OGH vom 03.11.2005, 6Ob190/04s
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Ehmayr als Vorsitzenden und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber, Dr. Prückner, Dr. Schenk und Dr. Schramm als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei W***** Gebietskrankenkasse, ***** vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Amhof und Dr. Damian Partnerschaft in Wien, gegen die beklagte Partei Jana V*****, unbekannten Aufenthalts, vertreten durch den Kurator Dr. Michael Velik, Rechtsanwalt in Wien, wegen 21.000 EUR sA, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 1 R 41/04p-25, womit infolge Berufung der klagenden Partei das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 13 Cg 54/03y-19, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird nicht Folge gegeben.
Die klagende Partei hat die Kosten ihres erfolglosen Rechtsmittels selbst zu tragen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Beklagte ist seit als Alleingeschäftsführerin und Alleingesellschafterin der „H*****" Bau GmbH (künftig: Gesellschaft) im Firmenbuch eingetragen. Am beantragte die klagende Gebietskrankenkasse, den Konkurs über das Vermögen der Gesellschaft zu eröffnen. Der Konkurs wurde am eröffnet.
Bis Juni 2002 hatte die Gesellschaft nur einen Dienstnehmer angemeldet. Im Zeitraum vom bis meldete die Beklagte 123 Personen als Dienstnehmer der Gesellschaft bei der Klägerin an. Die Gesellschaft beschäftigte diese Personen tatsächlich. Sie entrichtete die Sozialversicherungsbeiträge nicht. An Krankenversicherungsbeiträgen haften 51.753 EUR, an Unfallversicherungsbeiträgen 9.568,89 EUR und an Pensionsversicherungsbeiträgen 155.863,18 EUR aus.
Der Beklagten war zum Zeitpunkt der Anmeldung der Dienstnehmer bewusst, dass aufgrund der schlechten finanziellen Lage der Gesellschaft die Sozialversicherungsbeiträge nicht entrichtet werden können. Hätte die Beklagte die Klägerin sofort darüber aufgeklärt, dass die Gesellschaft keine Sozialversicherungsbeiträge entrichten kann oder will, wäre unverzüglich ein Konkursantrag gegen die Gesellschaft gestellt worden.
Die Klägerin begehrt von der Beklagten Zahlung von 21.000 EUR sA. Sie nimmt die Beklagte auf teilweisen Ausgleich des Schadens in Anspruch, der dadurch entstanden sei, dass die Gesellschaft die (Dienstgeber- und Dienstnehmer-)Beiträge zur Pensionsversicherung ihrer Dienstnehmer für die Monate Juni bis Oktober 2002 nicht bezahlte. Die Beklagte sei ihr schadenersatzpflichtig, weil sie das Verbrechen des schweren Betrugs gemäß §§ 146, 147 Abs 3 StGB oder das Vergehen der Täuschung nach § 108 StGB begangen habe. Auf andere Anspruchsgrundlagen werde der Anspruch nicht gestützt. Dadurch, dass die Beklagte als Geschäftsführerin der Gesellschaft eine Vielzahl von Dienstnehmern der Gesellschaft bei der Klägerin angemeldet habe, habe sie kundgetan, dass die Gesellschaft zur Zahlung der Sozialversicherungsbeiträge willens und fähig sei, was nicht zugetroffen habe. Jedenfalls sei sie verpflichtet gewesen, einen mangels Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft eintretenden Vermögensschaden der Klägerin durch sofortige Aufklärung abzuwenden. Die zuständigen Mitarbeiter der Klägerin hätten aufgrund der Anmeldungen bzw der Unterlassung der gebotenen Aufklärung irrtümlicherweise angenommen, es sei alles in Ordnung, insbesondere die Gesellschaft werde die Sozialversicherungsbeiträge ordnungsgemäß entrichten. Ansonsten hätte die Klägerin sogleich einen Konkursantrag gegen die Gesellschaft gestellt und damit die fortgesetzte Beschäftigung einer Vielzahl von Dienstnehmern bzw das Auflaufen der klagsgegenständlichen, im Wesentlichen aus dem Monat Oktober 2002 herrührenden Beitragsschuld hintangehalten. Aufgrund des täuschungsbedingten Irrtums der Klägerin über die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit der Gesellschaft habe sie den angemeldeten Dienstnehmern Sozialversicherungsschutz gewährt, ohne die hiefür vorgesehenen Beiträge zu erhalten. Der täuschungsbedingte Ausfall von Sozialversicherungsbeiträgen bewirke bei der Klägerin sogleich einen Schaden in entsprechender Höhe, weil die laufenden Sozialversicherungsbeiträge zur Begleichung der laufenden Ausgaben dienten. Die Beklagte habe mit Täuschungs-, Schädigungs- und Bereicherungsvorsatz gehandelt. Sie habe den Dienstnehmern Sozialversicherungsschutz verschafft und der Gesellschaft die Dienstgeberbeiträge und den Dienstnehmern die Dienstnehmerbeiträge ersparen wollen.
