OGH vom 16.10.2015, 7Ob129/15v

OGH vom 16.10.2015, 7Ob129/15v

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch die Senatspräsidentin Dr. Kalivoda als Vorsitzende und die Hofräte Dr. Höllwerth, Mag. Dr. Wurdinger, Mag. Malesich und Dr. Singer als weitere Richter in der Pflegschaftssache der minderjährigen T***** T*****, und der Minderjährigen C***** T*****, in Pflege und Erziehung der Mutter J***** T*****, diese vertreten durch Dr. Gabriele Schubert, Rechtsanwältin in Baden, wegen Kontaktrechts des Vaters F***** T*****, über den Revisionsrekurs der Mutter gegen den Beschluss des Landesgerichts Wiener Neustadt als Rekursgericht vom , GZ 16 R 105/15b 121, womit der Rekurs der Mutter gegen den Beschluss des Bezirksgerichts Neunkirchen vom , GZ 1 Ps 133/09x 108, zurückgewiesen wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird nicht Folge gegeben.

Text

Begründung:

Mit Beschluss des Bezirksgerichts Neunkirchen vom wurde die Ehe der Eltern im Einvernehmen geschieden.

Am beantragte die Mutter, das Kontaktrecht des Vaters zu seinen Töchtern auszusetzen.

Mit Schreiben vom beantragte der Vater, unverzüglich die Wiederaufnahme seines Besuchsrechts und seiner Telefonkontakte zu seinen Töchtern herzustellen.

Mit Beschluss vom erließ das Erstgericht zu AZ 4 C 351/14d eine einstweilige Verfügung gemäß § 382e EO, mit der es dem Vater auftrug die Kontaktaufnahme zur Mutter und zu T***** zu unterlassen, insbesondere auch durch Telefon, Brief und SMS. Diese einstweilige Verfügung wurde für 12 Monate erlassen.

Mit Urteil des Landesgerichts Wiener Neustadt vom zu AZ 39 Hv 51/14t wurde der Vater wegen des Vergehens der beharrlichen Verfolgung der Mutter und der beiden Minderjährigen im Zeitraum bis gemäß § 107a Abs 1, Abs 2 Z 1 StGB zu einer bedingten Freiheitsstrafe in der Dauer von drei Monaten verurteilt.

Mit Beschluss vom beauftragte das Erstgericht die Familiengerichtshilfe mit der Durchführung eines Clearings mit den Eltern zu dem von der Mutter gestellten Antrag auf Aussetzung der väterlichen Kontakte und zum Antrag des Vaters auf Kontaktregelung mit dem Ziel einer gütlichen Einigung der Parteien.

Im Clearingbericht vom hielt die Familiengerichtshilfe als Ergebnis fest, dass keine gütliche Einigung hinsichtlich eines Kontaktrechts zu Stande gekommen sei und begleitende Besuchskontakte nicht funktioniert hätten. Es sei davon auszugehen, dass das derzeitige Verhalten der Mutter im Hinblick auf die psychische Entwicklung, insbesondere die Persönlichkeitsentwicklung und die Identitätsfindung der beiden Kinder das Kindeswohl zumindest beeinträchtige. Um diesen Sachverhalt ausführlich abzuklären, werde seitens der Familiengerichtshilfe die Beauftragung mit einer fachlichen Stellungnahme empfohlen, welche insbesondere die Befragung der Minderjährigen sowie gegebenenfalls eine Interaktionsbeobachtung zwischen dem Vater und seinen Töchtern sowie zwischen der Mutter und den beiden Mädchen beinhalten sollte.

Das Erstgericht beauftragte daraufhin die Familiengerichtshilfe, eine fachliche Stellungnahme nach Befragung der beiden minderjährigen Kinder und Interaktionsbeobachtungen zwischen den Kindern und dem Vater einerseits sowie, falls erforderlich, zwischen den Kindern und der Mutter andererseits, darüber zu erstatten, welche Maßnahmen notwendig wären, um dem Kindeswohl entsprechende Vater Töchter Kontakte wieder aufzubauen, den massiven elterlichen Konflikt zu deeskalieren und eine minimale zur Organisation der Eltern Kinder Kontakte notwendige Kommunikationsmöglichkeit zu schaffen.

Den dagegen erhobenen Rekurs der Mutter wies das Rekursgericht zurück. Bei dem der Stoffsammlung dienenden Auftrag handle es sich um einen verfahrensleitenden Beschluss, gegen den ein gesonderter Rekurs nicht zulässig sei. Den ordentlichen Revisionsrekurs erklärte das Rekursgericht für nicht zulässig.

