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OGH vom 25.10.1994, 1Ob618/94

OGH vom 25.10.1994, 1Ob618/94

Kopf

Der Oberste Gerichtshof hat durch den Vizepräsidenten des Obersten Gerichtshofes Dr.Schubert als Vorsitzenden und durch die Hofräte des Obersten Gerichtshofes Dr.Schlosser, Dr.Schiemer, Dr.Gerstenecker und Dr.Rohrer als weitere Richter in der Rechtssache der Antragstellerin

1. Ricarda K*****, und 2. Sylvia L***** D*****, beide vertreten durch Dr.Erich Heliczer, Rechtsanwalt in Bad Vöslau, und der mitbeteiligten Republik Österreich (Bund), vertreten durch die Finanzprokuratur, Wien 1., Singerstraße 17-19, wegen Herausgabe nach dem 2.Kunst- und Kulturbereinigungsgesetz infolge Revisionsrekurses der beiden Antragstellerinnen gegen den Beschluß des Oberlandesgerichtes Wien als Rekursgerichtes vom , GZ 6 R 7/94-17, womit der Beschluß des Landesgerichtes für ZRS Wien vom , GZ 50 b Nc 1153/87-Pos 140-8, bestätigt wurde, den

Beschluß

gefaßt:

Spruch

Dem Revisionsrekurs wird Folge gegeben.

Der rekursgerichtliche Beschluß wird aufgehoben; dem Gericht zweiter Instanz wird die neuerliche Entscheidung nach Verfahrensergänzung aufgetragen.

Text

Begründung:

Mit Schreiben vom meldeten die beiden Antragstellerinnen als Erbinnen nach ihren Eltern beim Bundesministerium für Finanzen Ansprüche nach dem 2.Kunst- und Kulturgutbereinigungsgesetz (in der Folge kurz: 2.KKbG), unter anderem auch den Anspruch auf Herausgabe eines Gemäldes von J.P.Gillemans, an, das in dem im Amtsblatt zur Wiener Zeitung vom unter der laufenden Nummer 140 verlautbarten Verzeichnis unter der Kurzbeschreibung: "Stilleben mit Früchten und Säule, Landschaft mit schloßähnlichem Gebäude, Öl/Lwd, 70x 80 sign." angeführt war.

Da die Verwaltungsbehörde unter anderem auch die Herausgabe dieses Gemäldes mit der Begründung verweigerte, daß es auch noch von anderen Personen in Anspruch genommen werde, machten die Antragstellerinnen ihre Ansprüche auf Herausgabe unter anderem auch dieses Gemäldes (Pos.Nr. 140) gerichtlich geltend.

Die Mitbeteiligte bestritt die Herausgabeansprüche mit dem Hinweis auf vier weitere Anspruchswerber. Zuletzt wurde die Herausgabe des Bildes außer von den beiden Antragstellerinnen nur noch von einer weiteren Anspruchswerberin begehrt; beide Verfahren wurden zu gemeinsamer Verhandlung und Entscheidung verbunden.

Das Erstgericht wies alle Anträge ab.

Es stellte, soweit es um die beiden Antragstellerinnen geht, fest, deren Eltern hätten vor dem Zweiten Weltkrieg eine der bedeutendsten privaten Kunstsammlungen Österreichs besessen; ihr gesamtes Vermögen sei vom Deutschen Reich eingezogen worden.

Auf dem Gemälde (Pos.Nr. 140) sei in der linken oberen Ecke eine Säule sichtbar. An deren Fuß lägen bzw hingen verschiedene Früchte:

Weintrauben, Granatäpfel, ein Kürbis (allenfalls eine Melone), Kukuruz, Feigen, Äpfel und Weinblätter. Im rechten hinteren Bereich des Bildes sei ein schloßähnliches Gebäude zu erkennen. Vor diesem befänden sich zwei Statuen; eine von ihnen stehe deutlich sichtbar auf einem Sockel. In der Mitte des Bildes sei ein Ast dargestellt, der ebenso wie ein schneebedeckter Berg Bestandteil des Hintergrunds sei. Der sichtbare Teil des Himmels sei wolkenverhangen. Das Gemälde vermittle insgesamt eine düstere Stimmung. Es sei mit jenem, das sich im Eigentum der Rechtsvorgänger der Antragstellerinnen befunden habe, nicht identisch.