Die Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens. Sie habe weder das Verbrechen des schweren Betrugs noch das Vergehen der Täuschung begangen. Mit der Anmeldung der von der Gesellschaft beschäftigten Dienstnehmer habe sie ihrer Rechtspflicht entsprochen.
Das Erstgericht wies das Klagebegehren ab. Rechtlich beurteilte es die eingangs im Wesentlichen wiedergegebenen Feststellungen dahin, dass der geltend gemachte Schadenersatzanspruch zu verneinen sei, weil das Verhalten der Beklagten weder den Betrugs- noch den Täuschungstatbestand verwirklicht habe.
Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung und sprach aus, dass die ordentliche Revision zulässig sei. Durch die von der Beklagten als geschäftsführende Gesellschafterin pflichtgemäß vorgenommene Anmeldung der bei der Gesellschaft tatsächlich beschäftigten Dienstnehmer sei in objektiver Hinsicht weder der Tatbestand des Betrugs gemäß § 146 StGB noch jener der Täuschung gemäß § 108 StGB verwirklicht worden. Angesichts der Versicherungspflicht sei die Klägerin nämlich durch die Anmeldungen der Dienstnehmer durch die Beklagte nicht über Tatsachen getäuscht worden. Dies sei jedoch Tatbestandsvoraussetzung, weshalb das Handeln der Beklagten für den eingetretenen Vermögensschaden der Klägerin hinsichtlich der Pensionsversicherungsbeiträge nicht kausal gewesen sei. Ein von der Beklagten bei der Klägerin allenfalls hervorgerufener Irrtum über die Zahlungsfähigkeit und -willigkeit der Gesellschaft sei für eine allfällige Vermögensverfügung der Klägerin nicht (einmal) mitbestimmend gewesen. Aus dem Umlageverfahren ergebe sich nämlich, dass die Auszahlung der Pensionen an die jetzt Pensionsberechtigten vom konkreten verfahrensgegenständlichen Irrtum der Klägerin unabhängig sei. Da eine Verletzung eines Schutzgesetzes, worauf die Klägerin ihren Anspruch ausschließlich stütze, nicht vorliege, sei der Schadenersatzanspruch zu verneinen.
Die ordentliche Revision sei zulässig, weil sich der Oberste Gerichtshof mit einem vergleichbaren Fall noch nicht befasst habe und die Straflosigkeit des sogenannten „Sozialbetrugs" eine Rechtsfrage von erheblicher Bedeutung sei.
Gegen dieses Urteil richtet sich die Revision der Klägerin wegen unrichtiger rechtlicher Beurteilung mit dem Antrag, jenes im klagestattgebenden Sinn abzuändern. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Beklagte beantragt in ihrer Revisionsbeantwortung, der Revision nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision ist aus dem vom Berufungsgericht genannten Grund zulässig, aber nicht berechtigt.
