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OGH 12.08.2020, 4Ob117/20i

OGH 12.08.2020, 4Ob117/20i

Entscheidungstext

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.-Prof. Dr. Brenn, Hon.-Prof. PD Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei F***** GmbH & Co KG, *****, vertreten durch Dr. Johannes Öhlböck, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei P***** Gesellschaft mbH, *****, vertreten durch Hausmaninger Kletter Rechtsanwälte Gesellschaft mbH in Wien, wegen 39.095,81 EUR sA, über die Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 13/20y-18, mit dem das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 35 Cg 89/18d-12, bestätigt wurde, den

Beschluss

gefasst:

Spruch

Das Revisionsverfahren wird gemäß § 190 Abs 1 ZPO bis zur rechtskräftigen Entscheidung im Verfahren zu AZ ***** des Oberlandesgerichts Wien als Kartellgericht unterbrochen.

Das Revisionsverfahren wird nur über Antrag fortgesetzt.

Text

Begründung:

Die Klägerin ist auf den Verkauf, die Instandsetzung und Wartung von Kraftfahrzeugen spezialisiert. Die Beklagte ist die österreichische Generalimporteurin für Neufahrzeuge und Original-Ersatzteile der Marke P***** sowie österreichische Lizenznehmerin für diese Marke.

Die Klägerin schloss mit der Beklagten einen Händlervertrag für Neufahrzeuge, der in Art 3 eine detaillierte Regelung über das zu erreichende Verkaufsziel enthält, von dem die Prämienregelung abhängt. Bei fehlendem Einverständnis zwischen den Vertragsparteien über das Verkaufsziel kann die Einholung eines Sachverständigengutachtens verlangt werden, in dem das zu erreichende Verkaufsziel unter Berücksichtigung bestimmter Parameter (vor allem bisherige Verkäufe des Vertragshändlers und Marktanteile von P***** im vergangenen Kalenderjahr) im Rahmen eines kontradiktorischen Verfahrens festgelegt wird. Art 5 Abs 2 des Händlervertrags enthält einen Änderungsvorbehalt für die Beklagte, wonach sie (als Importeur) die Vertragshändlerpreislisten sowie jedes vom Importeur etablierte allfällige Prämiensystem auch ohne Vorankündigung ändern kann.

Mit der am eingebrachten Klage begehrte die Klägerin die Zahlung von 39.095,81 EUR sA. Bis zum Jahr 2010 habe die Beklagte eine fixe Marge in Höhe von 5,5 % vom Nettolistenpreis der im jeweiligen Monat ausgelieferten Fahrzeuge als Prämie ausgezahlt. Im Jahr 2010 habe sie sodann einseitig die Auszahlung von einer fixen Marge ohne Verkaufszielbindung auf die Auszahlung einer variablen, an die Erreichung von Jahreszielen gebundenen Marge umgestellt. Im Jahr 2016 habe sie Quartalsziele und im Jahr 2017 Monatsverkaufsziele eingeführt. Insbesondere die für das Jahr 2017 vorgegebenen Verkaufsziele seien vollkommen unrealistisch gewesen. Die Möglichkeit zur einseitigen Änderung der Verkaufsziele sei ein unzulässiger Änderungsvorbehalt des Importeurs. Durch die einseitige Prämienumstellung von einer fixen auf eine variable Marge mit Verkaufszielbindung im Jahr 2010 sowie durch die Vorgabe unerreichbarer Verkaufsziele in den Jahren 2016 und 2017 verstoße die Beklagte gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot gemäß Art 102 AEUV und § 5 KartG. Die Beklagte missbrauche ihre marktbeherrschende Stellung.

Die Beklagte entgegnete, dass der Händlervertrag samt Änderungsvorbehalt mit dem Händlerverband abgestimmt worden sei. Die Prämiengewährung erfolge nach sachlichen Kriterien diskriminierungsfrei für alle Vertragshändler. Es liege weder eine marktbeherrschende Stellung noch ein Missbrauch derselben vor.

Das Erstgericht wies das Klagebegehren – ohne Durchführung eines Beweisverfahrens – ab. Ausgehend vom Vorbringen der Parteien sei das Klagebegehren unschlüssig und zudem verjährt.

