OGH vom 17.10.2012, 7Ob129/12i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch die Vizepräsidentin des Obersten Gerichtshofs Dr. Huber als Vorsitzende und die Hofrätinnen und Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Hoch, Dr. Kalivoda, Mag. Dr. Wurdinger und Mag. Malesich als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei M***** Gesellschaft mbH Nfg KG, *****, vertreten durch Mag. Wolfgang Herzer, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei F***** N*****, vertreten durch Dr. Johannes Hock sen. und Dr. Johannes Hock jun. Rechtsanwälte GmbH in Wien, wegen Feststellung und Übergabe eines Bestandobjekts, über den Rekurs der beklagten Partei gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 39 R 445/11x 17, womit das Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , GZ 5 C 285/11d 9, aufgehoben wurde, beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
Der Rekurs wegen Nichtigkeit wird verworfen.
Dem Rekurs wird im Übrigen Folge gegeben.
Der angefochtene Beschluss wird aufgehoben und in der Sache selbst zu Recht erkannt, dass das Urteil des Erstgerichts wiederhergestellt wird.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 4.553 EUR (darin enthalten 726,20 EUR an USt und 194 EUR an Barauslagen) bestimmten Kosten des Rechtsmittelverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Beklagte schloss mit der Klägerin am einen Mietvertrag auf unbestimmte Dauer über ein Geschäftslokal. Im Verfahren 5 C 62/10h des Bezirksgerichts Fünfhaus klagte der Beklagte sowohl die Klägerin als Mieterin als auch deren Komplementär und Geschäftsführer, M***** H*****, auf Zahlung des Mietzinsrückstands und Räumung des Geschäftslokals. Schluss der Verhandlung und Urteilsverkündung war am .
Am wurde über das Vermögen der Klägerin das Insolvenzverfahren eröffnet. Nach Aufnahme des unterbrochenen Verfahrens durch den Insolvenzverwalter der Klägerin blieb das (zweimal hinsichtlich des Zahlungsausspruchs ergänzte) Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom „“ (= Tag der Ausfertigung), mit dem die Klägerin unter anderem schuldig erkannt wurde, das Geschäftslokal geräumt an den Beklagten zu übergeben, vom Insolvenzverwalter unbekämpft und erwuchs der Klägerin gegenüber unstrittig in Rechtskraft.
Auf Grund des rechtskräftigen Räumungstitels beantragte der Beklagte am die Exekution durch zwangsweise Räumung des Geschäftslokals zu 5 E 28/11s des Bezirksgerichts Fünfhaus. Die zwangsweise Räumung wurde am vollzogen.
Die Klägerin begehrt die Feststellung, dass der mit Exekution zu 5 E 28/11s des Bezirksgerichts Fünfhaus betriebene Räumungsanspruch des Beklagten aus dem Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom , 5 C 62/10h, für die Zeit ab dem erloschen sei, hilfsweise die Feststellung, dass das zwischen den Parteien auf Grund des Mietvertrags vom bestehende Bestandverhältnis ununterbrochen aufrecht sei. Weiters begehrt sie, den Beklagten schuldig zu erkennen, ihr das Geschäftslokal zu übergeben. Die Exekutionsbewilligung sei der Klägerin nicht rechtswirksam zugestellt worden, sie habe auch keine Kenntnis vom Räumungstermin gehabt. Der Mietzinsrückstand, der zu dem dem Exekutionsverfahren zu Grunde liegenden Räumungstitel geführt habe, sei im Zuge des im zweiten Halbjahr 2010 durchgeführten Sanierungsverfahrens vor Ende der Zahlungsfrist, dem , mit der im Sanierungsplan festgelegten Barquote von 20 % vollständig beglichen worden. Hinsichtlich der darüber hinausgehenden Forderungen sei Restschuldbefreiung eingetreten. Das Bestandverhältnis gelte daher gemäß § 12c IO ex lege ungeachtet einer Auflösungserklärung als fortgesetzt und trete damit rückwirkend wieder in Kraft. Der Räumungsanspruch des Beklagten aus dem Urteil des Bezirksgerichts Fünfhaus vom sei daher für die Zeit ab dem erloschen und nicht durchsetzbar. Die Durchsetzung der Räumung gegen die Klägerin sei rechtswidrig gewesen. Der Anspruch auf Übergabe des Bestandobjekts werde auch auf die Mietrechte des Geschäftsführers gestützt, die der Klägerin abgetreten worden seien. Der Räumungsausspruch gegenüber dem Geschäftsführer der Klägerin sei nicht rechtskräftig.