Die Revisionswerberin führt aus, die konstitutive Anmeldung einer Vielzahl von Dienstnehmern durch die Beklagte zur Pensionsversicherung unter Vorgabe, ein zahlungsfähiger und -williger Dienstgeber zu sein, verbunden mit der dadurch bei der Klägerin entstandenen Vorstellung, es sei alles in Ordnung, reiche für den täuschungsbedingten Irrtum im Sinn des § 146 StGB aus. Ein Vermögensschaden, mit dessen Eintritt der Betrug erst vollendet sei, könne auch dadurch herbeigeführt werden, dass der Getäuschte eine bestimmte Vermögensverfügung unterlasse, welche er ohne die Täuschung getroffen hätte. Die Klägerin hätte infolge ihres täuschungsbedingten Irrtums, es liege ein zahlungsfähiger und -williger Dienstgeber vor bzw es sei alles in Ordnung, die sofortige Stellung eines Konkursantrags, aber auch die ihr offenstehende Anordnung eines Widerrufs gemäß § 61 ASVG unterlassen. Bloßes Unterlassen der gebotenen Aufklärung könne Betrug begründen, wenn dem Täter eine besondere Rechtspflicht treffe, einen ohne Aufklärung eintretenden Vermögensschaden abzuwenden. Eine solche Aufklärungspflicht der Beklagten ergebe sich aus § 34 ASVG,§ 69 KO und ihrem Verhalten, ungeachtet der Zahlungsunfähigkeit und -willigkeit eine Vielzahl von Dienstnehmern zu beschäftigen. Nach dem Ingerenzprinzip sei sie verpflichtet gewesen, die nachteiligen Folgen abzuwenden, die sich aus dem Beschäftigen von Dienstnehmern, ohne die Sozialversicherungsbeiträge zahlen zu können oder auch nur zu wollen, entspringen können.
Hiezu wurde erwogen:
Die Revision stützt den geltend gemachten Schadenersatzanspruch nur noch auf den Deliktstatbestand des Betrugs nach § 146 StGB, der ein Schutzgesetz im Sinn des § 1311 ABGB ist (SZ 59/70). Das Sozialbetrugsgesetz - SozBG, BGBl I 2004/152, ist auf den vorliegenden Fall nicht anzuwenden (Art V).
Der strafrechtliche Betrug ist ein Selbstschädigungsdelikt: Der Täter wirkt durch Täuschung über Tatsachen auf den Willen eines anderen ein und veranlasst ihn, durch den Irrtum selbst eine schädigende Vermögensverfügung vorzunehmen, wobei gleichgültig ist, ob der Schaden beim Getäuschten oder einem Dritten entsteht (SSt 58/18; Kirchbacher/Presslauer in WK² § 146 Rz 1).
Auszugehen ist davon, dass die von der Gesellschaft beschäftigten Personen vollversicherte Dienstnehmer gemäß § 4 Abs 1 Z 1 ASVG waren. Beginn, Bestand und Ende der Pflichtversicherung eines Vollversicherten hängt nicht vom Beteiligtenwillen ab (§§ 10 Abs 1, 11 Abs 1 ASVG). Das Pflichtversicherungsverhältnis kommt somit nicht erst durch Rechtsgeschäft, sondern schon durch Erfüllung eines vom Beteiligtenwillen unabhängigen gesetzlichen Tatbestands zustande. Es handelt sich um eine ex lege (ipso-iure- bzw Zwangs-Versicherung), die den Grundsatz des Ausschlusses der Privatautonomie verwirklicht (Krejci/Marhold in Tomandl, SV-System, 13. Erg-Lfg 1.2.1.3.). Insofern ist es unzutreffend, von einem „Kontrahierungszwang" der Sozialversicherungsträger zu sprechen. Das Pflichtversicherungsverhältnis besteht meldeunabhängig (§ 10 Abs 1 ASVG). Es kommt nicht darauf an, ob dem zuständigen Versicherungsträger die Erfüllung des die Pflichtversicherung begründenden Tatbestands rechtzeitig oder überhaupt gemeldet wurde (Krejci/Marhold aaO 1.2.1.4.). Davon besteht in der Pensionsversicherung insofern eine Ausnahme, als es bei Nichtmeldung bzw Meldeverzug zu Leistungsverlusten kommen kann, wenn Zeiten der Pflichtversicherung in der Pensionsversicherung nicht als Beitragszeiten anzusehen sind (§ 225 Abs 1 Z 1 ASVG). Insofern wirkt sich eine Nichtmeldung bzw ein Meldeverzug zugunsten des Pensionsversicherungsträgers und zu Lasten des Versicherten aus.
