OGH vom 25.09.2018, 4Ob116/18i
Kopf
Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten Dr. Vogel als Vorsitzenden und die Hofräte Dr. Schwarzenbacher, Hon.Prof. Dr. Brenn, Dr. Rassi und MMag. Matzka als weitere Richter in der Rechtssache der klagenden Partei A***** GmbH, *****, vertreten durch Dr. Hubert Simon, Rechtsanwalt in Wien, gegen die beklagte Partei A*****, vertreten durch Ruggenthaler, Rest Borsky Rechtsanwälte OG in Wien, wegen Unterlassung (Streitwert 28.000 EUR) und Urteilsveröffentlichung (Streitwert 4.100 EUR), über die außerordentliche Revision (richtig: über die außerordentliche Revision und den Revisionsrekurs) der beklagten Partei gegen das Urteil des Oberlandesgerichts Wien als Berufungsgericht vom , GZ 3 R 65/17a185, mit dem der in die Urteilsausfertigung aufgenommene Beschluss und das Urteil des Handelsgerichts Wien vom , GZ 57 Cg 123/12g181, bestätigt wurde, in nichtöffentlicher Sitzung beschlossen und zu Recht erkannt:
Spruch
I. Der in der außerordentlichen Revision enthaltene Revisionsrekurs gegen die zweitinstanzliche Bestätigung der erstinstanzlichen Zulassung der Klageänderung wird zurückgewiesen.
II. Im Übrigen wird der Revision Folge gegeben.
Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass sie zu lauten haben:
„Das Klagebegehren, die beklagte Partei sei schuldig, es ab sofort im geschäftlichen Verkehr zu Zwecken des Wettbewerbs zu unterlassen,
a) irreführende Angaben über Reichweiten periodischer Druckschriften zu veröffentlichen und/oder zu verbreiten, insbesondere im Rahmen der Media-Analyse derartige Reichweiten ohne den deutlichen Hinweis, dass die tatsächlichen Leserzahlen außerhalb der veröffentlichten statistischen Schwankungsbreiten liegen und von den Ergebnissen der Media-Analyse grob abweichen können;
in eventu
b) von ihr erhobene Leserzahlen und/oder Werbeträgerkontakte der Druckschriften „W*****“ und „S*****“ zu verbreiten und/oder zu veröffentlichen;
in eventu
c) von ihr erhobene Leserzahlen und/oder Werbeträgerkontakte der Druckschriften „W*****“ und „S*****“ zu verbreiten und/oder zu veröffentlichen, sofern die unter Zugrundelegung dieser Leserzahlen und/oder Werbeträgerkontakte errechneten Leser-pro-Exemplar-Werte (LpE) nicht nachweislich unter zehn Lesern pro verbreitetes Exemplar liegen;
in eventu
d) von ihr erhobene Leserzahlen und/oder Werbeträgerkontakte der Druckschriften „W*****“ und „S*****“ zu verbreiten und/oder zu veröffentlichen, sofern die Empfänger der Untersuchungsergebnisse keinen Zugriff auf geprüfte Zahlen der in Österreich verbreiteten Auflage dieser Medien haben, wobei die Prüfung durch von den jeweiligen Medieninhabern unabhängige Dritte zu erfolgen hat;
in eventu
e) von ihr erhobene Leserzahlen und/oder Werbeträgerkontakte der Druckschriften „W*****“ und „S*****“ zu verbreiten und/oder zu veröffentlichen, sofern die Empfänger der Untersuchungsergebnisse keinen Zugriff auf geprüfte Zahlen der in Österreich verbreiteten Auflage dieser Medien haben, wobei die Prüfung durch von den jeweiligen Medieninhabern unabhängige Dritte zu erfolgen hat, und die unter Zugrundelegung dieser Leserzahlen und/oder Werbeträger-Kontakte errechneten Leser-pro-Exemplar-Werte (LpE) nicht nachweislich unter zehn Lesern pro verbreitetes Exemplar liegen;
sowie das Veröffentlichungsbegehren werden abgewiesen.