Das Gericht zweiter Instanz bestätigte diesen Beschluß und sprach aus, daß der Wert des Entscheidungsgegenstandes zwar S 50.000 übersteige, der ordentliche Revisionsrekurs jedoch nicht zulässig sei. Es führte aus, das von der Erstantragstellerin beschriebene Bild stimme zwar in der Anordnung der Säule in der linken und des schloßähnlichen Gebäudes in der rechten Bildhälfte sowie in der Aufstellung der dargestellten Früchte mit dem Gemälde überein, eine Reihe weiterer abweichender Merkmale schlössen jedoch die Identität des beschriebenen Bilds mit diesem aus. Das Rekursgericht habe zur Überprüfung der Beweiswürdigung des Erstgerichts das Gemälde in Augenschein genommen. Dabei hätten sich keine weiteren Anhaltspunkte dafür, daß es mit dem von den Antragstellerinnen beschriebenen Bild identisch sein könnte, ergeben. Insbesondere sei der von ihnen genannte Korb nicht zu finden. Die Anordnung der Früchte lasse zwar allenfalls auf einen Behälter schließen, aus dem die Früchte herausquöllen, da dieser aber nicht zu sehen sei, entspreche die Beschreibung der Erstantragstellerin nicht dem Gemälde. Die herausquellenden Früchte befänden sich überdies rechts und nicht, wie von ihr beschrieben, links unter der Säule. Der von ihr erwähnte Gegenstand metallischen Aussehens sei auf dem Originalbild nicht zu erkennen. Gerade die genaue Schilderung unrichtiger Details führe zwingend zum Ergebnis, daß sie wohl ein bestimmtes Bild vor Augen hatte, dieses aber mit dem Gemälde nicht identisch sei. Die von der Erstantragstellerin beschriebene Allee sei ebensowenig vorhanden wie der geschilderte schloßartige Eingang auf dem begehrten Bild erkennbar sei, das nicht den Eindruck vermittle, das Gebäude sei - wie das die Erstantragstellerin schildere - "vernebelt". Die Konturen des Gebäudes seien zwar unscharf, es sei jedoch nicht im geringsten verschleiert. In der Bildmitte sei der Ausschnitt eines wolkenverhangenen Himmels mit einem scharf abgegrenzten schneebedeckten Berg sichtbar, wogegen die Erstantragstellerin angegeben habe, man sehe keine Berge. Auch die von ihr empfundene freundliche Stimmung des Bildes lasse sich nicht nachvollziehen. Den Antragstellerinnen sei daher der Nachweis nicht gelungen, daß sich unter den Gemälden ihrer Eltern auch das Stilleben von J.P.Gillemans befunden habe, so daß gegen die Richtigkeit der Beweiswürdigung des Erstgerichtes keine Bedenken bestünden. Den Antragstellerinnen sei zwar zuzugeben, daß ihrer Erinnerung seit der letzten Wahrnehmung Details - wie etwa der schneebedeckte Berg und die Wolken - entglitten sein könnten. Wenn auch an Beschreibungen kein allzu strenger Maßstab anzulegen sei, dürfe das Gericht doch nicht nach Billigkeit entscheiden; vielmehr habe der Anspruchswerber den Beweis seines Eigentums zu erbringen. Im übrigen lasse es gerade der Umfang der Gemäldesammlung ihrer Eltern nicht zu, angesichts der Unterschiede zwischen Beschreibung und Bild eine Verwechslung mit einem anderen Stilleben mit hinreichender Sicherheit auszuschließen. Die Rekurswerberinnen räumten sogar selbst die Möglichkeit ein, daß sie wegen der Vielzahl der Stilleben im Besitz ihrer Eltern die Elemente mehrerer Bilder vermengt haben könnten.

Der von den Antragstellerinnen gegen diesen Beschluß erhobene Revisionsrekurs ist berechtigt.

Rechtliche Beurteilung

Die Rechtsmittelwerberinnen rügen die Durchführung des Augenscheinbeweises durch das Gericht zweiter Instanz als Nichtigkeit, jedenfalls aber als Verfahrensmangel, weil die Parteien dieser Beweisaufnahme nicht zugezogen worden seien.

In der Tat hat der zur Entscheidung über den Rekurs der Antragstellerinnen berufene Senat des Gerichtes zweiter Instanz - wie dessen Begründung (S.5) entnommen werden kann - das Gemälde, dessen Herausgabe begehrt wird, in Augenschein genommen, um die Beweiswürdigung des Erstgerichts zu prüfen, hat dazu aber weder eine mündliche Verhandlung oder sonst eine Beweisaufnahmetagsatzung anberaumt, noch sonst den Parteien Gelegenheit gegeben, am Augenschein teilzunehmen. Wie der erkennende Senat in seinem Bechluß vom , 1 Ob 646/92, ausgesprochen hat, sieht § 6 Abs 5 des

