OGH vom 15.01.1992, 1Ob627/91
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr. Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr. Hofmann, Dr. Schlosser, Dr. Graf und Dr. Schiemer als Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Benedikt M*****, vertreten durch Dr. Clement Achammer, Rechtsanwalt in Feldkirch, wider die beklagte Partei Ida B*****, vertreten durch Dr. Anna Jahn, Rechtsanwältin in Feldkirch, wegen S 497.217,25 s.A. infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichtes Innsbruck als Berufungsgerichtes vom , GZ 3 R 166/91-11, womit infolge Berufung der beklagten Partei das Urteil des Landesgerichtes Feldkirch vom , GZ 4 Cg 100/91-5, abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:
Spruch
Der Revision wird Folge gegeben.
Das Urteil des Berufungsgerichtes wird dahin abgeändert, daß das erstinstanzliche Zwischenurteil wiederhergestellt wird. Die Entscheidung über die Kosten des Rechtsmittelverfahrens bleibt dem Endurteil vorbehalten.
Text
Entscheidungsgründe:
Der Kläger ist Witwer nach der am ohne Hinterlassung von Nachkommen verstorbenen Erblasserin, die Beklagte ist deren Schwester. Mit Testament vom hatte die Erblasserin den Kläger als Alleinerben eingesetzt und der Beklagten eine Liegenschaft mit Wohnhaus sowie Fünftelanteile an weiteren Liegenschaften vermacht.
Der Kläger gab aufgrund des Testamentes die unbedingte Erbserklärung zum gesamten Nachlaß ab, erklärte jedoch in der Folge, daß er sich die Geltendmachung der Ergänzung seines Pflichtteiles vorbehalte, weil dieser möglicherweise verletzt sein könnte. Mit Einantwortungsurkunde des Bezirksgerichtes Feldkirch vom wurde der Nachlaß dem Kläger unter Hinweis auf das Vermächtnis zur Gänze eingeantwortet; mit Beschluß vom wurde die Verbücherung der Abhandlungsergebnisse bewilligt.
Der Kläger begehrte die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung von S 497.217,25 s.A. Als Ehemann der Erblasserin habe er Pflichtteilsansprüche in Höhe eines Drittels des reinen Nachlasses. Der reine Nachlaßwert betrage mindestens S 6,657.927,98, sein Pflichtteil somit S 2,219.309,33. Nach Abzug des Vermächtnisses (im Gegenwert von S 4,935.835,80) verbleibe dem Kläger vom reinen Nachlaß bloß ein Wert von S 1,722.092,18, dessen Differenz zum Pflichtteilsanspruch die Klagsforderung bilde.
Die Beklagte bestritt ihre Passivlegitimation, weil die Pflichtteilsklage nach Einantwortung nur gegen die Erben gerichtet werden könne, und wendete des weiteren ein, die Beitragspflicht des Vermächtnisnehmers bestehe nur, wenn der Pflichtteilsanspruch auf das Gesetz gestützt werde, nicht aber auch, wenn er dem Noterben als Erbteil hinterlassen worden sei. Da der Kläger die unbedingte Erbserklärung aufgrund des Testamentes abgegeben habe, sei eine hilfsweise auf das Gesetz gegründete Erbserklärung nur dann zulässig, wenn die Gültigkeit des Testamentes bestritten werde. Im übrigen sei die Liegenschaftsbewertung in der Klage grob unrichtig. Außerdem müßte sich der Kläger einen Vorausempfang anrechnen lassen.
Das Erstgericht sprach mit Zwischenurteil aus, daß die Klagsforderung dem Grunde nach zu Recht bestehe. Es meinte in rechtlicher Hinsicht, dem Kläger stehe als erbl. Witwer ein Pflichtteil in Höhe eines Drittels des Nachlaßwertes zu. Er habe die unbedingte Erbserklärung abgegeben, sodaß er auch der Vermächtnisnehmerin für die Ausfolgung des Vermächtnisses hafte, selbst wenn die Verlassenschaft nicht hinreiche. § 783 ABGB regle die materielle Beitragspflicht, weshalb dem Erben das Recht zur Kürzung der Vermächtnisse auch bei unbedingter Erbserklärung zustehe; es wäre unverständlich, dem Erben die anteilige Entlastung durch die Legatare zu nehmen, bloß weil er die Erbschaft unbedingt angetreten habe, beruhe doch die Beitragspflicht auf dem vermutlichen Willen des Erblassers. Die Vermächtniskürzung gemäß § 783 ABGB sei daher auch bei unbedingter Erbserklärung zulässig.