Der Beklagte beantragt die Abweisung des Klagebegehrens, weil § 12c IO nicht anwendbar sei. Der Insolvenzverwalter habe keinen Aufschiebungsantrag gestellt. Die Klägerin wolle mit der Klage die titulierte Räumung rückgängig machen, was dem Grundsatz „ne bis in idem“ entgegenstehe. Dem Gericht sei eine Änderung von rechtskräftigen Entscheidungen im Räumungsverfahren und im Exekutionsverfahren verwehrt.
Das Erstgericht wies auf Grund des unstrittigen Sachverhalts das Klagebegehren ab. § 12c IO normiere einen Aufschiebungsgrund, der bis zum Vollzug der Räumung im Exekutionsverfahren von der verpflichteten Partei geltend gemacht werden könne. Das Bestandverhältnis gelte nur dann als fortgesetzt, wenn auf Grund der Befriedigung der Forderungen die Räumungsexekution eingestellt werde. Die Bestimmung sei auf den vorliegenden Fall, in dem die Räumungsexekution bereits vollzogen worden sei, nicht anzuwenden. Andernfalls würde man dem Bestandgeber die Möglichkeit nehmen, seine Mitwirkung und allenfalls notwendige Zustimmung im Sanierungsverfahren davon abhängig zu machen, ob nach Ausgang des Sanierungsverfahrens das Bestandverhältnis als fortgesetzt gelte. Ohne Einwilligung des Vermieters könne der Mieter seine Mietrechte im Wege der Einzelrechtsnachfolge durch Rechtsgeschäft an Dritte nicht übertragen. Eine derartige Zustimmung des Beklagten sei nicht behauptet worden.
Das Berufungsgericht gab der Berufung der Klägerin Folge, hob das angefochtene Urteil auf und trug dem Erstgericht eine neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung auf. § 12c IO sei anwendbar, weil über das Vermögen der Klägerin am , somit nach dem , das Insolvenzverfahren eröffnet worden sei (§ 273 Abs 1 IO). § 12c IO normiere keinen bloßen Aufschiebungsgrund. Der Zweck der Bestimmung bestehe darin, die Unternehmensfortführung zu erleichtern. Dabei dürfe es keinen Unterschied machen, ob ein Vermieter während des laufenden Insolvenzverfahrens oder erst nach Aufhebung des Konkurses infolge rechtskräftiger Bestätigung des Sanierungsplans die Räumungsexekution beantrage. Werde die Räumungsexekution erst nach Aufhebung des Insolvenzverfahrens infolge rechtskräftiger Bestätigung des Zahlungsplans beantragt und bewilligt, könne der Mieter mangels eines offenen Insolvenzverfahrens keinen Aufschiebungs und keinen Einstellungsantrag stellen. Das Erstgericht habe daher zum Vorbringen der Klägerin ein Beweisverfahren durchzuführen, nämlich ob das Unternehmen bis zum Vollzug der Räumung im Bestandobjekt betrieben worden sei, welchen Inhalt der Sanierungsplan habe und ob die Zahlung der Quote rechtzeitig erfolgt sei. Sollten die Voraussetzungen des § 12c IO verwirklicht sein, sei ohne dass es eines entsprechenden Antrags auf Aufschiebung oder Einstellung der Räumungsexekution bedürfe davon auszugehen, dass das Bestandverhältnis gemäß § 12c letzter Satz IO als fortgesetzt gelte.
Das Berufungsgericht sprach aus, dass der Rekurs an den Obersten Gerichtshof zulässig sei, weil Judikatur zu § 12c IO fehle.
Dagegen richtet sich der Rekurs des Beklagten mit dem Antrag, dass die Entscheidungen der Vorinstanzen aufgehoben und die Klage wegen Nichtigkeit zurückgewiesen werde, hilfsweise wird ein Abänderungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragt, den Rekurs zurückzuweisen, hilfsweise ihm nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der Rekurs des Beklagten wegen Nichtigkeit ist nicht berechtigt. Eine Verletzung der Einmaligkeitswirkung liegt nicht vor. Die Klage zielt darauf ab, aus § 12c IO unter Aufrechterhaltung des rechtskräftigen Räumungsurteils Rechtsfolgen und Ansprüche abzuleiten.