Gegen diesen Beschluss wendet sich der Revisionsrekurs der Mutter mit einem Abänderungsantrag. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.

Der Revisionsrekurs ist zur Klarstellung zulässig, er ist jedoch nicht berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

1.1 Nach § 45 Satz 2 AußStrG sind verfahrensleitende Beschlüsse, soweit nicht ihre selbstständige Anfechtung angeordnet ist, nur mit Rekurs gegen die Entscheidung über die (Haupt )Sache anfechtbar.

Die Rechtsprechung zählt zu den verfahrensleitenden Beschlüssen im Rahmen eines Beweisverfahrens getroffene Entscheidungen (Beschlüsse, Aufträge, Verfügungen), die der Stoffsammlung dienen und deren Zweck es ist, die Sachverhaltsgrundlage für die gerichtliche Sachentscheidung zu klären oder zu verbreitern (9 Ob 11/15f). So ist die Entscheidung über Beweisanträge als verfahrensleitender Beschluss anzusehen (vgl RIS Justiz RS0120910). Außer den Entscheidungen, die der Stoffsammlung dienen, zählen auch sonstige den Verfahrensablauf betreffende Verfügungen zu den verfahrensleitenden Beschlüssen. Damit dienen verfahrensleitende Beschlüsse der zweckmäßigen Gestaltung des Verfahrens, insbesondere des Beweisverfahrens und haben kein vom Verfahren losgelöstes Eigenleben; das Gericht ist jederzeit in der Lage, sie abzuändern und einer geänderten Situation anzupassen (RIS Justiz RS0120910 [T11], vgl Fucik/Kloiber AußStrG [2005] § 45 Rz 2).

1.2 Der Grund, warum bei verfahrensleitenden Beschlüssen von einer gesonderten Anfechtbarkeit abgesehen wird, besteht vor allem darin, dass solche Erledigungen nicht in die Rechtssphäre der Parteien eingreifen (vgl schon 8 Ob 61/14z mwN). Die Anfechtbarkeit einer gerichtlichen Entscheidung ist nämlich nach dem Gesichtspunkt der Beeinträchtigung rechtlicher Interessen zu beurteilen. Bei dieser Prüfung ist kein kleinlicher Maßstab anzulegen (RIS Justiz RS0006327 [T2]). Ist die Rechtsstellung der Parteien berührt, so liegt im Allgemeinen nicht lediglich ein verfahrensleitender Beschluss vor. Die Auferlegung einer Mitwirkungspflicht nimmt dem entsprechenden Beschluss nicht den Charakter eines verfahrensleitenden Beschlusses. Dies gilt selbst dann, wenn ein Eingriff in Persönlichkeitsrechte behauptet wird (RIS Justiz RS0120052 [T1]; RS0120910 [T14], Kodek in Gitschthaler/Höllwerth , AußStrG § 45 Rz 15).

2. Als Beweismittel kommt im Verfahren außer Streitsachen, in dem der Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel herrscht, alles in Betracht, was zur Feststellung des Sachverhalts geeignet und zweckdienlich ist. Dazu zählen ua Beteiligte, Zeugen und Sachverständige, Urkunden und Augenschein, ebenso aber auch schriftliche Auskünfte von Behörden, Kammern, Kreditinstituten, die Einholung und Verwertung des Inhalts von Akten, wobei der Umfang der heranzuziehenden Beweismittel vom Ermessen des Gerichts bestimmt wird.

2.1 Der Sachverständige zählt demnach zu den Beweismitteln. Seine Stellung und die Auftragserteilung an ihn dienen einer erschöpfenden Erörterung und gründlichen Beurteilung des Verfahrensgegenstands in der Sache (4 Ob 194/14d). Daher ist nach ständiger Rechtsprechung ein Beschluss, mit dem ein Sachverständiger sei es über Antrag einer Partei, sei es von Amts wegen bestellt wird, ein verfahrensleitender Beschluss im Sinn des § 45 AußStrG. Er ist daher erst mit dem Rekurs gegen die Entscheidung über die Hauptsache anfechtbar (RIS Justiz RS0120052).