Die Pflichtteilsklage sei nach Einantwortung gegen die leistungspflichtigen Erben und Vermächtnisnehmer zu richten. Der Kläger sei als Alleinerbe möglicherweise durch das Vermächtnis in seinem Pflichtteil beeinträchtigt.
Das Gericht zweiter Instanz wies das Klagebegehren ab und sprach aus, daß die ordentliche Revision zulässig sei. Es führte aus, der Pflichtteilsberechtigte müsse seine Ansprüche stets gegen den Nachlaß und nach der Einantwortung gegen die Erben richten; ein direktes Klagerecht den Vermächtnisnehmern gegenüber habe er nicht. Es sei Sache des Erben, die Kürzung der Legate nach § 783 ABGB dadurch vorzunehmen, daß er entweder den Vermächtnisnehmern weniger auszahle oder zuviel Geleistetes von diesen zurückfordere. Der Streit zwischen dem Erben und den Vermächtnisnehmern über das Erfordernis der Kürzung sei im Rechtsweg auszutragen. Da der Kläger nicht nur Pflichtteilsberechtigter, sondern auch Erbe sei, dürfe er die Kürzung der Legate im Sinne des § 783 ABGB selbst vornehmen. Der Beklagten seien die vermachten Liegenschaftsanteile bereits ins Eigentum übertragen worden, sodaß der Kläger an sich berechtigt sei, den auf sie entfallenden Beitrag zur Pflichtteilsergänzung von ihr einzufordern. Die Passivlegitimation der Beklagten sei somit zu bejahen.
Die Bestimmung des § 783 ABGB sei so zu verstehen, daß die Erben und Vermächtnisnehmer im Verhältnis der Wertbeteiligung am Nachlaß mit der Entrichtung des Pflichtteiles belastet seien, welche Erbfolge nun immer vorliege, sodaß gegebenenfalls auch die gesetzlichen Erben zur Erfüllung der Pflichtteilsforderung beizutragen hätten. Zwischen den Streitteilen sei auch strittig, ob der Wert des dem Kläger letztlich zukommenden Erbes den ihm gebührenden Pflichtteil erreiche und die Beklagte daher überhaupt zu einem Beitrag verpflichtet sei. Das hindere gemäß § 393 Abs. 1 letzter Satz ZPO die Erlassung eines Zwischenurteiles nicht. Die unbedingte Erbserklärung begründe nach § 801 ABGB die unbeschränkte Haftung des Klägers auch für die Erbfallschulden, zu welchen auch die Verbindlichkeiten an die Vermächtnisnehmer und die Pflichtteilsberechtigten zählten. Die betraglich unbeschränkte Haftung schließe aber eine Reduktion der Vermächtnisse nicht nur nach § 692, sondern auch nach § 783 ABGB aus. Der Kläger habe das Vermächtnis an die Beklagte daher ungeschmälert zu entrichten, auch wenn dessen Wert den des reinen Nachlaßvermögens übersteigen sollte. Entsprechend diesem Grundsatz lasse die Rechtsprechung entgegen einem Teil der Lehre den unbedingt erbserklärten Erben auch über die Höhe des Nachlasses hinaus für den Schenkungspflichtteil bzw. die Pflichtteilserhöhung haften. Nichts anderes könne im vorliegenden Fall gelten, habe doch der Kläger die Erbschaft sogar in Kenntnis des Vermächtnisses unbedingt angetreten. Damit sei er zur Entrichtung des vollen Legats verpflichtet; der Pflichtteilsergänzungsanspruch und das Kürzungsrecht des Klägers nach § 783 ABGB seien aufgrund der Vereinigung im Sinne des § 1445 ABGB erloschen. Nur eine solche Auslegung werde dem vermutlichen Willen der Erblasserin gerecht; es sei gewiß nicht deren Absicht gewesen, dem Kläger als Alleinerben bestimmte Liegenschaften zuzuwenden, wenn dieser ohnehin berechtigt sein sollte, von der Beklagten als Vermächtnisnehmerin die Ergänzung seines Pflichtteils zu fordern.
