OGH vom 27.11.2019, 5Ob117/19w
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Jensik als Vorsitzenden sowie die Hofrätin Dr. Grohmann und die Hofräte Mag. Wurzer, Mag. Painsi und Dr. Steger als weitere Richter in der Rechtssache der widerklagenden Partei L*****, vertreten durch die Dr. Ernst Maiditsch M.B.L.-HSG Rechtsanwaltsgesellschaft mbH in Klagenfurt am Wörthersee, gegen die widerbeklagte Partei C***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Peter Lindinger, Dr. Andreas Pramer, Rechtsanwälte in Linz, wegen 32.490 EUR sA, über die außerordentliche Revision der klagenden Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Graz als Berufungsgericht vom , GZ 5 R 189/18f-16, den
Beschluss
gefasst:
Spruch
Die außerordentliche Revision wird gemäß § 508a Abs 2 ZPO mangels der Voraussetzungen des § 502 Abs 1 ZPO zurückgewiesen.
Begründung:
Rechtliche Beurteilung
1. Die ÖNORM B 2110 legt sowohl in der dem Bauauftrag hier zugrunde liegenden Fassung als auch in der aktuellen Fassung im Punkt 8.4.3. Satz 2 fest, dass die Rückforderung erfolgter Überzahlungen innerhalb von drei Jahren ab Überzahlung zulässig ist. Zweck dieser Bestimmung ist, die Rechtslage bei Bauprojekten mit zumeist hohen Auftragssummen möglichst innerhalb kurzer Frist zu klären und daher die gesetzliche Verjährungsfrist abzukürzen (1 Ob 115/05a [zum insoweit identen Punkt 2.29.3 der ÖNORM B 2110 in der Fassung ]; vgl auch RIS-Justiz RS0070866).
2. Überzahlungen im Sinn dieser Bestimmung sind solche, die über das vertraglich Geschuldete hinausgehen. Das sind beispielsweise irrtümliche Zahlungen von Doppelverrechnungen oder von Leistungen, die tatsächlich nicht oder nur in geringerem Umfang erbracht wurden oder in der vereinbarten Auftragssumme bereits enthalten waren. Gemeinsam ist diesen Fällen, dass aus Sicht beider Parteien der Vertrag unverändert fortbesteht und die Überzahlung sich aus dem in der Regel einfach und rasch anzustellenden Vergleich der tatsächlich erbrachten mit der vertraglich geschuldeten Leistung ermitteln lässt (1 Ob 115/05a).
3. Richtig ist, dass der Oberste Gerichtshof die Frage, ob Punkt 8.4.3. Satz 2 der ÖNORM B 2110 (bzw wortgleiche oder inhaltsgleiche Bestimmungen früherer Ausgaben der ÖNORM B 2110) auch für solche „Überzahlungen“ gilt, die auf die Geltendmachung des Preisminderungsrechts (Herabsetzung des Werklohns) infolge Schlechterfüllung rückführbar sind, noch nicht zu beantworten hatte. Schließlich kommt der Geltendmachung einer „Überzahlung“ im Weg der Ausübung des Gestaltungsrechts auf Preisminderung eine andere rechtliche Qualität zu als der Geltendmachung jener von der ÖNORM B 2110 angesprochenen Überzahlung infolge irrtümlicher Zahlung von vertraglich nicht Geschuldetem (1 Ob 115/05a).
4. Diese Frage ist aber (auch) in diesem Verfahren für die Entscheidung nicht relevant. Nach dem Verständnis des Berufungsgerichts ist eine derartige „Überzahlung“ nämlich nicht der Rechtsgrund für das Geldleistungsbegehren der Klägerin und damit kein Streitgegenstand dieses Verfahrens. Die Klägerin begehre nicht die Rückzahlung eines Teils des von ihr an die Beklagte bereits entrichteten Werklohns, sondern gestützt auf Schadenersatz und Gewährleistung den Ersatz eines Teils der von ihr bezahlten Kosten für die Ersatzvornahme. Die Frage, wie ein bestimmtes Prozessvorbringen zu verstehen ist und welchen Sachverhalt und welches Begehren es enthält, hängt ebenso von den Umständen des Einzelfalls ab, wie die Frage, ob das bisher erstattete Vorbringen soweit spezifiziert ist, dass es als Anspruchsgrundlage hinreicht (RS0042828). Diese Fragen des Einzelfalls sind in der Regel keine erheblichen Rechtsfragen iSd § 502 Abs 1 ZPO. Gegenteiliges gilt im Interesse der Wahrung der Rechtssicherheit nur dann, wenn die Auslegung des Parteivorbringens mit seinem Wortlaut unvereinbar ist oder gegen die Denkgesetze verstieße (RS0042828 [T11, T 31]). Eine solche Fehlbeurteilung des Berufungsgerichts zeigt die Revisionswerberin hier aber nicht auf.
5. Mangels Geltendmachung eines entsprechenden Anspruchs ist die Frage, ob die Bestimmung Punkt 8.4.3. Satz 2 der ÖNORM B 2110 auch auf die Geltendmachung einer „Überzahlung“ im Weg der Ausübung des Gestaltungsrechts auf Preisminderung anwendbar ist, hier (bloß) theoretischer Natur. Die Beantwortung abstrakter Rechtsfragen ist nicht Aufgabe des Obersten Gerichtshofs (RS0111271).
Zusatzinformationen
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2019:0050OB00117.19W.1127.000 |
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Fundstelle(n):
XAAAD-35750