Die klagende Partei ist schuldig, der beklagten Partei die mit 38.888,78 EUR (darin 6.161,81 EUR Umsatzsteuer und 470 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Verfahrens erster Instanz, die mit 3.975,72 EUR (darin 472,12 EUR Umsatzsteuer und 1.143 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Berufungsverfahrens und die mit 3.471,48 EUR (darin 339,90 EUR Umsatzsteuer und 1.431 EUR Barauslagen) bestimmten Kosten des Revisionsverfahrens binnen 14 Tagen zu ersetzen.
Text
Entscheidungsgründe:
Die Klägerin ist Medieninhaberin der monatlich erscheinenden Wohnzeitschrift H***** und war bis zu ihrem Ausschluss 2011 Mitglied des beklagten Vereins. Dessen statutenmäßiger Zweck ist im Wesentlichen die Durchführung bzw Veranlassung von Reichweitenuntersuchungen von Werbeträgern wie zB Zeitungen oder Zeitschriften. Mitglieder des Beklagten sind physische und juristische Personen, die einen Werbeträger oder eine Werbeagentur, Werbungsvermittlung und Werbeberatung betreiben.
Der beklagte Verein führt in Österreich jährlich die sogenannte Media-Analyse durch. Dabei handelt es sich um die größte Untersuchung über das Mediennutzungsverhalten der österreichischen Bevölkerung. Ziel ist es, das Medien- und Verbraucherverhalten der Österreicher objektiv darzustellen, also zu erheben, welche Reichweiten einzelne Werbeträger aufweisen. Insbesondere werden die Ergebnisse den Mitgliedern zugänglich gemacht.
Für Medieninhaber und Verlage ist beim Verkauf von Anzeigenflächen ein wesentliches Kriterium, möglichst hohe Reichweiten ihrer Medien (Werbeträger) behaupten zu können. Je höher die Reichweite eines Mediums ist, desto attraktiver ist die Schaltung von Inseraten darin. Die MediaAnalyse des Beklagten gilt in Österreich damit als „Leitwährung“ der Werbewirtschaft. Das besonders hohe Vertrauen in sie basiert darauf, dass sie nicht von einem einzelnen Werbeträger oder einem einzelnen Forschungsinstitut, sondern im Rahmen des beklagten Vereins durch alle Betroffenen (Nutzer und Anbieter) unter Beiziehung der auf diesem Gebiet in Österreich führenden Meinungs- und Marktforschungsinstitute erhoben wird.
Bestreben der Media-Analyse ist es, die Ergebnisse nach den Kriterien der Methodenlehre bestmöglich zu erheben. Anlage und Durchführung der Media-Analyse lassen keine methodischen Mängel erkennen. Sie entsprechen dem internationalen Standard.
Der Beklagte ermittelte 2006 unter anderem folgende Reichweiten:
- S*****: 315.000 Leser (4,6 %)
-W*****: 158.000 Leser (2,3 %)
- B*****: 169.000 Leser (2,4 %)
- H*****: 72.000 Leser (1,0 %)
Im Jahr 2006 hatte „S*****“ eine Druckauflage von 24.000 Exemplaren, wovon in Österreich etwa 17.000 Exemplare verbreitet wurden. Bei der vom Beklagten ermittelten Reichweite wären das rund 18 Leser pro Exemplar.
Zur Erhebung der Reichweitenzahlen der einzelnen Medien werden Interviews mit Medienkonsumenten durchgeführt. Durch Kontrollanrufe, Interviewbegleitung und statistische Auswertung überprüft der zuständige Ausschuss des Beklagten, ob die Interviewer die vorgegebenen Befragungen tatsächlich und richtig durchführen.
Ob die Befragten wahrheitsgemäße Angaben machen, kann nicht überprüft werden. Bei der Durchführung der Media-Analyse geht es immer nur um eine Erinnerungsleistung, keine Anwesenheitsleistung. Diese ist bei den Befragten verschieden und kann nicht beeinflusst oder überprüft werden. Es wird den befragten Personen Glauben geschenkt, man vertraut darauf, dass das Erinnerungsvermögen der Befragten richtig ist. Es wird, wie in der Marktforschung allgemein, davon ausgegangen, dass die Befragten die Wahrheit sagen.
