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OGH vom 11.12.2007, 4Ob203/07t

OGH vom 11.12.2007, 4Ob203/07t

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Senatspräsidenten des Obersten Gerichtshofs Dr. Zechner als Vorsitzenden, die Hofrätin des Obersten Gerichtshofs Dr. Schenk und die Hofräte des Obersten Gerichtshofs Dr. Vogel, Dr. Jensik und Dr. Musger als weitere Richter in der Pflegschaftssache der mj. Raffaela G*****, derzeit vertreten durch den Magistrat der Stadt Wien, über den Revisionsrekurs des Vaters Gerold G*****, vertreten durch Dr. Johann Sommer, Rechtsanwalt in Wien, gegen den Beschluss des Landesgerichts für Zivilrechtssachen Wien vom , GZ 43 R 719/06p-U-27, womit der Beschluss des Bezirksgerichts Favoriten vom , GZ 2 P 228/95g-U-20, bestätigt wurde, den Beschluss

gefasst:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird teilweise Folge gegeben.

Die Entscheidungen der Vorinstanzen werden dahin abgeändert, dass die vom Vater im Unterhaltsvergleich vom für die mj. Raffaela, geboren am übernommene monatliche Unterhaltsverpflichtung von 450 EUR ab auf 385 EUR herabgesetzt wird.

Der Vater ist schuldig, der mj. Raffaela zu Handen des jeweiligen gesetzlichen Vertreters (derzeit Magistrat der Stadt Wien, Amt für Jugend und Familie - Rechtsvertretung *****), beginnend mit bis auf weiteres eine Unterhaltsleistung von 385 EUR monatlich zu zahlen.

Das in dritter Instanz noch streitverfangene Mehrbegehren des Vaters, die Unterhaltsleistung ab auf 274 EUR monatlich herabzusetzen, wird abgewiesen.

Text

Begründung:

Der Revisionsrekurswerber ist für seine beiden Töchter, die mj. Cornelia, geboren am , und die mj. Raffaela, geboren am , sowie teilweise für seine geschiedene Ehefrau sorgepflichtig. Gegenstand des Revisionsrekursverfahrens ist nur mehr sein Begehren auf Herabsetzung des im Unterhaltsvergleich für die mj. Raffaela mit 450 EUR festgesetzten Unterhaltsbeitrags auf 274 EUR ab . Der Beschluss über die Herabsetzung des für die mj. Cornelia zu leistenden Unterhalts ist bereits in Rechtskraft erwachsen.

Der Vater machte in seinem Herabsetzungsantrag vom geltend, der Scheidungsvergleich gehe von einer unrichtigen Bemessungsgrundlage aus, er habe lediglich im Jahr 2003 die dort angeführten 2.000 EUR netto monatlich verdient. 2005 habe er als freier Mitarbeiter der G***** GmbH nur mehr monatlich 1.650 EUR netto erhalten. Er habe „Schwarzseher" und „Schwarzhörer" auszuforschen. Das Aufdeckungspotential habe in den letzten Jahren stark abgenommen, weil „fast alle das Fernsehgerät und den Radio angemeldet" hätten. Das Erstgericht wies den Antrag auf Herabsetzung der Unterhaltsleistung für Raffaela ab. Es stellte nach Einholung eines Sachverständigengutachtens das durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen des Vaters als freier Mitarbeiter wie folgt fest: im Jahr 2003 2.468 EUR, 2004 1.655 EUR, 2005 1.961 EUR und 2006 (hochgerechnet vom Einkommen zwischen Jänner und Juni 2006) 1.712 EUR. Der Vater bearbeite den Markt für Neuanmeldungen von Rundfunkgebührenzahlern. Die Schwarzseherquote sei rückläufig. Seit 2003 sei ein Umsatzrückgang bei Neuanmeldungen infolge des Einschreitens externer Mitarbeiter um 10 bis 15 % bei gleichbleibender Anzahl solcher Mitarbeiter zu verzeichnen. Das Erstgericht ermittelte ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen des Vaters in den Jahren 2003 bis 2005 von 2.028 EUR; unter weiterer Berücksichtigung des verminderten Einkommens in der ersten Hälfte des Jahres 2006 errechnete es ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen für den Zeitraum Juli 2003 bis Juni 2006 von 1.902 EUR. Angesichts dieser Durchschnittsbeträge sei eine wesentliche, die Herabsetzung der Unterhaltsleistung für Raffaela rechtfertigende Änderung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Vaters seit Vergleichsabschluss nicht eingetreten. Das Herabsetzungsbegehren sei somit nicht berechtigt.