2.2 Gemäß § 106a Abs 1 AußStrG unterstützt die Familiengerichtshilfe das Gericht bei der Sammlung von Entscheidungsgrundlagen, der Anbahnung einer gütlichen Einigung und der Information der Parteien im Verfahren über die Obsorge und die persönlichen Kontakte ( Beck in Gitschthaler/Höllwerth AußStrG § 106a Rz 10). Nach § 106a Abs 2 AußStrG ist die Familiengerichtshilfe im Rahmen des gerichtlichen Auftrags berechtigt, Personen, die über die Lebensumstände eines minderjährigen Kindes Auskünfte erteilen können, zu laden und zu befragen, sowie unmittelbaren Kontakt mit dem Kind herzustellen. Personen, in deren Obhut das Kind steht, sind verpflichtet, einen solchen Kontakt zu dulden. Die Befugnisse zur Befragung der Beteiligten kommen einer wesentlichen Funktion des Gerichts der Sachverhaltsklärung durch die Vernehmung der Parteien und Zeugen sehr nahe; die Ermächtigung zum Gespräch mit dem Kind und die Aufgabe, Berichte und „psychologische Expertisen“ zu erstatten, rücken die Tätigkeit der Familiengerichtshilfe gleichzeitig in die Nähe der Befundaufnahme eines Sachverständigen ( Beck aaO § 106a Rz 21). Ebenso wenig wie die Bestellung eines Sachverständigen stellt der gerichtliche Auftrag an die Familiengerichtshilfe gemäß § 106a AußStrG eine meritorische Entscheidung dar. Vielmehr dienen diese gerichtlichen Aufträge einer erschöpfenden Erörterung und gründlichen Beurteilung des Verfahrensgegenstands in der Sache. Die Beiziehung der Familiengerichtshilfe nach § 106a AußStrG erfolgt im Rahmen der gerichtlichen Beweisaufnahme. Ihre Berichte und Expertisen sind Beweismittel im Sinn des § 31 Abs 1 AußStrG und unterliegen daher der Beweiswürdigung des Gerichts ( Beck aaO § 106a Rz 33). Gerichtliche Aufträge an die Familiengerichtshilfe gemäß § 106a AußStrG sind daher wie die Bestellung des Sachverständigen und die Auftragserteilung an ihn verfahrensleitende Beschlüsse, die gemäß § 45 Abs 2 AußStrG nur mit Rekurs gegen die Entscheidung in der Sache anfechtbar sind ( Beck aaO § 106a Rz 17).

Auch die Behauptung, vor dem Hintergrund der strafgerichtlichen Verurteilung des Vaters gemäß § 107a Abs 1 StGB und dem mit einstweiliger Verfügung ausgesprochenen Kontaktaufnahmeverbot zur Mutter und zur minderjährigen T*****, werde wegen des unausweichlichen Zusammentreffens innerhalb der Interaktionsbeobachtungen in die Persönlichkeitsrechte der Mutter und der beiden Minderjährigen eingegriffen und das Kindeswohl der Minderjährigen gefährdet, nimmt dem Beschluss nicht den Charakter eines verfahrensleitenden Beschlusses.

Die Rechtsstellung der Mutter wird schon deshalb nicht beeinträchtigt, weil der Auftrag an die Familiengerichtshilfe kein Zusammentreffen zwischen ihr und dem Vater erfordert. Im Übrigen dient der entsprechende Beschluss gerade der Klärung, ob und wenn ja in welchem Umfang gerade vor dem Hintergrund der Auswirkungen des Verhaltens des Vaters ein Kontaktrecht dem Kindeswohl entspricht. Dass das Vorgehen der Familiengerichtshilfe bei Durchführung des an sie gerichteten Auftrags gleichfalls unter zwingender Beachtung des Kindeswohls zu erfolgen hat, bedarf keiner weiteren Erörterung.

4. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof bereits zur Bestellung eines Besuchsmittlers nach § 106b AußStrG Stellung nahm und diese sowie die Bestellung eines Besuchsbegleiters oder eines Kinderbeistands als selbstständig anfechtbar qualifizierte. Der Grund dafür liegt aber darin, dass der Besuchsmittler nicht ausschließlich im Rahmen der Stoffsammlung für das Pflegschaftsgericht befasst und daher auch nicht so wie ein gerichtlicher Sachverständiger als Beweismittel zu qualifizieren ist, weil er in die freie Gestaltung des Kontaktrechts durch die Eltern eingreift (8 Ob 61/14z).

5. Dem Revisionsrekurs war daher der Erfolg zu versagen.

European Case Law Identifier

ECLI:AT:OGH0002:2015:0070OB00129.15V.1016.000