Bei der Marktforschung ist es üblich, dass es keine Möglichkeit gibt, die tatsächliche Reichweite zu überprüfen. Es kann in Bezug auf Reichweiten nicht von Richtigkeit gesprochen werden, die Reichweiten können nur plausibel sein. Es kann nicht festgestellt werden, ob die ermittelte Reichweite eines Mediums von dessen „tatsächlicher“ Reichweite abweicht. Auch bei anerkannten und international üblichen Verfahren kann nicht überprüfbar garantiert werden, dass keine groben Abweichungen von den tatsächlichen, aber unbekannten Reichweiten vorliegen.
Der Beklagte informiert seine Mitglieder in allen Publikationen darüber, dass die erhobenen Daten der statistischen Schwankungsbreite unterliegen. Dies erfolgt an mehreren Stellen in den Jahres-Berichtsbänden und auf der Website. Die Schwankungsbreiten werden dabei im Jahresbericht bei den „Definitionen“ erläutert. Dort wird angegeben, dass die ausgewiesenen Werte die Werte mit der größten Wahrscheinlichkeit repräsentieren und der tatsächliche Wert mit 95 % Wahrscheinlichkeit innerhalb der Schwankungsbreite liegt.
Diese Information bedeutet im Umkehrschluss, dass die tatsächlichen Werte mit 5% Wahrscheinlichkeit außerhalb der Schwankungsbreite liegen.
Unter „Wichtige Hinweise“ wird im Jahresbericht angeführt, dass für die Berechnung der Schwankungsbreiten sowie der Signifikanzen (Aussagen über die Irrtumswahrscheinlichkeit) ungewichtete Fallzahlen verwendet werden müssen. Zwei Seiten des Jahresberichts befassen sich mit den Formeln zur Berechnung von Schwankungsbreiten und Signifikanzen, drei Seiten mit Tabellen theoretischer Schwankungsbreiten.
32 % der Anzeigenkunden österreichischer Wohnzeitschriften gehen davon aus, dass die veröffentlichten Reichweiten der Media-Analyse immer im Rahmen der statistischen Schwankungsbreiten liegen und den tatsächlichen Reichweiten entsprechen. 7 % der gesamten Anzeigenkunden halten es für überprüfbar, ob die tatsächlichen Reichweiten wirklich innerhalb der statistischen Schwankungsbreiten liegen.
Die begehrt wie aus dem Spruch ersichtlich, wobei das (nunmehrige) Hauptbegehren erst im Zuge einer vom Erstgericht mit Beschluss zugelassenen Klagsänderung im Februar 2017 (Klageeinbringung 2007) erhoben wurde.
Zum Hauptbegehren brachte sie vor, dass die vom Beklagten veröffentlichten Reichweitendaten unüberprüfbar seien, die tatsächlichen Leserzahlen außerhalb der statistischen Schwankungsbreite lägen und von den Ergebnissen der Media-Analyse grob abweichen könnten. 39 % der Anzeigenkunden hätten in diesem Punkt falsche Vorstellungen von der Media-Analyse. Die Geschäftspraktik des Beklagten sei irreführend, weil dieser den angesprochenen Verkehrskreisen die Information vorenthalte, dass die tatsächlichen Leserzahlen grob (außerhalb der statistischen Schwankungsbreite) von den veröffentlichten Reichweiten abweichen könnten.
Der hielt dem Hauptbegehren inhaltlich entgegen, er weise sehr wohl deutlich auf Schwankungsbreiten und deren praktisches Verständnis hin. In einem Lesebeispiel werde erklärt, wie die Werte zu verstehen seien. Demnach repräsentiere die ausgewiesene Reichweite den Wert mit der größten Wahrscheinlichkeit. Es werde ausdrücklich darauf verwiesen, dass die tatsächliche Reichweite davon abweichen könne. Sie liege mit 95% Wahrscheinlichkeit innerhalb der statistischen Schwankungsbreite.
