OGH vom 29.08.2019, 1Ob131/19z

OGH vom 29.08.2019, 1Ob131/19z

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Univ.-Prof. Dr. Bydlinski als Vorsitzenden sowie die Hofräte und die Hofrätin Mag. Wurzer, Mag. Dr. Wurdinger, Dr. Hofer-Zeni-Rennhofer und Dr. Parzmayr als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj S***** und des mj S*****, beide geboren ***** 2010, über den außerordentlichen Revisionsrekurs der Mutter M*****, vertreten durch Dr. Christoph Neuhuber, Rechtsanwalt in Wien (Substitut des Verfahrenshelfers Mag. Emanuel Welten, Rechtsanwalt in Wien), gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Rekursgericht vom , GZ 45 R 291/19f-319, mit dem der Beschluss des Bezirksgerichts Josefstadt vom , GZ 25 Ps 115/13d-306, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Der außerordentliche Revisionsrekurs wird mangels der Voraussetzungen des § 62 Abs 1 AußStrG zurückgewiesen.

Text

Begründung:

1. Die im Jahr 2010 geborenen Zwillinge (ein Mädchen und ein Bub) wurden aufgrund von mehrfachen Pflegevernachlässigungen im Mai 2013 aus der Obhut der Mutter genommen und leben nach einer anfänglichen Unterbringung in einem Krisenzentrum bei Pflegeeltern. Das Erstgericht entzog ihr nun gemäß § 181 Abs 1 ABGB die Obsorge für ihre mittlerweile neun Jahre alten Zwillinge hinsichtlich der gesamten Pflege und Erziehung wegen Gefährdung des Kindeswohls und übertrug sie dem Kinder- und Jugendhilfeträger (KJHT). Zu dieser Entscheidung gelangte es nach Durchführung eines umfangreichen Beweisverfahrens und auf Basis seiner ausführlichen, durch die Schilderung etlicher exemplarischer Beispiele nachvollziehbar unterlegten Feststellungen, an die es die schlüssig begründete Prognose knüpfte, es werde sich die Erziehungsfähigkeit der Mutter, die weder eine stabile Arbeitssituation noch eine entsprechende finanzielle Absicherung der Familie erreichen konnte, deren Wohnung nicht genug Rückzugsmöglichkeiten bietet und die schon jetzt die aktuellen (Grund)Bedürfnisse der Kinder nicht ausreichend erkennen und stillen oder die notwendigen Strukturen und Grenzen setzen kann,mit zunehmendem Alter der Kinder verschlechtern.

Rechtliche Beurteilung

Das Rekursgericht gab dem Rekurs nicht Folge, weil die Mutter in ihrem Rechtsmittel der – auch auf die fundierten Ausführungen der Sachverständigen gestützten – ausführlichen Begründung des Erstgerichts nichts Stichhältiges entgegensetzen habe können.

2. Die Mutter versucht in ihrem gegen diese Entscheidung erhobenen außerordentlichen Revisionsrekurs in unzulässiger Weise, die auch auf Basis von Gutachten getroffenen Feststellungen zu ihrer Erziehungsfähigkeit anzuzweifeln. Der Oberste Gerichtshof ist aber auch im Außerstreitverfahren nicht Tatsacheninstanz (RISJustiz RS0007236), weshalb die im Rechtsmittel erörterten Fragen der Beweiswürdigung nicht behandelt werden können (RS0007236 [T4]). Ausgehend von den tatsächlich getroffenen Feststellungen zu den Defiziten in ihrer Erziehungsfähigkeit, die die Revisionsrekurswerberin unerwähnt lässt, gelingt es ihr nicht, eine erhebliche Rechtsfrage aufzuwerfen:

In Entsprechung des Grundsatzes der Familienautonomie soll den Familienmitgliedern die Obsorge solange gewahrt bleiben, als sich das mit dem Kindeswohl verträgt (RS0048712 [T6]). Es trifft damit– worauf sich die Mutter beruft – zu, dass die Maßnahme der Übertragung der Obsorge an den KJHT nur das letzte Mittel sein und nur insoweit angeordnet werden darf, als dies zur Abwendung einer drohenden Gefährdung des Kindeswohls notwendig ist (RS0048712 [T1, T 8, T 10]; vgl auch RS0047841 [T13, T 15]; RS0085168 [T5]). Ob die Voraussetzungen für eine Obsorgeübertragung nach § 181 ABGB (hier im Bereich der Pflege und Erziehung) erfüllt sind und eine Kindeswohlgefährdung vorliegt, hängt stets von den Umständen des Einzelfalls ab und wirft daher in der Regel keine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung im Sinn des § 62 Abs 1 AußStrG auf, wenn ausreichend auf das Kindeswohl Bedacht genommen wurde (vgl nur RS0115719; RS0007101 [T1, T 3, T 21]; zur Übertragung auf den KJHT s etwa: 7 Ob 184/04s = RS007101 [T11]; 3 Ob 208/09y; 1 Ob 241/12s; 9 Ob 25/14p; 1 Ob 7/16k; 7 Ob 18/19a).

Die Vorinstanzen haben die vorgenannten Grundsätze zur Übertragung der Obsorge an den KJHT als „letztes Mittel“ nicht verkannt. Sie sind (wohlbegründet) davon ausgegangen, dass das Kindeswohl gefährdet wäre, wenn der zur Kooperation nicht bereiten und seit Juli 2018 den Kontakt mit dem KJHT verweigernden Mutter, der es an Bindungstoleranz gegenüber den Pflegeeltern und deren leiblichen Kindern (mit denen die Zwillinge seit 2013 gemeinsam aufwachsen) und an ausreichender Erziehungsfähigkeit mangelt, die Obsorge im Bereich der Pflege und Erziehung nicht endgültig entzogen würde. Andere (verwandte) Personen stehen nicht zur Verfügung.

Ausgehend von den zu ihrer fehlenden Erziehungsfähigkeit tatsächlich getroffenen Feststellungen, die die Revisionsrekurswerberin unerwähnt lässt, gelingt es der Mutter nicht, in ihrem Rechtsmittel eine erhebliche Rechtsfrage aufzuwerfen, und zwar auch nicht, wenn sie aufgrund behaupteter jüngster – ungeprüfter – Ereignisse unterstellt, es verfüge die Pflegefamilie „ebenfalls“ nicht über die erforderliche Erziehungskompetenz für die beiden Kinder.

3. Darauf, dass sie sich zuletzt gegen Umfang und Art der vom Erstgericht festgesetzten Kontakte wendet, ist schon deshalb nicht einzugehen, weil sie in ihrem Rekurs nur die „Übertragung der Obsorge“ auf sie beantragte und sich mit den festgesetzten Kontakten überhaupt nicht befasste.

4. Einer weiteren Begründung bedarf es nicht (§ 71 Abs 3 AußStrG).

Zusatzinformationen


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ECLI:
ECLI:AT:OGH0002:2019:0010OB00131.19Z.0829.000

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