Das Rekursgericht bestätigte diese Entscheidung. Dem Vater sei nach Anspannungsgrundsätzen auch für den Zeitraum Jänner bis Juni 2006 ein monatliches Nettoeinkommen von 1.712 EUR zuzurechnen. Mit Rücksicht darauf, dass er als freier Dienstnehmer Einkünfte aus selbstständiger Tätigkeit beziehe, sei aber nicht das Einkommen dieser sechs Monate entscheidend, vielmehr sei der Unterhaltsbemessung für die Zukunft das Durchschnittseinkommen der letzten drei Jahre vor Beschlussfassung zugrundezulegen. Der längere Bemessungszeitraum diene nämlich dazu, die auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführenden Einkommensschwankungen auszugleichen. Der kürzere Beobachtungszeitraum des Jahres 2006 reiche nicht aus, um eine geringere Leistungsfähigkeit des Vaters verlässlich annehmen zu können. Beziehe man das Einkommen der letzten drei Jahre vor Beschlussfassung ein, so ergebe sich ein durchschnittliches monatliches Nettoeinkommen von 1.902 EUR. Dieses sei lediglich 4,9 % - somit unbedeutend - geringer als die dem Scheidungsvergleich zugrunde gelegte Bemessungsgrundlage von 2.000 EUR. Diese bloß unbedeutende Verminderung der finanziellen Leistungsfähigkeit des Vaters rechtfertige eine Neubemessung der Unterhaltsleistung wegen Änderung der Verhältnisse nicht.

Der ordentliche Revisionsrekurs sei zulässig, weil Rechtsprechung des Obersten Gerichtshofs zur Frage fehle, ob freien Dienstnehmern, die bekanntermaßen zufolge der wirtschaftlichen Entwicklung immer mehr an die Stelle unselbstständiger Arbeitnehmer träten, in unterhaltsrechtlicher Sicht tatsächlich die Stellung eines Selbstständigen zuzuerkennen und demzufolge bei der Unterhaltsbemessung für die Zukunft das in den letzten drei abgeschlossenen Wirtschaftsjahren ermittelte Durchschnittsnettoeinkommen unter Beachtung der Zukunftsprognose zugrundezulegen sei.

Rechtliche Beurteilung

Der Revisionsrekurs des Vaters ist zulässig und teilweise berechtigt. Der Revisionsrekurswerber macht geltend, seine Tätigkeit als freier Dienstnehmer habe darin bestanden, Schwarzseher aufzuspüren und sie einer Anmeldung (und Zahlung der Rundfunkgebühren) zuzuführen. Nach Mitteilung der G***** GmbH sei das Potenzial nicht gemeldeter Gebührenzahler von Jahr zu Jahr kleiner geworden, wodurch die „Vertriebsschiene externer Kundendienst" um 10 bis 15 % zurückgegangen sei. Dementsprechend habe sich auch sein Einkommen vermindert. Es stehe daher fest, dass er das zuvor erzielte monatliche Nettoeinkommen von 2.028 EUR bzw 1.902 EUR nicht mehr werde erreichen können. Die Vorinstanzen hätten daher von dem vom Sachverständigen errechneten monatlichen Nettoeinkommen von 1.712 EUR ausgehen müssen. Unter Berücksichtigung der Prozentkomponente (16 %) betrage der Unterhaltsanspruch minderjährigen Raffaela 274 EUR monatlich.

1. Gesetzliche Unterhaltsansprüche unterliegen der Umstandsklausel. Der Anspruch kann daher im Fall einer wesentlichen Änderung der Verhältnisse neu festgelegt werden (stRsp RIS-Justiz RS0047471, RS0007161; Hopf in KBB § 140 Rz 19 mwN). Als wesentliche Änderung werden unter anderem Einkommensminderungen des Unterhaltspflichtigen von 8 bzw 10 % angesehen (RIS-Justiz RS0007161 [T6] = 1 Ob 5/00t). Wurde der Unterhalt in einem Vergleich festgesetzt, ist bei der Neubemessung aufgrund des geänderten Einkommens des Unterhaltspflichtigen die seinerzeitige Relation zwischen Einkommenshöhe und Unterhaltshöhe zu beachten (6 Ob 57/03f; RIS-Justiz RS0047471; Hopf aaO mwN).