Das mehrgliedrige entspricht (abgesehen von geringfügigen Modifizierungen) dem ursprünglichen Begehren. Zum dazu erstatteten Vorbringen der Parteien wird auf die im zweiten Rechtsgang ergangene Entscheidung 4 Ob 76/12y verwiesen.
Die Zulässigkeit der wurde vom Erstgericht bejaht, das einen entsprechenden Beschluss in sein Urteil aufnahm. Der Beklagte hat die Zulassung im Rahmen seiner Berufung gegen das Ersturteil als Verfahrensmangel bekämpft, der vom Berufungsgericht im Berufungsurteil verneint wurde.
In der Sache bejahte das den Unterlassungsanspruch und gab dem Hauptbegehren samt Urteilsveröffentlichungsbegehren statt. Das Verhalten des Beklagten sei deshalb irreführend, weil er dem nicht fachkundigen Nachfrager der Reichweitenzahlen den Eindruck vermittle, die Leserzahlen entsprächen der Wirklichkeit. Die Veröffentlichung der Reichweiten „ohne jeden Hinweis“, dass die tatsächlichen Reichweiten außerhalb der veröffentlichten Schwankungsbreiten lägen, sei irreführend im Sinne des § 2 UWG, weil die Richtigkeit der ermittelten Zahlen nicht einmal überprüfbar sei.
Das bestätigte die Entscheidung und vertrat die Rechtsansicht, das Erstgericht habe zu Recht die Irreführungseignung der vom Beklagten veröffentlichten Reichweitenangaben „ohne entsprechenden aufklärenden Hinweis zu Recht“ bejaht. Das Berufungsgericht ließ die ordentliche Revision mangels Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht zu.
Gegen diese Entscheidung richtet sich die des Beklagten mit dem Antrag, die Klage abzuweisen. Hilfsweise wird ein Aufhebungsantrag gestellt.
Die Klägerin beantragte in der ihr freigestellten Revisionsbeantwortung, die Revision zurückzuweisen, hilfsweise ihr nicht Folge zu geben.
Rechtliche Beurteilung
Der in der außerordentlichen Revision enthaltene Revisionsrekurs gegen die zweitinstanzliche Bestätigung der erstinstanzlichen Zulassung der Klageänderung ist absolut unzulässig. Im Übrigen ist die Revision zulässig und berechtigt.
1. Die außerordentliche Revision des Beklagten enthält inhaltlich auch einen absolut unzulässigen Revisionsrekurs zu einem Punkt der Entscheidung zweiter Instanz.
2. Ein in das Urteil aufgenommener Beschluss über die Klagsänderung ist mit Rekurs anzufechten (Fasching, Lehrbuch2 Rz 1241). Bestätigt das Rekursgericht diesen Beschluss, ist dagegen nach § 528 Abs 2 Z 2 ZPO ein Revisionsrekurs absolut unzulässig (RIS-Justiz RS0039426). Dies gilt auch dann, wenn die Zulässigkeit einer vom Erstgericht zugelassenen Klagsänderung – wie hier – im Berufungsverfahren geprüft wurde, zumal das Gericht zweiter Instanz bei der Beurteilung des Vorliegens einer Klagsänderung als Rekursgericht und nicht im Rahmen des Berufungsverfahrens tätig wird, die Anfechtbarkeit sich somit nicht nach § 519 ZPO richtet (RIS-Justiz RS0039426 [T5], RS0039273, RS0039253). Daher wäre der Oberste Gerichtshof selbst bei Vorliegen einer erheblichen Rechtsfrage im Sinne des § 502 Abs 1 ZPO nicht mehr berechtigt, auf die neuerlich relevierte Frage des Vorliegens einer angeblich unzulässigen Klagsänderung einzugehen (1 Ob 2226/96a, 1 Ob 128/98z), weshalb das Rechtsmittel des Beklagten insoweit als absolut unzulässig zurückzuweisen ist.