Rechtliche Beurteilung
Die Revision des Klägers ist berechtigt.
Nach § 783 ABGB haben sowohl die Erben als auch die Vermächtnisnehmer zur vollständigen Entrichtung des Pflichtteiles beizutragen, wenn dem Noterben der ihm gebührende Pflichtteil nicht oder nicht vollständig ausgemessen wurde. Nach herrschender Ansicht (SZ 63/39; SZ 11/71; Welser in Rummel, ABGB2 § 783 Rz 3; Eccher in Schwimann, ABGB § 783 Rz 1; Zemen, Zur Kürzung der Vermächtnisse nach § 783 ABGB, in ÖJZ 1985, 68 f mwN) regelt § 783 ABGB die materielle Beitragspflicht des Legatars und ist daher nicht als bloße Verweisung auf die Bestimmungen der §§ 692 ff ABGB aufzufassen (aA Kralik in Ehrenzweig3, Erbrecht, 315 f). Daher sind neben den Erben auch die Legatare mit der Verpflichtung zur Entrichtung des Pflichtteils im Verhältnis ihrer Beteiligung am Nachlaß belastet, ohne daß es dabei auf die Art der Erbfolge ankäme (Zemen aaO).
Ist der Erbe zugleich pflichtteilsberechtigt, so ist sein Erbteil, wenn er den Wert des Pflichtteils nicht erreicht, aus dem Wert der Vermächtnisse (bzw. der übrigen Erbteile) auf den Betrag seines Pflichtteils zu ergänzen. Ist die Kürzung der Vermächtnisse aus diesem Grund notwendig, so sind die Erben zur Vornahme der Legatsreduktion berufen. Sie haben demgemäß den Vermächtnisnehmern entsprechend gekürzte Legate auszufolgen oder, wenn diese - wie hier - bereits ungekürzt ausgefolgt wurden, zuviel Geleistetes zurückzufordern (vgl. § 693 ABGB). Der Pflichtteilsberechtigte hat seine Forderung zwar an den Nachlaß und nach der Einantwortung an den (die) Erben zu richten, und kann in der Regel nicht unmittelbar gegen die Vermächtnisnehmer vorgehen, ist aber der verkürzte Noterbe - wie im vorliegenden Fall - zugleich auch Erbe, so kann er, wie das Gericht zweiter Instanz zutreffend erkannte, den Vermächtnisnehmer unmittelbar in Anspruch nehmen; über die Zulässigkeit bzw. das Ausmaß der Legatsreduktion ist im Rechtsweg abzusprechen (SZ 63/39 ua; Welser aaO Rz 11). Die Passivlegitimation der Beklagten haben die Vorinstanzen somit zutreffend bejaht.
Das Gericht zweiter Instanz hat dem Kläger in Kenntnis der Entscheidung SZ 63/39, mit der der Oberste Gerichtshof dem in seiner Pflichtteilsforderung verkürzten Miterben das Recht zur Legatsreduktion zugebilligt hatte, dieses Recht abgesprochen, weil es infolge Vereinigung im Sinne des § 1445 ABGB erloschen sei. Das Berufungsgericht will dabei zwischen bedingter und unbedingter Erbserklärung differenzieren: Das Recht zur Vermächtniskürzung stehe dem Erben nur bei bedingter Erbserklärung zu, der unbedingt erbserklärte Erbe hafte indessen gemäß § 801 ABGB unter anderem allen Legataren für ihre Vermächtnisse, auch wenn die Verlassenschaft nicht hinreicht. Tatsächlich hatte der pflichtteilsberechtigte Erbe, wie dem der Entscheidung SZ 63/39 zugrunde liegenden Sachverhalt entnommen werden kann, dort die bedingte Erbserklärung abgegeben; aus der Entscheidung ist jedoch nicht erkennbar, daß der Oberste Gerichtshof eine solche Differenzierung vor Augen hatte.