2. KKbG (BGBl 1986/2) zwar vor, daß für das Verfahren die §§ 1 bis 19 AußStrG gelten, ordnet aber gleichzeitig an, daß die Vorschriften der Zivilprozeßordnung über den Beweis sinngemäß anzuwenden sind (lit d) und die Verweisung auf den Rechtsweg unzulässig ist (lit e). Wohl wird das Verfahren außer Streitsachen abweichend vom Streitverfahren an sich nicht vom Grundsatz der Unmittelbarkeit beherrscht, so daß die Rekursinstanz grundsätzlich die in erster Instanz aufgenommenen Beweise anders würdigen kann als das Erstgericht, das gilt indessen nicht für jene besonderen außerstreitigen Verfahren, in denen die Beweise vom Erstrichter nach den Vorschriften der Zivilprozeßordnung in mündlicher Verhandlung unmittelbar aufgenommen und daher auch der in diesem Gesetz (in § 276 ZPO) verankerte Unmittelbarkeitsgrundsatz zu beachten ist: Da auch das Verfahren nach dem 2.KKbG ein solches besonderes außerstreitiges Verfahren ist, könnte das Rekursgericht, hegt es gegen die erstinstanzliche Beweiswürdigung Bedenken, die vom Erstrichter unmittelbar bei der öffentlichen mündlichen Verhandlung aufgenommenen Beweise nur dann anders würdigen und demgemäß von der angefochtenen Entscheidung abweichende Feststellungen treffen, wenn es die Beweisaufnahme wiederholt bzw ergänzt. Dazu ist das Rekursgericht aber nur bei Anberaumung und Durchführung einer mündlichen Rekursverhandlung (wie etwa nach § 37 Abs 3 Z 17 lit g MRG) in der Lage. Eine solche Verhandlung ist im außerstreitigen Rechtsmittelrecht nicht vorgesehen. Da aber mit Rücksicht auf die Ziele des 2.KKbG und dessen Motive für die dort angeordneten besonderen Verfahrensbestimmungen, mit welchen der Gesetzgeber den Anspruchswerbern zweifellos zusätzlichen Rechtsschutz gewähren wollte, nicht angenommen werden kann, daß er die Überprüfung der Tatfrage durch die Rekursinstanz auszuschließen gedachte, ist eine im Wege der Analogie zu schließende Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollständigkeit des Verfahrensrechts zu unterstellen, die durch das Berufungsrecht der Zivilprozeßordnung, insbesondere auch über die Anberaumung und Durchführung der mündlichen Berufungsverhandlung, zu schließen ist, weil im Verfahren außer Streitsachen - wenn auch in Beschlußform - ebenso wie im Zivilprozeß über Rechtsschutzbegehren und Sachanträge abgesprochen wird, was allein schon in erhöhtem Maße die Überprüfung der erstinstanzlichen Entscheidung auch im Bereich der Tatfrage erfordert; bei analoger Anwendung des Rekursrechtes der Zivilprozeßordnung, das eine mündliche Rekursverhandlung nicht vorsieht, wäre das aber nicht gewährleistet. So wie nach § 37 Abs 3 Z 17 lit f und g MRG hat daher das Gericht zweiter Instanz, hat es gegen die - wie hier - im Rekurs ausdrücklich bekämpften Feststellungen des Erstgerichts Bedenken, eine mündliche Rekursverhandlung (nach den Grundsätzen der Zivilprozeßordnung über die mündliche Berufungsverhandlung) anzuberaumen und durchzuführen und nach als erforderlich erachteter Wiederholung bzw Ergänzung der in erster Instanz unmittelbar aufgenommenen Beweise eigene Feststellungen zu treffen.

Grundsätzlich ist der Augenschein vom erkennenden Gericht bei der mündlichen Verhandlung durchzuführen; aber selbst dann, wenn der Augenschein ausnahmsweise von einem beauftragten oder ersuchten Richter durchgeführt wird, sind die Parteien zur Beweisaufnahme zu laden; sie sind in jedem Fall berechtigt, den Richter bzw den von diesem beigezogenen Sachverständigen auf konkrete Umstände - hier wohl auf Besonderheiten des Gemäldes, die auch in dessen Beschreibung durch die Parteien gut zum Ausdruck kommen, - hinzuweisen und eine bestimmte Vorgangsweise anzuregen. Hat das Gericht zweiter Instanz Bedenken gegen die aufgrund eines Augenscheins vom Erstrichter getroffenen Feststellungen, so hat es den Augenschein, wenn es auch nur eine Partei verlangt, unmittelbar neu durchzuführen (RZ 1993/146; Fasching, LB2 Rz 1019). Keinesfalls darf das Rekursgericht den zur Überprüfung der erstgerichtlichen Beweiswürdigung erforderlichen Augenschein - dem Grundsatz der Unmittelbarkeit (vgl § 498 ZPO) zuwider - außerhalb einer mündlichen Verhandlung und, ohne den Parteien Gelegenheit zu geben, daran teilzunehmen und dazu Anträge zu stellen, durchführen.

Das rekursgerichtliche Verfahren ist deshalb mangelhaft geblieben; ob dem Verfahrensmangel - wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs (vgl § 477 Abs 1 Z 4 ZPO) - das Gewicht einer Nichtigkeit beizumessen ist, muß nicht näher geprüft werden, weil die Antragstellerinnen den Mangel in ihrem Rechtsmittel ohnedies ausdrücklich gerügt haben.

Nach diesen Grundsätzen wird das Gericht zweiter Instanz sein Verfahren zu ergänzen und eine neuerliche Entscheidung zu treffen haben.