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OGH vom 12.03.1996, 4Ob2031/96x

OGH vom 12.03.1996, 4Ob2031/96x

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat als Revisionsgericht durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes HonProf. Dr. Gamerith als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Kodek, Dr.Niederreiter, Dr.Griß und Dr.Prückner als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei Brigitte H*****, vertreten durch Dr.Karl Bernhauser, Rechtsanwalt in Wien, wider die beklagte Partei Nisim H*****, vertreten durch DDr.Gerald Fürst, Rechtsanwalt in Mödling, wegen Ehescheidung, infolge Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Landesgerichtes für Zivilrechtssachen Wien als Berufungsgericht vom , GZ 44 R 2122/95-95, womit das Urteil des Bezirksgerichtes Mödling vom , GZ 2 C 79/92t-86, teilweise abgeändert wurde, in nichtöffentlicher Sitzung zu Recht erkannt:

Spruch

Der Revision wird Folge gegeben.

Die angefochtene Entscheidung wird abgeändert; das Ersturteil wird mit der Maßgabe wiederhergestellt, daß es wie folgt zu lauten hat:

"Die zwischen den Streitteilen am vor dem Standesamt S***** (Nummer der Eintragung 46/73) geschlossene Ehe wird gemäß § 55 EheG mit der Wirkung geschieden, daß sie mit Rechtskraft dieses Urteiles aufgelöst ist.

Der Antrag des Beklagten, dem Scheidungsbegehren gemäß § 55 Abs 2 EheG nicht stattzugeben, und der Antrag des Beklagten, das überwiegende Verschulden der Klägerin an der Zerrüttung auszusprechen, werden abgewiesen.

Die Kosten werden gegeneinander aufgehoben."

Die Kosten des Rechtsmittelverfahrens werden gegeneinander aufgehoben. Der Beklagte ist schuldig, der Klägerin die mit S 990,-- bestimmten halben Pauschalgebühren binnen 14 Tagen zu ersetzen.

Text

Entscheidungsgründe:

Die Parteien haben am vor dem Standesamt S***** die Ehe geschlossen; der Ehe entstammen der mj. Daniel, geboren am *****, und die mj. Iris, geboren am *****. Die Klägerin ist österreichische Staatsbürgerin; der Beklagte besitzt die österreichische und die israelische Staatsbürgerschaft. Letzter gemeinsamer Aufenthalt war L*****.

Die Streitteile lebten seit 1968 im gemeinsamen Haushalt in Israel. Der Beklagte betrieb eine Autoreparaturwerkstätte; die Klägerin ist Sekretärin im B*****. In Israel war die Beziehung zwischen den Streitteilen noch gut, weil Schwierigkeiten durch die Familie des Beklagten gemildert wurden. 1980 wurde die Klägerin in die Schweiz versetzt. Der Beklagte gab seine Autoreparaturwerkstätte auf. Da er als Ausländer in der Schweiz nicht arbeiten durfte, vereinbarten die Streitteile, daß er den Haushalt führen solle. Dies tat der Beklagte auch ordentlich und gewissenhaft. 1985 wurde die Klägerin nach China versetzt. Schon in der Schweiz war es zu Schwierigkeiten gekommen; in China lebten beide immer stärker ihr eigenes Leben. Die Klägerin hatte gesellschaftliche Verpflichtungen, zu denen sie der Beklagte trotz ihrer Bitten nicht immer begleiten wollte. Er ging mindestens einmal in der Woche allein aus und kam meist spät, oft erst nach Mitternacht oder in den frühen Morgenstunden, nach Hause, obwohl die Klägerin ihn gebeten hatte, vor Mitternacht zu Hause zu sein, weil sie sonst unruhig werde. Es kam zu Streitigkeiten, weil der Beklagte der Klägerin vorhielt, daß sie so oft allein ausgehe. Die Klägerin warf dem Beklagten vor, daß er so spät heimkomme und eine Freundin habe. Tatsächlich hatte der Beklagte, der sonst so gut wie nie auch nur ein paar Zeilen schreibt, bei einem Aufenthalt in S***** - dem Heimatort der Klägerin - einen Brief an eine Chinesin konzipiert. Der Brief endete mit "many kisses". Die Klägerin hatte weder in China noch in Österreich ehewidrige Beziehungen zu Herbert M*****; es konnte auch nicht festgestellt werden, daß sie 1991 ein Verhältnis mit einem Chinesen gehabt hätte.