Die Anmeldung von tatsächlich als Dienstnehmern beschäftigten Personen beim zuständigen Sozialversicherungsträger führt zu keiner Vermögensverfügung des Sozialversicherungsträgers, weil die Pflichtversicherung schon kraft Gesetzes (ex lege) besteht, es zu seiner Begründung daher keines Verhaltens des Sozialversicherungsträgers bedarf. Der Straftatbestand des Betrugs ist daher schon aus diesem Grund nicht erfüllt. Es kann daher offen bleiben, ob in einer Anmeldung von tatsächlich beschäftigten Dienstnehmern zur Sozialversicherung überhaupt eine Täuschungshandlung des Dienstgebers im Sinn des § 146 StGB zu erblicken ist, weil damit schlüssig kundgetan werde, der Dienstgeber sei zahlungswillig und -fähig. Diese Auffassung erscheint zumindest zweifelhaft, wird doch mit der Anmeldung lediglich einer gesetzlichen Pflicht (§ 33 Abs 1 ASVG) sowie einer sich aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag ergebenden Pflicht entsprochen.
Zu einer deliktischen Haftung der Beklagten für den eingeklagten Beitragsausfall wegen Betrugs kommt es auch nicht infolge (Weiter-)Beschäftigung der Dienstnehmer trotz Insolvenz, worauf die Revisionsausführungen abzielen.
Der Oberste Gerichtshof sprach im Zusammenhang mit der zivilrechtlichen Haftung von Organen einer Kapitalgesellschaft für Sozialversicherungsbeiträge der Dienstnehmer der Gesellschaft wiederholt aus, das Entstehen weiterer Beitragsschulden infolge Weiterbeschäftigung von Dienstnehmern nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit des Schuldners sei als Eingehung weiterer Schulden zu beurteilen, sodass dem Sozialversicherungsträger insofern die Stellung eines Neugläubigers zukomme. Er sei dann so zu stellen, als hätte er die im Gesetz für die Gewährung des Versicherungsschutzes vorgesehenen Beiträge zur Gänze erhalten, sodass von dieser gesetzlichen Beitragsschuld nur die tatsächlich erlangte Konkursquote abzuziehen sei (1 Ob 50/99f = SZ 72/76 mwN). Die Entscheidung 4 Ob 538/87 hält fest, der Schaden des Sozialversicherungsträgers liege darin, dass er Sozialversicherungsbeiträge, die ihm dafür gebühren, dass er die Dienstnehmer der Gesellschaft sozialversichert gehalten habe, nicht hereinbringen könne und dieser Schaden unabhängig davon entstanden sei, ob und in welcher Höhe der Sozialversicherungsträger für den fraglichen Zeitraum Leistungen zu erbringen gehabt habe. Für die Verwirklichung des strafrechtlichen Betrugstatbestands reicht hingegen bloßes Versicherthalten nach ständiger Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs bei der Privatversicherung nicht aus. Der Betrug als Selbstschädigungsdelikt verlange, dass der Getäuschte jene Vermögensverfügung treffe (oder treffen solle), durch die er an seinem Vermögen einen effektiven und (nicht nur fiktiven) Schaden erleiden soll. In der Übernahme eines Versicherungsrisikos allein liege noch keine das Vermögen der Versicherung unmittelbar schädigende Verfügung; bloßes Versicherthalten bewirke keinen effektiven Verlust an Vermögenssubstanz (15 Os 150/04; RIS-Justiz RS0094309). Gründe, von dieser Rechtsprechung bei der Sozialversicherung abzuweichen, sind nicht ersichtlich.
Weil das bloße Versicherthalten infolge Weiterbeschäftigung trotz Zahlungsunfähigkeit noch keine das Vermögen unmittelbar schädigende Verfügung im Sinn des § 146 StGB bewirkt und der Betrugstatbestand damit nicht verwirklicht ist, kann das Klagebegehren auch nicht darauf gestützt werden, die Beklagte habe die Klägerin durch Verletzung von behaupteten Aufklärungspflichten von einer früheren Stellung eines Konkursantrags abgehalten.
Die Behauptung der Revision, die Klägerin hätte infolge des täuschungsbedingten Irrtums die Anordnung eines Widerrufs nach § 61 ASVG unterlassen, ist eine unzulässige und daher unbeachtliche Neuerung (§ 504 Abs 2 ZPO), sodass es sich erübrigt darauf einzugehen, ob damit das Klagebegehren begründet werden könnte.
Da der von der Klägerin allein geltend gemachte Haftungsgrund nicht gegeben ist, war der Revision nicht stattzugeben.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 40, 50 Abs 1 ZPO. Der Kurator der Beklagten hat seine Kosten der Revisionsbeantwortung bereits vom Erstgericht zuerkannt erhalten.