3. Beim Irreführungstatbestand ist zu prüfen, (a) wie ein durchschnittlich informierter und verständiger Interessent für das Produkt/die Dienstleistung, der eine dem Erwerb solcher Produkte/Dienstleistungen angemessene Aufmerksamkeit aufwendet, die strittige Ankündigung versteht, (b) ob dieses Verständnis den Tatsachen entspricht, und ob (c) eine nach diesem Kriterium unrichtige Angabe geeignet ist, den Interessenten zu einer geschäftlichen Entscheidung zu veranlassen, die er sonst nicht getroffen hätte (RIS-Justiz RS0123292).
4. Es ist zu prüfen, ob die beanstandeten Reichweitenangaben irreführend sind.
4.1 Die Vorinstanzen stützten die Irreführungseignung der Media-Analyse im Wesentlichen auf den Umstand, dass 39 % der Anzeigenkunden an die Richtigkeit der Reichweite innerhalb der Schwankungsbreite glauben bzw diese für überprüfbar halten, zumal die Reichweitenangaben beim Verkauf von Anzeigenflächen ein wesentliches Kriterium sind.
4.2 Entgegen den Rechtsansichten der Vorinstanzen suggeriert der Beklagte in der Media-Analyse aber nicht die mathematische Richtigkeit bzw die Unüberprüfbarkeit der Reichweitendaten. Nach den Feststellungen lassen sich keine irreführenden Geschäftspraktiken aus der statistischen Erhebung oder bezüglich der Darstellung der Ergebnisse ableiten.
4.3 Der Senat hat bereits ausgesprochen, dass eine Irreführungsquote von einem Viertel bis einem Drittel der Marktteilnehmer im Allgemeinen für die Annahme der Irreführungseignung ausreicht (4 Ob 221/16b = RIS-Justiz RS0131160). Diese Judikatur setzt allerdings voraus, dass der Irrtum (die unrichtige Vorstellung von der Wirklichkeit) dem belangten Unternehmer auch zuzurechnen ist. Im Anlassfall sind die irrigen Annahmen der Marktteilnehmer dem Beklagten aber schon deshalb nicht zuzurechnen, weil er über die Qualität der veröffentlichten Daten ausreichend aufgeklärt hat.
4.4 Aufklärende Hinweise sind grundsätzlich geeignet, die Irreführung zu beseitigen (RIS-Justiz RS0118488, RS0106634). Ob ein aufklärender Hinweis im Einzelfall ausreichend ist, eine Irreführung zu vermeiden, betrifft zwar an sich keine erhebliche Rechtsfrage (RIS-Justiz RS0115866, RS0053112 [T16], RS0078681 [T1]). Eine solche Rechtsfrage liegt hier aber schon deshalb vor, weil sich die Vorinstanzen mit dem festgestellten Hinweis nicht inhaltlich auseinandergesetzt haben.
4.5 Der Senat hat zur Werbung mit Leserzahlen aufgrund von Umfrageergebnissen bereits eine Hinweispflicht auf statistische Mittelwerte bejaht und zwar unabhängig davon, ob die Ergebnisse innerhalb der Schwankungsbreite liegen (RIS-Justiz RS0113425). Die Vorinstanzen warfen dem Beklagten zwar keinen Verstoß gegen eine solche Hinweispflicht vor. Sie sind aber in ihrer rechtlichen Beurteilung übereinstimmend davon ausgegangen, der Beklagte habe nicht darauf verwiesen, dass die tatsächlichen Reichweiten auch außerhalb der veröffentlichten Schwankungsbreiten liegen könnten.
4.6 Zutreffend zeigt hier das Rechtsmittel auf, dass sich ein entsprechender Hinweis bei den „Definitionen“ in den Jahresberichten des Beklagten findet. Neben der Erklärung des Begriffs der Schwankungsbreite verweist der Beklagte darauf, dass „der tatsächliche Wert [...] mit 95 % Wahrscheinlichkeit innerhalb der statistischen Schwankungsbreite“liegt. Aus diesem Hinweis ergibt sich zwingend, dass die veröffentlichten Werte auch außerhalb der Schwankungsbreite liegen könnten, weshalb keine Irreführung durch vom Beklagten unterlassene Aufklärung vorliegt.