2. Die ständige Rechtsprechung ermittelt bei der Bemessung künftigen Unterhalts die Bemessungsgrundlage bei selbstständig erwerbstätigen Unterhaltspflichtigen, die den Gewinn nach § 4 Abs 3 EStG 1988 ermitteln, aus dem Durchschnittseinkommen der letzten drei, der Beschlussfassung vorangegangenen Wirtschaftsjahre. Zweck dieser Durchschnittsbetrachtung ist es, auf steuerliche Gestaltungsmöglichkeiten zurückzuführende Einkommensschwankungen, die die Unterhaltsbemessungsgrundlage verzerren könnten, auszuschalten (stRsp SZ 67/221; RIS-Justiz RS0053251 [T5, T 12]; Gitschthaler, Unterhaltsrecht Rz 85 mwN; Neubauer in Schwimann, ABGB³ § 140 Rz 58 mwN).

Ob diese Überlegungen in jedem Fall auch auf freie Dienstnehmer zutreffen, kann im vorliegenden Fall offen bleiben. Die Rechtsprechung nimmt nämlich auch bei Selbstständigen auf konkrete Indikatoren für Unternehmensaussichten Bedacht (3 Ob 395/97b = RIS-Justiz RS0053251 [T7]). Bei der Unterhaltsbemessung für die Zukunft ist immer maßgebend, ob das in der Vergangenheit erzielte Einkommen darauf schließen lässt, dass der Unterhaltspflichtige auch weiterhin ein Einkommen in ähnlicher Höhe werde erzielen können (4 Ob 102/99z). Es muss daher auch bei Heranziehen des dreijährigen Beurteilungszeitraums Bedacht darauf genommen werden, wie sich das Einkommen entwickelt und ob angenommen werden kann, dass der Unterhaltspflichtige auch in Hinkunft ein Einkommen in ähnlicher Höhe werde erzielen können.

3. Wendet man diese Grundsätze auf den vorliegenden Fall an, so ergibt sich schon während dieses dreijährigen Beurteilungszeitraums ein Rückgang von 10 bis 15 % bei den vom Unterhaltspflichtigen als freier Dienstnehmer zu bearbeitenden Aufträgen bei gleichbleibender Zahl der Mitarbeiter, dementsprechend ein Einkommensverlust von 10 bis 15 % und damit eine wesentliche Einkommensminderung im ersten Halbjahr 2006 in Relation zu jenem Einkommen, das dem Scheidungsvergleich und dem Durchschnitt der Jahre 2003 bis 2005 zugrunde lag. Dieser Einkommensverlust beruhte keineswegs auf steuerrechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, die der Unterhaltspflichtige in Anspruch genommen hätte, sondern vielmehr allein darauf, dass die Zahl der Schwarzseher, die er aufspüren konnte, von Jahr zu Jahr kleiner wurde. Damit verringerte sich aber zwangsläufig auch der sein Einkommen als freier Mitarbeiter bestimmende Umsatz an Neuanmeldungen. Die Feststellungen der Vorinstanzen zeigen, dass diese Entwicklung bereits im Zeitpunkt der Entscheidung erster Instanz erkennbar war und berücksichtigt hätte werden müssen. Nach den im vorliegenden Fall gegebenen Umständen kann nämlich nicht angenommen werden, dass der Unterhaltspflichtige auch in Hinkunft (ab ) über das in den Jahren 2003 bis 2005 erzielte durchschnittliche monatliche Nettoeinkommen werde verfügen können. Vielmehr muss von einem Einkommensverlust von 10 bis 15 % ab dem Jahr 2006 ausgegangen werden.

4. Der Revisionsrekurswerber gesteht selbst eine Bemessungsgrundlage von 1.712 EUR monatlich und dementsprechend einen Unterhaltsanspruch für Raffaela im Ausmaß von 16 %, das sind 274 EUR monatlich, zu. Seine Berechnung berücksichtigt jedoch nicht die dem Scheidungsvergleich einvernehmlich zugrunde gelegte Relation zwischen Unterhaltsbemessungsgrundlage und Unterhaltsleistung (2.000 EUR : 450 EUR). Berücksichtigt man im Einklang mit der obzitierten Rechtsprechung diese Relation (= 22,5 %), so ergibt sich ein monatlicher Unterhaltsbeitrag für Raffaela von 385 EUR (das sind 22,5 % von 1.712 EUR).

Der Unterhalt für die mj. Raffaela ist somit von 450 EUR auf 385 EUR monatlich herabzusetzen und der Vater ab zur Zahlung dieser Unterhaltsleistung zu verpflichten. Das darüber hinausgehende Herabsetzungsbegehren musste abgewiesen werden.