Der Rekurs ist im Übrigen zulässig, er ist auch im Sinn des Abänderungsantrags berechtigt.
Gemäß § 12c IO ist auf Antrag des Insolvenzverwalters eine Exekution zur Räumung eines Bestandobjekts, in dem das Unternehmen betrieben wird, wegen Nichtzahlung des Bestandzinses in der Zeit vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens aufzuschieben, und zwar bis (Z 1) das Unternehmen geschlossen wird, (Z 2) der Schuldner den Sanierungsplan zurückzieht oder das Gericht den Antrag zurückweist, (Z 3) der Sanierungsplan in der Sanierungsplantagsatzung abgelehnt und die Tagsatzung nicht erstreckt wurde, (Z 4) dem Sanierungsplan die Bestätigung versagt wurde oder (Z 5) die Forderung des Bestandgebers nach § 156a EO wieder auflebt. Wird die Forderung mit dem im Sanierungsplan festgesetzten Betrag rechtzeitig voll befriedigt, so ist die Räumungsexekution auf Antrag einzustellen. Das Bestandverhältnis gilt als fortgesetzt.
Der Gesetzgeber hat damit § 12a AO in die IO übernommen, weil ein solcher Schutz auch für den Erfolg eines Sanierungsplans erforderlich sei (ErläutRV zum IRÄG 2010, 612 BlgNR XXIV. GP 11; Mohr , Sanierungsplan und Sanierungsverfahren nach dem IRÄG 2010 Rz 738) und auch im Text der Bestimmung zum Ausdruck gebracht, dass ein Aufschiebungsgrund angeordnet ist. Damit sind Lehre und Rechtsprechung zu § 12a AO weiter beachtlich ( Konecny/Nunner-Krautgasser , ZIK Spezial IRÄG 2010, 48).
Nach den Überlegungen des Gesetzesgebers zu § 12a AO (RV 734 BlgNR XX. GP 53) werde damit vorgesehen, dass wegen eines vor Ausgleichseröffnung aufgelaufenen Rückstands das Bestandverhältnis zwar aufgelöst werden könne, die Räumungsexekution jedoch nicht mehr vollzogen werden dürfe. Die Räumungsexekution sei zwar zu bewilligen, auf Antrag des Schuldners aber nicht zu vollziehen. Wenn der Ausgleich erfolgreich abgeschlossen werde, komme es zur endgültigen Einstellung der Räumungsexekution. Der der Räumungsexekution zu Grunde liegende Exekutionstitel bleibe zwar nach wie vor bestehen, doch sei er nicht mehr durchsetzbar. Das Bestandverhältnis gelte als fortgesetzt.
Der erklärte Zweck des § 12a AO war die Förderung der Unternehmenssanierung durch Verhinderung der Räumungsexekution bei Chancen auf einen erfolgreichen Ausgleich. Es wurde ein in § 42 EO nicht genannter Aufschiebungsgrund eigener Art normiert, über den das Exekutionsgericht zu entscheiden hat. Die Aufschiebung hat zwingend bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zu erfolgen (3 Ob 92/03f, 3 Ob 32/06m). Die Bestimmung ordnet unter gewissen Voraussetzungen die Fortsetzung eines bereits beendeten Bestandverhältnisses an und normiert damit einen nachträglichen Wegfall der Vertragsbeendigung. Hiebei handelt es sich um eine materiell rechtliche Bestimmung, die über eine Verzögerung des Exekutionsverfahrens für eine gewisse Zeit (regelmäßig bis zur Klärung behaupteter Einstellungsvoraussetzungen) hinausgeht, welche sonst unter einer Aufschiebung der Exekution verstanden wird (RIS Justiz RS0118552). Der Oberste Gerichtshof hegte zu § 12a AO keine Bedenken gegen die Verfassungsmäßigkeit (3 Ob 92/03f), sprach sich aber gegen eine Analogie auch für das Zwangsausgleichsverfahren aus (3 Ob 32/06m).