Das Berufungsgericht bestätigte diese Entscheidung. Entgegen der Ansicht des Erstgerichts seien Schadenersatzansprüche aufgrund der Einführung eines allenfalls kartellrechtswidrigen Prämiensystems im Jahr 2010 und dessen Adaptierungen in den Jahren 2016 und 2017 nicht verjährt. Die – auf der Grundlage des Änderungsvorbehalts in Art 5 Abs 2 des Händlervertrags – vorgenommene Koppelung der Auszahlung der Prämie an die Einhaltung von Qualitätsstandards und bestimmter gestaffelter Verkaufsziele sei aber nicht per se marktmissbräuchlich. Dies wäre nur dann der Fall, wenn es an einem objektiven, transparenten und nachvollziehbaren System mangle und die Vorgaben wirtschaftlich unrealistisch hoch angesetzt würden. Davon könne aber nicht ausgegangen werden. Sollten die Prämienumstellungen in den Jahren 2016 und 2017 einen nichtigkeitssanktionierten und daher zu Schadenersatzansprüchen führenden Kartellrechtsverstoß begründen, so wäre der daraus resultierende Schaden nur auf Basis des im Jahr 2010 eingeführten Prämiensystems zu berechnen. Die ordentliche Revision sei zulässig, weil die Beurteilung der kartellrechtlichen Grenzen der Zulässigkeit auf einer Änderungsklausel basierender Änderungen des Prämiensystems noch nicht Gegenstand der höchstgerichtlichen Rechtsprechung gewesen sei.

Gegen diese Entscheidung richtet sich die Revision der Klägerin, die auf eine Stattgebung des Klagebegehrens abzielt.

Mit ihrer Revisionsbeantwortung beantragt die Beklagte, das Rechtsmittel der Gegenseite zurückzuweisen, in eventu, diesem den Erfolg zu versagen.

Rechtliche Beurteilung

In der Revision wiederholt die Klägerin ihren Standpunkt, wonach die Beklagte aufgrund der weitreichenden, missbräuchlichen und daher unzulässigen Änderungsklausel im Händlervertrag die Möglichkeit habe, das Prämiensystem, das der Kalkulation des Vertragshändlers zugrunde liege, einseitig und uneingeschränkt zu ändern. Dies mache die Beklagte unsachlich zu ihrem Vorteil, indem sie unrealistische und nicht erreichbare Verkaufsziele vorgebe. Auf diese Weise missbrauche die Beklagte ihre Marktmacht, was zu einem Schadenersatzanspruch der Klägerin führe. Aufgrund der Nichtigkeit des Änderungsvorbehalts hätte die Beklagte den Händlervertrag und das Prämiensystem nicht einseitig ändern können, weshalb sie nach wie vor verpflichtet sei, der Klägerin seit 2010 die Prämien auf Basis der fixen Marge von 5,5 % vom Nettolistenpreis zu gewähren.

In der Revision weist die Klägerin zudem darauf hin, dass das der Beklagten hier vorgeworfene marktmissbräuchliche Verhalten in einem von einer anderen Händlerin als Antragstellerin eines beim Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht zu AZ ***** eingeleiteten Verfahrens geprüft und der hier Beklagten untersagt worden sei. Diese Entscheidung sei noch nicht rechtskräftig, weil die Beklagte als dortige Antragsgegnerin Rekurs an den Obersten Gerichtshof erhoben habe.

Im erwähnten Verfahren hat das Oberlandesgericht Wien als Kartellgericht mit Beschluss vom der hier Beklagten als Antragsgegnerin unter anderem aufgetragen, den Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung abzustellen, und zwar

I.1.A.d) im Neuwagenvertrieb durch Spannenreduktionen durch bewusst überhöhte Verkaufsziele.