Die Klägerin hat die Richtigkeit dieses Hinweises gar nicht bestritten. Sie stützte den Vorwurf der Irreführung ausschließlich auf das Ergebnis der Umfrage unter Anzeigenkunden, ohne sich auch nur ansatzweise inhaltlich mit dem Hinweis des Beklagten auseinanderzusetzen. Das Vorbringen des Beklagten, wonach der Hinweis auf die Schwankungsbreite bzw auf die Möglichkeit, dass die tatsächlichen Zahlen auch außerhalb der Schwankungsbreite liegen können, eine Irreführungseignung ausschließt, ist der Entscheidung wegen des fehlenden Bestreitens der Klägerin zugrundezulegen. Im Hinblick auf das Neuerungsverbot sind die Ausführungen in der Revisionsbeantwortung (ua dahingehend, dass der Hinweis versteckt gewesen sei) nicht geeignet, den Standpunkt der Klägerin zu stützen.
4.7 Dieser Hinweis entspricht auch der üblichen Vorgangsweise bei statistischen Erhebungen. Jedes Ergebnis einer repräsentativen Umfrage unterliegt einer Schwankungsbreite (Konfidenzintervall), wobei noch die Einschränkung auf ein Vertrauensintervall (Signifikanzniveau) von üblicherweise ca 95 % (wie hier!) hinzukommt. Damit bestimmt das (beliebig gewählte) Ausmaß des Signifikanzniveaus die Schwankungsbreite (vgl Ebermann, Grundlagen statistischer Auswertungsverfahren, http://www.univie.ac.at/ ksa/elearning/cp/quantitative/quantitative-7.html oder marktforschung, Das Portal für Markt-Medien- und Meinungsforschung, https://www.marktforschung.de/wiki-lexikon/marktforschung/Signifikanz/).
4.8 Aus den Handlungen des Beklagten, der sich auf methodisch einwandfrei und plausibel erhobene Zahlen einer statistischen Erhebung stützen kann, diese Zahlen auch nach den gängigen Grundsätzen der Statistik darstellt und über die Schwankungsbreite branchenüblich (siehe zuvor Pkt 4.7) aufgeklärt hat, lässt sich keine unlautere Irreführung ableiten. Allein der (dem Beklagten nicht zurechenbare) Irrtum eines beträchtlichen Teils der Anzeigenkunden österreichischer Wohnzeitschriften über die Aussagekraft der im Rahmen der Media-Analyse veröffentlichten Zahlen zur Reichweite bestimmter Medien kann den geltend gemachten Hauptanspruch nicht stützen.
5. Zum restlichen Begehren führte der Senat in seinem Aufhebungsbeschluss zu 4 Ob 76/12y Folgendes aus:
[...]
4.2. Angesprochen werden von der MediaAnalyse in erster Linie Nachfrager von Werbeleistungen. Ihnen kann unterstellt werden, dass sie die Erhebungsmethoden des Beklagten kennen und daher nicht annehmen, dass den ermittelten Reichweiten Angaben der Befragten zugrunde liegen, die bis ins Einzelne – wie auch? – „überprüft“ worden wären. Wohl aber werden sie darauf vertrauen, dass der Beklagte die Zahlen aufgrund anerkannter statistischer Verfahren ermittelt hat und dass (daher) jedenfalls keine groben Abweichungen von den tatsächlichen Reichweiten vorliegen. Beides trifft nach dem Vorbringen der Klägerin nicht zu: Sie behauptet, dass Mängel der Erhebung bei zwei bestimmten Zeitschriften zu „unrealistischen Zahlen“ führten, die durch eine Plausibilitätskontrolle (Herstellen einer Auflage-Reichweiten-Relation) leicht erkannt werden könnten; auch das Unterbleiben dieser Plausibilitätskontrolle sei ein methodischer Mangel.
