emissionen durch Gerüche und Luftschadstoffe – nach der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs – nur insoweit anzunehmen, als dabei das „übliche Maß“ überschritten werde. Nach den im Bauverfahren zu dieser Frage eingeholten Gutachten sei dies nicht der Fall gewesen (Das erste Gutachten nahm außerhalb eines Radius von rund 98 Metern von der Emissionsquelle – der nächstgelegene Anrainer lag 130 Meter entfernt – keine insoweit relevanten Beeinträchtigungen an; nach den weiteren [Ergänzungs]Gutachten lagen die zu erwartenden Geruchsimmissionen überhaupt unter dem „Irrelevanz[gemeint wohl: Relevanz]kriterium“; hinsichtlich der Luftschadstoffe seien keine überdurchschnittlichen Emissionen zu erwarten gewesen).

5.4. Auf diese Argumentation geht die Revision nur insoweit ein, als sie die Unrichtigkeit der im Bauverfahren eingeholten Gutachten behauptet, denen die Organe der Beklagten – bei der Beurteilung der Frage, ob die Grundstücke der Kläger im Einflussbereich der zu erwartenden Immissionen des Bauvorhabens liegen – nicht folgen hätten dürfen. Der Kritik an den Gutachten selbst ist aber (wie bereits vom Berufungsgericht) die fehlende Organstellung des nicht amtlichen Sachverständigen entgegenzuhalten (1 Ob 79/16y). Überzeugende Gründe, die es unvertretbar erscheinen ließen, die behördlichen Entscheidungen zum Einflussbereich des Bauvorhabens auf Grundlage der dazu eingeholten Gutachten zu treffen, legt die Revision nicht dar. Soweit die Rechtsmittelwerber den Standpunkt vertreten, die Organe der Beklagten hätten die Gutachten (aufgrund eines behaupteten Naheverhältnisses des Gutachters zum Bauwerber) bloß als dessen (offenbar gemeint: erkennbar unrichtige) „Privatmeinung“ ansehen dürfen, ist dies durch den Sachverhalt nicht gedeckt. Wenn die Kläger argumentieren, dass der Gutachter bei der Beurteilung der Frage, ob ihre Grundstücke hinsichtlich der zu erwartenden (Geruchs- und Luftschadstoff-)Immissionen im Einflussbereich des Bauvorhabens liegen, auf den „Abstand zwischen dem am weitesten außen gelegenen Grenzpunkt der Grundstücksgrenze des emittierenden Grundstücks bis zum am nächsten in Richtung Emissionsquelle gelegenen Grenzpunkt der Grundstücksgrenze des beeinflussten Grundstücks“ abstellen hätte müssen, hielt dem bereits das Berufungsgericht – unter Bezugnahme auf die zu Lärmimmissionen ergangene Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs 2011/06/0070 – entgegen, dass die Wahl der „Messpunkte“ in der Verantwortung des Sachverständigen liege. Die Revisionswerber gehen darauf nicht ein (vgl RS0043603 [T9]) und erklären auch nicht nachvollziehbar, warum nicht die Lage der Emissionsquelle sondern die Grundstücksgrenze maßgeblich sein sollte. Sie behaupten auch gar nicht, dass ihre Grundstücke bei Anwendung der von ihnen propagierten Messmethode innerhalb eines Radius von rund 98 Metern vom Grundstück mit der möglichen Immissionsquelle (nur innerhalb dieser „Zone“ nahm der Sachverständige in seinem ersten Gutachten relevante Beeinträchtigungen an) lägen.

5.5. Davon, dass die Grundstücke der Kläger schon „nach dem ersten Anschein“ im Einflussbereich des Bauvorhabens gelegen wären, kann nach dem festgestellten Sachverhalt ebensowenig die Rede sein, wie davon, dass sich die Organe der Beklagten nicht für die möglichen Immissionen „interessiert“ hätten; letzteres ist schon deshalb nicht nachvollziehbar, weil die Organe der Beklagten zur Frage des Einflussbereichs des zu bewilligenden Bauvorhabens mehrere Gutachten eingeholt haben. Soweit die Kläger aus dem (ersten) Gutachten ableiten wollen, dass hinsichtlich sämtlicher Grundstücke innerhalb eines Radius von 200 Metern (was auf die Grundstücke aller Kläger mit Ausnahme jenes des Fünftklägers zuträfe) mit „Beeinträchtigungen“ zu rechnen war, ist ihnen entgegenzuhalten, dass der Sachverständige nur innerhalb eines Radius von rund 98 Metern „relevante“ Beeinträchtigungen annahm und er in seinem Gutachten außerdem ausführte, dass die nördlich gelegenen Grundstücke (und somit jene der Kläger) nicht in der vorherrschenden Ost-West-Windrichtung lägen. Dass sie die „Abstandsmessungen“ nicht selbst vornahmen, sondern dies einem Sachverständigen überließen, kann der Beklagten keinesfalls als unvertretbares Fehlverhalten vorgeworfen werden.

6. Die Kostenentscheidung beruht auf § 40 ZPO iVm § 50 Abs 1 ZPO. Die Beklagte hat nicht auf die mangelnde Zulässigkeit der Revision

hingewiesen und auch nicht deren Zurückweisung beantragt, sodass ihre Revisionsbeantwortung nicht als zweckentsprechende Rechtsverteidigungsmaßnahme angesehen werden kann und dafür kein Kostenersatz zusteht (vgl RS0035962).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2020:0010OB00131.20A.0723.000

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