Die Eltern der Klägerin leben in S*****. Die Klägerin verbrachte ihre Ferien mit den Kindern öfters in S*****; der Beklagte wollte nicht so oft mitfahren, weil er sich mit seinen Schwiegereltern nicht gut verstand. Bei einem Aufenthalt in S***** im Jahr 1988 unternahm die Klägerin mit ihrem Jugendfreund Hans B***** eine Bergtour, bei der es zu einem Geschlechtsverkehr kam. Es war dies der einzige intime Kontakt zwischen den beiden. Der Beklagte erfuhr davon 1989, weil er - er sah manchmal die Post der Klägerin durch - ein bei dieser Bergtour aufgenommenes Photo mit Widmung fand.

Spätestens zu Beginn des Jahres 1989 kam es zum endgültigen Bruch zwischen den Streitteilen. Der letzte Geschlechtsverkehr war spätestens 1989. Die Klägerin verweigerte sich dem Beklagten aufgrund der dauernden zermürbenden Streitigkeiten. In L***** - seit 1992 leben die Streitteile in Österreich - sind die Schlafzimmer getrennt; die Streitteile sprechen nur noch das nötigste miteinander und grüßen sich nicht mehr. Das ging zumindest anfangs vom Beklagten aus; er reagierte meist unwirsch, wenn ihn die Klägerin ansprach. Der Beklagte beschimpfte die Klägerin wiederholt, und zwar auch mit ordinären Schimpfwörtern.

In Österreich verdient die Klägerin erheblich weniger als im Ausland. Ihr Einkommen reicht nicht aus, um sämtliche Aufwendungen zu decken; sie muß ihre Ersparnisse angreifen. In China erhielt der Beklagte S 6.000,-- Haushaltsgeld, davon blieben ihm rund S 4.000,-- als Taschengeld. Seit der Rückkehr nach Österreich gibt die Klägerin dem Beklagten kein Taschengeld mehr, weil sie hoffte, daß er sich eher eine Arbeit suchen werde. Die Streitteile hatten vereinbart, daß der Beklagte in Österreich wieder berufstätig sein solle. Der Beklagte wollte sich selbständig machen und einen Handel mit Waren aus China treiben. Es kam jedoch nicht dazu, weil die Klägerin dagegen war, daß er seine Tätigkeit in der Ehewohnung ausübe. Sie fürchtete, für die Kosten aufkommen zu müssen. Die Klägerin bemühte sich, dem Beklagten eine Stelle zu vermitteln; er weigerte sich jedoch, dem Rat der Klägerin zu folgen und sich beim Leiter des Arbeitsamtes M***** vorzustellen. Dem Beklagten stand in Österreich ein von der Klägerin eingezahltes Bausparguthaben von S 50.000,-- zur Verfügung; außerdem gab ihm die Klägerin ein Sparbuch mit einer Einlage von S 40.000,-- zur freien Verfügung.

Der Beklagte besitzt eine Wohnung in Israel. Ob die Wohnung derzeit vermietet ist, konnte nicht festgestellt werden.

Die Klägerin stützte ihr Scheidungsbegehren zunächst auf § 49 EheG; in der Tagsatzung zur mündlichen Streitverhandlung vom brachte sie vor, daß die häusliche Gemeinschaft seit mehr als drei Jahren aufgehoben sei. Sie stütze ihr Scheidungsbegehren daher auf § 55 EheG.

Der Beklagte wandte ein, daß ihn die Scheidung härter treffen würde als die Aufrechterhaltung der Ehe die Klägerin.

Mit Urteil vom wies das Erstgericht das auf § 49 EheG gestützte Scheidungsbegehren der Klägerin ab und schied die Ehe nach § 55 EheG. Den Antrag des Beklagten, dem Scheidungsbegehren gemäß § 55 Abs 2 EheG nicht stattzugeben, wies es ab.

Die Abweisung des auf § 49 EheG gestützten Scheidungsbegehrens blieb unbekämpft. Das Berufungsgericht hob das Urteil im übrigen auf und verwies die Rechtssache an das Erstgericht zurück.

Im fortgesetzten Verfahren brachte der Beklagte vor, daß die Ehe nicht zerrüttet sei. Er sei 54 Jahre alt, könne keine Arbeit finden und sei weder in Österreich noch in Israel pensionsberechtigt. Da ihm das vordere Kreuzband des rechten Knies entfernt worden sei, habe er Schmerzen und Beschwerden. Die Klägerin habe ein Verhältnis mit einem Chinesen gehabt. Sei die Ehe zerrüttet, so habe dies die Klägerin verschuldet. Sie habe sich ihm gegenüber lieb- und interesselos verhalten; sie spreche nicht mit ihm, sie habe ihre Unterhaltspflicht verletzt und ehewidrige Beziehungen unterhalten.