4.3. Trifft dieses Vorbringen zu, wäre der Unterlassungsanspruch begründet. Dabei genügte bereits das Vorliegen eines methodischen Mangels, der (grob) unrichtige Ergebnisse als ernstlich möglich erscheinen ließe. Denn das Vertrauen der angesprochenen Kreise ist, wie bereits ausgeführt, (auch) darauf gerichtet, dass die Erhebung methodisch korrekt durchgeführt wurde, sodass die ermittelten Zahlen zumindest mit hoher Wahrscheinlichkeit richtig sind. Bei (relevanten) methodischen Mängeln – wozu auch das Fehlen einer nach dem Stand der statistischen Methodenlehre erforderlichen Plausibilitäts-prüfung gehörte – wäre dieses Vertrauen nicht mehr gerechtfertigt; die Veröffentlichung der Ergebnisse wäre dann schon aus diesem Grund irreführend.
4.4. Zum Beweis der methodischen und inhaltlichen Mängel hat die Klägerin die Einholung eines Gutachtens beantragt. Das Berufungsgericht hat in der Nichtaufnahme dieses Beweises einen primären Verfahrensmangel (vorgreifende Beweiswürdigung) erblickt, der allerdings aus rechtlichen Erwägungen unerheblich sei. Letzteres trifft nicht zu, weil die vom Berufungsgericht für die Klageabweisung herangezogenen Gründe nicht tragen.
5. Diese Erwägungen führen zur Aufhebung in die erste Instanz. Das Erstgericht wird nach Erörterung mit den Parteien den beantragten Sachverständigenbeweis aufzunehmen haben. Ist die Erhebungsmethode des Beklagten nach dem Stand der statistischen Wissenschaft in Bezug auf die im Begehren genannten Zeitschriften mangelhaft, wäre der Klage stattzugeben. Zuvor wäre allerdings mit der Klägerin die Formulierung des (Haupt-)Begehrens zu erörtern. Dessen uneingeschränkte Fassung setzte voraus, dass der Beklagte die mangelhafte Methode auch noch bei Schluss der Verhandlung anwendete (4 Ob 88/11m = MR 2011, 331 [Korn] – Vergleich der Gesamtauflagen).
6. Im fortgesetzten Verfahren wurde nach Einholung eines Gutachtens festgestellt, dass die Erhebungsmethode des Beklagten nach dem Stand der statistischen Wissenschaft in Bezug auf die im Begehren genannten Zeitschriften nicht mangelhaft war und auch einer nachvollziehbaren Plausibilitätsprüfung unterlag. Es wurden keine inhaltlichen oder methodischen Mängel der MediaAnalyse festgestellt. Somit ist auch der hilfsweise erhobene Unterlassungsanspruch einschließlich der weiteren (einschränkenden) Eventualbegehren unbegründet.
7. Der Revision des Beklagten ist daher Folge zu geben; die Entscheidungen der Vorinstanzen sind dahin abzuändern, dass das Unterlassungsbegehren samt dem darauf bezogenen Veröffentlichungsbegehren abgewiesen wird.
8. Wegen der Abänderung in der Hauptsache waren auch die das Verfahren der Vorinstanzen betreffenden Kostenentscheidungen neu zu fassen (§ 50 Abs 1 ZPO).
Die Kostenentscheidung stützt sich dabei auf § 41 ZPO. Die Klägerin hat nach § 54 Abs 1a ZPO zutreffend eingewandt, dass der vorbereitende Schriftsatz der Beklagten vom nicht zu honorieren war, weil dieser erst nach Einleitung der Streitverhandlung eingebracht wurde und damit nach § 258 ZPO nicht zulässig war. Zudem verzichtete die Beklagte auf die Honorierung dieses Schriftsatzes. Die beiden bloßen Urkundenvorlagen vom und waren nur nach Tarifpost 1 RATG zu honorieren. Für die Berufung und die Revision gebührt der ERVZuschlag von jeweils nur 2,10 EUR (RISJustiz RS0126594).
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ECLI: | ECLI:AT:OGH0002:2018:0040OB00116.18I.0925.000 |
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