Der erkennende Senat pflichtet Zemen (aaO 68) bei, daß das österreichische Erbrecht zwei verschiedene, voneinander unabhängige Formen der Legatsreduktion kennt: Einmal das Recht des Erben nach § 692 ABGB, wenn die Vermächtnisse den Reinnachlaß übersteigen, und zum anderen gemäß § 783 ABGB, wenn dem Noterben der gebührende Pflichtteil nicht oder nicht vollständig ausgemessen wurde. Während aber das Recht zur Kürzung der Vermächtnisse nach ersterer Bestimmung zufolge § 802 ABGB nur dem bedingt erbserklärten Erben zusteht, regelt § 783 ABGB nicht die Haftung des Erben nach außen (so auch Welser aaO Rz 3 und Kralik aaO 315 f), sondern - wie schon erwähnt - nur die materielle Beitragspflicht der Vermächtnisnehmer, also die Frage, wann und in welchem Ausmaß die Legatare die Erben bei der Pflichtteilsdeckung zu entlasten haben. Hat der Erblasser in seinem letzten Willen nicht selbst für die (vollständige) Deckung der Pflichtteile vorgesorgt, so vermutet das Gesetz, daß die anteilige Belastung aller Erben und Legatare dessen Willen am ehesten gerecht wird (so auch Welser aaO Rz 2). Schon deshalb sind die Erben von den Vermächtnisnehmern unabhängig davon, ob der Erbe nun die bedingte oder die unbedingte Erbserklärung abgegeben hat, anteilig zu entlasten. § 783 ABGB bestimmt den Inhalt bzw. das Ausmaß der Legatsverbindlichkeit nach vollzogener Vermächtniskürzung, wogegen die §§ 801 und 802 ABGB sodann die nach Art der abgegebenen Erbserklärung unterschiedliche Haftung des Erben für die im Wege der Legatsreduktion geminderten Vermächtnisforderungen vorsehen. Soweit § 801 ABGB die Haftung des Erben für "ihre Vermächtnisse" zum Gegenstand hat, ist damit die Haftung für die bereits gemäß § 783 ABGB gekürzten Legate gemeint: Nur deren Entrichtung schuldet der Erbe dem Vermächtnisnehmer. Entgegen der Ansicht des Berufungsgerichtes darf die Rechtsstellung des Pflichtteilsberechtigten auch nicht geschmälert werden, wenn er zugleich - unbedingt
erbserklärter - (Allein-)Erbe ist, weil die vom Erben nach § 783 ABGB vorgenommene Vermächtnisreduktion schon das Ausmaß der Legatsschuld verringert und nicht - wie die Haftungsnormen der §§ 801 und 802 ABGB - den Umfang der Erbenhaftung zum Inhalt hat.
Dem Argument des Berufungsgerichtes, der Kläger sei schon deshalb nicht schützenswert, weil er die unbedingte Erbserklärung in Kenntnis der Legatsverbindlichkeit abgegeben habe, ist entgegenzuhalten, daß der Kläger die Erbserklärung nicht nur - wie übrigens jeder Testamentserbe - in Kenntnis des Vermächtnisses abgab, sondern bei der Abschätzung der Folgen einer - kostensparenden - unbedingten Erbserklärung auch die Legatsreduktion in Anschlag bringen durfte. Die vom Gericht zweiter Instanz ferner angestellte Vermutung, es hätte dem Willen der Erblasserin gewiß nicht entsprochen, daß der Kläger bestimmte Liegenschaften - ohne die Erbschaft mit Vorbehalt des Pflichtteils auszuschlagen (§ 808 ABGB) - als Alleinerbe erhält und zugleich von der Legatarin die Pflichtteilsergänzung verlangt, ist durch nichts belegt; es wäre auch nicht einzusehen, daß der Pflichtteilsberechtigte, der zugleich Erbe ist, schlechter gestellt sein sollte als jener Noterbe, der nach dem letzten Willen weder als Erbe eingesetzt noch anderweitig bedacht wurde.
Da der Kläger somit in Wahrnehmung seines Rechtes zur Legatsreduktion gemäß § 783 ABGB von der Beklagten jenen Teil des bereits ausgefolgten Vermächtnisses zurückfordern kann, der zur anteiligen Deckung seines Pflichtteils erforderlich ist, ist das erstgerichtliche Zwischenurteil in Stattgebung der Revision wiederherzustellen; ein solches Zwischenurteil ist nach § 391 Abs. 1 ZPO (idF der Erweiterten Wertgrenzen-Novelle 1989) auch zulässig, wenn - wie hier - noch strittig ist, ob der Anspruch überhaupt mit irgendeinem Betrag zu Recht besteht.
Der Kostenvorbehalt beruht auf § 393 Abs. 4 iVm § 52 Abs. 2 ZPO (SZ 23/243).