Dazu hält das Kartellgericht fest, dass der Erhalt der Leistungsprämie des Vertragshändlers an die Berechnung der Verkaufsziele durch die Antragsgegnerin gebunden sei. Zudem wird festgestellt, dass die hier Beklagte grundsätzlich dazu tendiere, den Pkw-Markt überambitioniert und deutlich zu hoch einzuschätzen, woraus sich zu hohe Jahres- und Monatsziele für die Händler ergeben. Auch wenn die Monatsziele im Rahmen der Aufrollung nachträglich teilweise herabgesetzt würden, sei für die Händler – schon im Hinblick auf die damit verbundene schwierige Planbarkeit der Erreichung der Monatsziele – eine massive Drucksituation gegeben. In rechtlicher Hinsicht gelangt das Kartellgericht dazu zum Ergebnis, dass die Koppelung der Erreichung der Monats- und Jahresziele mit dem Erhalt der Leistungsprämie und das komplexe Berechnungssystem für die Leistungsprämie für die Händler zu einer mangelnden Kalkulierbarkeit marktkonformer Angebote führe, wobei das Risiko der Rentabilität nur der Händler trage. Die notorisch überzogenen Verkaufserwartungen der hier Beklagten in einem schwierigen Marktumfeld würden die wesentlichen Risiken der schwer planbaren Kalkulation dem Händler überbinden. Dies spreche dafür, dass die Verkaufsziele zu hoch seien. Dazu komme, dass für die Erreichung der Verkaufsziele das Datum der Auslieferung und nicht jenes des Verkaufs relevant sei und Lieferverzögerungen zu Lasten des Händlers gingen. Das sehr aufwendige und komplexe Berechnungssystem mache die Kalkulation für den Händler somit schwierig. In einer Gesamtschau des Verhaltens der hier Beklagten sei die Ausbeutung machtbedingter Verhaltensspielräume zu bejahen.

Für das vorliegende Verfahren ergibt sich daraus Folgendes:

1. Die Klägerin wirft der Beklagten vor, aufgrund des missbräuchlichen und daher unzulässigen Änderungsvorbehalts in Art 5 Abs 2 des Händlervertrags die für die Prämienzahlung vorgegebenen Jahresziele/Monatsziele durch Missbrauch ihrer marktbeherrschenden Stellung einseitig überhöht festzulegen und dadurch die Prämien willkürlich zu reduzieren. Rechtlich erblickt die Klägerin darin einen Verstoß gegen das kartellrechtliche Missbrauchsverbot gemäß Art 102 AEUV und § 5 KartG. Dieses der Beklagten vorgeworfene marktmissbräuchliche Verhalten, aus dem die Klägerin die im vorliegenden Verfahren geltend gemachten Schadenersatzansprüche ableitet, ist Gegenstand der Prüfung im kartellgerichtlichen Verfahren.

2. Nach § 190 Abs 1 ZPO kann ein Rechtsstreit wegen eines anderen anhängigen Zivilprozesses oder Verwaltungsverfahrens unterbrochen werden, wenn im anderen Verfahren über eine Frage zu entscheiden ist, von deren Beurteilung die Entscheidung in der Hauptfrage ganz oder teilweise abhängt. Das Gericht hat dabei unter sorgfältiger Berücksichtigung aller Umstände nach freiem Ermessen vor allem unter dem Gesichtspunkt der Zweckmäßigkeit zu beurteilen, ob die – auch noch im Revisionsverfahren zulässige – Unterbrechung des Rechtsstreits nach Lage des Falls gerechtfertigt ist (vgl 4 Ob 210/18p).

Da im kartellgerichtlichen (Sonder-)Verfahren die auch hier maßgebende kartellrechtliche Fragestellung zu klären ist, sind die Voraussetzungen für die Unterbrechung des Revisionsverfahrens gegeben; die Unterbrechung erweist sich auch als zweckmäßig. Dabei ist zu beachten, dass nach der Sonderregel des § 34 Abs 2 KartG aufgrund eines kartellgerichtlichen Beschlusses, mit dem eine Zuwiderhandlung gegen ein Verbot nach den §§ 5 oder 6 KartG abgestellt wird, nicht nur der Antragsteller des kartellgerichtlichen Verfahrens zur Exekutionsführung berechtigt ist, sondern darüber hinaus auch jeder Unternehmer, der durch den Missbrauch der marktbeherrschenden Stellung unmittelbar betroffen ist. Eine rechtskräftige Unterlassungsverfügung im kartellgerichtlichen Verfahren kann daher auch für die Klägerin des vorliegenden Verfahrens rechtliche Wirkungen entfalten.

Das Revisionsverfahren wird nur über Antrag fortgesetzt.

Zusatzinformationen


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Rechtsgebiet
Zivilrecht
ECLI
ECLI:AT:OGH0002:2020:0040OB00117.20I.0812.000
Datenquelle

Fundstelle(n):
BAAAD-35915