Das Erstgericht schied die Ehe nach § 55 EheG. Es wies den Antrag des Beklagten ab, dem Scheidungsbegehren gemäß § 55 Abs 2 EheG nicht stattzugeben.

Die häusliche Gemeinschaft sei zumindest seit Beginn 1989, eher aber seit 1988, aufgehoben. Seit diesem Zeitpunkt habe es zwischen den Streitteilen so gut wie keine persönlichen Beziehungen mehr gegeben. Das Verschulden an der Zerrüttung treffe beide Ehegatten zu gleichen Teilen. Durch die getrennte Freizeitgestaltung sei es immer wieder zu Streitereien gekommen, die zur völligen Zerrüttung geführt hätten. Der einmalige außereheliche Geschlechtsverkehr der Klägerin habe die Zerrüttung weder ausgelöst noch besonders verstärkt. Der Beklagte habe den Ehebruch auch weder als ehezerstörend noch als ehezerrüttend empfunden, weil beide Teile ohnedies ihr eigenes Leben geführt hätten. Der Beklagte habe die Klägerin ordinär beschimpft, er habe ihre Post durchgesehen, sei entgegen ihren Bitten oft erst nach Mitternacht heimgekommen und habe sich geweigert, sich eine Stelle zu suchen. Daß sich die Klägerin dem Beklagten aufgrund der ständigen Streitereien und Gehässigkeiten verweigert habe, sei verständlich. Der Widerspruch des Beklagten sei abzuweisen, weil die häusliche Gemeinschaft seit mehr als sechs Jahren aufgehoben sei.

Das Berufungsgericht gab der Berufung des Beklagten teilweise Folge. Es bestätigte den Ausspruch über die Scheidung und die Abweisung des Widerspruches des Beklagten, ergänzte das Urteil jedoch um den Ausspruch, daß die Klägerin das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung der Ehe treffe. Das Berufungsgericht sprach aus, daß die Revision nicht zulässig sei.

Nach § 61 Abs 3 EheG seien beim Verschuldensausspruch nur die für die Zerrüttung kausalen Eheverfehlungen zu berücksichtigen. Da die Ehegemeinschaft der Streitteile seit Beginn 1989 aufgehoben sei, seien danach gesetzte Eheverfehlungen für die Verschuldensabwägung unbeachtlich. Dem Scheidungsbegehren sei gemäß § 55 Abs 3 EheG jedenfalls stattzugeben; der Widerspruch des Beklagten sei abzuweisen. Das Erstgericht habe über den hilfsweise gestellten Schuldantrag des Beklagten zwar nicht im Spruch, wohl aber in den Gründen entschieden. Es sei von einem gleichteiligen Zerrüttungsverschulden ausgegangen. Das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung treffe aber die Klägerin. Beide Ehegatten hätten dadurch, daß sie ihre Freizeit allein verbrachten, die Ehezerrüttung schuldhaft eingeleitet. Es sei zu gegenseitigen Vorwürfen und beiderseits verschuldeten heftigen Streitigkeiten gekommen. Der Klägerin sei jedoch anzulasten, daß sie durch einen Ehebruch im Jahre 1988 und die Verweigerung des Geschlechtsverkehrs seit 1989 die entscheidenden Schritte zur endgültigen Ehezerrüttung gesetzt habe. Die Verweigerung des Geschlechtsverkehrs sei keine verständliche Reaktionshandlung, weil beide Ehegatten die Streitigkeiten verschuldet hätten.

Rechtliche Beurteilung

Die gegen diese Entscheidung gerichtete außerordentliche Revision der Klägerin ist zulässig, weil das Berufungsgericht von der Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofes zur Frage, unter welchen Voraussetzungen das Verschulden eines Teiles an der Zerrüttung überwiegt, abgewichen ist; sie ist auch berechtigt.

Die Klägerin verweist darauf, daß beim Verschuldensausspruch nur die für die Ehezerrüttung ursächlichen Eheverfehlungen zu berücksichtigen sind. Die Klägerin habe erst 1989 den Geschlechtsverkehr verweigert, zum endgültigen Bruch zwischen den Streitteilen sei es aber spätestens zu Beginn des Jahres 1989 gekommen. Der Beklagte habe den Ehebruch der Klägerin verziehen; er wolle an der Ehe festhalten.