Als Exekutionsschutzregelung entfaltet auch § 12c IO seine volle Wirkung erst, wenn der Bestandgeber versucht, im Weg der Räumungsexekution das Objekt in seinen Besitz zu bringen. Es ist aber egal, wann die Exekution stattfindet ( Konecny/Nunner-Krautgasser aaO 50). Stellt der Bestandgeber einen Exekutionsantrag auf Grund eines Titels, der vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschaffen wurde, so ist dies ein Oppositionsgrund ( Oberhammer , Aufschiebung der Räumungsexekution und Fortsetzung beendigter Bestandverhältnisse im gerichtlichen Ausgleich Zum neuen § 12a AO in ZIK 1998, 5).
Im vorliegenden Fall wurde der Exekutionstitel schon vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens geschaffen und die Exekution erst nach Beendigung des Insolvenzverfahrens beantragt und vollzogen. Unstrittig setzte die Klägerin während des Exekutionsverfahrens keine Maßnahmen, sich dagegen mit der Behauptung, dass sie die Barquote rechtzeitig bezahlt habe, die Mietzinsforderung des Beklagten erloschen sei, die Exekutionsführung im Hinblick auf § 12c IO unzulässig sei und der Bestandvertrag fortgesetzt werden solle zu wehren.
Sowohl nach § 12a AO als auch nach § 12c IO kommt es nicht zu einer automatischen Fortsetzung des Bestandverhältnisses bei rechtzeitiger Zahlung der Barquote laut Zahlungsplan, es ist vielmehr ein Aufschiebungsantrag des Bestandnehmers (Insolvenzverwalters) im Exekutionsverfahren und die Einstellung des Exekutionsverfahrens erforderlich. Erst dann gilt das Bestandverhältnis als fortgesetzt. Der Bestandnehmer (Insolvenzverwalter) gibt mit den Anträgen im Exekutionsverfahren zu erkennen, dass er die Fortsetzung des Bestandverhältnisses anstrebt. Gegen oder ohne seinen dahin erklärten Willen kann es dazu nicht kommen. Weiters sichert nur eine Antragstellung im Exekutionsverfahren die Verwirklichung des angestrebten Zwecks der Bestimmung, nämlich eine Unternehmenssanierung durch Verhinderung der Räumungsexekution . Dieser Zweck kann nach Beendigung der Exekution nicht mehr erreicht werden.
Die Räumung wurde am vollzogen. Ist das zu räumende Bestandobjekt wie hier nach Entfernung der vom Verpflichteten eingebrachten Fahrnisse dem betreibenden Gläubiger übergeben worden, so ist die Räumungsexekution beendet (RIS Justiz RS0002120). § 12c IO stellt wie dargestellt einen nicht in der EO geregelten Exekutionsaufschiebungsgrund dar. Nach Beendigung der Exekution kann aber eine Aufschiebung der Exekution nicht mehr in Betracht kommen (RIS Justiz RS0004448), die Exekution kann auch nicht mehr eingestellt werden (RIS Justiz RS0001029).
Es kann dahingestellt bleiben, ob die auf § 12c IO gestützte Klage auf Feststellung, dass der Räumungsanspruch aus dem Räumungsurteil für die Zeit ab dem erloschen sei, eine exekutionsrechtliche Klage oder eine (allgemeine) Feststellungsklage ist. Es kommt ihr jedenfalls keine Berechtigung zu, weil das Exekutionsverfahren bereits abgeschlossen ist, ohne dass es zu einer Einstellung aus den in § 12c IO genannten Gründen gekommen ist. Damit gilt das Bestandverhältnis nicht Kraft Gesetzes als fortgesetzt.
Ob der Klägerin die Bewilligung der Räumungsexekution wirksam zugestellt wurde oder nicht, ist nicht hier, sondern im Exekutionsverfahren zu klären.
Die Klägerin kann sich auch nicht auf eine Zession allfälliger, in diesem Verfahren erstmals behaupteter, (eigener) Bestandrechte ihres Komplementärs und Geschäftsführers berufen. Wie bereits das Erstgericht zutreffend ausführte, ist eine Zession von Mietrechten ohne Zustimmung des Bestandgebers im Verhältnis zu ihm wirkungslos (RIS Justiz RS0020499, RS0032705). Dass der Beklagte eine derartige Zustimmung erteilt hätte, behauptet die Klägerin nicht.