Wird die Ehe wegen Auflösung der häuslichen Gemeinschaft geschieden

(§ 55 EheG) und hat der Kläger die Zerrüttung allein oder überwiegend

verschuldet, so ist dies auf Antrag des Beklagten im Urteil

auszusprechen (§ 61 Abs 3 EheG). Nach der Rechtsprechung muß bei

beiderseitigem Zerrüttungsverschulden das des Klägers erheblich

schwerer sein (7 Ob 530/92 = EFSlg 69.265, 69.266) und es muß als

ehezerstörend empfunden worden sein. Dabei kann es sich aber auch um

verfristete oder verziehene Eheverfehlungen handeln (s Pichler in

Rummel, ABGB**2 § 55 EheG Rz 5 mwN). Für den Verschuldensausspruch

ist maßgebend, ob dem Ehegatten eine Schuld an der Zerrüttung der Ehe

anzulasten ist, nicht aber, ob ein Scheidungstatbestand verwirklicht

wurde (6 Ob 602/84, 2 Ob 645/84 = EFSlg 46.254; 1 Ob 601/89 = EFSlg

60.284; 7 Ob 530/92 = EFSlg 69.269 ua). Nach dem auch bei der

Beurteilung des Zerrüttungsverschuldens anzuwendenden allgemeinen

Grundsatz des § 60 Abs 2 zweiter Satz EheG muß bei beiderseitigem

Verschulden der Ehegatten das Verschulden eines der Ehegatten fast

völlig in den Hintergrund treten, damit ein überwiegendes Verschulden

des anderen Teiles angenommen werden kann (6 Ob 602/84 = EFSlg

46.261; 1 Ob 601/89 = EFSlg 60.286 uva).

Werden diese Grundsätze im vorliegenden Fall angewandt, so kann die Auffassung des Berufungsgerichtes, daß die Klägerin das überwiegende Verschulden an der Zerrüttung ihrer Ehe mit dem Beklagten treffe, nicht geteilt werden:

Spätestens zu Beginn des Jahres 1989 kam es zum endgültigen Bruch zwischen den Streitteilen. Grund dafür war, daß die Ehegatten allein ausgingen, ihr eigenes Lebens lebten und es zwischen ihnen deshalb zu Streitigkeiten kam. Daß der Beklagte den - ohne vorangegangene oder nachfolgende Intimbeziehung zum Ehebruchspartner erfolgten - Ehebruch der Klägerin im Jahre 1988 als ehezerstörend oder ehezerrüttend empfunden hätte, ist weder behauptet noch festgestellt. Er hat davon auch erst 1989 erfahren, als er ein Photo mit Widmung fand. Auch für die Klägerin war der Ehebruch eine einmalige Episode, hat sie doch noch danach ihre häusliche Gemeinschaft mit dem Beklagten fortgeführt. Die geschlechtlichen Beziehungen zwischen den Streitteilen endeten 1989; spätestens zu Beginn dieses Jahres war es zum endgültigen Bruch gekommen. Grund für die Verweigerung der Klägerin waren die dauernden zermürbenden Streitigkeiten, welche die Ehe zerrüttet hatten. Da sich die Klägerin dem Beklagten nach dem endgültigen Bruch zwischen den Streitteilen (allenfalls zeitgleich, aber wegen der Schwierigkeiten, die zum Bruch geführt hatten) verweigerte, kann die Verweigerung die Zerrüttung nicht mehr verursacht oder entscheidend verstärkt haben. Nur dies ist aber maßgebend und nicht, ob eine Eheverfehlung einen Scheidungsgrund bildet. Das wird vom Berufungsgericht verkannt, wenn es meint, die Verweigerung der Klägerin wäre nur dann eine verständliche Reaktionshandlung, wenn der Beklagte die Streitigkeiten allein verschuldet hätte.

Bei dieser Sachlage tritt das Verschulden des Beklagten an der Zerrüttung nicht völlig in den Hintergrund. Er hat vielmehr durch seinen Unwillen oder seine Unfähigkeit, seine Freizeit so zu gestalten, daß ein gemeinsames Leben der Ehegatten möglich blieb, ebenso zur Zerrüttung beigetragen wie die Klägerin, die ebenfalls unwillig oder unfähig war, das Gemeinsame über das Trennende zu stellen.

Der Revision war Folge zu geben. Die Entscheidung des Erstgerichtes war mit der Maßgabe wiederherzustellen, daß auch der Antrag des Beklagten, das überwiegende Verschulden der Klägerin auszusprechen, abgewiesen wird.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 45a, 50 ZPO.